TE Bvwg Beschluss 2018/7/30 W162 2185890-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2018
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Entscheidungsdatum

30.07.2018

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W162 2185890-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike LECHNER, LL.M. als Vorsitzende und die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER, BA MA als Beisitzerinnen aufgrund des Vorlageantrags über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 22.11.2017, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 11.01.2018, betreffend die Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses, ausgestellt am 09.05.2005, mit einem GB von 50 v.H. Sie beantragte unter Vorlage eines Konvoluts an medizinischen Unterlagen am 26.07.2017 (einlangend) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

2. Im Auftrag der belangten Behörde erfolgte am 27.09.2017 eine Begutachtung aufgrund persönlicher Untersuchung durch einen Arzt für Allgemeinmedizin. Dabei wurde im Sachverständigengutachten vom 17.11.2017 inhaltlich die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Darin wurde insbesondere festgestellt:

"1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine, da die anerkannten Gesundheitsschädigungen keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge haben. Im Gutachten wurde festgestellt, dass bei der AW keine höhergradige Funktionsstörung der unteren Extremitäten vorliegt. Es finden sich im klinischen Befund keine signifikanten motorischen Ausfälle. Die AW kann eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen. Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der psychischen, neurologischen und intellektuellen Funktionen vor; die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum ist gegeben. Ein nachweislich therapierefraktäres schweres Anfallsleiden ist nicht dokumentiert.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein, da keine erhebliche Einschränkung des Immunsystems durch objektive medizinische Befunde belegt wird."

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.11.2017 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen. Verwiesen wurde auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens.

4. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht am 03.01.2018 Beschwerde erhoben und ein Entlassungsbericht einer Privatklinik von 28.12.2017 beigelegt wurde.

5. Im Zuge des Beschwerdevorprüfungsverfahrens wurde aufgrund des vorgelegten Befundes eine sachverständige Stellungnahme eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 11.01.2018 eingeholt. Darin wurde Folgendes festgehalten:

"Aus allgemeinmedizinischer Sicht ist anzumerken, dass die neuerliche Befundvorlage weitgehend ident mit dem Vorbefund der Confraternität, wo die Untersuchte regelmäßig behandelt wird, ist. Dieser Vorbefund wurde bei der Gutachtenserstellung berücksichtigt.

Dieser Befund beinhaltet auch die Aussage, dass es durch die Therapieergänzung mit Alpha-Liponsäure, die bereits vor einigen Monaten eingeleitet wurde und durch die weiteren Therapiemaßnahmen wieder zu einer Besserung der Beschwerdesymptomatik - insbesondere der Dysästhesien und der Schmerzen in den Beinen - gekommen ist. Die vorübergehende Verschlechterung der Gangsicherheit konnte somit wieder erfolgreich behandelt werden. In der Befundnachreichung ist nicht dokumentiert, dass nun eine dauernde schwere Gehbehinderung, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel verunmöglicht, eingetreten ist.

Es wird abschließend festgehalten, dass aus gutachterlicher Sicht nach neuerlicher Durchsicht des vorliegenden Befund- und Aktenmaterials eine Änderung der bisherigen getroffenen Beurteilung nicht vorgeschlagen wird, da die relevanten objektivierbaren Gesundheitsschädigungen und Funktionsbehinderungen nach dem BBG mit ihren Auswirkungen auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel korrekt berücksichtigt wurden.

Öffentliche Verkehrsmittel sind zumutbar, da die Untersuchte in normalem Allgemein- und Ernährungszustand weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren und oberen Extremitäten, noch erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, noch erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten/Funktionen aufweist und da keine schwere anhaltende

Erkrankung des Immunsystems vorliegt. Eine kurze Wegstrecke kann unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde (auch unter Berücksichtigung der Befunde an den Beinen und am Herzen) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ohne Unterbrechung - unter Verwendung von orthopädischem Schuhwerk mit integrierter Peronaeusschiene links sowie einem Gehbehelf (Unterarmstützkrücke oder Gehstock) - zurückgelegt werden. Die vorliegenden dauernden Gesundheitsschädigungen und die erforderlichen Gehbehelfe wirken sich nicht auf die Möglichkeit des sicheren Ein- und Aussteigens und auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen aus."

