Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. September 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinksi, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Ronny K***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall, Abs 3 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 3. Mai 2018, GZ 13 Hv 18/18m-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Hubmer, sowie des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Tomanek zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der den Schuldsprüchen I./ und II./ zugrunde liegenden Taten nach § 206 Abs 1 zweiter Fall und Abs 3 vierter Fall StGB idgF (I./) sowie nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (II./), demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Ronny K***** hat durch die ihm angelasteten Taten die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB idF BGBl I 2001/130 (I./) sowie die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2006/56 (II./) begangen.
Er wird hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 19. Jänner 2012, AZ 32 U 86/11y, nach § 206 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2001/130) zu einer Zusatzstrafe von drei Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Seiner Berufung gegen den Zuspruch an die Privatbeteiligte wird nicht Folge gegeben.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Zuspruch an die Privatbeteiligte und deren Verweisung mit weiteren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg enthält, wurde Ronny K***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall, Abs 3 vierter Fall StGB (I./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach hat er im Frühjahr/Sommer 2010 in ***** in zumindest drei Angriffen im Abstand von drei bis vier Wochen
I./ mit einer unmündigen Person, und zwar mit seiner ***** 2005 geborenen Tochter Jasmin S*****, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er sie veranlasste, an ihm Hand- und Oralverkehr bis zum Samenerguss vorzunehmen, wobei sie durch die Tat in besonderer Weise erniedrigt wurde, indem er sie nach der Ejakulation dazu veranlasste, seinen ejakulatbehafteten Penis in den Mund zu nehmen und abzuschlecken;
II./ durch die in Punkt I./ dargestellten Taten mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.
Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet, die im Urteil – unter anderem zur Begründung des Tathergangs – verwerteten (US 6) Angaben des Opfers vor der Polizei (ON 4 S 35 ff) seien in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen. Hingegen wurde dem – ungerügt gebliebenen (vgl § 271 Abs 7 StPO) – Protokoll über die Hauptverhandlung zufolge der „erhebliche Inhalt“ der Aktenteile gemäß § 252 Abs 2a StPO einverständlich vorgetragen, „insbesondere der Amtsvermerk ON 2, die Abschlussberichte ON 4 und ON 7, das Gutachten ON 17, die Strafregisterauskunft ON 24 und der Auszug aus dem Akt des BG Amstetten“ (ON 25 S 53). Nach Einholung von Stellungnahmen des Gerichts (ON 1 S 25, 29), des in der Hauptverhandlung eingeschrittenen (früheren) Verteidigers (ON 34) und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft (ON 33) besteht für den Obersten Gerichtshof kein Grund, ein Vorkommen der ON 4 (einschließlich der relevierten Aussage) in der Hauptverhandlung anzuzweifeln (vgl Danek, WK-StPO § 271 Rz 7), sodass die Rüge ins Leere geht.
Der weitere Einwand (Z 5 vierter Fall), die aufgezeigte Formulierung im Protokoll lasse nicht erkennen, welche Aktenstücke überhaupt verlesen oder vorgetragen wurden, scheitert zudem am Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung nach § 285a Z 2 StPO, weil unter dem Aspekt der Mängelrüge in diesem Zusammenhang nur gerügt werden kann, ein bestimmtes Beweismittel sei in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen (RIS-Justiz RS0110681 [T1, T5]).
Im Hinblick auf das – ungerügt – protokollierte Einverständnis zum Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO (ON 25 S 53) ist – der Beschwerde zuwider – auch irrelevant, ob die „Verlesungen“ geboten (§ 252 Abs 2 StPO) oder auch ohne eine Zustimmung des Angeklagten zulässig (§ 252 Abs 1 StPO) gewesen wären (RIS-Justiz RS0127712).
Ebenso wenig berechtigt ist der Vorwurf einer offenbar unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) der Annahme, dass das Tatopfer zur Tatzeit (Frühjahr/Sommer 2010 [US 4]) unmündig war, weil es sich dabei um eine anhand des konstatierten Geburtsdatums (US 3) zu beurteilende Rechtsfrage handelt (vgl § 21 Abs 2 ABGB; § 74 Abs 1 Z 1 StGB; § 1 Z 1 JGG). Dass die Feststellung des Geburtsdatums selbst nicht ausreichend begründet worden wäre, wird von der Rüge nicht einmal behauptet. Im Übrigen beruht diese Konstatierung auf den Angaben des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen (US 5; ON 25 S 5).
