TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/7 W261 2168074-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.08.2018
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Entscheidungsdatum

07.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W261 2168074-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin Gastinger, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX auch XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt, vom 01.08.2017, Zahl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.04.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Gang des Verfahrens:

Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste nach eigenen Angaben am 31.07.2015 irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 01.08.2015 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit eines Dolmetschers in der Sprache Dari. Dabei gab der BF an, afghanischer Staatsangehöriger und schiitischer Moslem zu sein, und der Volksgruppe der Hazara anzugehören. Er sei am XXXX in Parwan, Afghanistan, geboren und habe die letzten 15 bis 16 Jahre in XXXX, im Iran gelebt. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er aus, er habe keine Zukunft im Iran gehabt, weiters lebe seine ganze Familie in Österreich. Befragt, was er im Falle einer Rückkehr in seine Heimat befürchte, gab der BF an, er habe im Iran Geldprobleme und sei deshalb geschlagen worden, wobei ihm die Nase gebrochen worden sei. Er fürchte um sein Leben.

Am 09.03.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten (in der Folge BFA oder belangte Behörde), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Dabei gab er an, seine Familie habe Afghanistan verlassen und sei in den Iran gegangen, als der BF noch sehr klein gewesen sei. Grund der Ausreise seien der Krieg, die Unsicherheit und die allgemeine Situation gewesen. Es habe auch private Vorfälle mit entfernten Verwandten gegeben, der Onkel seiner Mutter sei von anderen Verwandten getötet worden, genaueres wisse der BF nicht. Entfernte Verwandte würden noch in Afghanistan leben, es bestehe jedoch kein Kontakt. Die Mutter, Schwester, zwei Brüder, eine Tante und ein Onkel seiner Mutter würden in Österreich leben. Sein Vater lebe weiterhin im Iran und arbeite auf einer Baustelle, der BF habe Kontakt zu ihm. Der BF habe sechs Jahre lang die Schule im Iran besucht, anschließend habe er fünf Jahre im Iran gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, er habe den Iran verlassen, da seine Familie in Österreich sei, und er woanders niemanden kenne. Im Iran habe er Probleme gehabt, er habe wegen Geld gestritten und seine Nase sei gebrochen worden. Er habe auch keine Aufenthaltsgenehmigung im Iran und dort nicht frei leben können. Zwei oder drei Mal sei er festgenommen worden, weil er illegal im Iran aufhältig gewesen sei. Er habe gezahlt und sei nach einem bis zwei Tagen wieder freigekommen. Hätte er nicht gezahlt, wäre er nach Afghanistan abgeschoben worden. Befragt, was er erwarten würde, würde er nach Afghanistan zurückkehren, gab der BF an, er erwarte Sicherheit, möchte aber nicht zurückkehren. Am 22.03.2017 legte der BF ein Konvolut an Deutschkursbestätigungen vor.

Die belangte Behörde wies in weiterer Folge den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 01.08.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. ab. Weiters erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg. cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg. cit. iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg. cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg. cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach die belangte Behörde aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg. cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde führte begründend aus, dass der BF keine Gründe geltend machen habe können, wonach er in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten habe. Der BF sei jung, gesund und arbeitsfähig. Er habe im Iran seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Im Falle einer Rückkehr sei es ihm daher zuzumuten, selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Der BF stehe in telefonischem Kontakt zu seinen in XXXX lebenden Mutter und Geschwistern, es bestehe aber kein Abhängigkeitsverhältnis oder ein stark ausgeprägtes Naheverhältnis des in XXXX wohnhaften BF zu den Familienangehörigen. Das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK könne somit nicht festgestellt werden. Ein schützenswertes Privatleben liege ebenfalls nicht vor.

Mit Verfahrensanordnung vom 01.08.2017 teilte die belangte Behörde dem BF mit, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen. Mit Verfahrensanordnung vom 01.08.2017 stellte die belangte Behörde dem BF die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater amtswegig zur Seite.

