TE OGH 2018/9/25 18Bs218/18t

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Veröffentlicht am 25.09.2018
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Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Lehr und Mag. Maruna als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Michaela B***** wegen §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 2, 130 Abs 2 zweiter Fall StGB über die Beschwerde der Michaela B***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. Juni 2018, GZ 112 Hv 19/18m-95, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Michaela B***** wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. Mai 2018, GZ 112 Hv 19/18m-77, des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 2, 130 Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 130 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt.

Unmittelbar im Anschluss an die Verkündung des – infolge allseitigen Rechtsmittelverzichts - rechtskräftigen Urteils stellte die Verurteilte einen Antrag auf Gewährung eines Strafaufschubs gemäß § 39 Abs 1 SMG (ON 76 S 11).

Mit Beschluss vom 4. Juni 2018 (ON 85) bestellte das Landesgericht für Strafsachen Wien Mag. Isabell G***** zur Sachverständigen und beauftragte diese, Befund und Gutachten zum Vorliegen der Voraussetzungen eines Strafaufschubs nach § 39 Abs 1 SMG zu erstatten. Dieser Beschluss wurde der Verurteilten am 8. Juni 2018 zugestellt (siehe Zustellschein zu ON 85). Mit Schreiben vom 18. Juni 2018 beantragte die Verurteilte fristgerecht gemäß § 126 Abs 5 StPO die Enthebung der Sachverständigen Mag. Isabell G***** „aus gegebenen Gründen“ (ON 91).

Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 95) wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag der Verurteilten auf Enthebung der Sachverständigen Mag. Isabell G***** ab und führte begründend aus, dass dem Enthebungsantrag kein konkretes Vorbringen betreffend die mangelnde Eignung der Sachverständigen oder das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes zu entnehmen ist.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die - mit Blick auf die Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 27. Juni 2018 (siehe Zustellschein zu ON 95) und dem Einlangen der Beschwerde beim Landesgericht für Strafsachen Wien spätestens am 11. Juli 2018 (siehe die auf der Beschwerde ON 102 ersichtliche Verfügung) - rechtzeitige Beschwerde der Michaela B***** (ON 102), in der sie vorbringt, aufgrund der Information einer anderen Insassin und einer Sozialarbeiterin gedacht zu haben, den Antrag auf Enthebung der Sachverständigen nicht begründen zu müssen und auch nicht gewusst zu haben, welche Begründung sie hätte angeben sollen. Die Sachverständige – die das Gutachten mittlerweile erstattet hat (ON 93) - habe ihr bei der Befundaufnahme nur zehn Minuten Fragen gestellt und sie bei der Beantwortung derselben immer wieder unterbrochen, sodass sie nicht alles habe erzählen können. Sie habe bereits bei der Befundaufnahme gemerkt, dass die Sachverständige sich gegen einen Strafaufschub zur Absolvierung einer Therapie aussprechen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Über den Strafaufschub nach § 39 SMG entscheidet in sinngemäßer Anwendung des § 7 Abs 1 StVG der Vorsitzende des erkennenden Gerichts bzw der Einzelrichter mit Beschluss (Schwaighofer in WK2 SMG § 39 Rz 28), die auch – wie im vorliegenden Fall – erforderlichenfalls die Bestellung eines Sachverständigen vorzunehmen haben.

Zum dabei anzuwendenden Verfahren ist zur Klarstellung Folgendes auszuführen:

Nach § 7 Abs 2 StVG gelten für das Verfahren, falls nicht anders angeordnet, die Bestimmungen der StPO, wobei der Verurteilte die Rechte des Beschuldigten hat.

Gemäß § 126 Abs 3 StPO sind Sachverständige von der Staatsanwaltschaft, für gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen (§§ 104, 105 StPO) und für das Hauptverfahren (§ 210 Abs 2 StPO) jedoch vom Gericht zu bestellen.

