TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/21 L521 2135460-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2018
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Entscheidungsdatum

21.06.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L521 2135460-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2016, Zl. 1072875509-150642030, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.04.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 09.06.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in XXXX geboren, der kurdischen Volksgruppe und islamischen Glaubensrichtung angehörig, ledig und zuletzt in XXXX im irakischen Gouvernement Sulaimaniyya in der Autonomen Region Kurdistan wohnhaft gewesen. Seine Mutter sei verstorben und sein Vater befände sich im Irak. Er habe von 2005 bis 2011 in XXXX die Grundschule besucht und sei zuletzt als Landwirt beruflich tätig gewesen.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, Erbil vor ca. vier Wochen legal mit dem Flugzeug in Richtung Istanbul verlassen zu haben. Von dort sei er gemeinsam mit etwa 13 Personen in einem VW-Bus an die bulgarische Grenze gefahren. Nachdem er die türkisch-bulgarische Grenze zu Fuß überquert habe, sei er in Bulgarien von der Polizei festgenommen und für etwa 15 Tage inhaftiert worden. Anschließend sei er von Sofia schlepperunterstützt mit einem Personenkraftwagen an die serbische Grenze gelangt. In Serbien sei er abermals von der Polizei festgenommen und für einen Tag inhaftiert worden. In weiterer Folge sei er schlepperunterstützt gemeinsam mit etwa 10 Personen in einem Personenkraftwagen nach Österreich verbracht worden.

Zu den Gründen seiner Flucht aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe eine böse Stiefmutter gehabt, die ihn öfters geschlagen habe. Des Weiteren habe er fast gar nichts zum Essen erhalten. Insoweit sein Vater auch auf der Seite seiner Stiefmutter gewesen sei, hätte er beschlossen, in die Europäische Union zu flüchten. Im Fall der Rückkehr fürchte er sich lediglich vor seinem Vater, da er dessen Auto ohne dessen Wissen verkauft hätte. Es könne daher sein, dass er von seinem Vater umgebracht werden würde.

2. Im Zuge einer ärztlichen Untersuchung (Bestimmung des Knochenalters) am 08.07.2015 wurde festgestellt, dass sämtliche Epiphysenfugen an den Phalangen und den Metacarpalia des Beschwerdeführers geschlossen seien. Am Radius zeige sich eine zarte Epiphysennarbe (Ergebnis: GP 31, Schmeling 4).

3. Am 04.08.2015 wurde ein Aufnahmeersuchen gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Dublin-III-Verordnung an Bulgarien gerichtet.

4. Des Weiteren wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Sachverständigengutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung in Auftrag gegeben. Mit diesem Gutachten des Zentrums für Anatomie und Zellbiologie der medizinischen Universität Wien vom 14.08.2015 wurde festgestellt, dass das behauptete Lebensalter bzw. Geburtsdatum (XXXX) mit dem festgestellten Mindestalter bzw. "fiktiven" Geburtsdatum nicht vereinbar sei, die Differenz betrage 0,99 Jahre. Eine Minderjährigkeit könne nicht mit dem höchstmöglichen Beweismaß ausgeschlossen werden. Es könne nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Vollendung des 18. Lebensjahres festgestellt werden. Dieses werde anhand des errechneten "fiktiven" Geburtsdatums bezogen auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung am 27.04.2016 erreicht.

5. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 17.05.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in kurdischer Sprache niederschriftlich von den zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer zunächst, bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben. In der Folge erklärte der Beschwerdeführer jedoch auf einen Vorhalt des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens zur Volljährigkeitsbeurteilung, dass er in Bulgarien geschlagen worden sei und er deswegen Angst gehabt habe. Er habe gedacht, dass man als Minderjähriger besser behandelt und nicht geschlagen werde.

