TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/25 99/20/0465

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Veröffentlicht am 25.11.1999
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §8;
AVG §66 Abs4;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;
FrG 1993 §37 Abs1 impl;
FrG 1993 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
MRK Art3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des PJ in Salzburg, geboren am 26. Februar 1982, vertreten durch die Stadtgemeinde Salzburg, Stadtjugendamt, diese vertreten durch Mag. Rainer Hessenberger, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Alter Markt 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Mai 1999, Zl. 210.032/0-V/15/99, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 6 Z 2 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone feststellenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein seinen Angaben nach am 26. Februar 1982 in Freetown geborener, am Tag der Asylantragstellung eingereister Staatsangehöriger von Sierra Leone, beantragte am 7. April 1999 Asyl und wurde am 22. April 1999 vor dem Bundesasylamt einvernommen. Er konnte kein Personaldokument vorweisen und gab an, noch nie einen Reisepass besessen zu haben. Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer vor, er sei aus Sierra Leone ausgereist, weil dort Krieg herrsche. Die Rebellen hätten das Haus, in dem er in Freetown gewohnt habe, niedergebrannt. Er habe um sein Leben gefürchtet. In einen anderen Teil von Sierra Leone habe er nicht flüchten können, weil überall Krieg sei. Auf den Vorhalt, nach "den vorliegenden Unterlagen" sei "in Freetown derzeit keine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Rebellen und staatlichen Gruppen", erwiderte der Beschwerdeführer, es sei dort Krieg. Der Beschwerdeführer sei nie politisch tätig gewesen und habe auch keine Probleme wegen seiner Religion gehabt. Die Frage, ob er "konkret gesucht" werde, beantwortete der Beschwerdeführer mit dem Hinweis, dass er den Rebellen nicht bekannt sei. Die Frage, ob er zurückkehren wolle, wenn "der angebliche Krieg" zu Ende sei, bejahte er.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 27. April 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 4 AsylG als offensichtlich unbegründet ab. In einem zweiten Spruchpunkt des Bescheides wurde ausgesprochen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer u.a. aus, er sei sehr unsicher und verwirrt. Sein Haus in Freetown sei von den Rebellen niedergebrannt worden. Er sei daraufhin geflohen und habe seine Mutter und seine Schwester zurücklassen müssen. Er wisse nicht, ob sie sich hätten retten können. Sein Vater sei ein Mitglied der Partei des Präsidenten Kabbah gewesen und schon 1997 von den Rebellen getötet worden. Der Beschwerdeführer sei in eine Kirche geflüchtet und von dort schließlich auf ein großes Schiff gebracht worden. Er habe in Erfahrung bringen wollen, was mit seiner Familie geschehen sei, aufgrund der kriegerischen Ereignisse und des Chaos dann aber doch das Schiff betreten. Es sei richtig, dass er sich auf einer Karte von Freetown nicht habe orientieren können. Dies deshalb, weil er nur vier Jahre in die Schule gegangen sei. Er könne nicht schreiben, verfüge über einen sehr geringen Bildungsstandard und habe noch nie vorher eine Landkarte gesehen. Im Rahmen der Einvernahme habe er einige konkrete Angaben gemacht, die seine Nationalität und Identität beweisen würden. So habe er bekannte Straßennamen aufgezählt, den Namen des internationalen Flughafens angegeben und eine bestimmte Baumart genannt, die nur im Landesinneren von Sierra Leone vorkomme. Er beantrage die Beiziehung eines namentlich genannten Studenten aus Sierra Leone als Sachverständigen hinsichtlich seiner Asylgründe und hinsichtlich der Angaben zu seiner Person und Nationalität. Die von ihm angegebenen Umstände, dass in Sierra Leone derzeit ein Bürgerkrieg tobe und sein Wohnhaus von den Rebellen niedergebrannt worden sei, stünden der Beurteilung seines Antrages als offensichtlich unbegründet entgegen.

