TE Lvwg Erkenntnis 2018/8/13 LVwG-780091/7/SR

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Veröffentlicht am 13.08.2018
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Entscheidungsdatum

13.08.2018

Norm

Art 130 B-VG
§16 SPG
§38a SPG

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erkennt durch seinen Richter Mag. Stierschneider über die Beschwerde der S R, K U, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, durch der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land zurechenbare Organe in Form des Ausspruchs eines Betretungsverbots am 14. Juni 2018

zu Recht:

I.     Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben als das in Beschwerde gezogene Betretungsverbot für rechtswidrig erklärt wird.

II.    Der Bund (für den die belangte Behörde eingeschritten ist) hat der Beschwerdeführerin diesbezüglich Aufwandersatz in Höhe von insgesamt 737,60 Euro (Schriftsatzaufwand für die Beschwerdeführerin als obsiegende Partei) zu leisten.

III.   Gegen diese Entscheidung ist eine Revision unzulässig.

Entscheidungsgründe

I.

1. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2018 erhob die nunmehrige Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf) Maßnahmenbeschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 14. Juni 2018 in Form der Verhängung eines Betretungsverbotes durch der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land zurechenbare Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (im Folgenden: belangte Behörde) und beantragte, die angefochtene Maßnahme für rechtswidrig zu erklären und dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Nach handschriftlicher Darstellung des Sachverhaltes (25 Seiten) und der gesetzlichen Grundlagen (4 Seiten) stellte die Bf das Vorliegen einer Gefährdungslage in Abrede. (2 Seiten) und beurteilte in der Folge das Einschreiten der Beamten als rechtswidrig (3 Seiten). Ergänzend wies sie auf die psychischen Folgen hin, die sich im Anschluss an das Betretungsverbot (Wegweisung) bei ihr eingestellt hätten.

Ihrer Beschwerde legte die Bf einen Kurzarztbrief der Psychiatrie 2 des Kepler Universitätsklinikum bei, wonach sie sich u.a. wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung vom 12. Dezember 2018 bis 11. Jänner 2018 in stationärer Behandlung befunden habe.

2. Nach erfolgter Aufforderung durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legte die belangte Behörde mit Schriftsatz vom 30. Juli 2018 eine Gegenschrift samt folgenden Beilagen vor: 1) AV vom 14.06.2018 und Mobilis Betreuungsplan vom 06.06.2018, 2) Opfervernehmung D R vom 13.06.2018, 3) Ersuchen um Ausspruch Betretungsverbot – BH-LL vom 14.06.2018, 4) Beschuldigtenvernehmung vom 14.06.2018, Bericht über den Ausspruch des Betretungsverbots vom 14.06.2018, Infoblätter vom 14.06.2018, 5) LPD OÖ zur Rechtsfrage betreffend die Verhängung von Betretungsverboten gem. 38a SPG vom 15.06.2018, 6) AV Telefonat Mag. F Rechtsfrage Betretungsverbot , 7) Schriftliche Stellungnahme KJH vom 15.06.2018, 8) Bericht Betretungsverbot vom 14.06.2018, 9) Abschlussbericht schwere Nötigung PI Traun vom 20.06.2018, 10) BG Traun – Verständigung betreffend Antrag auf einstweilige Verfügung vom 25.06.2018, 11) BG Traun – einstweilige Verfügung vom 11.07.2018, 12) LVwG OÖ – Maßnahmenbeschwerde und 13) AV 15.06.2018 Anruf der Gefährderin bei Bezirkshauptmannschaft-LL.

In der Gegenschrift beantragte die belangte Behörde, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und die Bf zum Kostenersatz (Aufwand der Behörde) zu verpflichten. Einleitend gab die belangte Behörde bekannt, dass sich die Bf derzeit im Kepler Universitätsklinik Neuromed Campus befinde.

Begründend führte die belangte Behörde wie folgt aus:

Zum Sachverhalt

Am 14.06.2018 wandte sich die zuständige Sozialarbeiterin der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe der BH Linz-Land, J V, B.A. an die belangte Behörde als Sicherheitsbehörde mit dem Ansuchen um Verhängung eines Betretungsverbots bezüglich der Beschwerdeführerin (AV vom 14.06.2018/ON1 und schriftliche Stellungnahme KJH vom 15.06.2018/ON7).

In einem Gespräch gab sie sinngemäß an, dass Familie R der Kinder- und Jugendhilfe seit 2010 bekannt ist. Seit Dezember 2017 ist die KJH der BH Linz-Land, aufgrund eines Betretungsverbotes gegen die Beschwerdeführerin, neuerlich mit der Familie befasst. (Betretungsverbot vom 13.12.2017, Akt: 2017-475624). Das Betretungsverbot vom 13.12.2017 wurde aufgrund einer glaubwürdigen Aussage der ältesten Tochter R R (geb. 22.5.2001), wonach die Beschwerdeführerin gegenüber ihren Kindern handgreiflich geworden sei, verhängt.

