Entscheidungsdatum
13.08.2018Norm
ASVG §252Spruch
W164 2140904-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , STA Österreich, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Döller, Wien, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, vom 19.10.2016, Zl. WLZ2/ XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Zur Vorgeschichte:
Mit Antrag vom 20.11.2006 hatte die nunmehrige Beschwerdeführerin (=BF) bei der Pensionsversicherungsanstalt die Zuerkennung der Waisenpension ab 01.12.2006 nach ihrem am XXXX verstorbenen Vater, XXXX beantragt.
Die PVA hatte diesen Antrag mit Bescheid vom 31.05.2007, WLZ2- XXXX /3/02, abgelehnt und in der Begründung ausgesprochen, dass die BF nicht seit der Vollendung des 18. Lebensjahres infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig sei.
Die von der BF gegen diesen Bescheid erhobene Klage hatte das Arbeits- und Sozialgericht Wien mit Urteil vom 26.02.2008, GZ 28 Cgs 150/07i-16 nach Einholung medizinischer Sachverständigengutachten abgewiesen.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung hatte das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 29.10.2008 10 Rs 119/08f keine Folge gegeben.
Am 20.3.2014 hatte die nunmehrige BF erneut bei der Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Zuerkennung der Waisenpension erhoben. Diesen Antrag hatte die PVA mit Bescheid vom 7.4.2014, WLZ2 XXXX 303 mit der Begründung zurückgewiesen, dass bereits über den Antrag der BF vom 20.11.2006 mit dem nun als rechtskräftig zu betrachtenden Bescheid der PVA vom 31.05.2007 entschieden worden sei und sich seit dieser Entscheidung weder Änderungen in der Sachlage noch in der Rechtslage ergeben hätten. Der Bescheid vom 07.04.2014 wurde rechtskräftig.
Zum nun anhängigen Verfahren:
Mit 16.03.2016 beantragte die BF erneut die Zuerkennung der Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus nach ihrem am 03.10.1993 verstorbenen Vater.
Mit Bescheid vom 19.10.2016, Zl. WLZ2/ XXXX wies die Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden belangte Behörde, =PVA) diesen Antrag zurück, dies mit der Begründung, der neue Antrag habe die sachliche Behandlung der bereits mit Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.02.2008, GZ 28 Cgs 150/07i-16 entschiedenen Sache zum Gegenstand. Der für die Gewährung der Waisenpension heranzuziehende Stichtag sei durch den Todestag des Vaters der Beschwerdeführerin festgelegt. Es sei weder eine Änderung der für die Beurteilung als maßgeblich erachteten Umstände (insbesondere hinsichtlich der Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 ASVG idgF) noch in der maßgebenden Rechtslage eingetreten. Einer neuerlichen Sachentscheidung stehe die Rechtskraft des Bescheides vom 31.05.2007 entgegen. Das Vorbringen der BF, die Kindeseigenschaft wegen Erwerbsunfähigkeit, wäre nach Beendigung der Erwerbstätigkeit wieder aufgelebt, sei nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht und zulässig Beschwerde und brachte vor, sie sei zwar von XXXX 1989 bis XXXX 2001 bei der XXXX beschäftigt gewesen. Diese Beschäftigung sei aber ein vergeblicher Versuch der BF gewesen, sich in das Erwerbsleben einzugliedern. Tatsächlich sei die BF erwerbsunfähig gewesen. Sie habe auf Kosten ihrer Gesundheit trotzdem gearbeitet. Seit 1.12.2002 beziehe die BF durchgehend Berufsunfähigkeitspension. Seit 1.12.2002 beziehe sie weiters Pflegegeld der Stufe 1, seit 1.3.2004 Pflegegeld der Stufe 2 und seit 1.7.2006 Pflegegeld der Stufe 3. Letzteres sei der BF unbefristet zuerkannt worden.
Dem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.02.2008, GZ 28 Cgs 150/07i-16 sei das am 26.08.2008 geltende Recht zu Grunde gelegen. Am 01.07.2014 sei durch BGBl I Nr 56/2014 dem § 252 ASVG ein Abs 3 angefügt worden, demzufolge die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 3 ASVG, die wegen Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit weggefallen sei, mit Beendigung dieser Erwerbstätigkeit wieder auflebe, wenn Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechen weiterhin vorliege. Die BF sei somit durchgehend "Kind" iSd § 252 ASVG gewesen. Aufgrund der seit 01.07.2014 geltenden Rechtslage habe zu gelten, dass die Kindeseigenschaft der BF spätestens mit Beendigung ihrer Tätigkeitbei der XXXX wieder aufgelebt sei. Die BF habe daher Anspruch auf Waisenpension.