Zur Person befragt gab der Beschwerdeführer nun an, den Namen XXXX zu führen. Er sei XXXX in XXXX geboren, Angehöriger des Stammes der XXXX und der kurdischen Volksgruppe, sunnitischen Glaubens und ledig. Seine Mutter sei im Jahr 2011 eines natürlichen Todes gestorben und sein Vater befände sich noch im Irak. Des Weiteren habe er zwei minderjährige Halbgeschwister. Er habe bis zu seiner Ausreise in XXXX im irakischen Gouvernement Sulaimaniyya gelebt und dort von 2005 bis 2011 die Schule besucht. Seinen Lebensunterhalt habe er sich im Sommer als Landarbeiter verdient. Den Rest des Jahres habe ihn sein Vater versorgt.

Im Hinblick auf seine Ausreise brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 05.05.2015 legal mit dem Flugzeug in die Türkei verlassen zu haben. Sein Reisepass sei in der Türkei verblieben. Die restlichen Papiere seien ihm nachgebracht worden. Nach seiner Ausreise sei er nicht mehr im Irak gewesen.

Der Beschwerdeführer verneinte, politisch tätig oder Mitglied einer politischen Partei zu sein.

Er habe den Irak wegen seiner Stiefmutter verlassen. Sein Vater habe ihn ebenso schlecht wie seine Stiefmutter behandelt. Es habe Schläge gegeben und hätten sie mit ihm alles getan, was von Gott unerwünscht sei.

Nachgefragt zu Details dieser schlechten Behandlung gab der Beschwerdeführer an, er sei weder wie ein Mensch ernährt worden, noch habe er sich wie ein Mensch kleiden dürfen. Er sei von beiden Personen geschlagen worden. Er habe sich von Freunden Kleidungsstücke ausborgen müssen. Diese hätten ihm das als Wohltat angeboten. Während seines Aufenthaltes in der Türkei habe er auf sein Handy einen Drohbrief von seinem Vater erhalten. Er sei von seiner Stiefmutter mit heißen Löffeln und Messern unmenschlich behandelt worden und habe sie ihn mit dem Schuhabsatz auf das Knie geschlagen. Er hätte sich nicht zu wehren getraut, da sie ein "Diktator" gewesen sei. Sein Vater sei ihr hörig gewesen und habe nichts getan. Er habe sich nicht an die örtlichen Behörden gewandt, da es ihm ansonsten noch schlechter gegangen wäre.

Des Weiteren wurden dem Beschwerdeführer Fragen zur Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative gestellt. Außerdem führte der Beschwerdeführer an, dass ihm seine Mutter als Erbe Goldschmuck hinterlassen habe. Sein Vater habe dies für einen Autokauf verwendet. Er hätte dann das Fahrzeug verkauft, weil der Goldschmuck immer für ihn bestimmt gewesen sei. Damit hätte er seine Reise finanziert.

Nach all diesen Misshandlungen hätte er seine Eltern als wilde Menschen gesehen. Als er von seinem Vater und seiner Stiefmutter eines Abends geschlagen und danach drei Tage in seinem Zimmer eingesperrt worden sei, habe er sich zur Ausreise entschlossen. Nach seiner Freilassung hätte er sich von dem Schock erholen müssen. Es habe zwei Autoschlüssel gegeben, wobei einer versteckt gewesen sei. Er habe aber gewusst wo. Daraufhin habe er das Auto billig verkauft, da er keine Vollmacht für die Ummeldung besessen habe.

Bei einer Rückkehr in den Irak befürchte er, von seinem Vater getötet zu werden, wenn er von diesem gefunden werden würde.

Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer im Übrigen einen irakischen Personalausweis im Original und einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis im Original in Vorlage.