Bezüglich der aktuellen familiären Situation verweist die Sozialarbeiterin insbesondere auf einen Vorfall am 04.06.2018 zwischen der Beschwerdeführerin und der Tochter L R (geb. 12.08.2009) wobei die Beschwerdeführerin, L R während einer Auseinandersetzung die Faust ins Gesicht drückte. Der Vater D R meldete diesen Vorfall bei der PI Traun, was aber zu keinen Konsequenzen führte.

Am 08.06.2018 kam es laut Aussage des Gefährdeten D R erneut zu einem Streit zwischen ihm und der Beschwerdeführerin, wobei die Beschwerdeführerin dem Gefährdeten drohte, ihn Umbringen zu lassen. Aufgrund Unsicherheiten gegenüber der Polizei, meldete der Gefährdete den Vorfall erst am 13.06.2018 bei der zuständigen Polizeiinspektion Traun, (vgl Opfervernehmung D R 13.06.2018/ON2; schriftliche Stellungnahme KJH vom 15.6.2018/ON7). Es wurde seitens der PI Traun kein Betretungsverbot ausgesprochen. Daraufhin kam es zum oben erwähnten Gespräch zwischen der Sozialarbeiterin und der belangten Behörde. Laut Sozialarbeiterin war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Ereignisse in der Familie zu befürchten, dass die psychische Gewalt der Beschwerdeführerin in körperliche Gewalt übergreift und somit die Sicherheit der restlichen Familienmitglieder nicht mehr gegeben ist.

Von der belangten Behörde wurde daraufhin die zuständige PI Traun kontaktiert und die Opfervernehmung des Gefährdeten D R angefordert. (Opfervernehmung D R 13.06.2018/ON2)

Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts ersuchte die belangte Behörde als Sicherheitsbehörde am 14.06.2018 die PI Traun um Ausspruch des verfahrensgegenständlichen Betretungsverbotes. (Ersuchen um Ausspruch BV 14.06.2018/ON3)

Am 14.06.2018 um 19:05 Uhr verhängten die einschreitenden Beamten (Inspektor H, Kontrlnsp O, Inspektor K) der PI Traun das Betretungsverbot, (vgl. Ersuchen um Betretungsverbot vom 14.06.2018/ON3; Betretungsverbot vom 14.06.2018 ON4; Bericht Betretungsverbot ON8)

Am 25.5.2018 stellten D R und die minderjährigen Kinder R R, L R und R Z R beim zuständigen Bezirksgericht Traun einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b und e EO.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom 11.07.2018 (Beschluss vom 11.07.2018, ZI. 6 C 25/18 f/0N12) wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Einstweilige Verfügung, betreffend aller Familienmitglieder, nach §§ 382b, 382e EO erlassen, wonach der Beschwerdeführerin die Rückkehr in die Wohnung samt Liegenschaft in der Gartenstraße 5, 4050 Traun und in die unmittelbare Umgebung für die Dauer von 6 Monaten verboten wurde, sowie der Aufenthalt an der Volksschule T und dem Kindergarten x, für 12 Monate. Der Beschwerdeführerin wurde für die Dauer von 12 Monaten aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit den Antragstellern zu vermeiden - ausgenommen ein behördlich oder gerichtlich festgesetztes Kontaktrecht.

Zur behaupteten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes

§ 38a Abs 1 SPG ermächtigt Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Menschen, von dem aufgrund bestimmter Tatsachen, insbesondere aufgrund eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde, das Betreten einer Wohnung bzw. sofern es sich bei dem Gefährdeten um einen unmündig Minderjährigen handelt, das Betreten der besuchten Schulen, Kinderbetreuungseinrichtung oder eines Horts zu untersagen.

Grundsätzlich handelt es sich bei § 38a SPG um eine Organbefugnis, die im vorliegenden Fall von dem zuständigen Organ jedoch nicht wahrgenommen wurde. Die Sicherheitsbehörde kam auf Grundlage der vorliegenden Ereignisse jedoch zu dem Schluss, dass ein Betretungsverbot zu verhängen war und ordnete die Verhängung daher an. Das SPG ermächtigt in seinem dritten Teil entweder die Behörde oder die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Befugnisausübung. Diese Einteilung der Befugnisausübung bedeutet allerdings keine Durchbrechung des Weisungszusammenhanges (Art. 20 B-VG). Deshalb kann ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durch die jeweilige Sicherheitsbehörde angewiesen werden, eine bestimmte Organbefugnis auszuüben. (vgl. Keplinger/Pühringer, Praxiskommentar zum Sicherheitspolizeigesetz, 16. Auflage, S. 97 oder Bauer/Keplinger, Praxiskommentar zum Gewaltschutzgesetz, 4.Auflage, Seite 129, Ziffer 14)