6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 11.01.2018 wurde im Wesentlichen der Bescheid vom 22.11.2017 bestätigt und die Beschwerde abgewiesen.

7. Mit Vorlageantrag vom 26.01.2018 wurde beantragt, die Beschwerde zur Entscheidung dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

8. Die Beschwerde wurde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht am 12.02.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

Am 08.03.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein neurologischer Befund ein. Darin wurde Folgendes ausgeführt:

"Diagnose: Chronische mulitfokale immunmediierte Polyneuropathie

Anamnese: Seit 1990 besteht eine akut aufgetretene asymmetrische hochgradig ausgeprägte motorische Polyneuropathie. Seit 1996 eine entsprechende Immunglobulin-Therapie. Unter dieser Therapie zunächst Stillstand der Symptomatik. In den letzten 3 bis 4 Jahren allerdings Progredienz in Form einer diffusen Verschlechterung der Muskelkraft mit einer zunehmenden Atrophie an beiden OE sowie auch an beiden C

E.

Klinisch-neurologisch im Vordergrund die höhergradige Schwäche im Versorgungsgebiet des N. medinaus und N. ulnaris rechts sowie diffuse Muskelatrophie und eine allgemein verminderte Muskelkraft im Bereich Schultergürtel, Oberarm, Unterarm und Fingermotorik bds. Blasen- und Stuhlfunktion nicht eingeschränkt. Im Bereich der UE im Vordergrund eine komplette Plegie der Vorfußhebung links und der Vorfußstreckung rechts bei diffuser Muskelatrophie und generalisierter Areflexie. Das Gehen auch kurzer Strecken nur mit einer Krücke unsicher mit entsprechenden Steppergang.

Empfehle: Unbedingt kontinuierliches Fortsetzen der intravenösen ImmunglobuIin-Therapie in gleichbleibender Dosis Intensive Physiotherapie. Weiters wird unterstützend Neutrion Kapseln (Vitamin B-Aminosäuren-Kombinationspräparat) 1 x verabreicht. Entsprechende Allgemeinmaßnahmen mit der Patientin besprochen.

Insbesondere-ist hinzuweisen, dass aufgrund der motorischen Defizite im Rahmen der Polyneuropathie eine absolute Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel besteht. Dies ist auch entsprechend im Behindertenausweis zu vermerken ist."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 19b Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG beträgt die Beschwerdefrist bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen bei Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11). § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze klargestellt:

• Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

• Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

• Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Die Beschwerdeführerin hat bereits mit ihrem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass medizinische Unterlagen betreffend ihre neurologischen Leiden in Vorlage gebracht.

Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers jedoch lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt und hat es unterlassen, im Verfahren ein neurologisches Gutachten nach erfolgter fachärztlicher Untersuchung einzuholen.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch ist im vorliegenden Fall das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten zur Beurteilung des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden neurologischen Beschwerdebildes nicht geeignet. So hat die Beschwerdeführerin bereits im Rahmen der Antragstellung neurologische Leiden vorgebracht, und sie hat auch medizinische Beweismittel in diesem Zusammenhang vorgelegt. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Allgemeinmedizin auch die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtung Neurologie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin zu gewährleisten. Hinreichende Ausführungen zum aktuellen neurologischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin sind dem vorliegenden Gutachten nicht zu entnehmen. Eine qualifizierte Beurteilung des neurologischen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin ist somit im angefochtenen Verfahren nicht erfolgt. Die alleinige Heranziehung eines Sachverständigen der Fachrichtung Allgemeinmedizin durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zusätzlich zu dem bereits eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten ein ärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, einzuholen und die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführerin im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten, und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In den rechtlichen Ausführungen zu Punkt A) wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor der belangten Behörde gravierende Ermittlungslücken bestehen. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wurde auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) Bezug genommen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W162.2185890.1.00

Zuletzt aktualisiert am

03.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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