Mit Eingabe vom 16.08.2017 erhob der BF, bevollmächtigt vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG). Darin brachte er vor, die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien sehr allgemein gehalten, hätten zu einem Großteil nichts mit dem Vorbringen bzw. der Situation des BF zu tun und seien daher mangelhaft. Es bestehe im Heimatgebiet des BF in Afghanistan eine Familienfehde, eine Rückkehr des BF nach Parwan würde nicht unbemerkt bleiben, und er könnte aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seiner Familie erneut verfolgt werden. Von den afghanischen Sicherheitsbehörden, die von den Taliban durchsetzt und korrupt seien, könne kein Schutz erwartet werden. Darüber hinaus sei der BF im Iran und in Österreich sozialisiert worden und befürchte wegen seines Auftretens, seiner Sprache und seiner westlichen Orientierung aufzufallen und verfolgt zu werden. Er verfüge in Afghanistan, außer in seiner Herkunftsregion, in welche er nicht zurückkehren könne, über keinerlei soziales Netzwerk und hätte somit keine Lebensgrundlage. Es wäre ihm daher in eventu subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. Der BF verfüge eindeutig und zweifellos über schützenswertes Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK, weshalb festgestellt hätte werden müssen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Der Beschwerde wurde die "Notiz Afghanistan - Alltag in Kabul" von Thomas Ruttig vom 12.04.2017 angeschlossen.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang mit Schreiben vom 17.08.2017 dem BVwG vor, wo dieser am 21.08.2017 einlangte.

Mit Schreiben vom 10.01.2018 bevollmächtigte der BF den MigrantInnenverein St. Marx mit der Vertretung im gegenständlichen Verfahren.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem BVwG wurden dem MigrantInnenverein St. Marx als bevollmächtigtem Vertreter des BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 30.01.20118 sowie ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 übermittelt und die Möglichkeit gegeben, dazu Stellung zu nehmen.

Am 19.04.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, zu der der BF persönlich gemeinsam mit seinem Rechtsvertreter erschien. Die belangte Behörde verzichtete mit Schreiben vom 17.08.2017 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF führte in dieser mündlichen Beschwerdeverhandlung zu seinen persönlichen Verhältnissen aus. Zu seinem Fluchtgrund befragt brachte er vor, eine Person habe das Haus der Familie in Afghanistan an sich genommen und den Onkel der Eltern des BF getötet. Würde der BF diesen Mann auffordern, das Haus wieder zurückzugeben, wäre er einer Bedrohung und Gefahr ausgesetzt und würde getötet werden. Befragt, was dem BF konkret passieren würde, müsste er jetzt wieder nach Afghanistan zurückkehren, gab er an, nicht mehr in dem Haus, welches seiner Familie gehört habe, leben zu können. Seine Großmutter habe erzählt, dass sie nicht einmal an dem Haus vorbeigehen habe können, sondern immer einen längeren Umweg machen habe müssen. Im Rahmen der Verhandlung legte der BF Integrationsunterlagen sowie eine Stellungnahme vom 18.04.2018 vor.

In dieser Stellungnahme brachte der BF, bevollmächtigt vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx vor, er habe konsistent und ausführlich erklärt, worin die gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr bestehe, und dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan der Tod drohen würde. Es werde auf die in den UNHCR-Richtlinien enthaltenen potenziellen Risikoprofile afghanischer Flüchtlinge verwiesen. Dem BF sei daher Flüchtlingsstatus zu gewähren. Weiters habe der BF keinerlei Anknüpfungspunkt zu Afghanistan, er sei sehr jung in den Iran gekommen und seien ihm deshalb die afghanischen Gepflogenheiten nicht bekannt. Er verfüge über keine vernünftige Schul- bzw. Berufsausbildung, wäre bei einer etwaigen Rückkehr völlig auf sich alleine gestellt und würde in eine aussichtslose Situation geraten. Es werde auf die katastrophale Sicherheitslage in Afghanistan und die fehlende Existenzmöglichkeit des BF im Falle einer Rückkehr hingewiesen. Dies würde eine Verletzung der durch Art. 2 bzw. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten, weshalb in eventu subsidiärer Schutz zu gewähren sei. Der BF habe große Anstrengungen zu seiner Integration unternommen, sei bemüht, die deutsche Sprache zu lernen und habe soziale Kontakte in Österreich entwickelt. Eine Rückkehrentscheidung sei unzulässig.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung legte das erkennende Gericht dem BF erneut das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 30.01.2018 sowie einen Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 vor. Dem BF wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Dem BF wurde eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