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Betretungsverbot (ebenso wie eine Wegweisung) an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Welche Tatsachen als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, legt das Gesetz nicht fest, sondern nennt lediglich als Beispiel einen vorangegangenen gefährlichen Angriff, wobei dieser wiederum keine besonderen Anforderungen erfüllen muss. Es muss sich dabei nicht notwendigerweise um einen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit handeln.

Auch eine Aussage der gefährdeten Person, (vorangegangenes) Verhalten des Gefährders, vorangegangene einschlägige Vorfälle und Amtshandlungen, Aggressionshandlungen unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffes können Grund für die Annahme eines bevorstehenden Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit sein.

Entscheidend ist, dass aufgrund bestimmter Tatsachen plausibel und nachvollziehbar angenommen werden kann, dass bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl. statt vieler VwGH vom 13.10.2015, ZI. Ra 2015/01/0193, mwN)

Laut Aussage des Gefährdeten D R, drohte ihm die Beschwerdeführerin am 08.06.2018 im Zuge eines Streits mit dem Umbringen. Der Ausspruch einer gefährlichen Drohung, eine Drohung mit dem Umbringen (lassen), reicht regelmäßig aus, um vertretbar annehmen zu können, dass ein gefährlicher Angriff bevorsteht.

Hinzukommt ein weiterer Vorfall vom 04.06.2018, wonach die Beschwerdeführerin ihrer neunjährigen Tochter L R im Zuge eines Streits die Faust ins Gesicht drückte.

Aus der Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe ergab sich, dass aufgrund der Ereignisse zu befürchten war, die psychische Gewalt der Beschwerdeführerin werde in körperliche Gewalt übergreifen, womit die Sicherheit der restlichen Familienmitglieder nicht mehr gegeben war.

Für eine gewisse Gewaltaffinität seitens der Beschwerdeführerin sprach außerdem ein im Dezember 2017, aufgrund behaupteter Handgreiflichkeiten gegenüber ihren Kindern, ausgesprochenes Betretungsverbot.

Wegen des sich darstellenden Gesamtbildes und vor allem aufgrund der Stellungnahme der Kinder-und Jugendhilfe, konnte die belangte Behörde vertretbar annehmen, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit durch die Beschwerdeführerin auf ihre Familie bevorstehe. Der Stellungnahme der Kinder- und Jugendhilfe musste in diesem Zusammenhang aufgrund der fachlichen Objektivität, dem ständigen Kontakt mit der Familie und der damit einhergehenden genauen Kenntnisse der Familienstrukturen ein besonders hoher Stellenwert zukommen.

Die Verhängung des Betretungsverbots war aus den genannten Gründen als gesetzeskonform anzusehen.

Die Einschätzung der Sicherheitsbehörde und der einschreitenden Organe wurde durch den Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom 11.07.2018 (Beschluss vom 11.07.2018, ZI. 6 C 25/18 f/ON12), bestätigt, mit welchen eine Einstweilige Verfügung nach §§ 382b, 382e EO gegen die Beschwerdeführerin erlassen wurde.

3. Das Landesverwaltungsgericht OÖ hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und die Beschwerde. Zumal sich daraus der entscheidungsrelevante Sachverhalt widerspruchsfrei ergibt und auf Grund der Aktenlage feststeht, dass die mit Beschwerde angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen (§ 24 Abs. 2 VwGVG).

Es steht folgender entscheidungsrelevanter S a c h v e r h a l t fest:

Am 14. Juni 2018 ersuchte die zuständige Sozialarbeiterin der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe der BH Linz-Land die belangte Behörde als Sicherheitsbehörde um Verhängung eines Betretungsverbotes, da die Abteilung aufgrund eines Betretungsverbotes gegen die Bf seit Dezember 2017 neuerlich mit der Familie befasst war (Betretungsverbot vom 13. Dezember 2017, Akt: 2017-475624). Aktuell ereignete sich ein Vorfall am 4. Juni 2018 zwischen der Bf und der Tochter L R (geb. 12. August 2009). Zu einem polizeilichen Einschreiten kam es dabei nicht. Laut Angaben des Gefährdeten D R drücke die Bf der Tochter, L R, während einer Auseinandersetzung die Faust ins Gesicht. Die Meldung des Vorfalles durch den Vater veranlasste die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht zur Befugnisausübung. Am 8. Juni 2018 kam es laut Aussage des Gefährdeten D R erneut zu einem Streit zwischen ihm und der Bf, wobei die Bf dem Gefährdeten gedrohte, ihn Umbringen zu lassen. Der Gefährdete gab den Vorfall erst am 13. Juni 2018 bei der zuständigen Polizeiinspektion Traun bekannt. Die PI Traun sprach kein Betretungsverbot aus. Die Sozialarbeiterin äußerte daraufhin gegenüber der belangten Behörde die Befürchtung, dass die psychische Gewalt der Bf in körperliche Gewalt übergreifen könne und somit die Sicherheit der restlichen Familienmitglieder nicht mehr gegeben sei.