Im Ermittlungsverfahren hat der Beschuldigte gemäß § 126 Abs 5 StPO das Recht, binnen vierzehn Tagen ab Zustellung (§ 126 Abs 3 StPO), Kenntnis eines Befangenheitsgrundes oder Vorliegen begründeter Zweifel an der Sachkunde eines bestellten Sachverständigen einen Antrag auf deren Enthebung zu stellen, er kann auch die Bestellung im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahme verlangen und eine andere, nach den Kriterien der Sachkunde (Abs 2) besser qualifizierte Person zur Bestellung vorschlagen. Handelt es sich - wie vorliegend - um einen gerichtlich bestellten Sachverständigen entscheidet über einen solchen Antrag gemäß § 126 Abs 5 letzter Satz StPO das Gericht mit gemäß § 87 Abs 1 StPO bekämpfbarem Beschluss.

Stellt hingegen der Angeklagte im Hauptverfahren einen Antrag auf Enthebung des Sachverständigen und entscheidet das Gericht, diesem nicht Folge zu geben, handelt es sich (bei Antragstellung vor Beginn der Hauptverhandlung) um eine nicht anfechtbare prozessleitende Verfügung im Sinne des § 35 Abs 2 zweiter Satzteil StPO (Danek/Mann, WK-StPO § 222 Rz 1, 23/3; OLG Wien 19 Bs 320/17y), bzw (bei Antragstellung in der Hauptverhandlung) um einen Beschluss, gegen den jedoch den Beteiligten ein selbstständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtsmittel nicht zusteht (§ 238 Abs 2 und Abs 3 StPO). Die Verfahrensbeteiligten sind hinsichtlich der Geltendmachung einer Befangenheit nach § 47 Abs 1 Z 3 StPO auf eine Bekämpfung des Urteils wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 4 bzw Z 3 StPO iVm § 126 Abs 4 zweiter Satz StPO; vgl Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 72; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 199) angewiesen.

Diese für das Hauptverfahren vorgesehenen Bestimmungen sind den Besonderheiten dieses Verfahrensstadiums geschuldet, bei dem die zügige Durchführung der Hauptverhandlung im Vordergrund steht und die dabei ergangenen Verfügungen bzw Beschlüsse daher erst mit einem Rechtsmittel gegen die in der Hauptsache ergangene Entscheidung bekämpft werden können. Dieses Regelungsregime ist auf das Verfahren während des Strafvollzugs jedoch sinnvoll nicht anzuwenden, weil die ablehnende Entscheidung über einen Antrag auf Enthebung eines Sachverständigen sowohl in Form einer unanfechtbaren prozessleitenden Verfügung (wie außerhalb der Hauptverhandlung; analog § 222 Abs 2 StPO) als auch mittels eines nicht gesondert anfechtbaren Beschlusses (wie in der Hauptverhandlung; analog § 238 Abs 2 und Abs 3 StPO) mangels eines zu einem späteren Zeitpunkt ergehenden Urteils dazu führen würde, dass die Betroffenen keine Möglichkeit haben, eine allfällige Befangenheit des Sachverständigen geltend zu machen. Dieses der Intention des Gesetzgebers nicht zu unterstellende Ergebnis wird durch die analoge Anwendung der sich in das System des Strafvollzugsverfahrens besser einfügenden Regelung des § 126 Abs 5 StPO vermieden, wonach das Vollzugsgericht mit einem – gemäß § 87 Abs 1 StPO mangels gegenteiliger Bestimmung mit Beschwerde anfechtbaren – Beschluss zu entscheiden hat. Letztlich entspricht dies auch dem Wortlaut des § 7 Abs 2 StVG, wonach dem Verurteilten „die Rechte des Beschuldigten“ und nicht jene eines „Angeklagten“ zukommen (vgl auch § 48 Abs 1 Z 2 und Z 3 StPO).

Somit hat die Verurteilte entsprechend den für das Ermittlungsverfahren geltenden Bestimmungen gemäß § 126 Abs 5 StPO iVm § 7 Abs 2 StVG das Recht, binnen vierzehn Tagen ab Zustellung der Sachverständigenbestellung (§ 126 Abs 3 StPO), Kenntnis eines Befangenheitsgrundes oder Vorliegen begründeter Zweifel an der Sachkunde der vorliegend zwecks Beurteilung der Voraussetzungen des § 39 SMG aus psychologischer Sicht bestellten Sachverständigen einen Antrag auf deren Enthebung zu stellen, wobei sie auch die Bestellung im Rahmen gerichtlicher Beweisaufnahme verlangen und eine andere, nach den Kriterien der Sachkunde (Abs 2) besser qualifizierte Person zur Bestellung vorschlagen kann.

