Entscheidungsdatum
28.06.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G309 2177942-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Vorsitzenden, sowie die Richterin Mag. Beatrix LEHNER und der fachkundigen Laienrichterin Beate KOCH als Beisitzerinnen in der Beschwerdesache des XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid vom 27.06.2017 und die Beschwerdevorentscheidung vom 10.10.2017, des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX, OB: XXXX, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" nicht vorliegen, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung vom 10.10.2017 ersatzlos behoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 05.04.2017 via der Zentralen Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO ein. Da der BF nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" war, wurde dieser Antrag von der belangten Behörde als Antrag auf Vornahme dieser Zusatzeintragung in den mit 06.10.1994 ausgestellten Behindertenpass des BF gewertet. Dem Antrag waren medizinische Beweismittel (Befunde udgl.) sowie eine Kopie des Behindertenpasses des BF angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Im Gutachten von XXXX, Facharzt für Orthopädie, vom 27.06.2017, werden nach persönlicher Untersuchung des BF am 06.06.2017 folgende Diagnosen festgehalten:
Der BF leide unter einem chronischen Lendenwirbelsyndrom bei Zustand nach Laminektomie L3-L5 im Jahr 2005 und Bandscheibenoperation LF2/L3 im Jahr 2017 mit postoperativer Fußheber- und Fußsenkerschwäche und Taubheit rechts sowie unter einem Zustand nach Varizenoperation beidseits.
Hinsichtlich der beantragten Zusatzeintragung wurde im Wesentlichen folgendes ausgeführt:
"Klinisch besteht eine leichtgradige Fuß- und Großzehenheber-sowie Fußsenkerschwäche linksseitig. Der Antragsteller ist insgesamt ohne Hilfsmittel zügig mobilisiert. Die angegebene maximal bewältigbare Gehstrecke von 30 Metern ist nicht ganz nachvollziehbar. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Antragsteller 300-400 Meter zurücklegen kann. Auch das selbständige Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel kann sicher gewährleistet werden. Auch die Harnentleerungsstörung, seit der Operation, stellt kein Kriterium dar, da lediglich anamnestisch einige Tropfen im Sinne einer Dranginkontinenz verloren gehen und der Antragsteller eine Vorlage verwendet. Diesbezüglich hat sich durch das Beckenbodentraining auch eine Besserung ergeben. Insgesamt ist die Benützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel weiterhin zumutbar."
3. Mit Bescheid vom 27.06.2017 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen und diese Entscheidung im Wesentlichen auf das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten gestützt, wonach die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 21.07.2017 (Datum: Eingangsstempel) innerhalb offener Frist Beschwerde und brachte weitere medizinische Beweismittel in Vorlage. Begründend führte der BF zu seiner Beschwerde aus, mit dem Ergebnis des Beweisverfahrens nicht einverstanden zu sein. Seit der Operation vom 27.01.2017 komme es zu einer hochgradigen, isolierten Fußhebeschwäche. Die Funktionen des linken Fußes seien nach vorne und seitwärts nicht stabil und er leide unter Gleichgewichtsstörungen. Es sei daher im Mai 2017 zu einem schweren Sturz gekommen. Nach 30 m Gehstrecke würden starke Schmerzen einsetzten und gehe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel mit einer erheblichen Sturzgefahr einher.
5. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde fortgeführten Ermittlungsverfahrens wurde XXXX um eine ergänzende Begutachtung der Funktionseinschränkungen des BF im Lichte der in Vorlage gebrachten Beweismittel ersucht. In einer medizinischen Stellungnahme vom 22.09.2017 wurde von Dr. XXXX ausgeführt, dass bis auf einen Befund alle Befunde bereits im Ergebnis der Erstbegutachtung Niederschlag gefunden hätten und das seine Ausführungen zur verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung auch in Anbetracht des neuen Befundes unverändert bleiben.
6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 10.10.2017 wurde der Bescheid der belangten Behörde hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" bestätigt und die Beschwerde abgewiesen.