Die belangte Behörde kontaktierte in der Folge die zuständige PI Traun und forderte die Niederschrift (Vernehmung D R 13. Juni 2018/ONr. 2) an.

Ohne weitere Erhebung zu pflegen (z.B.: Konfrontation der Bf mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen) ersuchte die belangte Behörde als Sicherheitsbehörde am 14. Juni 2018 um 12:02 Uhr die PI Traun um Ausspruch des verfahrensgegenständlichen Betretungsverbotes (ONr. 3).

Am 14. Juni 2018 um 19:05 Uhr sprachen die einschreitenden Beamten (Inspektor H, Kontrlnsp O, Inspektor K) der PI Traun gemäß schriftlichem Auftrag der belangten Behörde das Betretungsverbot gegen die Bf (ONr. 4) aus.

Nach Ausspruch des Betretungsverbotes wurde die Bf um 19:11 Uhr auf der PI Traun als Beschuldigte einvernommen. Dabei stellte sie u.a. eine Drohung ihrerseits in Abrede. Abschließend wurde ihr zur Kenntnis gebracht, dass „von Seiten der BH Linz-Land ein Betretungsverbot verhängt wurde“ und der „Ausspruch durch KI O um 19:05 Uhr erfolgt“ sei.

Ein Hinweis, dass die Bf weggewiesen wurde, findet sich nicht im Vorlageakt.

Am 25. Mai 2018 stellten D R und die minderjährigen Kinder R R, L R und R Z R beim zuständigen Bezirksgericht Traun einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b und e EO.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom 11. Juli 2018, ZI. 6 C 25/18 f (0Nr12) wurde gegen die Bf eine Einstweilige Verfügung nach §§ 382b, 382e EO erlassen, wonach der Bf die Rückkehr in die Wohnung samt Liegenschaft in der G und in die unmittelbare Umgebung für die Dauer von 6 Monaten verboten wurde, sowie der Aufenthalt an der Volksschule T und dem Kindergarten x, für 12 Monate. Der Bf wurde für die Dauer von 12 Monaten aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit den Antragstellern zu vermeiden - ausgenommen ein behördlich oder gerichtlich festgesetztes Kontaktrecht.

Eine Überprüfung der Anordnung des Betretungsverbotes durch die belangte Behörde fand nicht statt.

II.

Der relevante Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt.

III.

1. Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit.

Nach Art 132 Abs. 2 B-VG kann gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben.

Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung BGBl I Nr 61/2016 lauten auszugsweise:

"Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung

§ 16. (1) …

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Verlangen eines Verletzten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand

1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB,

(...)

handelt.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichem Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

(4) …

Wegweisung und Betretungsverbot bei Gewalt in Wohnungen

§ 38a (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder),

1. das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung oder

2. sofern es sich bei dem Gefährdeten um einen unmündigen Minderjährigen handelt, das Betreten

a) einer vom gefährdeten Unmündigen zur Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht im Sinne des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985, besuchten Schule oder

b) einer von ihm besuchten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung oder

c) eines von ihm besuchten Horts samt eines Bereichs im Umkreis von fünfzig Metern,

zu untersagen.

(2) Bei Anordnung eines Betretungsverbotes haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes

1. dem Gefährder den räumlichen Bereich, auf den sich das Betretungsverbot bezieht, zur Kenntnis zu bringen, wobei der Geltungsbereich des Betretungsverbotes nach Abs. 1 Z 1 nach Maßgabe der Erfordernisse eines wirkungsvollen vorbeugenden Schutzes zu bestimmen ist,

2. ihn, im Falle einer Weigerung, den vom Betretungsverbot nach Abs. 1 umfassten Bereich zu verlassen, wegzuweisen,

3. dem Gefährder alle in seiner Gewahrsame befindlichen Schlüssel zur Wohnung gemäß Abs. 1 Z 1 abzunehmen,

4. ihm Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen und sich darüber zu informieren, welche Möglichkeiten er hat, unterzukommen.