6. In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 24.06.2016 neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, im Beisein einer Vertrauensperson und eines geeigneten Dolmetschers in kurdischer Sprache nochmals niederschriftlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato in der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht zu haben. In der Folge wiederholte der Beschwerdeführer, den Namen XXXX zu führen und am XXXX in XXXX geboren zu sein. Seinen Lebensunterhalt habe er noch im Sommer als Landarbeiter bestritten. Den Rest des Jahres habe ihn sein Vater versorgt. In XXXX im irakischen Gouvernement as-Sulaimaniyya werde nicht nur Landwirtschaft betrieben, es gebe dort auch Autohändler und Viehzüchter. Firmen hätten auch nach Erdöl gesucht, wobei er nicht wisse, ob diese etwas gefunden hätten. Es habe wenig Arbeit gegeben und für landwirtschaftliche Produkte bekomme man wenig Geld. Man könne nur schwer davon leben. Er habe in den größeren Städten Arbeit suchen wollen, aber sein Vater und seine Stiefmutter hätten es ihm nicht erlaubt.

Wenn man keine Sicherheit habe, sei dies kein Leben und man sei wie in einem Gefängnis. Es könne ihm niemand garantieren, dass ihn sein Vater nicht getötet hätte, wenn ihn dieser in Erbil erwischt hätte.

Zu seinem Leben in Österreich brachte der Beschwerdeführer vor, in Österreich würde er in einer Flüchtlingsunterkunft wohnen. Sein Zimmer sei schön, aber das Taschengeld zu wenig. Er hätte keinen Deutschkurs bekommen, aber er würde über Youtube die deutsche Sprache lernen. Er würde in seiner Freizeit Reinigungsarbeiten im Flüchtlingsheim machen, lesen und lernen. Er wolle in Österreich studieren und Ingenieur werden.

Abschließend wurde mit dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt zum Irak erörtert und dieses dem Beschwerdeführer auch ausgehändigt.

Im Übrigen brachte die Vertrauensperson des Beschwerdeführers vor, dass sie den Beschwerdeführer adoptieren wolle, wobei der Antrag auf Adoption vom Gericht aufgrund der falschen Angaben zum Geburtsdatum abgelehnt worden sei.

7. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ebenso abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Irak, in die Autonome Kurdenzone des Nordirak, gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe der Einvernahmen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, der Beschwerdeführer habe bezüglich seiner Fluchtgründe eine unglaubwürdige Verfolgung durch "private Dritte" behauptet. Es habe festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in der Autonomen Region Kurdistan keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig nicht zu befürchten hätte. Was die Situation im Fall der Rückkehr betrifft, so sei der Beschwerdeführer im arbeitsfähigen Alter und habe als landwirtschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Er beherrsche die kurdische Sprache und sei in der Kultur und dem sozialen Gefüge der Autonomen Region Kurdistan verhaftet. Da der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben mit den örtlichen Behörden keine Probleme habe, über Familienangehörige und ein soziales Umfeld in der Autonomen Region Kurdistan verfüge und er auch in der dortigen Kultur verwurzelt sei, könne er dort auch einer Erwerbstätigkeit nachgehen und für die Dauer der Arbeitssuche mit der Unterstützung des angeführten Personenkreises zählen. Es sei aufgrund der obigen Umstände in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan des Nordirak nicht in eine Notlage entsprechend Artikel 2 bzw. 3 EMRK gelange. Entsprechend seiner eigenen Angaben habe der Beschwerdeführer in Österreich keine Familienangehörigen im Sinn des Artikels 8 EMRK. Aus diesem Grund könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in Österreich über ein entsprechendes Familienleben verfüge. Bezüglich eines Privatlebens sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer erst seit einem kurzen Zeitraum (09.06.2015) im Bundesgebiet aufhältig sei. Der Beschwerdeführer lebe in Österreich weder in einer Lebensgemeinschaft, noch führe er ein Familienleben und gehöre auch keinem Verein oder sonstiger Organisation an. Er besuche keine Deutschkurse.

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde, der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner unwahren Angaben zu seinem tatsächlichen Lebensalter in persönlicher Hinsicht nicht glaubwürdig. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen wenig detailreich und oberflächlich gestaltet, sodass dieses als nicht glaubhaft anzusehen sei. Insbesondere sei nicht plausibel, weshalb der Beschwerdeführer als kräftiger und junger Mann diese behaupteten bzw. erlittenen Folterungen seitens seiner Stiefmutter über sich ergehen lassen haben soll (vgl. die Seiten 59 - 61 des angefochtenen Bescheides).