7. Gegen die Beschwerdevorentscheidung erhob der BF mit Schreiben vom 22.10.2017, bei der belangten Behörde eingelangt am 27.11.2017 (Datum: Eingangsstempel), das Rechtsmittel des Vorlageantrages, brachte einen weiteren Befund in Vorlage und führte dazu aus, dass ihm das Bewältigen von Stiegen nicht ohne Anhalten möglich sei und er unter Gleichgewichtsstörungen und Sturzgefahr bei ruckartigen Bewegungen leide.
8. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde einlangend mit 27.11.2017 vorgelegt.
9. Mit Eingabe vom 22.02.2018 wurden seitens der belangten Behörde weitere vom BF übermittelte medizinische Beweismittel nachgereicht.
10. Seitens des erkennenden Gerichtes wurde der Amtssachverständige XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, mit der Begutachtung und Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Im eingeholten Gutachten vom 12.03.2018 wurden, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF, folgende Diagnosen festgehalten:
10.1. Beim BF würden ein Zustand nach stattgehabter Lendenwirbelsäulenoperation bei Massenprolaps mit Flachvektomie und Sequestrektomie sowie eine geringgradige Blasenlähmung vorliegen.
10.2. Im Hinblick auf die Gesamtmobilität des BF im Zusammenhang mit der beantragten Zusatzeintragung wurde wie folgt ausgeführt:
"Aussteigen beim bergab gehen ist sicherlich nicht ohne Gefährdung der Gesundheit umsetzbar dies aufgrund der Peroneusschwäche mit Fallfuß und der entsprechenden Muskelschwäche im Bereich der linken unteren Extremität. Zusätzlich sei festgehalten dass aufgrund der Gang- und Standschwäche und daraus entstehenden Schwindelproblemen der sichere Transport im öffentlichen Verkehrsmittel auch nicht uneingeschränkt gegeben ist und somit öffentliche Verkehrsmittel nicht wirklich zumutbar erscheinen.
Bei dem Beschwerdeführer liegen
-
keine direkte erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor jedoch indirekt durch die Ausstrahlungssymptomatik bedingt durch die Wirbelsäulenfunktionsstörung
-
keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.
-
keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder schwere anhaltende Erkrankungen des Immunsystems vor.
-
keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubheit vor."
11. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichtes im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG mit Schreiben vom 16.03.2018 zur Kenntnis gebracht und den Parteien die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Es langten keine Stellungnahmen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Behindertenpasses.
Beim BF liegen eine stattgehabte Lendenwirbelsäulenoperation bei Massenprolaps mit Flachvektomie und Sequestrektomie sowie eine geringgradige Blasenlähmung vor. Der BF leidet an einer Peroneusschwäche mit Fallfuß und entsprechender Muskelschwäche im Bereich der linken unteren Extremität. Es liegen weiters eine Gang- und Standschwäche mit Schwindelproblemen vor.
Der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen ist dem BF im Hinblick auf die obig angeführten Gesundheitsschädigungen nicht möglich. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem BF nicht zumutbar.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass liegen vor.
Die Frist für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen und endete mit 22.09.2017.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Die Feststellung, dass der BF im Besitz eines Behindertenpasses ist, stützt sich auf den Akteninhalt sowie den durch den BF in Kopie vorgelegten Behindertenpass.
Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 12.03.2018 ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Soweit das Gutachten von Dr. XXXX vom von der belangten Behörde eingeholten Vorgutachten abweicht, ist dies auf die durch Dr. XXXX vorgenommene Einschätzung der Schwindelproblematik des BF im Kontext der diagnostizierten Ausstrahlung der Wirbelsäulenproblematik, der Peroneusschwäche mit Fallfuß, und der Muskelschwäche im Bereich der linken unteren Extremität zurückzuführen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen, sowie zu deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Stellung genommen.
Der vom BF mit Eingabe vom 22.02.2018 übermittelte Befund vom 11.12.2017 konnte auf Grund der gesetzlichen Neuerungsbeschränkung, wonach im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Beweismittel und Tatsachen nicht vorgebracht werden dürfen, bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden.
Der Inhalt des medizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. XXXX wurde den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt und von diesen unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen. Das Sachverständigengutachten wird der Entscheidung des erkennenden Gerichts daher in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetzes) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 BBG genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 BBG anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 VwGVG).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.