Anzumerken ist, dass gemäß § 126 Abs 1 StPO Sachverständige dann zu bestellen sind, wenn für Ermittlungen oder für Beweisaufnahmen besonderes Fachwissen erforderlich ist, über welches die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Organe, besondere Einrichtungen oder bei ihnen dauernd angestellte Personen nicht verfügen, wobei nach § 126 Abs 2 StPO als Sachverständige vor allem Personen zu bestellen sind, die in die Gerichtssachverständigenliste (§ 2 Abs 1 des Bundesgesetzes über die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher – SDG, BGBl. Nr. 137/1975) eingetragen sind. Dies soll im Hinblick auf § 2 SDG gewährleisten, dass die betreffende Person über die erforderliche Professionalität, Fachkenntnis und Objektivität verfügt. Bei eingetragenen Sachverständigen, wie Mag. Isabell G*****, darf somit sowohl das Vorhandensein entsprechender Sachkenntnisse (§ 2 Abs 2 Z 1 lit a SDG) als auch einer entsprechenden Erfahrung (§ 2 Abs 2 Z 1 lit b SDG) berechtigt vermutet werden (Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 23).

Gemäß § 126 Abs 4 erster Satz StPO gelten für Sachverständige auch die Befangenheitsgründe des § 47 Abs 1 StPO sinngemäß. Soweit sie befangen sind oder ihre Sachkunde in Zweifel steht, sind sie im Fall einer Bestellung durch das Gericht von diesem von Amts wegen oder auf Grund von Einwänden ihres Amtes zu entheben, bei Vorliegen eines Befangenheitsgrundes gemäß § 47 Abs 1 Z 1 und 2 StPO bei sonstiger Nichtigkeit.

Abgesehen von den zuletzt genannten, hier nicht in Rede stehenden Befangenheitsgründen, bei denen es sich beim Sachverständigen um das Opfer der Tat oder einen Angehörigen des Beschuldigten handelt, ist ein Sachverständiger nach § 47 Abs 1 Z 3 StPO dann befangen, wenn (sonstige) Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine Beeinträchtigung der unparteilichen Begutachtung durch sachfremde psychologische Motive zu befürchten ist. Es genügt grundsätzlich schon der Anschein einer Befangenheit, wofür freilich zureichende Anhaltspunkte gegeben sein müssen, die geeignet sind, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler die volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Ob dies vorliegt, kann nur beurteilt werden, wenn konkrete Ablehnungsgründe vorgebracht werden (RIS-Justiz RS0096914 [T1, T5, T13]).

Wenngleich die Verurteilte die in ihrem Antrag nach § 126 Abs 5 StPO fehlende Begründung mit Blick darauf, dass im Verfahren über Beschwerden gegen Beschlüsse - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - kein Neuerungsverbot herrscht (RIS-Justiz RS0097679), zulässigerweise in der gegenständlichen Beschwerde nachgeholt hat, zeigt sie darin eine Befangenheit der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Mag. Isabell G***** nicht auf. Dass die Sachverständige sie ihrer Ansicht nach zu kurz befragt und beim Reden unterbrochen habe, vermag ebenso wenig ausreichende Anhaltspunkte für eine parteiliche Begutachtung durch sachfremde psychologische Motive zu begründen wie die nicht weiter konkretisierte bloße Einschätzung der Beschwerdeführerin, bereits bei der Befundaufnahme gemerkt zu haben, dass die Sachverständige sich gegen einen Strafaufschub zur Absolvierung einer Therapie aussprechen werde. Da durch die von der Beschwerdeführerin dargelegten Gründe die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der bestellten Sachverständigen nicht in Zweifel steht, entspricht der angefochtene Beschluss der Sach- und Rechtslage, weshalb der Beschwerde ein Erfolg zu versagen ist.

Textnummer

EW0000926

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2018:0180BS00218.18T.0925.000

Im RIS seit

09.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.10.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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