Bei einem Verbot, in die eigene Wohnung zurückzukehren, ist besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in das Privatleben des Betroffenen die Verhältnismäßigkeit (§ 29) wahrt. Sofern sich die Notwendigkeit ergibt, dass der Betroffene die Wohnung oder eine Einrichtung nach Abs. 1 Z 2, deren Betreten ihm untersagt ist, aufsucht, darf er dies nur in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes tun.

(...)

(6) Die Anordnung eines Betretungsverbotes ist der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntzugeben und von dieser binnen 48 Stunden zu überprüfen. Stellt die Sicherheitsbehörde fest, dass das Betretungsverbot nicht hätte angeordnet werden dürfen, so hat sie dieses dem Gefährder gegenüber unverzüglich aufzuheben; der Gefährdete ist unverzüglich darüber zu informieren, dass das Betretungsverbot aufgehoben werde; die Aufhebung des Betretungsverbotes sowie die Information des Gefährdeten haben nach Möglichkeit mündlich oder schriftlich durch persönliche Übergabe zu erfolgen. Die nach Abs. 2 abgenommenen Schlüssel sind mit Aufhebung des Betretungsverbotes dem Gefährder auszufolgen, im Falle eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO beim ordentlichen Gericht zu erlegen. (...)

(8) Die Einhaltung eines Betretungsverbotes ist zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu überprüfen. Das Betretungsverbot endet zwei Wochen nach seiner Anordnung. Wird die Sicherheitsbehörde binnen dieser Frist vom ordentlichen Gericht über die Einbringung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382b und 382e EO informiert, so verlängert sich das Betretungsverbot bis zum Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung des ordentlichen Gerichts an den Antragsgegner, längstens jedoch auf vier Wochen ab Anordnung. Im Falle einer Zurückziehung des Antrages endet das Betretungsverbot zwei Wochen nach seiner Anordnung, bei Zurückziehung des Antrags nach Eintritt der Verlängerung des Betretungsverbotes, sobald die Sicherheitsbehörde von der Zurückziehung durch Mitteilung des ordentlichen Gerichts Kenntnis erlangt..“

2. Eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt nach der höchstgerichtlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs dann vor, wenn einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen und hierbei physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht (vgl VwGH 29.6.2000, 96/01/0596 mwN). Entscheidend ist dabei, dass es sich um einen Hoheitsakt einer Verwaltungsbehörde handelt, mit dem in die Rechte von natürlichen oder juristischen Personen eingegriffen wird, ohne dass es zu einer Bescheiderlassung kommt (vgl Köhler in Korinek/Holoubek [Hrsg], Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 129a f B-VG Rz 45). Nach der Judikatur des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofs muss es sich bei einer mit Beschwerde bekämpfbaren Maßnahme um die Anwendung physischen Zwangs oder die Erteilung eines Befehls mit unverzüglichem Befolgungsanspruch handeln (vgl VfSlg 11.935/1988; VwGH 28.5.1997, 96/13/0032; 16.4.1999, 96/02/0590). Das bedeutet, dass dem Betroffenen bei Nichtbefolgung des Befehls unmittelbar, dh unverzüglich und ohne weiteres Verfahren, eine physische Sanktion droht (vgl VfSlg 10.662/1985). Liegt ein Befolgungsanspruch aus einer solchen, dem Befehlsadressaten bei Nichtbefolgung des Befehls unverzüglich drohenden physischen Sanktion (objektiv) nicht vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (vgl VwGH 28.10.2003, 2001/11/0162M; 29.9.2009, 2008/18/0687).

3.1. Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass es sich bei dem am 14. Juni 2017 um 19:05 Uhr gegenüber der Bf ausgesprochenen Betretungsverbot gemäß § 38a SPG um die Erteilung eines hoheitlichen Befehls mit unverzüglichem, sanktionsbewehrtem Befolgungsanspruch an eine natürliche Person, und damit um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handelt, zumal § 38a Abs. 2 Z 2 SPG ex lege die Wegweisung des Gefährders bei Weigerung, den vom Betretungsverbot umfassten Bereich zu verlassen, anordnet (vgl Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeschwerde, S 168). Die Beschwerde ist daher zulässig.

§ 38a Abs. 1 SPG ermächtigt Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Ausspruch eines Betretungsverbots gegenüber gefährlichen Menschen betreffend eine Wohnung, in der eine gefährdete Person wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung. § 38a SPG regelt die Voraussetzungen für Betretungsverbote. Ein Betretungsverbot ist an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor.

Beispielhaft für „bestimmte Tatsachen“ nennt das Gesetz einen vorangegangenen gefährlichen Angriff – jedoch ohne Einschränkung auf Leben, Gesundheit oder Freiheit. Ein gefährlicher Angriff ist nach § 16 Abs. 2 SPG die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand ua nach dem Strafgesetzbuch handelt.