Die PVA gehe von der falschen Rechtsansicht aus, dass das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26.02.2008, GZ 28 Cgs 150/07i-16 und der rechtskräftige Bescheid der PVA vom 07.04.2014 einer neuen Sachentscheidung entgegenstünden. Dabei übersehe die PVA, dass dem genannten Urteil die am 26.02.2008 geltende Rechtslage zu Grunde liege. Dem Bescheid der PVA vom 07.04.2014 liege die am 07.04.2014 geltende Rechtslage zu Grunde. Infolge der am 01.07.2014 mit BGBl I Nr 56/2014 vorgenommene Änderung des § 252 ASVG treffe auf die Beschwerdeführerin die Kindeseigenschaft ab Beendigung der Erwerbstätigkeit zu. Es sei auf die Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen. Die oben genannten Entscheidungen seien als Folge der Gesetzesänderung nicht präjudiziell. Die PVA hätte den verfahrensgegenständlichen Antrag anhand der neuen Gesetzeslage beurteilen und in der Sache selbst entscheiden müssen anstatt ihn zurückzuweisen. Der Beschwerdebegründung, einer neuerlichen Sachentscheidung würde die Rechtskraft des Bescheides vom 31.05.2007 entgegenstehen, sei zu entgegnen, dass dieser Bescheid durch die gegen ihn an das Arbeits- und Sozialgericht Wien erhobene Klage gemäß § 71 ASGG außer Kraft getreten sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Bezüglich der Feststellung des Sachverhaltes wird auf die unter Punkt I. "Verfahrensgang" gemachten Ausführungen verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt des Verwaltungsverfahrens und wurde von keiner Verfahrenspartei bestritten. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung erscheint nicht geboten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch Senat. Die vorliegende Angelegenheit ist nicht von § 414 Abs. 2 ASVG umfasst. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
Verwaltungssache oder Leistungssache/Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:
Gemäß Art 131 Abs. 2 B-VG erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden in Rechtssachen in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Nach Maßgabe des Art 131 Abs 4 Z 2 lit b B-VG kann mit Bundesgesetz auch in Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte des Bundes vorgesehen werden. Ein derartiges Bundesgesetz darf nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden. Der Bundesgesetzgeber hat auf diesem Weg mit Zustimmung der Länder die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Beschwerden gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen der Sozialversicherung beschlossen.
Der verfahrensgegenständliche Antrag auf Bescheiderlassung begehrt eine Entscheidung der belangten Behörde über eine Leistungssache der Sozialversicherung. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage der Rechtsmäßigkeit der von der belangten Behörde verfügten Zurückweisung.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs stellt die Zurückweisung eines Antrages in einer Leistungssache (etwa eines Antrages auf Gleitpension oder Versehrtenrente) wegen entschiedener Sache eine Verwaltungssache iSd § 355 ASVG dar, über welche die Rechtsmittelbehörde dahingehend zu entscheiden hat, ob eine entschiedene Sache vorliegt oder nicht (vgl. VwGH 30.06.2009, 2006/08/0267; 06.06.2012, 2009/08/0226). In seinem Erkenntnis 2010/08/0110 vom 17.10.2012 hat der Verwaltungsgerichtshof (bezogen auf eine amtswegig verfügte Wiederaufnahme) ausgesprochen, dass der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers, mit dem in einer Leistungssache die Wiederaufnahme verfügt wird, im Verwaltungsweg zu bekämpfen ist.
Gestützt auf diese Entscheidung hat das BVwG mit seinem Erkenntnis W164 2004664-1/E seine Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme einer Leistungssache wahrgenommen. Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision hat der VwGH mit Beschluss 2014/08/0006 vom 24.11.2014 zurückgewiesen, ohne der so wahrgenommenen Zuständigkeit zu widersprechen.
Auch im hier vorliegenden Fall liegt somit eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG vor. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist gegeben.
Frage der entschiedenen Sache:
Da im vorliegenden Fall zu prüfen ist, ob die von der PVA vorgenommene Zurückweisung wegen entschiedener Sache der von der PVA anzuwendenden Rechtslage entsprach, war § 68 AVG in der anzuwendenden Fassung heranzuziehen.
Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(Abs2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
[...]