Die Rechtsrüge behauptet einen Rechtsfehler mangels Feststellungen (nominell Z 9 lit a; mit Blick auf die Feststellungen zum im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit veranlassten Handverkehr der Sache nach Z 10) zur tatsächlichen Durchführung des vom Angeklagten verlangten Oralverkehrs, übergeht aber – prozessordnungs-widrig (RIS-Justiz RS0099810) – die Konstatierungen, wonach das Tatopfer den Aufforderungen des Angeklagten zur Vornahme sowohl des Hand- als auch des Oralverkehrs Folge leistete (US 4). Abgesehen davon lässt sie auch die gebotene Ableitung vermissen, weshalb der Tatvollendung für den Schuldspruch oder die Subsumtion entscheidende Bedeutung zukommen sollte (RIS-Justiz RS0122138, RS0116565).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
Aus Anlass des Rechtsmittels überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – gleichfalls in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – davon, dass dem Schuldspruch ein von Amts wegen wahrzunehmender, vom Beschwerdeführer selbst nicht geltend gemachter, ihm aber zum Nachteil gereichender Rechtsfehler anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Absatz erster Fall StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO):
Eine besondere Erniedrigung des Tatopfers (vgl dazu RIS-Justiz RS0095315 zu § 201 StGB) wurde nämlich erst mit dem am 1. August 2013 in Kraft getretenen Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/116) als Deliktsqualifikation in den Tatbestand des § 206 (Abs 3 vierter Fall) StGB aufgenommen, verbunden mit einer Strafdrohung von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe. Zur Tatzeit im Jahr 2010 hingegen waren die zu I./ genannten Taten bloß dem mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bewehrten Grundtatbestand des § 206 Abs 1 StGB zu unterstellen.
In seiner Gesamtauswirkung erweist sich somit das Tatzeitrecht (§ 206 StGB idF BGBl I 2001/130) als günstiger als das vom Erstgericht – ebenso wie von der Anklagebehörde (ON 19) – angewendete Urteilszeitrecht (§§ 1, 61 StGB). Dies gilt – aufgrund des Verbots der Kombination unterschiedlicher Rechtsschichten im Fall der Idealkonkurrenz (RIS-Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0112939 [T9]; Höpfel in WK² StGB § 61 Rz 6) – auch für die vorgenommene Unterstellung der Tathandlungen unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (II./) anstatt unter § 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2006/56 (vgl 14 Os 50/16h).
Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war somit in der Subsumtion der Taten zu I./ und II./, demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und es war hinsichtlich der Subsumtion wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.
Bei der dadurch erforderlichen Strafbemessung war gemäß §§ 31, 40 StGB auf das im Spruch näher bezeichnete Urteil des Bezirksgerichts Amstetten Bedacht zu nehmen, mit welchem über den Angeklagten wegen eines (am 24. September 2011 begangenen) Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB eine für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verhängt wurde (US 3).
Als erschwerend waren das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen und Vergehen, das besonders geringe Alter des Opfers zur Tatzeit sowie dessen besondere Erniedrigung, als mildernd hingegen der ordentliche Lebenswandel zu den Tatzeitpunkten und das längere Zurückliegen der Taten.
In Anbetracht dieser Strafzumessungsgründe war eine dem Unrecht der Tat und der Schuld des Angeklagten angemessene Zusatzstrafe wie aus dem Spruch ersichtlich zu verhängen.
Eine – im Rahmen der Strafberufung reklamierte – außerordentliche Strafmilderung (§ 41 StGB) verbat sich, weil keineswegs von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe gesprochen werden kann.
Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Das Erstgericht verpflichtete den Angeklagten, der Privatbeteiligten binnen 14 Tagen einen Betrag von 1.272,84 Euro zu bezahlen.
Die gegen den Ausspruch über privatrechtliche Ansprüche angemeldete (ON 25 S 56) Berufung des Angeklagten ist nicht im Recht:
Wer jemanden durch eine strafbare Handlung zu geschlechtlichen Handlungen missbraucht, hat ihm den erlittenen Schaden und den entgangenen Gewinn zu ersetzen sowie eine angemessene Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung zu leisten (§ 1328 ABGB).
Mit Blick auf die erlittene Erniedrigung (US 4, 8) und die mit dem Missbrauch einhergehende psychische Belastung des Tatopfers (US 5) ist der vom Erstgericht in freier Überzeugung (§ 369 Abs 2 StPO; § 273 ZPO) zuerkannte Betrag von 1.000 Euro an Schmerzengeld nicht zu beanstanden. Der Zuspruch von 272,84 Euro an Schadenersatz für mit der psychischen Aufarbeitung der Tat zusammenhängende konkrete Fahrtkosten (US 10) beruht auf nachvollziehbaren Grundlagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E122790European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00107.18A.0926.000Im RIS seit
09.10.2018Zuletzt aktualisiert am
09.10.2018