Die Folge, dass wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs gemäß § 16 Abs. 2 SPG ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht, wird vom Gesetz aber nicht vermutet, sondern ist vom einschreitenden Organ zu beurteilen.

Welche Tatsachen – abgesehen von vorangegangenen gefährlichen Angriffen – als solche im Sinne des § 38a SPG in Frage kommen, bestimmt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Gefährder bevorstehe. Dabei (bei dieser Prognose) ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl VwGH 24.4.2016, Ra 2015/03/0079, VwGH 8.9.2009, 2008/17/0061; VwGH 24.2.2004, 2002/01/0280; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0003; sowie Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz4, S 383f, Anm. 5).

                                   

Ein Betretungsverbot wird mit dem Zeitpunkt verhängt, in dem es dem Betroffenen gegenüber ausgesprochen wird (vgl VwGH 24.5.2005, 2004/01/0579). Für die Prognose, ob bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit stehe bevor, ist der Zeitpunkt der Erlassung des Betretungsverbots maßgeblich (vgl VwGH 24.5.2005, 2004/01/0579).

3.2. Im vorliegenden Fall haben die einschreitenden Beamten keinerlei Erhebungen gepflogen und auch keine Prognose dahingehend erstellt, ob bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass beispielsweise ein gefährlicher Angriff der Bf auf das Leben oder die Gesundheit der weiteren Familienmitglieder bevorstehe.

Wie sich aus der Gegenschrift und dem Vorlageakt zu ersehen ist, haben die Polizeibeamten ohne auch nur ansatzweise aktuelle Sachverhaltsfeststellungen vorzunehmen dem behördlichen „Ersuchen“ entsprochen und „auftragsgemäß“ das von der „Behörde verhängte“ Betretungsverbot gegenüber der Bf ausgesprochen. Erst 6 Minuten später wurde der Bf im Zuge der „Beschuldigtenvernehmung“ auf der PI Traun die Möglichkeit geboten, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Vorhaltungen zur „vorab getätigten behördlichen Prognoseerstellung“, Feststellungen zu einer allfälligen aktuellen Gefährdungssituation und Verhaltensauffälligkeiten der Bf wurden gänzlich unterlassen. Abschließend wurde der Bf zur Kenntnis gebracht, dass das Betretungsverbot von der „belangten Behörde verhängt“ worden war und (lediglich) der Ausspruch durch den einschreitenden Beamten erfolgt ist.

 

Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl etwa VwGH 26.4.2016, Ra 2015/03/0079) ist die Verhängung eines Betretungsverbots an die Voraussetzung geknüpft, dass auf Grund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor. Diese Tatsachen müssen (auf Grund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe.

Wie bereits dargelegt, ist bei der Prognose, ob ein gefährlicher Angriff bevorsteht, vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl VwGH 24.4.2016, Ra 2015/03/0079).

3.3. Da sich die einschreitenden Beamten zu diesem Zeitpunkt weder ein Gesamtbild der vorliegenden Situation gemacht noch eine Prognose erstellt haben, ist die Anordnung des Betretungsverbotes als rechtswidrig zu beurteilen.

4. Unter Hinweis auf die Ausführungen in Keplinger/Pühringer, Praxiskommentar zum Sicherheitspolizeigesetz, 16. Auflage, S. 97 oder Bauer/Keplinger, Praxiskommentar zum Gewaltschutzgesetz, 4.Auflage, Seite 129, Ziffer 14, vermeint die belangte Behörde ein rechtmäßiges Organhandeln zu erblicken.

4.1. Zu Recht führt die belangte Behörde aus, dass es sich bei § 38a SPG um eine Organbefugnis handelt.

Diese sei jedoch im vorliegenden Fall vom zuständigen Organ nicht wahrgenommen worden. Da die belangte Behörde auf Grundlage der vorliegenden Ereignisse und Erkenntnisse zum Schluss gekommen sei, dass es der Verhängung eines Betretungsverbotes bedürfe, habe sie die Verhängung angeordnet. Das SPG ermächtige in seinem dritten Teil entweder die Behörde oder die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Befugnisausübung. Diese Einteilung der Befugnisausübung bedeute allerdings keine Durchbrechung des Weisungszusammenhanges (Art. 20 B-VG). Deshalb könne ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durch die jeweilige Sicherheitsbehörde angewiesen werden, eine bestimmte Organbefugnis auszuüben.

4.2.1. Der Verweis auf die Kommentarstelle ist zutreffend, jedoch unvollständig und der daraus gezogene Schluss verfehlt.

Der dritte Teil des SPG erteilt seine Befugnisse entweder den Sicherheitsbehörden oder den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Das SPG unterscheidet in seinen Befugnissen also strikt und bewusst zwischen Behördenbefugnissen und Organbefugnissen. Die den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorbehaltenen Befugnisse dürfen nicht von Angehörigen der Sicherheitsbehörde wahrgenommen werden (siehe Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG, 4. Auflage, S 278f).

Die Organbefugnis des § 38a SPG steht allen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes offen. Die Qualifikation des § 38a als Organbefugnis ändert nichts daran, dass die übergeordnete Sicherheitsbehörde ihre Exekutivorgane mit Weisung zur Ausübung ihrer Befugnisse nach § 38a SPG anweisen kann (siehe Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG, 4. Auflage, S 380).

Unbestritten bleibt, wie die belangte Behörde angedacht hat, die grundsätzliche Möglichkeit der Erteilung einer Weisung. Aus Art. 20 Abs. 1 B-VG kann jedoch keinesfalls abgeleitet werden, dass im Weisungswege die strikte Befugniszuordnung umgangen werden kann. D.h. die Weisung (in einem konkreten Fall oder allgemein) erschöpft sich in der Anweisung zur Befugnisausübung.

Die belangte Behörde kann die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes anweisen, die ihnen zukommenden Befugnisse auszuüben.

Diese, und nur diese, sind berechtigt, entsprechend den Vorgaben des § 38a SPG ein Betretungsverbot zu erlassen. Wäre, wie die belangte Behörde vermeint, die Erlassung eines Betretungsverbotes durch die Sicherheitsbehörde über den Umweg einer Weisung zulässig, wäre die strikte gesetzliche Befugniszuordnung obsolet.

So geht auch das Bundesministerium für Inneres im Erlass vom 22. September 2010, BMI-EE1500/0107-II/2/a/2010, davon aus, dass das einschreitende Exekutivorgan im Zuge der Amtshandlung vor Ort eine Gefährlichkeitsprognose zu erstellen und das aktenführende Sicherheitsorgan bei Vorliegen einer relevanten Gefährdungssituation das Betretungsverbot zu verhängen bzw. zu veranlassen hat. Diese Ermächtigung stellt keinen Ermessensspielraum dar, sondern ist bei Vorliegen der Voraussetzungen als Verpflichtung anzusehen (siehe Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG, 4. Auflage, S 411).

Neben der mündlichen Verfügung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist auch die Übermittlung durch andere Polizeiorgane möglich (siehe Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG, 4. Auflage, S 386).

Der Ausspruch des Betretungsverbotes ist erst dann wirksam, wenn die Aussprache gegenüber der gefährdenden Person erfolgt. Die gefährdende Person muss die Möglichkeit haben, sich zu den Angaben der gefährdeten Person zu rechtfertigen (siehe Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG, 4. Auflage, S 412, Pkt 2.4.).

Ergänzend zur obigen Darstellung ist anzumerken, dass § 38a SPG ausschließlich auf die Verhängung eines Betretungsverbotes durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes abstellt und der Gesetzgeber eine klare Ausgestaltung für denen Befugnisgebrauch geschaffen hat. Damit soll der zweifellos schwerwiegende Grundrechtseingriff nur innerhalb enger Grenzen möglich sein, darüber hinaus entsprechend dokumentiert und in einem engen zeitlichen Rahmen „sicherheitsbehördlich“ überprüft werden. Eine Befugnisausübung durch die Sicherheitsbehörde hat der Gesetzgeber jedoch nicht vorgesehen. Eine „zeitlich vorverlagerte Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose“ durch die Sicherheitsbehörde und darauf abstellend die „Erlassung eines behördlichen Betretungsverbotes“ kommt einer behördlichen Befugnisausübung gleich. Das „Ersuchen“(Weisung), die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mögen das „(bereits erlassene) behördliche Betretungsverbot“ gegenüber der Gefährdenden aussprechen, kann die unzulässige Befugnisausübung durch die Behörde nicht sanieren.

Hätte der Gesetzgeber eine Befugnisausübung durch die Behörde angedacht, wäre – wie in anderen Materien auch – eine entsprechende Befugnis vorgesehen worden.

Eine Befugnisausübung entgegen der strikten Zuordnung ist somit unzulässig. Die belangte Behörde hat daher eine Befugnis in Anspruch genommen, die ihr der Gesetzgeber nicht eingeräumt hat. Sie ist auch in jenen Fällen unzulässig, in denen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von sich aus - aus welchen Gründen auch immer - ihre Befugnisse entgegen der gesetzlichen Verpflichtung nicht wahrnehmen.

