TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/24 W266 2179395-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.07.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2179395-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen,

Landesstelle NÖ, vom 09.11.2017, OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses in nicht öffentlicher

Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass dessen Spruch wie folgt lautet:

"Der Antrag von XXXX vom 9.6.2017 auf Ausstellung eines Behindertenpasses wird abgewiesen. Der Grad der Behinderung beträgt 10 (Zehn) von 100 (Hundert)."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle NÖ (in der Folge: belangte Behörde), wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 9.6.2017 auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen.

1.2. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden sei und nach diesem Gutachten ein Grad der Behinderung von 40% vorliege.

1.3. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung würden als schlüssig anerkannt und in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

1.4. Da die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung in Höhe von 40% festgestellt habe, lägen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor, da gemäß § 40 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz der Grad der Behinderung mindestens 50% zu betragen habe.

1.5. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, fristgerechten Beschwerde führt die Beschwerdeführerin - XXXX Vorlage weiterer Befunde - im Wesentlichen aus, dass das von der Behörde eingeholte Gutachten nicht schlüssig und nachvollziehbar sei und einen Widerspruch darstelle. Bezüglich ihrer neurologischen Blasenentleerungsstörung werde festgestellt, dass immer Restharnmengen vorhanden seien. Dies wäre auch bei der letzten Kontrolle am 18.9.2017 festgestellt worden (Diagnose:

Harntraktinfektion N 39.0, rezidivierend, Blasenentleerungsstörung hyposensitiv). Dazu führt sie aus, dass diese Erkrankung eine schwerwiegende Belastung, vor allem in der Nacht sei, da sie 5-7 Mal aufgrund des ständigen Harndranges aufstehen müsse. Eine Verbesserung sei nicht zu erwarten und sei dieser Zustand seit Jahren bestehend.

Zu den Funktionseinschränkungen im Handgelenk führt sie aus, dass diese nicht nur das Handgelenk und das Schultergelenk betreffen würden, sondern auch die Wirbelsäule in diesem Bereich stark eingeschränkt sei. Dauerhafte Schmerzzustände seien die Folge der Achsenfehlstellung des Handgelenkes, welche mittlerweile eingetreten sei. Diesbezüglich sei ein chronischer Zustand eingetreten.

Die ständigen Schmerzen seien sehr belastend und würden die Psyche der Beschwerdeführerin sehr beeinträchtigen.

1.6. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, Einholung eines unfallchirurgischen/orthopädischen und allgemeinmedizinischen Gutachtens sowie Einholung eines aktuellen Auszuges aus dem zentralen Melderegister steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

1.2. Die Beschwerdeführerin ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX , XXXX .

1.3. Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten einer Sachverständigen für Unfallchirurgie/Orthopädie und Allgemeinmedizin beruhend auf einer persönlichen Begutachtung der Beschwerdeführerin am 12.4.2018 wurde sowohl der Beschwerdeführerin als auch der belangten Behörde mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.6.2018 im Rahmen des Parteiengehörs zur allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen ab Zustellung übermittelt. Eine Stellungnahme langte bis dato nicht ein.

1.4. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes wird folgendes festgestellt:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:

BMI 31,6

Größe: 164 cm Gewicht: 85 kg Blutdruck: 105/70

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör-und Sehvermögen

Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA, H AT rein, rhythmisch. Abdomen klinisch unauffällig keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.

Integument: Unauffällig

Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, annähernd symmetrische Muskelverhältnisse, Bandmaß Oberarm rechts 33 cm, links 32,5 cm, Unterarm rechts 27 cm links 26 cm, kein Ödem.

Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben.

Die Benützungszeichen sind Seiten gleich vorhanden.

Schulter rechts und Ellbogen rechts: ggr. diffus Druckschmerz, sonst unauffällig

Handgelenk rechts: Narbe über dem Processus styloideus der Ulna bogenförmig 2 cm, sonst unauffälliges Handgelenk, keine Umfangsvermehrung, keine Schwellung, seitengleiche Silhouette, stabil, kein Stauchungsschmerz auslösbar, keine Bewegungsschmerzen auslösbar.

Mittelfinger rechts: Narbe über der mittleren Phalanx median dorsal und beugeseitig mit plastischer Deckung und im Bereich des Ringfingers distale Phalanx, kein Streckdefizit, ggr. Beugedefizit Mittelfinger und Ringfinger rechts mit Fingerkuppenhohlhandabstand von 0,5 cm.

Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke frei,

Unterarmdrehung: Supination/ Pronation rechts 80/0/30, links 80/0/80, Handgelenke bds. frei, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich bis auf eingeschränkte Beugefähigkeit des rechten Mittelfingers und Ringfingers - siehe oben. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist bis auf Mittelfinger und Ringfinger rechts komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.

Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.

Becken und beide unteren Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar.

Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist möglich.

Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse.