(Abs 4) Außerdem können Bescheide von Amts wegen in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid
1. von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde,
2. einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde,
3. tatsächlich undurchführbar ist oder
4. an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler leidet.
Quelle: Hengstschläger/Leeb, AVG § 68, Stand 1.3.2018, rdb.at, mit
Hinweisen zu einschlägiger Judikatur:
Ziel und Zweck dieser Regelung ist es, die Bestandskraft von Bescheiden zu schützen. Eine Aufhebung oder Abänderung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde, insb der im Spruch des Bescheides getroffenen normativen Anordnung, außerhalb des Rechtsmittelverfahrens soll nur unter bestimmten, vom Gesetz eng begrenzten Voraussetzungen zulässig sein.
Auch rechtswidrige Bescheide erwachsen in materielle Rechtskraft. Die materielle Rechtskraft (die Unabänderlichkeit/Unwiderrufbarkeit sowie die Unwiederholbarkeit) des Bescheides steht einer weiteren Entscheidung in derselben Sache entgegen. Gegenstand der materiellen Rechtskraft ist der konkrete Norminhalt des infrage stehenden Bescheides dh der im Bescheid getroffene Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen Sachverhalt zum Ausdruck kommt. Durch eine Änderung der entscheidungsrelevanten Fakten verliert die Sache ihre ursprüngliche Identität, es liegt eine andere Sache vor, über die durch Bescheid abgesprochen werden kann bzw muss.
Identität der Sache ist nach der stRsp des VwGH dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, welcher dem Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Bei der Beurteilung der "Identität der Sache" ist in primär rechtlicher (und nicht etwa in rein technischer oder mathematischer) Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Behörde hat die Identität der Sache im Vergleich mit dem im Vorbescheid angenommenen Sachverhalt im Lichte der darauf angewendeten (insb materiellrechtlichen) Rechtsvorschriften zu beurteilen und sich damit auseinanderzusetzen, ob sich an diesem Sachverhalt oder seiner "rechtlichen Beurteilung" (an der Rechtslage) im Zeitpunkt ihrer Entscheidung über den neuen Antrag eine wesentliche Änderung ergeben hat.
Bei der Prüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich geändert hat, ist vom Vorbescheid auszugehen, ohne dabei dessen sachliche Richtigkeit (nochmals) zu ergründen. Daher liegt Identität der Sache auch dann vor, wenn die Behörde die Rechtsfrage aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens (oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung) entschieden hat. Bei nach Erlassung des Bescheides hervorgekommenen Umständen, welche dessen Unrichtigkeit dartun, handelt es sich nicht um eine Änderung des Sachverhalts. Nur ein zeitlich, örtlich oder sachlich differentes Geschehen kann als anderer Sachverhalt angesehen werden, nicht auch die neue Beurteilung eines bereits einer Entscheidung zugrunde gelegten, im Vorverfahren bewerteten Sachverhalts.
Wesentlich ist eine Änderung des Sachverhalts nur dann, wenn sie für sich allein oder iVm anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann, und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist. Die Behörde hat eine Prognose zu erstellen, ob die geänderten Umstände geeignet sein könnten, zu einer neuen rechtlichen Beurteilung zu führen. Zu ermitteln ist die Wesentlichkeit einer Sachverhaltsänderung dabei nach der Wertung, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen rechtskräftigen Entscheidung erfahren hat. Eine Modifizierung der Sachlage, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern.
Behauptet die Partei in einem neuen Antrag, dass in den für die Beurteilung ihres Begehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, so muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz für das Verfahren zukommt und an den die Prognose anknüpfen kann, dass eine andere Beurteilung des Antrages und ein anderes Verfahrensergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der neuerliche Antrag zulässig oder wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist, mit der Glaubwürdigkeit des neuen Vorbringens betreffend die Änderung des Sachverhalts "beweiswürdigend" auseinanderzusetzen; die Behörde hat sich mit dem Vorbringen der Partei, wonach sich die maßgeblichen Umstände geändert haben, hinreichend auseinanderzusetzen und darf den neuerlichen Antrag nicht - ohne darauf entsprechend einzugehen - wegen entschiedener Sache zurückweisen. Bestätigt das VwG die Zurückweisung, indem es die Beschwerde dagegen abweist, ohne sich selbst mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dh mit der Frage, ob und inwieweit sich die maßgeblichen Umstände geändert haben, ausreichend auseinanderzusetzen, belastet es seine Entscheidung mit Willkür, wodurch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt wird (VfGH 19. 9. 2014, U 2674/2013).