Dem Ausspruch über die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone trat der Beschwerdeführer mit den Argumenten entgegen, er sei Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und die aktuelle militärische Lage sei extrem unsicher. Regierungs- und Rebellentruppen lieferten sich Kämpfe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nicht sicher machen würden. Sowohl aufgrund der geschilderten individuellen Fluchtgründe als auch der allgemein schlechten Sicherheitslage habe er im Falle einer Rückkehr mit unmenschlicher Behandlung zu rechnen. Sollte er in seine Heimat abgeschoben werden, würde er dort der Gefahr ausgesetzt sein, eine unmenschliche Behandlung durch die Behörden Sierra Leones oder durch die Rebellen zu erleiden. Eine gefahrlose Rückkehr könne nicht erfolgen, weil in Sierra Leone ein Bürgerkrieg herrsche und durch die Intensität der Kämpfe und die unerträglichen Lebensverhältnisse eine extreme allgemeine Gefahrenlage entstanden sei, bei der er im Falle einer Abschiebung mit schweren Rechtsgutsverletzungen rechnen müsse.

Zum Beweis hiefür legte der Beschwerdeführer mit der Berufung Auszüge aus einem Urteil eines deutschen Verwaltungsgerichtes vom Mai 1998 und aus einer vom Februar 1998 stammenden Auskunft von Amnesty International vor. In der Entscheidung des deutschen Verwaltungsgerichtes wurde in tatsächlicher Hinsicht dargelegt, in Sierra Leone sei durch die Intensität der Kämpfe, die unerträglichen Lebensverhältnisse und eine insgesamt katastrophale Lage eine extreme allgemeine Gefahrenlage entstanden, bei der praktisch jeder Ausländer im Falle seiner Abschiebung mit schweren Rechtsgutverletzungen rechnen müsse. Sierra Leone sei ein nach jahrelangem Bürgerkrieg in weiten Teilen zerstörtes Land, in dem ein Wirtschaftsleben nicht mehr existiere und die medizinische Versorgung nirgendwo gewährleistet sei. Nochmals drastisch zugespitzt habe sich die Situation durch die schweren Kämpfe im Februar 1998. Auch in der Folgezeit sei keine Beruhigung der Lage eingetreten. Angesichts des desolaten Zustandes des Landes und im Hinblick auf die in regelmäßigen Abständen besonders zu Lasten der Zivilbevölkerung immer wieder neu aufflammenden Kämpfe habe die Ablösung der AFRC-Regierung und Wiedereinsetzung des gewählten Präsidenten noch nicht zu einer Verbesserung der Lage geführt.

Darüber hinaus beantragte der Beschwerdeführer zu diesem Beweisthema seine persönliche Einvernahme und die Einholung von Stellungnahmen des UNHCR, von Amnesty International und des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte.

Mit dem angefochtenen, ohne weitere Ermittlungen und ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid entschied die belangte Behörde, die Berufung des Beschwerdeführers werde "gemäß § 6 Z. 2 AsylG abgewiesen" und es werde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei.

In der Begründung dieser Entscheidung ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer sei (gemeint: tatsächlich) Staatsangehöriger von Sierra Leone und am 7. April 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Als entscheidungswesentlicher Sachverhalt werde aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, dem insbesondere das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde gelegt worden sei, festgestellt, dass der Beschwerdeführer Sierra Leone aufgrund der Bürgerkriegsgeschehnisse, im Zuge deren auch sein Wohnhaus von Rebellen niedergebrannt worden sei, verlassen habe. Der Beschwerdeführer habe keinerlei persönliche Kontakte mit den Rebellen gehabt, sich nicht politisch betätigt und keine Probleme wegen seiner Religion gehabt.

Diesen Sachverhalt würdigte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht zunächst dahingehend, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers eindeutig jeder Grundlage entbehre und daher als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Z 2 AsylG abzuweisen sei. Die vom Beschwerdeführer unter ausschließlicher Berufung auf die Kriegsgeschehnisse in Sierra Leone behauptete "Verfolgungsgefahr" lasse sich ganz offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückführen und das Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Gefahr einer Verfolgung aus einem dieser Gründe bestehe.