Beinlänge ident.

Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, Zustand nach Venenoperation, keine sichtbaren Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.

Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60 Grad bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule:

Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte

Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Mäßig

Hartspann. Kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.

Aktive Beweglichkeit:

HWS: in allen Ebenen frei beweglich

BWS/LWS: FBA: 10 cm, in allen Ebenen frei beweglich

Lasague bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen, das Gangbild hinkfrei und unauffällig.

Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status psychicus:

Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen

Die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers entsprechen der folgenden Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Funktionseinschränkung rechtes Handgelenk geringen Grades Wahl dieser Position, da mäßig eingeschränkte Pronation bei freier Supination und freier Beweglichkeit in der Sagittal-und Frontalebene bei stabilem Gelenk ohne Umfangsvermehrung

02.06 20

10

2

Funktionseinschränkung rechter Mittel-und Ringfinger Unterer Rahmensatz, da jeweils geringgradiges Beugedefizit bei freier Streckfähigkeit

02.06.26

10

3

Epicondylitis humeri ulnaris rechts Unterer Rahmensatz, da bei freier Beweglichkeit des Ellbogens ausstrahlende Beschwerden am Unterarm streckseitig intermittierenden Gefühlsstörungen.

04.05.05

10

4

Hypothyreose Unterer Rahmensatz, darunter medikamentöser Substitution gut einstellbar

09.01.01

10

und beträgt der Grad der Behinderung 10%.

Leiden eins wird durch die weiteren Leiden nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen beruhen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse auf den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin am Antragsformular, sowie auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister.

2.2. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes und des Grades der Behinderung beruhen die Feststellungen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten unfallchirurgischen/orthopädischen und allgemeinmedizinischen Gutachten, welches auf einer persönlichen Untersuchung am 12.4.2018 basiert. Dieses ist in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle, von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen.

2.3. Die befasste Amtssachverständige führt nachvollziehbar aus, dass rezidivierende Harnwegsinfekte medikamentös behandelbar sind, im Intervall keine urologischen Funktionsstörungen vorliegen, keine Restharnbildung, unauffällige Miktionsfrequenz, sodass das Ausmaß eines behinderungsrelevanten Leidens nicht mehr erreicht wird. Eine neurogene Blasenstörung ist weder im Befund der Unfallabteilung des Krankenhauses XXXX dokumentiert noch im urologischen Befund aus 01/2004, in welchem Beschwerdefreiheit, ein sonografisch unauffälliger Status und kein Restharn attestiert wird. Der bei diesem Befund ausgesprochene Verdacht auf Neurogene Blasenentleerungsstörung führt zu einer Aufnahme in die Urologie des Krankenhauses XXXX zur Urodynamik, bei der weder eine Dysurie dokumentiert wurde noch ein urologisch auffälliger Befund. Die Kontrolluntersuchung 2006 zeigt einen unauffälligen Befund bis auf eine Mikrohaematurie, welche abgeklärt wurde. Die einmal dokumentierte geringgradige Restharnbildung bei Harnwegsinfekt mit Nykturie 3 mal bei sonst unauffälligen neurologischen Befunden ohne Restharnbildung erreicht nicht das Ausmaß eines behinderungsrelevanten Leidens, da medikamentös behandelbar und vorübergehend.

2.4. Die geringgradigen Funktionsstörungen im Bereich des rechten Handgelenks und des rechten Ellbogens werden unter Berücksichtigung der streckseitigen Schmerzen am Unterarm und intermittierenden Gefühlsstörungen in Leiden eins und drei eingestuft. Eine Achsenfehlstellung des Handgelenks ist nicht feststellbar. Eine maßgebliche Arthrose konnte weder im Bereich des rechten Handgelenks noch rechten Ellbogens objektiviert werden.

2.5. Eine behinderungsrelevante psychische Belastungsstörung ist nicht durch entsprechende Befunde dokumentiert und nicht objektivierbar.

2.6. Zu den vorgelegten Befunden von Dr. XXXX führt sie nachvollziehbar aus, dass dadurch die rezidivierenden Harnwegsinfekte bestätigt werden, jedoch kein Ausmaß eines behinderungsrelevanten Leidens vorliegt. Sämtliche vorgelegten fachärztlichen urologischen Befunde von 2004-2017 attestieren überwiegend Beschwerdefreiheit, keine Restharnbildung und insbesondere keinen Hinweis auf ein einstufungsrelevantes urologisches Leiden.