Der BF gab mit Eingabe vom 02.05.2018, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, eine Stellungnahme zu den in der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Länderberichten ab. Darin brachte er im Wesentlichen das Gleiche vor, wie bereits in der Stellungnahme vom 18.04.2018. Asylrelevante Verfolgung des BF bestehe einerseits wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, bzw. aus politischen Gründen aufgrund der von ihm angeführten Verfolgung, vor der ihn zu beschützen die afghanischen Behörden nicht in der Lage und auch nicht willig seien, andererseits aufgrund seiner westlichen Lebensausrichtung, die sich in seiner tiefen Integration in Österreich und seiner Annahme der österreichischen Lebensart zeige, die der konservativ-islamischen Gesellschaftsordnung in Afghanistan widerspreche. Darüber hinaus sei der BF aufgrund seiner Eigenschaft als Hazara als besonders vulnerabel anzusehen, auch im Hinblick darauf, dass Afghanistan ohnehin für ihn ein fremdes Land sei. Die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich massiv verschlechtert. Für den BF bestehe daher die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung, besonders da er über kein familiäres Auffangnetz mehr verfüge, das ihm bei einer Reintegration behilflich sein könnte. Eine Rückkehrentscheidung sei aufgrund der Anstrengungen des BF zu seiner Integration und des Umstandes, dass er sowohl arbeitsfähig wie -willig sei, unzulässig.

Mit Schreiben vom 10.07.2018 übermittelte das BVwG dem BF, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, das aktuelle Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 29.06.2018 und räumte ihm eine Stellungnahmemöglichkeit ein.

Der BF führte in seiner Stellungnahme vom 18.07.2018 (eingelangt am 23.07.201) durch seinen bevollmächtigten Vertreter aus, dass die Bedrohungssituation in Afghanistan durch die von UNHCR zitierten potentiellen Risikoprofile belegt sei. Die Sicherheitslage sei in ganz Afghanistan weder sicher noch stabil. Insbesondere die Lage in Kabul habe sich durch zahlreiche Terroranschläge im letzten Halbjahr 2018 verschlechtert. Dem Gutachten Stahlmann vom 28.03.2018 könne man entnehmen, dass junge afghanische Männer eher der Gefahr ausgesetzt seien, Opfer von Moren durch terroristische Gruppierungen zu werden. Dieses Gutachten würde auch belegen, dass ausgerechnet junge Menschen, sowohl von Regierungsseite als auch von Nicht-Regierungsseite, konstant ausgenützt werden würden. Menschen, die aufgrund des Aufenthaltes im Ausland keine soziale Bindung zum Herkunftsstaat mehr haben oder kein (familiäres) Auffangnetz im Herkunftsstaat besitzen würden, seien eher der Gefahr ausgesetzt, in einen dieser Kreise zu gelangen, als Personen, die durchgehend in Afghanistan gelebt haben würden. Zudem sei es notwendig, dass die Situation der Hazara entsprechend berücksichtigt werde. Auch die Afghanistan Experten Thomas Ruttig und Michael Daxner hätten dies in einem zitierten Expertengespräch am 04.05.2016 bestätigt. Auch der Umstand, dass eine Person aufgrund seines Verhaltens als "verwestlicht" angesehen werde, könne eine Gefahr darstellen. Es sei allgemein bekannt, dass verwestlichte Personen von terroristischen Gruppierungen als Feinde angesehen werden würden. Für den Fall der Abschiebung des BF bestehe eine reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung aufgrund der ausgesprochen schlechten Sicherheitslage in Afghanistan. Von einer Verbesserung der allgemeinen Situation in Afghanistan könne daher überhaupt keine Rede sein, auch nicht in Kabul, wo es regelmäßig zu furchtbaren Terroranschlägen mit dutzenden und hunderten Opfern komme. Die Länderberichte würden zeigen, dass eine Reintegration von afghanischen Flüchtlingen ausgesprochen schwierig sei, gerade für Flüchtlinge aus dem westlichen Ausland, und solche, die lange nicht mehr in Afghanistan gewesen seien. Es bestehe die Gefahr der Verfolgung des BF aufgrund seiner westlichen Lebensausrichtung, die sich in seiner tiefen Integration in Österreich und seiner Annahme der österreichischen Lebensart zeige, die der konservativ-islamischen Gesellschaftsordnung in Afghanistan widerspreche. Er ersuche daher, ihm internationalen Schutz zu gewähren, bzw. allenfalls darum, ihm subsidiären Schutz zu gewähren, oder eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Das BVwG führte am 07.08.2018 eine Auskunft im Strafregister durch, wonach für den BF im Strafregister der Republik Österreich keine Verurteilung aufscheint.