Ihren Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone begründete die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht wie folgt:

"Die Berufungsbehörde gelangt weiters zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Berufungswerber im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Sierra Leone einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung nicht nur erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, sondern setzt gemäß dieser Judikatur die Glaubhaftmachung einer konkreten Gefährdungssituation auch das Feststehen der Identität des Fremden voraus. Wie unter Pkt. I. dargelegt, begründete der Berufungswerber seinen Asylantrag im Wesentlichen mit den in Sierra Leone herrschenden kriegerischen Auseinandersetzungen und stellen die allgemein im Heimatstaat des Berufungswerbers vorliegenden politischen Verhältnisse per se aber noch keinen hinreichenden Grund für die Annahme einer Gefährdung bzw. Bedrohung iSd § 57 Abs. 1 FrG dar.

Dem Berufungswerber ist es auch nicht gelungen, amtliche Dokumente oder Unterlagen beizuschaffen, weshalb vom Feststehen seiner Identität nicht ausgegangen werden kann.

Es war daher schon aus diesen Gründen spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999 (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der im Art. I Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe(n) besteht.

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nach § 57 FrG zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden (§ 8 AsylG). Wird ein Bescheid, mit dem ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde, von der Berufungsbehörde bestätigt, so hat sie ihrerseits jedenfalls eine Feststellung gemäß § 8 AsylG zu treffen (§ 32 Abs. 2 letzter Satz AsylG).

Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Gemäß § 57 Abs. 2 und 4 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder - mit einer für den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Einschränkung - Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 FlKonv).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zwar in der Berufung angegeben, sein 1997 von den Rebellen getöteter Vater sei ein Mitglied der Partei des Präsidenten Kabbah gewesen. Einen Zusammenhang zwischen dieser Parteimitgliedschaft seines Vaters und der Flucht des Beschwerdeführers aus der in seinem Heimatland herrschenden Bürgerkriegssituation - etwa in dem Sinn, dass der Beschwerdeführer wegen der Parteimitgliedschaft seines Vaters einer zusätzlichen Gefährdung ausgesetzt gewesen sei - hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren aber nicht hergestellt. Ein solcher Zusammenhang oder ein Zusammenhang zwischen der behaupteten Gefährdung des Beschwerdeführers und seiner eigenen politischen Gesinnung oder einem anderen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe wird auch in der Beschwerde in Verbindung mit den dort vorgetragenen Verfahrensrügen nicht dargetan, weshalb sich eine Auseinandersetzung mit letzteren hier erübrigt. Die belangte Behörde hat dadurch, dass sie ihre Entscheidung auf eine andere als die von der Behörde erster Instanz herangezogene Ziffer des § 6 AsylG stützte, auch nicht die "Sache" des abgekürzten Berufungsverfahrens überschritten.

Die Beschwerde war daher insoweit, als sie sich gegen die Abweisung des Asylantrages richtet, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

In Bezug auf ihre Begründung für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone ist der belangten Behörde in der Ansicht beizupflichten, "die allgemein im Heimatstaat des Berufungswerbers vorliegenden politischen Verhältnisse per se" seien noch kein hinreichender Grund für die Annahme einer Gefährdung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG. Das heißt aber nicht, dass eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in den Staat, in dem diese Gefahrenlage herrscht, abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat nicht entgegenstünde (vgl. zur insoweit gleichen Rechtslage nach dem FrG 1992 im Einzelnen die Erkenntnisse vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, vom 6. November 1998, Zl. 97/21/0504, vom 18. Dezember 1998, Zl. 95/21/1028, vom 12. Februar 1999, Zl. 95/21/1097, vom 12. April 1999, Zl. 95/21/1104, vom 12. April 1999, Zl. 95/21/1074, und vom 18. Mai 1999, Zl. 96/21/0037). Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG gewertet werden, steht im Widerspruch zur Rechtslage (vgl. zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 37 Abs. 1 FrG 1992 die Erkenntnisse vom 12. Februar 1999, Zl. 95/21/1097, und vom 12. April 1999, Zl. 95/21/1104).