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum - da die Glaubhaftmachung eines asylrelevanten Sachverhalts nicht gelungen sei - der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete. Demnach habe der Beschwerdeführer keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Des Weiteren wurde begründend dargelegt, warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung in den Irak, Autonome Kurdenzone des Nordirak, gemäß § 46 FPG zulässig sei. Letztlich wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

8. Mit Verfahrensanordnung vom 25.08.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

9. Gegen diesen am 26.08.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der beigegebenen Rechtsberatung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird der im Spruch bezeichnete Bescheid in vollem Umfang aufgrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften, eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, einer unrichtigen Beweiswürdigung und in der Folge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung angefochten und beantragt, dem Beschwerdeführer Asyl zu gewähren; in eventu dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchzuführen und in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Begründend wird zunächst der bisherige Verfahrensgang und das Vorbringen des Beschwerdeführers kurz wiederholt und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren gleichbleibende und schlüssige Angaben getätigt habe. In der Folge wird darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht nach § 18 AsylG 2005 nicht entspreche. Die belangte Behörde hätte bei Zweifeln an der Richtigkeit der Vorgaben Ermittlungen im Herkunftsstaat durchführen lassen müssen.

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei mangelhaft. Insoweit die belangte Behörde den Beschwerdeführer aufgrund der unrichtigen Geburtsdaten als persönlich nicht glaubwürdig ansehe, übersehe die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer sein Geburtsdatum selbständig korrigiert habe, obwohl ihm ein medizinisches Gutachten die Minderjährigkeit attestiert habe. Dass der Beschwerdeführer nach der festgestellten Minderjährigkeit sein Alter korrigiert und damit auch verfahrensrechtliche Nachteile in Kauf nehme, sollte dementsprechend berücksichtigt werden. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer in zwei Einvernahmen vor der belangten Behörde die Probleme mit seinem Vater und seiner Schwiegermutter [richtig:

Stiefmutter] gleichbleibend und widerspruchsfrei geschildert. Sofern die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorwerfe, er hätte eine bloß inhaltsleere und abstrakte Rahmengeschichte präsentiert, müsse dem entgegengehalten werden, dass der Beschwerdeführer die ihm gestellten Fragen eingehend beantwortet und lebensnah geschildert habe. Dass die vom Beschwerdeführer geschilderten Erlebnisse für die belangte Behörde nicht nachvollziehbar seien, bedeute nicht, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen würden. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer ein junger und kräftiger Mann sei, bedeute nicht, dass er nicht in eine Zwangslage habe kommen können. Insbesondere übersehe die Behörde, dass der Beschwerdeführer auch von seinem Vater misshandelt worden sei und er diese Qualen dementsprechend lange erleiden haben müssen.

Was Spruchpunkt II betreffe, so laufe der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak Gefahr, erneut in eine Zwangslage zu geraten und Misshandlung ausgesetzt zu sein. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem Beschwerdeführer nicht offen. Die belangte Behörde lasse offen, an welche Familienangehörigen sich der Beschwerdeführer wenden könnte. Wie aus den Länderberichten ersichtlich, sei die Bewegungsfreiheit im Irak nicht garantiert. Der Beschwerdeführer könne sich nicht uneingeschränkt in andere Provinzen bewegen. Selbst wenn, wäre ihm die Bestreitung seiner Existenz mangels Familienanschluss nicht möglich. Eine Verletzung von Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK würde im gegebenen Fall der Abschiebung in den Irak auf jeden Fall vorliegen und mache jene somit unzulässig.