Das VwG hat auch zu prüfen, ob sich die Sach- und Rechtslage seit der Stellung eines neuerlichen Antrages, der von der Behörde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, geändert hat. Es darf nicht die Frage, ob res iudicata vorliegt, nach dem Sachverhalt beurteilen, der der Verwaltungsbehörde zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorlag.
Nicht in allen Fällen hat die Änderung der Sachlage oder der Rechtslage zur Folge, dass eine neue "Sache" vorliegt, die eine neue, geänderte Entscheidung der Verwaltungsbehörde zulässt. Dies hängt unter anderem davon ab, welche Bedeutung die maßgeblichen Rechtsvorschriften einer Änderung der Sachlage für die (Un-)Abänderbarkeit des früher ergangenen Bescheides beimessen. Bei Bescheiden mit Dauerwirkung (bei "dynamischen" oder "Dauerrechtsverhältnissen" kann sich aus dem Sinn und Zweck ihrer rechtlichen Grundlagen oder ihrer normativen Aussage ergeben, dass sie von vornherein auch dann weiterhin Geltung beanspruchen, wenn sich die Sachlage ändert. Zum Beispiel deuten Bestimmungen, die für die Abänderung oder Aufhebung von Bescheiden spezielle sachliche Voraussetzungen festlegen darauf hin, dass außerhalb dieser Voraussetzungen liegende Änderungen der Sachlage einen Widerruf oder die Abänderung der Entscheidung nicht zu rechtfertigen vermögen, sondern solche Bescheide ansonsten - unabhängig vom Fortbestehen der Sachlage, die für ihren Inhalt ausschlaggebend war - grundsätzlich Geltung haben sollen. Ähnliches gilt für Rechtsvorschriften, die darauf abstellen, dass die sachlichen Voraussetzungen nur im Zeitpunkt der Erteilung der Berechtigung oder der Entscheidung über die Verpflichtung vorliegen müssen. Auch daraus lässt sich ableiten, dass der spätere Wegfall der Voraussetzungen ohne Bedeutung ist und keine neue Entscheidung in der Sache zulässt.
Identität der Rechtslage liegt vor, wenn seit der Erlassung des Bescheides, dessen Abänderung begehrt wird, in den die Entscheidung tragenden Normen, in der Rechtslage, auf welche die Behörde den Bescheid gestützt hat, keine wesentliche, dh die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides ermöglichende oder gebietende Modifikation eingetreten ist. Dementsprechend stellt eine bloße Neuerlassung der gleichen Norm mit unverändertem Inhalt keine maßgebende Änderung der Rechtslage dar. Die Behörde hat von dem im Vorbescheid angenommenen Sachverhalt im Lichte der darauf angewendeten Rechtsvorschriften auszugehen und zu beurteilen, ob dieser Sachverhalt nach der neuen Rechtslage zu einem anderen Ergebnis in der Sache, zu einem anderen Norminhalt des Bescheides, führen würde. Von einer geänderten Rechtslage kann nur dann gesprochen werden, wenn sich die gesetzlichen Vorschriften, die tragend für die Entscheidung waren, nachträglich so geändert haben, dass sie, wären sie schon vorher existent gewesen, eine andere Entscheidung aufgetragen oder ermöglicht hätten. Bedeutsam kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand oder eine allfällige Änderung der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts. Eine Änderung der Rechtslage kann sich auch aus neuen unionsrechtlichen Normen ergeben.
Nur wenn sich die Rechtslage geändert hat und aufgrund der veränderten Rechtslage ein anderes Sachergebnis möglich ist, liegt keine Identität der Sache mehr vor. Für die Beurteilung der Identität der (Sach- und) Rechtslage ist der Bescheid heranzuziehen, mit dem materiellrechtlich über den Antrag entschieden wurde, und nicht der Bescheid, mit dem bereits ein weiterer Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde.