Gemäß § 15 VwGVG kann jede Partei binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art. 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.04.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.06.1993). Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt und ist durch seine "technische" Natur, nämlich durch medizinisches Fachwissen, gekennzeichnet. Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit gemäß § 42 Abs. 1 BBG zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 BBG Abs. 1 sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das
36. Lebensmonat vollendet ist und
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erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
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erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
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erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
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eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078 ua.).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).
Gemäß § 29b Abs. 1 StVO (Straßenverkehrsordnung 1960) ist Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses nach dem Bundesbehindertengesetz, die über die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" verfügen, als Nachweis über die Berechtigungen nach Abs. 2 bis 4 auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ein Ausweis auszufolgen.
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Zu Spruchpunkt I und II:
Verfahrensgegenständlich hat die belangte Behörde die Beschwerdevorentscheidung deutlich nach Ablauf der dafür in § 46 BBG normierten Frist von zwölf Wochen erlassen. Versäumt es die Behörde die Vorentscheidung binnen dieser Frist zu treffen, geht die Zuständigkeit zur Entscheidung ex lege auf das Verwaltungsgericht (VwG) über.
Eine nach Verstreichen der Frist ergangene Beschwerdevorentscheidung ist mangels Zuständigkeit der belangten Behörde rechtswidrig und verletzt die beschwerdeführende Partei in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter. Da jedoch die von der nunmehr unzuständig gewordenen Behörde erlassene Beschwerdevorentscheidung gültig und rechtswirksam ist und dem Rechtsbestand angehört, kann diese durch das VwG nur infolge eines zulässigen Vorlageantrages nach § 15 VwGVG behoben werden. Wird die rechtswidrige Vorentscheidung hingegen nicht bekämpft, so ist sie gültig und rechtswirksam und erwächst in Rechtskraft. Im vorliegenden Fall wurde die verspätete Beschwerdevorentscheidung durch den zulässigen und rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrag des BF angefochten.
Daher hat das erkennende Gericht die Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde zu beheben und aus dem Rechtsbestand auszuscheiden (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014) RN 768; Müllner, Beschwerdevorentscheidung und Vorlageantrag, ZfV 2013 (881) 882; zu § 64a AVG Hengstschläger/Leeb, AVG2 RN 22 zu § 64a; VwGH 28.02.2008, Zl. 2007/06/0247).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerdevorentscheidung wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Mit Novelle des Bundesbehindertengesetztes (BGBl. I 57/2015) hat der Gesetzgeber für das Verfahren nach dem Bundesbehindertengesetz (§ 46 BBG) ein - eingeschränktes - Neuerungsverbot eingeführt, das in den Gesetzesmaterialien als "Neuerungsbeschränkung" bezeichnet wird. § 46 BBG regelt, dass im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen. Im Gesetzeswortlaut ("in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht") kommt zum Ausdruck, dass die Neuerungsbeschränkung nicht für das Beschwerdeverfahren als Ganzes, sondern erst ab dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (somit ab Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht und somit nicht bereits im behördlichen Beschwerdevorverfahren) gelten soll. Neuerungen, die in der Beschwerde oder im Vorlageantrag vorgebracht werden, sind daher von der Beschränkung nicht erfasst und müssen auch vom Bundesverwaltungsgericht noch berücksichtigt werden (AB 564 BlgNR 25. GP).
Somit waren die vom BF mitsamt dem Vorlageantrag übermittelten medizinischen Beweismitteln zu würdigen, der durch Eingabe vom 22.02.2018 vorgelegte Befund vom 11.12.2017 war vom erkennenden Gericht jedoch außer Acht zu lassen.
Beim BF wurden eine stattgehabte Lendenwirbelsäulenoperation bei Massenprolaps mit Flachvektomie und Sequestrektomie sowie eine geringgradige Blasenlähmung diagnostiziert. Diese Wirbelsäulenfunktionsstörungen gehen mit einer Ausstrahlung in die unteren Extremitäten, mit einer Gang- und Standschwäche sowie mit einer sich daraus ergebenden Schwindel- und Gleichgewichtsstörung einher, aufgrund derer dem BF der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen nicht möglich ist. Die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist somit gegeben.
Da der BF zudem Inhaber eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Beschwerde stattzugeben.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass, Beschwerdevorentscheidung, Fristablauf,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:G309.2177942.1.00Zuletzt aktualisiert am
05.10.2018