10. Die Beschwerdevorlage langte am 22.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

11. Am 05.10.2016 verließ der Beschwerdeführer - ohne die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Beschwerde abzuwarten - das Bundesgebiet im Luftweg und gelangte nach Island, wo er am selben Tag erkennungsdienstlich behandelt wurde und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Bundeverwaltungsgericht wurde über die Ausreise des Beschwerdeführers von den Parteien des Verfahrens nicht in Kenntnis gesetzt.

Über die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2016, Zl. 1072875509-150642030, erhobene Beschwerde entschied das Bundesverwaltungsgericht zunächst mit Erkenntnis vom 12.12.2016, L521 2135460-1/4E. Da der damals unvertretene Beschwerdeführer über eine aufrechte Meldung im Bundesgebiet an der Anschrift XXXXn verfügte, wurde die Zustellung des Erkenntnisses an dieser Anschrift verfügt. Der Beschwerdeführer konnte indes aufgrund seiner bereits am 05.10.2016 erfolgten Ausreise an der Zustelladresse nicht angetroffen werden konnte. Das Dokument wurde bei der Postgeschäftsstelle XXXX, hinterlegt und ab dem 16.12.2016 zur Abholung bereitgehalten. Am 03.01.2017 wurde das Dokument dem Bundesverwaltungsgericht retourniert. Eine neuerliche Zustellung durch Hinterlegung ohne Zustellversuch erfolgte nicht.

12. Nachdem der Beschwerdeführer von Island nach Österreich gemäß der Verordnung Nr. 604/2013/EU vom 26.06.2013 rücküberstellt wurde, stellte er am 29.05.2017 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2017, Zl. 1072875509-170641208, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Der dagegen erhobenen Beschwerde vom 23.08.2017 gab das Bundesverwaltungsgericht mit am 10.10.2017 zur Zahl L521 2168908-1 mündlich verkündetem und am 31.10.2017 gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis Folge und behob den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2017, Zl. 1072875509-170641208, ersatzlos. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 1 AVG das Vorliegen eines Bescheides voraussetzt, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht oder nicht mehr bekämpft werden kann, also bereits in formelle Rechtskraft erwachsen ist (VwGH 12.09.2006, Zl. 2003/03/0279). Der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner mehrmonatigen Ortsabwesenheit an der Anschrift XXXX in 1210 Wien zum Zeitpunkt der versuchten Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.12.2016 keine Wohnung und damit keine Abgabestelle unterhalten, sodass sich die Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.12.2016 durch als nicht rechtmäßig erweise. Bei diesem Ergebnis sei davon auszugehen, dass die formelle Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.12.2016, L521 2135460-1/4E, gegenüber dem Beschwerdeführer nicht eingetreten ist und dessen Berufung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2016, Zl. 1072875509-150642030, nach wie vor unerledigt und das diesbezügliche Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist. Der Folgeantrag des Beschwerdeführers vom 29.05.2017 wurde demgemäß während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens gestellt und sei gemäß § 17 Abs. 8 AsylG 2005 im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens mit zu behandeln.

13. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.11.2017 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren fortgesetzt und das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.12.2016, L521 2135460-1/4E, aufgehoben.

14. Das Bundesverwaltungsgericht ersuche die Staatendokumentation des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl mit Note vom 04.01.2018 um Beischaffung des in Island geführten Verfahrensaktes betreffend den Beschwerdeführer gemäß Art. 34 der Verordnung Nr. 604/2013/EU. Am 11.01.2018 wurden die von den isländischen Behörden zur Verfügung gestellten Aktenteile dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt und im Anschluss amtswegig einer Übersetzung in die deutsche Sprache zugeführt.

15. Am 17.04.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Sorani durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen. Darüber hinaus wurde ein vom Beschwerdeführer namhaft gemacher Zeuge einvernommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben.

16. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2018 wurden dem Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur gegenwärtigen Lage im Herkunftsstaat sowie insgesamt acht Anfragebeantwortungen zur Lage in der Autonomen Region Kurdistan einerseits sowie zur Situation sexueller Minderheiten andererseits zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Die diesbezügliche Stellungnahme langte am 07.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger des Stammes der XXXX und der kurdischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer stammt aus einer sunnitischen Familie, in seinem irakischen Personalausweis scheint der Islam als Konfession auf. Er wurde am XXXX in XXXX geboren.

Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Kinder und lebte bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit seinem Vater, seiner Stiefmutter und zwei Halbgeschwistern im Dorf XXXX bei XXXX in einem Haus im Eigentum seines Vaters.

Der Beschwerdeführer besuchte die Grundschule in XXXX und anschließend die Mittelschule im Gesamtausmaß von 10 Jahren. In der Folge war der Beschwerdeführer im Sommer als Landarbeiter tätig. Die restliche Zeit des Jahres versorgte ihn sein Vater.

Am 05.05.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak von Erbil ausgehend legal am Luftweg nach Istanbul. Von dort fuhr er in einem VW-Bus an die bulgarische Grenze. Nachdem er die türkisch-bulgarische Grenze zu Fuß überquerte, nahm in die bulgarische Polizei fest und inhaftierte den Beschwerdeführer für etwa 15 Tage. Anschließend gelangte er von Sofia schlepperunterstützt mit einem Personenkraftwagen an die serbische Grenze. In Serbien wurde er abermals von der Polizei festgenommen und für einen Tag inhaftiert. In weiterer Folge wurde er schlepperunterstützt in einem Personenkraftwagen nach Österreich verbracht, wo er am 09.06.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Vater, die Stiefmutter, zwei Halbgeschwister und Freunde des Beschwerdeführers halten sich nach wie vor im Irak auf, der Beschwerdeführer hat den Kontakt zu ihnen abgebrochen. Die leibliche Mutter des Beschwerdeführers ist verstorben. Der Beschwerdeführer verfügt in der autonomen Region Kurdistan noch über einen Onkel, kennt jedoch dessen Aufenthaltsort nicht und es besteht auch kein Kontakt. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch über Freunde und Bekannte im Herkunftsstaat, mit denen er fallweise in Kontakt tritt.

1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert ist.

Ferner kann nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer vom Islam abgewandt hat und/oder beabsichtigt, im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat öffentlich für eine atheistische oder gegen den Islam gerichtete Einstellung einzutreten.

1.4. Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Der Beschwerdeführer ist ein vollkommen gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit Berufserfahrung und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage im Herkunftsstaat und dort in der Autonomen Region Kurdistan entweder in seiner Herkunftsregion XXXX oder alternative in nahen Großstädten wie Erbil oder Sulaimaniyya.

Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis) im Original.

1.5. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 08.06.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel. Vom 05.10.2016 bis zum 29.05.2017 hielt sich der Beschwerdeführer als Asylwerber in Island auf. Er wurde gemäß der Verordnung Nr. 604/2013/EU vom 26.06.2013 nach Österreich rücküberstellt.

Der Beschwerdeführer bewohnte nach seiner Einreise zunächst eine Unterkunft für Asylwerber in 1030 Wien. Seit dem 07.07.2016 ist er an der Anschrift XXXXin 1210 Wien gemeldet. Er lebt dort bei einer befreundeten kurdischen Familie und bewohnt ein Zimmer, für welches er EUR 150,00 Miete im Monat entrichtet. Sein XXXX ist bereit, ihn zu adoptieren. Ein Adoptionsversuch scheiterte allerdings an fehlenden Unterlagen. Derzeit lehnt der Beschwerdeführer eine Adoption ab.

Der Beschwerdeführer ist nicht legal erwerbstätig, hat eine solche Erwerbstätigkeit auch nicht in Aussicht und verrichtete auch keine gemeinnützige Arbeit. Er bezieht Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber, wobei er grundsätzlich erwerbsfähig ist.