Aufgrund der in der Berufung erhobenen Behauptung des Beschwerdeführers, eine derartige extreme Gefahrenlage sei in Sierra Leone gegeben, hätte sich die belangte Behörde daher unter Berücksichtigung der mit der Berufung vorgelegten Urkunden und der in der Berufung gestellten weiteren Beweisanträge mit der Frage auseinander zu setzen gehabt, ob eine solche Gefahrenlage im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung bestand. Diese Frage wäre auch von Amts wegen zu prüfen gewesen, weil schon den allgemein zugänglichen Informationsquellen, wie etwa den in Österreich erscheinenden Tageszeitungen, zu entnehmen war, dass der Bürgerkrieg im Heimatland des Beschwerdeführers mit der Einnahme Freetowns durch die "Revolutionäre Vereinigte Front" im Jänner 1999 in eine Phase besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung, vor allem auch gegenüber der Zivilbevölkerung, eingetreten war. Notorische Entwicklungen dieser Art sind von Spezialbehörden wie dem Bundesasylamt und dem unabhängigen Bundesasylsenat auch von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. dazu - im Zusammenhang mit der Beurteilung von Asylanträgen - etwa das Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287, und daran anschließende Erkenntnisse).

Ein Grund, davon Abstand zu nehmen, konnte für die belangte Behörde auch nicht darin bestehen, dass der Beschwerdeführer über kein Ausweispapier verfügte. Die Ansicht, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers sei zulässig, weil es ihm "nicht gelungen" sei, "amtliche Dokumente oder Unterlagen beizuschaffen", widerspricht schon deshalb der Rechtslage, weil die Identität des Betroffenen für dessen Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG im Falle einer Gefahrenlage der beschriebenen Art keine Rolle spielt. Das Feststehen der Identität (unter Einschluss des "genauen Wortlauts" des Namens, vgl. etwa den im Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 95/18/1094, wiedergegebenen Sachverhalt) ist aber auch dort keine besondere gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung von Abschiebungsschutz, wo die geltend gemachte Bedrohung sich nicht aus einer derartigen allgemeinen Gefahrenlage ergeben soll. Fragen der Identität spielen nur insoweit eine Rolle, als Zweifel an den diesbezüglichen Angaben des Fremden - im Besonderen daran, dass er "derjenige sei, als der er sich ausgebe" - zu dem Ergebnis führen, seine behauptete Bedrohung sei nicht glaubhaft. In diesem Sinn sind auch die von der belangten Behörde offenbar gemeinten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Februar 1997, Zl. 97/18/0061, vom 17. Februar 1998, Zl. 97/18/0198, und vom 15. Oktober 1998, Zl. 95/18/1094, zu verstehen. Im vorliegenden Fall ist die belangte Behörde davon ausgegangen, die Angaben des Beschwerdeführers - im Besonderen auch zu seiner Herkunft aus Sierra Leone - entsprächen der Wahrheit, wobei nicht erkennbar ist, dass und warum dies nach Ansicht der belangten Behörde gerade auf die Angabe des Namens des Beschwerdeführers und seiner sonstigen Personalien nicht zutreffen sollte. Die Ansicht, es bedürfe "amtlicher Dokumente oder Unterlagen" aus dem Herkunftsstaat, um Abschiebungsschutz zu erlangen, verstieße unter diesen Umständen auch im Falle der Geltendmachung einer auf die Person des Beschwerdeführers zugeschnittenen Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG gegen das Gesetz.

In seinem zweiten, die Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone betreffenden Spruchpunkt war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren ist noch darauf hinzuweisen, dass die grundsätzliche Pflicht der belangten Behörde zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung auch dann zu beachten ist, wenn die Voraussetzungen für ein Absehen von einer Verhandlung nur in Bezug auf die zu treffende Entscheidung über den Abschiebungsschutz nicht gegeben sind.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 25. November 1999

Schlagworte

Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999200465.X00

Im RIS seit

08.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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