4.2.2. Weiters ist zur „zeitlich vorverlagerten Erstellung einer Gefährlichkeitsprognose durch die Sicherheitsbehörde“ anzumerken, dass die belangte Behörde einerseits auf Ermittlungsergebnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und andererseits auf eine Darstellung der Kinder- und Jugendhilfeabteilung (BH Linz-Land) abgestellt hat. Trotz mehrmaliger Amtshandlungen (zuletzt am 13. Juni 2018) haben die Polizeiorgane, die sich aufgrund der persönlichen Kontaktaufnahmen ein Gesamtbild machen konnten, sich nicht veranlasst gesehen, ein Betretungsverbot zu erlassen. Wie bereits oben dargestellt, wären sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 38a SPG dazu verpflichtet gewesen. Selbst der Äußerung des Gefährdeten bei der „Opfervernehmung“ am 13. Juni 2018, wonach die Bf „das Umbringen des Gefährdeten veranlassen werde“, wurde, abstellend auf den Gesamtzusammenhang, kein besonderes Gewicht beigemessen, auf eine Befragung der Bf verzichtet und die Erlassung eines Betretungsverbotes nicht angedacht. Die belangte Behörde hat, ohne der Bf die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Version zu geben, die „Ermittlungsergebnisse“ und „Einschätzungen aufgrund früherer Amtshandlungen“ der vor Ort tätigen Polizeiorgane diametral anders beurteilt und ist einer Bewertung der Kinder- und Jugendhilfeabteilung, die sich im Wesentlichen im Situationsbericht vom 6. Juni 2018 wiederfindet und die laut AV vom 14. Juni 2018 der Meinung ist, dass ein „Betretungsverbot zu verhängen ist“, gefolgt. Darauf gestützt hat sie das Betretungsverbot ohne weiteres „erlassen“ und die Polizeiorgane angewiesen, dieses gegenüber der Bf auszusprechen. Darauf abstellend ist davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt des „Ausspruches“ des Betretungsverbotes keine aktuelle Gefährlichkeitsprognose vorgelegen ist.

Daraus folgt aber, dass sogar wenn man der Rechtsansicht der belangten Behörde betreffend „ihre abgeleiteten Befugnisse“ folgen würde, jedenfalls das Betretungsverbot materiell rechtswidrig verhängt worden wäre.

Also war der Argumentation der belangten Behörde daher nicht zu folgen.

4.3. Abschließend ist anzumerken, dass den Bezirksgerichten weder die Beurteilung der Befugnisausübung durch Organ der öffentlichen Sicherheitsdienstes noch durch die Sicherheitsbehörde im Anwendungsbereich des SPG zukommt. Die Einschätzungen der Sicherheitsbehörde und der einschreitenden Organe können somit durch den Beschluss des Bezirksgerichts Traun vom 11. Juli 2018 (Beschluss vom 11.07.2018, ZI. 6 C 25/18 f/ON12), mit welchen eine Einstweilige Verfügung nach §§ 382b, 382e EO gegen die Bf erlassen wurde, keine Bestätigung erfahren. .

5. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterliegende Partei. Nach Abs. 2 ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei, wenn die angefochtene Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird. Gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG sind des Weiteren die §§ 52 bis 54 VwGG auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG anzuwenden.

Gemäß § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung – VwG-AufwErsV wird die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art 130 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG, BGBl Nr 1/1930, und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wie folgt festgesetzt:

1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei  737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei  922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei  57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei  368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei  461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand)  553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand)  276,60 Euro

Beim oben erlangten Verfahrensergebnis hat der Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde eingeschritten ist, nach den §§ 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II 2013/517, der Bf einen Aufwandersatz in Höhe von 737,60 Euro, (Ersatz des Schriftsatzaufwands des Bf) zu leisten

IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da zur zu beurteilenden Rechtsfrage einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs existiert, von der in der ggst Entscheidung nicht abgegangen wurde. Es liegt somit keine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung vor.

Schlagworte

Betretungsverbot – Befehls- und Zwangsgewalt; Gefahrensituation; Prognoseentscheidung; Gesamtbild; Wissenstand des einschreitenden Organwalters; keine Befugnis der Behörde, Sicherheitsbeamten zur Verhängung eines Betretungsverbotes anzuweisen; ausschließliche (Eigen-)Zuständigkeit der Sicherheitsorgane; Befugniszuweisung

Anmerkung

Alle Entscheidungsvolltexte sowie das Ergebnis einer gegebenenfalls dazu ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidung sind auf der Homepage des Oö LVwG www.lvwg-ooe.gv.at abrufbar.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2018:LVwG.780091.7.SR

Zuletzt aktualisiert am

03.10.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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