In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer unterhält im Bundesgebiet seinen Angaben zufolge eine Beziehung mit dem deutschen Staatsbürger XXXX, die sich aus einer Internetbekanntschaft heraus entwickelt hat. Der Beschwerdeführer lernte den Genannten im Frühjahr 2016 im Wege der Online-Community Badoo im Internet kennen. Bei der Online-Community Badoo handelt es sich um eine internationale Singlebörse, die dazu dient, Menschen kennenlernen und neue Freunde oder Flirtpartner zu finden. Eine Einschränkung auf eine bestimmte sexuelle Orientierung besteht nicht. Der Beschwerdeführer lebt mit XXXX nicht in einem gemeinsamen Haushalt zusammen und beabsichtigt keine Eheschließung. Zu Begegnungen kommt es in der Regel aufgrund der Erwerbstätigung von XXXX nur am Wochenende. Die Besuche sind mit gelegentlichen Übernachtungen und fallweise mit sexuellen Handlungen verbunden. Dass das Verhältnis der Genannten die mit einer Lebensgemeinschaft verbundene Intensität erreicht hat, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet keine anderen homo- oder heterosexuellen Beziehungen eingegangen.

Der Beschwerdeführer verheimlicht die Kontakte mit XXXX vor seinem XXXX. Es kann außerdem nicht festgestellt werden, dass die Kontakte des Beschwerdeführers mit XXXX im Herkunftsstaat bekannt geworden sind.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Er hält sich - abgesehen von einem Aufenthalt in Island zwischen dem 05.10.2016 bis zum 29.05.2017 - seit seiner Antragstellung in Österreich auf und verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Sein Aufenthalt war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Er wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Deutschkurse besucht und keine Prüfungen über Sprachkenntnisse abgelegt. Er erlernt die deutsche Sprache im Selbststudium, verfügt allerdings derzeit nur über rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache. Anderweitige Integrationsschritte hat der Beschwerdeführer ebenfalls nicht ergriffen.

1.6. Der Verfahrensgang gestaltete sich wie unter Punkt I. dieser Erledigung dargestellt.

1.7. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitieren und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Politische Lage

Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).

Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).

Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom Irak am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017). Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im Irak. sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen Irak in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in Kirkuk. Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017). Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

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(Al-Jazeera 27.9.2017)

Der Armeeeinsatz in den umstrittenen Gebieten, insbesondere in Kirkuk und Umgebung, führte zum Zusammenbruch der irakisch-kurdischen Peschmerga unter dem gemeinsamen Druck von Irak und Iran kurz nach dem Referendum über die Unabhängigkeit der Kurden am 25. September 2017 und könnte den Nordirak letztlich eher destabilisieren. Die Peshmerga zogen sich am 16. und 17. Oktober 2017 aus den umkämpften Gebieten im Nordirak im Wesentlichen zurück (siehe hiezu die untenstehende Karte). Details dazu siehe Punkte

1.1. und 2.4.

Staatsform & Parteien

Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen (AA 7.2.2017).

Wahlen & Premierminister

Die nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da'wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).

Abadis Reformen sind bislang nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).

Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).

Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran

Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).

Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).

Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).

1.1. Kurdische Autonomieregion (Kurdistan Region-Iraq: KRI)

Hintergrund

Die Region Kurdistan-Irak (KRI), die hauptsächlich aus den Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniya besteht, ist seit der Verabschiedung einer neuen irakischen Verfassung infolge der US-geführten Invasion von 2003 rechtlich gesehen ein Bundesstaat. Faktisch ist sie schon lange eigenständig. Unter dem Schutz der Alliierten des Golfkriegs von 1991 hatten die Kurden im Mai 1992 Parlamentswahlen abgehalten und eine Regionalregierung gebildet. Die Region verfügt über eigene Verteidigungskräfte, die Peschmerga, betreibt eine eigenständige Wirtschafts- und Außenpolitik und regelt Fragen der Grenzkontrolle selbst - hierzu gehört auch die, von zentralirakischen Behörden unabhängige Vergabe von Visa. Das im September 2013 zuletzt gewählte Parlament [das jedoch seit 2015 nicht mehr tagt, s.u.] hat 110 Abgeordnete; elf davon sind quotierte Vertreter ethnischer und religiöser Minderheiten. Zudem regelt eine Quote, dass dreißig Prozent der Mandate von Frauen wahrgenommen werden müssen. Das derzeitige Kabinett ist eine Koalition aus den einflussreichsten Parteien: Demokratische Partei Kurdistan (KDP, gegründet 1946) und Patriotische Union Kurdistan (PUK, gegründet 1975), ferner die Bewegung Goran (auch Gorran, englisch "Change", 2009 von der PUK abgespalten), die Islamische Union in Kurdistan-Irak (IUKI, gegründet 1994) und die Islamische Gruppe in Kurdistan-Irak (IGKI, gegründet 2001). Präsident der Region ist Mas?ud Barzani. Von 1992 bis 2003 hatten KDP und PUK in der Kurdistan-Region alleine regiert. Die neue Regierung repräsentiert einen Kompromiss zwischen Gruppen, die auf eine lange Geschichte gewaltsamer Konflikte untereinander blicken. Zu nennen ist hier etwa der Bürgerkrieg zwischen KDP und PUK Mitte der 1990er Jahren. Bis heute ist die Region faktisch zwischen KDP und PUK aufgeteilt - wobei die PUK in den letzten Jahren Einfluss an Goran abgeben musste (Savelsberg 8.2017). Innerhalb der autonomen Kurdenregion gibt es immer wieder Konflikte zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien KDP, Goran und PUK. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen (Reuters 26.10.2015). Darüber hinaus sorgt der Streit um die Präsidentschaft Mas?ud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit im August 2015 abgelaufen ist (s.u.). Die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden haben zudem den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen weiter erhöhen. KDP und PUK sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Mas'ud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government - die Regionalregierung in der KRI) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK, sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. (ICG 12.5.2015). Im Folgenden findet sich eine Grafik, die die Veränderungen der inner-kurdischen Beziehungen im Nordirak, sowie die Bündnispolitik im Zeitraum 2007-2015 darstellt:

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(ICG 12.5.2015)

Die Newcomer-Partei Goran, die erst seit Juni 2014 in der kurdischen Regionalregierung vertreten ist, und die mit dem Versprechen angetreten ist, gegen den Nepotismus und die Korruption der beiden Altparteien vorzugehen, besitzt keine eigenen Militäreinheiten und ist auch wirtschaftlich nicht gut vernetzt, sodass sie aufgrund fehlenden Einflusses ihre Versprechen nicht umsetzen kann, und in der gegenwärtigen Situation - obwohl zweitstärkste Partei hinter der KDP - politisch und insbesondere militärisch keine herausragend große Rolle spielt (Bauer 2015). Nach dem Tod des Goran-Parteigründers Nawshirwan Mustafa im Mai 2017 heißt der nunmehrige Parteichef Omar Ali (Rudaw 25.7.2017).

Im August 2015 kam es zum Zerfall der Allparteienkoalition (AA 7.2.2017). Mas?ud Barzani hat seit Ablauf seiner bereits außertourlich verlängerten Amtszeit im Oktober 2015 das Amt nicht verlassen und das Parlament ausgesetzt (Ekurd 18.7.2017; vgl. Ekurd 16.1.2017). In Folge dieses Konflikts kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen. Büros der KDP wurden in Brand gesteckt. Fünf Demonstranten wurden nach Angaben von Human Rights Watch getötet. Der unabhängige Nachrichtensender NRT und der Sender der Goran-Bewegung mussten ihre Büros in Erbil vorübergehend schließen. Parlamentspräsident Muhammed Yussuf, selbst Mitglied von Goran, wurde im Oktober 2015 an einem Checkpoint an der Weiterfahrt nach Erbil gehindert, die fünf Goran-Minister mussten die Regierung verlassen. Seit dem 12

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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