Das BVwG führte am 07.08.2018 eine Abfrage im Betreuungsinformationssystem durch, wonach der BF seit seiner Ankunft in Österreich Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

o Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF trägt den Namen XXXX, auch XXXX und ist in im Dorf XXXX, in der Provinz Parwan, Afghanistan geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Zur Identifikation im Verfahren wird das Geburtsdatum mit XXXX festgelegt.

Die Muttersprache des BF ist Dari.

Der BF verließ als Kleinkind gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan und lebte sodann im Iran, genauer in XXXX. Die Familie hielt sich illegal im Iran auf.

Die Familie des BF besteht aus seinem Vater XXXX, seiner Mutter XXXX, seinen Brüdern XXXX undXXXX und seiner SchwesterXXXX. Der Vater des BF lebte bis zuletzt weiterhin im Iran, es kann nicht festgestellt werden, wo er sich derzeit aufhält. Seine Mutter und seine Geschwister leben in Österreich.

Es kann nicht festgestellt werden, dass keine Verwandten des BF in Afghanistan leben.

Der BF besuchte im Iran sechs Jahre lang die Schule und hat vier Klassen abgeschlossen. Er hat keine Berufsausbildung, arbeitete jedoch im Iran unter anderem als Bauarbeiter, in der Landwirtschaft, in Fabriken und einer Werkstatt. Mit seinem daraus erzielten Einkommen trug er zum Familieneinkommen bei.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF reiste im April 2015 aus dem Iran aus und gelangte über die Türkei, Griechenland und weitere Staaten nach Österreich, wo er am 31.07.2015 illegal einreiste und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

o Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der BF hat den Iran aufgrund seines illegalen Aufenthaltsstatus und der damit verbundenen Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan sowie aufgrund der Tatsache, dass seine Mutter und Geschwister in Österreich leben, verlassen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsstaat Afghanistan aufgrund politischer, ethnischer, religiöser oder sonstiger Gründe konkret gegen ihn als Person gerichteter psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt war oder dass ihm eine solche Verfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsstaat Afghanistan im Fall einer Rückkehr eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung von staatlicher oder privater Seite zu befürchten hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich sein bisheriges Leben im Iran sowie in Europa aufgehalten hat bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus dem Iran und Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner "westlichen Wertehaltung" psychische und/oder physische Gewalt drohen würde.

o Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung im Juli 2015 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Die Mutter und die Geschwister des BF leben seit 2011 bzw. 2014 in Österreich, der Bruder XXXX in XXXX, die restliche Familie in XXXX. Eine Tante mütterlicherseits lebt ebenfalls in XXXX. Der BF lebt mit seiner Familie nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Der BF steht in regelmäßigem telefonischen Kontakt mit seiner Familie, etwa einmal monatlich besucht er seine Familie in XXXX.

Der BF besuchte zuletzt einen Deutschkurs auf Niveau A2 und verfügt nicht über erhebliche Kenntnisse der deutschen Sprache. Er besucht die Hauptschule. In seiner Freizeit geht der BF weder sportlichen noch kulturellen Aktivitäten nach. Er ist auch in keinem Vereinen aktiv. Er pflegt keinen freundschaftlichen Kontakt zu Österreichern.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

o Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem BF würde bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Parwan aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht-bzw. Schutzalternative zur Verfügung. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in der Stadt Kabul, liefe der BF nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist jung und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in der Stadt Kabul - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er hat im Iran bereits Berufserfahrung am Bau, in der Landwirtschaft, in Fabriken und einer Werkstatt gesammelt, die er in seinem Heimatstaat ebenfalls wird nutzen können.

Die Stadt Kabul ist von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.

Der BF ist gesund. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten, oder sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

Afghanistan in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018:

"...

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

• Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

• Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

• Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

• Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

• Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

• Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

• Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

• Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

• Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

• Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

• Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

• Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

• Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

• Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

• Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

• Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

• Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

• Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

• Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

• In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

• Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

• Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

• Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

...

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018;

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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