Wie der VfGH betont, ist die Frage, ob entschiedene Sache wegen "Identität der Rechtslage" vorliegt, nicht anhand der einschlägigen materiellen Rechtsvorschriften, sondern ausschließlich aufgrund jener Rechtslage zu beurteilen, die im angefochtenen Bescheid "angenommen worden war". Daher kommt es beispielsweise auch bei einer materiell rechtswidrigen, jedoch in Geltung gesetzten Entscheidung nicht auf die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung tatsächlich gegebene, sondern auf die von der Behörde rechtsirrig angenommene Rechtslage an, auf die sie bei der Erledigung eines Begehrens auf neuerliche Sachentscheidung nach Art eines Tatbestandsmerkmals Bedacht zu nehmen hat
Beruft sich die Partei aber zu Recht auf eine neue (im für die ursprüngliche Entscheidung maßgeblichen Punkt für sie günstigere) Rechtslage, kann ihr - selbst wenn der nunmehrige mit dem ursprünglich eingebrachten Antrag ident ist - nicht entgegengehalten werden, dass res iudicata vorliege, weil es sich infolge der geänderten Rechtslage in rechtlicher Hinsicht um eine andere Sache handelt.
Identität der Sache liegt außerdem nur dann vor, wenn bei gleich gebliebener maßgeblicher Sach- und Rechtslage auch das neue Parteienbegehren im Wesentlichen, dh abgesehen von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, mit dem früheren Begehren übereinstimmt, also in derselben "Sache" eine nochmalige Entscheidung fordert.
Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:
§ 252 ASVG, soweit für den Fall der BF relevant, lautet:
Zufolge § 252 Abs 1 ASVG gelten als Kinder bis zum vollendeten 18 Lebensjahr [...] Kinder, Wahlkinder, Stiefkinder und Enklel der versicherten Person.
Zufolge § 252 Abs 2 ASVG verlängert sich die Kindeseigenschaft über das 18 Lebensjahr hinaus, solange sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht (Abs 2 Z 1) bzw. darüber hinaus, solange das Kind seit dem Ablauf dieses Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist (Abs 2 Z 3).
Mit BGBl I Nr 56/2014 vom 01.07.2014 wurde dem § 252 Abs 2 ASVG ein Abs 3 angefügt, der lautet:
"Die Kindeseigenschaft nach Abs. 2 Z 3, die wegen Ausübung einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit weggefallen ist, lebt mit Beendigung dieser Erwerbstätigkeit wieder auf, wenn Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens weiterhin vorliegt."
Die BF begehrt
1) die Feststellung, dass sie bereits bei Beendigung ihrer Schul- bzw. Berufsausbildung erwerbsunfähig gewesen sei, dass die von ihr aufgenommene Beschäftigung ein nur vergeblicher Versuch der BF gewesen sei, sich in das Erwerbsleben einzugliedern und dass die BF trotz Erwerbsunfähigkeit (auf Kosten ihrer Gesundheit) gearbeitet habe.
2) die Feststellung, dass kraft des mit BGBl I Nr 56/2014 vom 01.07.2014 geschaffenen § 252 Abs 3 ASVG die Kindeseigenschaft der BF nach Beendigung der genannten Erwerbstätigkeit wieder aufgelebt sei.
Zu 1) Über die Frage der Erwerbsunfähigkeit der BF im Zeitpunkt der Beendigung ihrer Schul- bzw. Berufsausbildung (Handelsschule), im Juni 1989, hat das im Klagsweg angerufene Arbeits- und Sozialgericht Wien mit seinem Urteil 28 Cgs 150/07i vom 26.02.2008 entschieden. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien hat das Klagebegehren, die Pensionsversicherungsanstalt sei schuldig, der nunmehrigen BF eine Waisenpension ab 1.12.2006 im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, abgewiesen. Das Arbeits- und Sozialgericht Wien stützte sich dabei auf die Feststellung, dass die BF am 30.06.1989 für leichte Arbeiten in der üblichen Arbeitszeit und mit den üblichen Arbeitspausen geeignet gewesen sei, dass ihre Fingerfertigkeit ungestört gewesen sei, dass sie für Arbeiten mit durchschnittlichem psychischen Anforderungsprofil unterweisbar gewesen sei, dass ihr besonderer Zeitdruck zweidrittelzeitig zumutbar gewesen sei und dass lediglich Nachtschichten, das Lenken von Fahrzeugen und Arbeiten an exponierten Stellen ausscheiden würden weit das dass die Kommunikationsfähigkeit ohne Beeinträchtigung gegeben gewesen sei und dass ihr Aufsichtstätigkeiten und Mängel Leistungen möglich gewesen seien, weiters dass der Anmarschweg zur Arbeitsstätte nicht eingeschränkt gewesen sein und dass im Jahr 1989 von einer Krankenstandsprognose im Ausmaß von fünf Wochen pro Jahr auszugehen gewesen sei, wobei in den Jahren 1989-1992 die Krankenstandsanfälligkeit der BF höher gewesen sei, als in den Jahren 1992-1998.
Der gegen diese Entscheidung erhobene Berufung hat das OLG Wien mit Urteil vom 29.10.2008 GZ 28 CGs 10 Rs 119/08f keine Folge gegeben. Die genannte Entscheidung wurde rechtskräftig.
Daraus ist für den vorliegenden Fall zu schließen, dass über die von der BF beantragte Sache bereits den Gegenstand einer im Wege der sukzessiven Kompetenz nach Klage gegen einen leistungsrechtlichen Bescheid der PVA ergangenen gerichtlichen Entscheidung gebildet hat und abschließend entschieden wurde. Die genannte gerichtliche Entscheidung hat die von der PVA im erstinstanzlichen Bescheid vom 31.05.2007 vertretene Rechtsansicht im Ergebnis bestätigt. Es liegt diesbezüglich entschiedene Sache vor.
Zu 2)
Zu prüfen bleibt, ob der aktuell geltende § 252 Abs 3 ASVG, der zum Zeitpunkt der genannten Gerichtsentscheidung, noch nicht in Geltung stand, für die BF insoweit eine geänderte Rechtslage bildet, als ihre (zum Zeitpunkt Beendigung ihrer Schul- bzw. Berufsausbildung bereits beendete - siehe "Zu1)") Kindeseigenschaft nach Beendigung ihrer die Pflicht(voll)versicherung nach ASVG begründenden
Erwerbstätigkeit wieder aufleben konnte:
Dazu ist folgendes auszuführen:
§ 252 Abs 3 ASVG knüpft nach seinem klaren Wortlaut an den Bestand der Kindeseigenschaft iSd § 252 Abs 2 Z 3 ASVG, setzt also voraus, dass bereits (mit Fokus auf die BF) bei Beendigung der Schul- bzw. Berufsausbildung Erwerbsunfähigkeit gegeben war.
Der OGH hat in seinem Erkenntnis 10 ObS 144/00z vom 05.012.2000 (bezogen auf einen Fall des GSVG) zur Streitfrage, ob die Kindeseigenschaft isd § 128 GSVG nach ihrer Beendigung wiederaufleben kann, wenn nachträglich Erwerbsunfähigkeit eintritt, ausgesprochen: Die Absicht des Gesetzgebers liegt darin, Versorgungsansprüche eines Kindes zu erhalten, nicht aber Versorgungsansprüche für Personen neu zu schaffen, die erst später ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben. Die Erwerbsunfähigkeit nach § 128 Abs 2 Z 2 GSVG (Anm: =aktuell Z3) muss bereits vor den beiden genannten Zeitpunkten (Vollendung des 18. Lebensjahres oder Ablauf des in Z 1 genannten Zeitraumes) eingetreten sein und über diese Zeitpunkte hinaus andauern (vgl. Sonntag, in ASVG Jahreskommentar, Hrsg. Sonntag, 9. Auflage 2018, Verlag Linde, RZ 30 zu § 252 mit Verweis aus Rechtssatznummer RS011389; 10ObS144/00z; 10ObS14/10x; 10ObS59/16y, 10 ObS209/00h).
Auch der Ausschussbericht 236, XXV GP zu BGBl I Nr 56/2014 zeigt, dass mit der Schaffung des § 252 Abs 3 ASVG für Personen, die von § 252 Abs 2 Z 3 erfasst sind, also üblicherweise in Tageswerkstätten im Rahmen einer Beschäftigungs- und Arbeits-Therapie tätig werden und für ihre Tätigkeit lediglich ein Taschengeld erhalten, die Gewissheit geschaffen werden soll, dass ihre Waisenpension auch nach dem Scheitern eines Arbeitsversuchs am offenen Arbeitsmarkt wieder aufleben kann.
Zielgruppe des § 252 Abs 3 ASVG sind also zweifellos ausschließlich Personen die bereits im Zeitpunkt der Beendigung ihrer Kindeseigenschaft erwerbsunfähig waren.
Da bezüglich der BF jedoch rechtskräftig feststeht, dass sie bei Beendigung ihrer Schul- bzw. Berufsausbildung erwerbsfähig war, kann § 252 Abs 3 ASVG keine für den Fall der BF relevante Änderung der Rechtslage begründen.
Zusammenfassend hat sich im Fall der BF weder die Sachlage noch die Rechtslage geändert. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Identität der Sache, Prozesshindernis der entschiedenen Sache,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W164.2140904.1.00Zuletzt aktualisiert am
05.10.2018