2.7. Die Abweichung vom erstinstanzlichen Gutachten begründet die befasste Amtssachverständige wie folgt:

Leiden 1 (Funktionseinschränkung rechtes Handgelenk geringen Grades) wird im Vergleich zum Gutachten vom 25.7.2017 um zwei Stufen herabgesetzt, da nach erfolgter Therapie eine Verbesserung objektivierbar ist. Es konnte lediglich eine mäßige Einschränkung der Pronation festgestellt werden, die weiteren Ebenen sind frei. Insbesondere konnte auch kein Hinweis auf eine maßgebliche Funktionsbehinderung festgestellt werden, siehe Bemuskelung. Weder liegen eine Umfangsvermehrung noch eine Fehlstellung noch objektivierbare Befunde der bildgebenden Diagnostik vor, welche eine höhergradige Funktionseinschränkung bzw. Arthrose des rechten Handgelenks belegen.

Leiden 2 (Funktionseinschränkung rechter Mittel-und Ringfinger) wird um zwei Stufen herabgesetzt, da nach erfolgter Therapie eine Besserung eingetreten ist, und lediglich ein geringgradiges Beugedefizit feststellbar ist.

Leiden 3 (Epicondylitis humeri ulnaris rechts) wird unter geänderter Positionsnummer eingestuft, da das Ellenbogengelenk in der Funktion nicht eingeschränkt ist, jedoch Beschwerden im Sinne einer Enthesiopathie, überlagert von neuropathischen Beschwerden mit Ausstrahlung in den Unterarm streckseitig im Vordergrund stehen. Aufgrund der guten Bemuskelung und der nur intermittierend auftretenden Gefühlsstörungen nach erfolgter Therapie wird das Leiden um eine Stufe herabgesetzt.

Hinzu kommen von Leiden 4 (Hypothyreose), da dokumentiert.

Leiden 4 des Vorgutachtens (Entleerungsstörungen der Blase) wird nicht eingestuft, da intermittierender Harnwegsinfekte medikamentös gut behandelbar ist und eine gehäufte Infektneigung nicht dokumentiert ist, auch keine erhöhte Miktionsfrequenz oder erhöhte Nykturiefrequenz.

Aktuelle objektive Befunde über Nahrungsmittelunverträglichkeiten sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen, eine Einstufung als behinderungsrelevantes Leiden daher nicht möglich. Der Befund von Dr. Kisler, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 11.9.2017 ist für die Einstufung als behinderungsrelevantes Leiden nicht als ausreichende Dokumentation heranzuziehen, da der zugrundeliegende Befund mit exaktem Beleg des Ausmaßes der einzelnen Unverträglichkeiten nicht vorliegt.

Der Gesamtgrad der Behinderung wird um drei Stufen herabgesetzt, da eine Besserung von Leiden 1,2 und 3 des Vorgutachtens objektivierbar ist und Leiden vier des Vorgutachtens entfällt.

2.8. Das gegenständliche Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist,.

3.3. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.4. Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.5. Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

3.6. Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

3.7. Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

3.8. Gemäß § 1. Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) ist unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.9. Gemäß § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

3.10. Die relevanten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung lauten:

02.06.20

Funktionseinschränkung im Handgelenk geringen Grades einseitig

10 %

02.06.26

Funktionseinschränkung einzelner Finger

10 - 30 %

04.05 Lähmungen der peripheren Nerven

Tabelle kann nicht abgebildet werden

3.11. Gemäß § 3 Abs. 1 Einschätzungsverordnung ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

3.12. Gemäß § 3 Abs. 2 Einschätzungsverordnung ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

3.13. Gemäß § 3 Abs. 3 Einschätzungsverordnung liegt eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

3.14. Gemäß § 3 Abs. 4 Einschätzungsverordnung ist eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

3.15. Gemäß § 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung bildet die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

3.16. Gemäß § 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung hat das Gutachten neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Daraus folgt:

3.17. Das gegenständliche unfallchirurgische/orthopädische und allgemeinmedizinische Gutachten entspricht den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und wird, aus den unter 2.2.ff näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.

3.18. Für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist gemäß § 40 Abs. 1 BBG neben den formalen Erfordernissen ein Grad der Behinderung in Höhe von zumindest 50% Voraussetzung.

3.19. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin betragen jedoch, wie festgestellt, 10% da diese, wie bereits oben unter 2.2.ff ausgeführt, von der Amtssachverständigen schlüssig und nachvollziehbar den oben genannten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet wurden.

3.20. Da bei der Beschwerdeführerin keine weiteren Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden konnten, und der Grad der Behinderung sohin entsprechend § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung iVm Punkt 02.06.20, 02.06.26, 04.05.05 und 09.01.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung 10% beträgt, liegen nicht alle Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

3.21. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

3.22. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.23. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

3.24. Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

3.25. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.26. Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

3.27. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung.

3.28. In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

3.29. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten - vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten - Gutachten einer medizinischen Sachverständigen, dem die Beschwerdeführerin weder auf gleicher fachlicher Ebene noch durch ein sonst substantiiertes Vorbringen entgegengetreten ist. Die strittigen Tatsachenfragen gehören ausschließlich dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

ZU B) Unzulässigkeit der Revision:

3.30. Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.31. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.32. Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W266.2179395.1.00

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten