TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/14 W224 2164081-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.08.2018
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Entscheidungsdatum

14.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W224 2164081-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. XXXX , vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2017, Zl. 16-1102434907/160081285, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.07.2018, zu Recht:

A)

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Syriens, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde dabei einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen. Am 15.01.2016 stellte sie den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.01.2016 gab die Beschwerdeführerin an, sie habe Syrien am 03.06.2013 legal mit einem syrischen Reisepass verlassen und sei in den Libanon gereist, wo sie sich zwei Jahre und zwei Monate aufgehalten habe. Danach sei sie über die Türkei nach Europa gereist, ihr Zielland sei Österreich gewesen. Befragt nach ihrem Fluchtgrund gab sie an, in Syrien herrsche Bürgerkrieg und in ihrem Heimatort XXXX würden alle Menschen verhaftet oder umgebracht werden. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat habe sie Angst vor einer Verhaftung und vor dem Umbringen.

3. Am 29.05.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, in XXXX geboren, Araberin sowie sunnitische Moslemin zu sein. Sie sei verwitwet und habe vier volljährige Kinder. In Syrien habe sie einen Bruder und zwei Schwestern, zwei weitere Brüder würden im Libanon leben. Aus Angst um ihre Kinder habe sie beschlossen, ihre Heimat zu verlassen. Einer ihrer Söhne habe zum Militärdienst einrücken müssen und ein anderer der Söhne habe eine Ladung als Reservist bekommen. Die Familie sei daher in den Libanon gereist. Auf die Frage nach ihren Fluchtgründen in Bezug auf Syrien gab die Beschwerdeführerin an, ihre Kinder seien oft an Kontrollpunkten angehalten worden, weil die Familie aus XXXX sei. Die Beschwerdeführerin habe gesundheitliche Probleme (hohen Blutdruck) bekommen. Weil es starke Kämpfe gegeben habe, sei es unmöglich gewesen, sich dort länger aufzuhalten. Ihr Neffe sei gestorben, als eine Bombe das Haus getroffen habe. Die Beschwerdeführerin könne nicht ohne ihre Kinder in Syrien bleiben. Das Haus sei zerstört und niemand aus ihrer Familie sei mehr in Syrien. Auf die Beschwerdeführerin selbst habe es keine persönlichen Angriffe oder Übergriffe gegeben, auf ihre Kinder hingegen schon. Im Falle einer Rückkehr würde sie wahrscheinlich nach ihren Söhnen gefragt werden.

4. Das BFA wies mit Bescheid vom 20.06.2017, Zl. 16-1102434907/160081285, den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe ihre Heimat aus Angst vor den Kriegswirren und wegen ihrer Krankheit verlassen. Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Sachverhalt habe mangels GFK-Relevanz nicht unter die taxativ angeführten Gründe subsumiert werden können. Es sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführerin in Syrien Verfolgung drohe. Der Asylantrag sei aus diesem Grund abzuweisen gewesen.

5. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides erwuchsen hingegen in Rechtskraft. In der Beschwerde wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das BFA festgestellt habe, dass Gründe für die Annahme bestünden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr laufe, in Syrien einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden, womit festzustellen gewesen sei, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nicht zulässig sei. Darüber hinaus wurde in der Beschwerde auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin sowie die Länderfeststellungen zu Frauen und zur medizinischen Versorgung verwiesen.

6. Am 24.07.2018 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde auszugsweise Folgendes erörtert:

"[...]

R: Wo haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat gelebt bevor Sie ausgereist sind?

BF: XXXX .

R: Unter wessen Kontrolle steht die Stadt momentan?

BF: Die Regierung.

R: Wie sind Sie aus Syrien ausgereist?

BF: Legal mit dem PKW in den Libanon.

R: Mit dem Reisepass?

BF: Ja, der ist bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland verloren gegangen.

R: Haben Sie sonst noch etwas verloren?

BF: Dokumente, Kleidung, viele Sachen.

R: Wurden Sie bei Ihrer Ausreise aus Syrien bzw. Einreise in den Libanon kontrolliert?

BF: Ja.

[...]

R: Schildern Sie Ihre Fluchtgründe, also die Gründe, aus denen Sie die Syrien verlassen haben, abschließend.

BF: Die Lage wurde immer schwieriger, wir wurden vom Militär zunehmend belästigt. Einmal waren wir außer Haus, kehrten zurück, da saßen sie dann im Haus drinnen. Als wir im Libanon waren, haben wir erfahren, dass das Haus durch eine Rakete zur Gänze zerstört wurde. Es ging mir sehr schlecht, ich könnte nicht nach Syrien, weil meine Söhne hier sind, und mein Mann hier gestorben ist. Es ist mir nicht möglich, dass ich von ihnen getrennt bin.

R: Haben Sie abschließend jetzt alles zu Ihrer Flucht geschildert?

BF: Ich hätte auch keine Unterkunft, in der ich bleiben könnte. Ich muss regelmäßig Medikamente nehmen, und hätte niemanden mehr, der sich um mich sorgt.

R: Wann verließen Sie Syrien endgültig?

BF: Weiß ich nicht mehr genau.

R: Kann es sein, dass es der 03.06.2013 war?

BF: Möglich, ich vergesse immer die Daten.

R: Gab es Vorfälle in Syrien, die konkret und individuell gegen Sie gerichtet waren?

BF: An den Checkpoints musste ich immer aussteigen, wurde beschimpft und belästigt.

R: Was heißt belästigt?

BF: Beschimpfungen auch. Es wurde eine Leibesvisitation gemacht. Die Wohnung haben sie auch des Öfteren gestürmt.

R: Sie haben vorhin gesagt, einmal ist das Militär bei ihnen gewesen, als sie nicht zu Hause waren. Jetzt sagen Sie sie hätten die Wohnung "gestürmt", noch dazu "des Öfteren". Das ist m.E. ein gesteigertes Vorbringen.

BF: Ja, das war einmal von ungefähr sechsmal, dass sie in der Abwesenheit oder mitten in der Nacht einfach in die Wohnung gingen, alles zerstört haben und wieder gegangen sind.

R: Wer war das? Die Regierungstruppen?

BF: Ja.

R: Gibt es in Syrien konkret gegen Ihre Familie gerichtete Vorfälle?

BF: Mein Schwager ist gestorben, eine Schwägerin schwer verletzt, manche haben Lähmungserscheinung.

R: Das war wegen dem Krieg, weil die Sicherheitslage so schlecht war?

BF: Ja. Mein Sohn hat den Militärdienst auch nicht absolviert, ist vor mir in den Libanon ausgereist und dann wurde auf mich Druck ausgeübt, bezüglich seines Aufenthaltsortes.

R: Sie konnten trotzdem legal aus Syrien ausreisen?

BF: Ja.

R: Was würde passieren, wenn Sie wieder in den Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Sie würden sicher Druck ausüben, um mehr über meine Söhne zu erfahren, oder um an sie ran zu kommen. Der eine Sohn hat noch gar keinen Militärdienst geleistet. Der andere hatte es bereist, sollte aber zum Reservedienst.

R: Woher sollen sie wissen, dass Sie die Mutter von zwei Wehdienstverweigerern sind?

BF: Familienbuch.

R: Ja, aber wie soll das tatsächlich funktionieren, da Sie ja keinen Ausweis haben.

BF: Ich habe ihn wieder bekommen vom BFA.

R: Liegt der nicht im Meer?

BF: Der Personalausweis. Es war alles in einem Koffer gepackt, dann hat man die Sachen rausgeworfen, damit es leichter wird, irgendwie ist unser Koffer auch weg.

R: Was ist dies für ein Ausweis? (R zeigt den Akt)

BF: Möglich, dass es der Militärausweis ist.

R: Sie haben einen syrischen Personalausweis?

BF: Ja.

BF: Ich wüsste nicht wo ich leben sollte, wenn ich zurückkehren würde.

R: Wenn Sie die geschilderten Probleme nicht hätten, könnten Sie dann im Herkunftsstaat leben?

BF: Ja.

R: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

BF: Es ist gleichgeblieben. Ich habe niemanden in Syrien, ich hänge sehr an meinen Kindern und Enkelkindern.

R: Ich habe zu Ihrem Verfahren vorerst keine weiteren Fragen.

R an BF und RV: Wollen Sie noch etwas Ergänzendes vorbringen oder Beweisanträge stellen?

RV: Ich habe keine Fragen, aber ich möchte folgende Stellungnahme zum LIB abgeben: Laut UNHCR ist die Lage der Frauen in Syrien prekär und sie werden weiterhin als Risikoprofil identifiziert. Frauen sind ständiger Gewalt, Diskriminierung und starken Einschränkungen ihrer Rechte ausgesetzt. Laut LIB sind Frauen im syrischen Rechtssystem gesetzlich abhängig von ihren Vätern und Ehemännern, weiters werden Frauen gesetzlich und gesellschaftlich diskriminiert und ihre Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt. Die Widersetzung gegen diese radikalen Vorschriften z.B. bei Verlassen des Hauses ohne männliche Begleitung eines nahen Verwandten oder ohne Geschichtsschleier kann mit dem Tod bestraft werden.

R fragt die BF, ob sie den Dolmetscher gut verstanden habe; dies wird bejaht.

[...]"

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist eine volljährige, syrische Staatsangehörige. Sie gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitische Moslemin. Die Beschwerdeführerin ist in XXXX geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise. Am 03.06.2013 verließ sie ihren Heimatort und fuhr mit dem PKW in den Libanon, von wo aus die zwei Jahre später in die Türkei reiste und schlepperunterstützt nach Österreich kam.

Die Ausreise aus Syrien erfolgte legal unter Verwendung eines syrischen Reisepasses; an der Grenze zum Libanon fand eine Kontrolle statt.

Der Heimatort der Beschwerdeführerin, XXXX , steht unter der Kontrolle der Regierung.

Mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Heimatstaat Syrien wegen der realen Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens auf Grund der instabilen Sicherheitslage und des innerstaatlichen Konfliktes in Syrien zuerkannt.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe Syrien auf Grund des Krieges, der schlechten Sicherheitslage und der Angst um ihre Kinder sowie auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes verlassen, ist glaubwürdig und wird der Beurteilung zu Grunde gelegt. Eine drohende asylrelevante Verfolgung ist aus dem gesamten Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht hervorgekommen, auch nicht aus amtswegiger Wahrnehmung.

Zur Lage in Syrien wird festgestellt (entnommen aus:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation 25.1.2018; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Aktualisierte Fassung;)

1. Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017).

Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).

Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; ausserdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).

Die türkischen Militäroperationen

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der "Operation Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um sowohl gegen den IS als auch gegen die kurdischen Einheiten, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind, vorzugehen. Seitdem haben türkische Einheiten mit verbündeten syrischen Einheiten, die hauptsächlich aus gegenüber dem syrischen Regime oppositionell eingestellten Arabern und Turkmenen bestehen, den IS bekämpft. Es gab jedoch auch Zusammenstöße mit kurdisch geführten Einheiten. Im März 2017 wurde Operation Euphrates Shield für erfolgreich beendet erklärt, es wurden jedoch keine Informationen bekannt gegeben, wann oder ob die türkischen Einheiten sich zurückziehen würden. Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern (CRS 13.10.2017 und BBC News 13.10.2017).

Der türkische Präsident Erdogan verschärfte Ende Dezember 2017 seinen Ton gegenüber dem syrischen Präsidenten. Die Türkei forderte lange, dass Assad nicht an der Macht bleiben dürfe, konzentrierte sich aktuell aber mehr auf die Bedrohung durch bewaffnete Islamisten und die kurdischen Kämpfer, die sie als mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sieht. Trotz der Differenzen mit Russland und dem Iran hat die Türkei mit den beiden Staaten an einer politischen Lösung für Syrien gearbeitet. Nun nannte Erdogan Assad einen Terroristen und sagte, dass der Friedensprozess in Syrien nicht mit Assad an der Macht fortgesetzt werden könnte (Reuters 27.12.2017b). Im Januar 2018 drohte der türkische Präsident mit einer Militäroperation in Afrin, einem der drei selbsternannten autonomen Kantone unter der Kontrolle kurdischer Einheiten und deren Verbündeten. Die kurdischen und türkischen Einheiten haben einander des gegenseitigen Beschusses beschuldigt (DS 17.1.2018; vgl. ISW 16.1.2018). Wenig später, am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdogan kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen (Standard 20.1.2018; vgl. Zeit 23.1.2018). Die "Operation Olivenzweig" begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Als Motiv für den türkischen Einmarsch im Grenzgebiet haben mehrere arabische Medien die lang erklärte Absicht Ankaras herausgestrichen, eine etwa 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone einzurichten und dort bis zu 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge anzusiedeln (Standard 22.1.2018).

Der "Islamische Staat" (IS)

Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor vom IS besetzt war, wieder unter seine Kontrolle (BBC 12.12.2017). Der IS verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak (Reuters 27.12.2017a).

Analysten gehen außerdem davon aus, dass der IS sich bereits auf eine neue Phase vorbereitet und sich zu der Art von Untergrundbewegung zurückentwickelt, die sie in ihren Anfängen war (NYT 17.10.2017).

2. Rechtsschutz / Justizwesen

Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), vom sogenannten Islamischen Staat (IS) und von anderen Rebellen-Fraktionen kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016; vgl. Reuters 13.4.2016 und USDOS 3.3.2017).

Gebiete unter kurdischer Kontrolle

Im von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierten Gebiet wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, welche als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht (BTI 2016). Es wurden Komitees gegründet, die die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln (FT 23.12.2015). Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich (AI 12.7.2017). Die Erbringung öffentlicher Dienste variiert in den kurdisch kontrollierten Gebieten. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch Parallelstrukturen geschaffen. Zum Beispiel fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden (CHH 8.12.2017).

3. Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch die Einheiten der Regierung sind weit verbreitet und systemisch in Syrien und geschehen zudem in einem Klima der Straflosigkeit (HRW 12.1.2017). Folter wird eingesetzt, um an Informationen zu gelangen und um die Zivilbevölkerung zu bestrafen und zu terrorisieren (UNHRC 11.8.2016). Folter und andere Misshandlungen wurden durch das syrische Regime schon seit Jahrzehnten genutzt, um Widerstand zu unterdrücken (AI 17.8.2016). Das syrische Regime und die mit ihm verbündeten Milizen begehen physische Misshandlungen und Folter an Oppositionellen und Zivilisten. Regierungsangestellte misshandeln Gefangene. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und auch von Minderjährigen sind weit verbreitet und werden als Kriegstaktik eingesetzt (USDOS 3.3.2017). Manche Opfer von Folter werden festgenommen, weil sie Aktivisten sind, oder weil sie nicht als ausreichend regimetreu wahrgenommen werden. Mitglieder oder Verwandte von Mitgliedern bewaffneter Gruppen werden auch Opfer von Folter (UNHRC 11.8.2016). Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen (HRW 27.1.2016; vgl. AI 22.2.2017). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert. Die Toten werden häufig in Massengräbern begraben oder verbrannt und nur selten ihren Verwandten überstellt (Economist 20.12.2017). Das syrische Regime stellt falsche Totenscheine aus, offenbar mit dem Ziel, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (USDOS 3.3.2017).

Rebellengruppierungen begehen ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen, wie Inhaftierungen, Folter, Hinrichtungen von (als solche wahrgenommenen) Andersdenkenden und Rivalen (FH 1.2017). Manche oppositionelle Gruppen fügen Gefangenen, von denen vermutet wird, sie wären Mitglieder von regierungstreuen Milizen, schweren körperlichen und psychischen Schmerz zu, um Informationen oder Geständnisse zu erlangen, oder als Bestrafung oder Zwangsmittel (USDOS 3.3.2017). Auch der IS begeht Misshandlungen, Folter, Bestrafungen von Individuen, und agiert mit Brutalität. Der IS bestraft regelmäßig Opfer in der Öffentlichkeit und zwingt Bewohner, inklusive Kindern, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen (USDOS 3.3.2017).

4. Allgemeine Menschenrechtslage

Das Syrian Observatory for Human Rights dokumentierte 331.765 Todesfälle seit dem Beginn der Revolution im Jahr 2011 bis zum 15. Juli 2017, schätzt jedoch dass etwa 475.000 Personen getötet wurden (SOHR 16.7.2017).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Gleichzeitig zeigt die Regierung außerdem wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien. Sie schikaniert und inhaftiert Mitglieder der Communist Union Party, der Communist Action Party, der Arab Social Union und islamistischer Parteien (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung, regierungstreue Einheiten und Sicherheitskräfte führen weiterhin willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter an Häftlingen durch, von denen viele in der Haft umkommen bzw. getötet werden. Das Regime und seine Verbündeten führten willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten durch. Sie führten Angriffe mit Fassbomben, Artillerie, Mörsern und Luftangriffe auf zivile Wohngebiete, Schulen, Märkte und medizinische Einrichtungen durch, was zu zivilen Opfern führte (UKFCO 21.4.2016, AI 22.2.2017 und USDOS 3.3.2017).

Die staatlichen Sicherheitskräfte halten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllen (AI 22.2.2017; vgl. SD 18.10.2017). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Es fehlt an Nahrung, Trinkwasser, Platz, Hygiene und Zugang zu medizinischer Versorgung. (USDOS 3.3.2017).

Syrische Kinder sind auch hinsichtlich Kinderehen gefährdet (USDOS 27.6.2017; vgl. UNOCHA 31.7.2017).

Lang anhaltende Belagerungen durch Regierungskräfte führen dazu, dass der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Lebensmittel, ärztliche Betreuung und andere lebenswichtige Dinge vorenthalten werden. Außerdem werden Zivilisten beschossen bzw. angegriffen (AI 22.2.2017). Bezüglich der von Rebellen kontrollierten Bevölkerungszentren setzte die Regierung auf die Strategie, diese vor die Wahl zu stellen, aufzugeben oder zu (ver)hungern, indem sie Hilfslieferungen einschränkte und tausende Zivilisten aus zurückeroberten Gebieten vertrieb (FH 1.2017). Auch Rebellengruppen belagern Gebiete (USDOS 3.3.2017). [Weitere Informationen zu belagerten Gebieten finden sich in Abschnitt "14.

Bewegungsfreiheit"].

Auch aufständische Gruppen begingen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Festnahmen, Folter und Exekutionen von wahrgenommenen politischen Andersdenkenden und Rivalen, wobei das Verhalten jedoch zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen variiert (FH 1.2017).

Der IS ist für systematische und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, welche auch auf Zivilisten abzielen. Auch Jabhat Fatah ash-Sham [ehemals Jabhat al-Nusra] und einige andere extremistische Gruppen begehen Menschenrechtsverletzungen (UKFCO 21.4.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Sexuelle Versklavung und Zwangsheiraten sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen werden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, werden sexuell versklavt (USDOS 27.6.2017). Frauen erleben in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtungen durch Steinigung. Frauen und Männer werden bestraft, wenn sie sich nicht den Vorstellungen des IS entsprechend kleiden (USDOS 3.3.2017).

IS-Kämpfer sind für Exekutionen von gefangengenommenen Zivilpersonen, Regierungssoldaten, Angehörigen rivalisierender bewaffneter Gruppen sowie Medienschaffenden und verantwortlich. In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden (AI 22.2.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

5. Frauen

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Von extremer Diskriminierung, sexueller Versklavung und erdrückenden Verhaltens- und Kleidungsvorschriften in Gebieten des IS, zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind und Frauen in der Politik und im Militärdienst gut vertreten sind (FH 1.2017).

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation und vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte. Die Situation von Frauen verschlechtert sich durch den andauernden Konflikt dramatisch, weil Frauen Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Aufgrund der Kampfhandlungen (orig. shelling) zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017).

In oppositionellen Gebieten, welche von radikalislamistischen Gruppen kontrolliert werden (z.B. in Idlib oder umkämpften Gebieten östlich von Damaskus), sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Außerdem ist es schwierig für sie zu arbeiten, weil sie unter Druck stehen, zu heiraten. Dies hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Jabhat Fatah ash-Sham setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. In Gebieten, die der IS kontrolliert(e), wurde ein Dokument veröffentlicht, welches Frauen unter Androhung der Todesstrafe die Befolgung von 16 Punkten vorschreibt. Die Punkte waren unter anderem, das Haus nicht ohne einen männlichen nahen Verwandten (mahram) zu verlassen, weite Kleidung, ein Kopftuch und einen Gesichtsschleier zu tragen, Friseursalons zu schließen, in der Öffentlichkeit nicht auf Stühlen zu sitzen und keine männlichen Ärzte aufzusuchen (USDOS 3.3.2017; vgl. BFA 8.2017). In Raqqa gründete der IS die "al-Khansaa"-Brigade, welche hauptsächlich aus nicht-syrischen Frauen besteht und die Regeln des IS bei anderen Frauen durchsetzten soll (USDOS 3.3.2017). Familien werden auch gezwungen ihre Töchter an IS-Kämpfer zu verheiraten. Jabhat Fatah ash-Sham [Anm.: vormals Jabhat al-Nusra] ist Frauen gegenüber etwas weniger restriktiv, die Situation ist jedoch ähnlich. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikalislamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Familienrecht, Personenstandsrecht, Ehe, Scheidung, Obsorge

Syrien ist ein multireligiöses und multiethnisches Land mit einer muslimischen Mehrheit und mehreren religiösen Minderheiten. Die unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften haben seit Langem das Recht, bestimmte Angelegenheiten des Familienrechtes entsprechend ihren jeweiligen religiösen Vorschriften zu regeln. Das Syrische Personenstandsgesetz von 1953 regelt das Familienrecht, mit Gesetzesnovellen von 1975, 2003 und 2010, und basiert vorwiegend auf islamischen Rechtsquellen wie der Hanafitischen Rechtslehre. Das syrische Personenstandsgesetz gilt für alle Syrer, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Es erlaubt jedoch drusischen, jüdischen oder christlichen Gemeinden eine beschränkte juristische Autonomie in Personenstandsangelegenheiten wie Verlobung, Bedingungen bei der Eheschließung, Eheschließung, Gehorsam der Ehefrau, Unterhalt für Ehefrauen und Kinder, Annullierung und Scheidung, Mitgift, Pflege und seit 2010 Erbe und Nachlass. Das Syrische Personenstandsrecht und die Scharia-Gerichte, die dieses Recht anwenden, haben jedoch klaren Vorrang gegenüber den nicht-muslimischen Gerichten. Es gilt als das "generelle Gesetz", während beispielsweise christliche Gesetze "spezielle Gesetze", also Ausnahmen vom generellen Gesetz sind. Nicht nur die verschiedenen Religionsgruppen, sondern sogar unterschiedliche Konfessionen haben eine eigene Gesetzgebung in gewissen personenstandsrechtlichen Angelegenheiten. So gibt es z.B. drei orthodoxe, ein katholisches und ein evangelisches Personenstandsgesetz [bezüglich der genannten Angelegenheiten, Anm.] (Eijk 2013).

Viele Abschnitte des Familien- und Strafrechtes diskriminieren Frauen, darunter das Personenstandsgesetz und das Staatsbürgerschaftsrecht (USDOS 3.3.2017; vgl. Eijk 2013). Eine christliche oder jüdische Frau kann einen muslimischen Mann heiraten, eine muslimische Frau kann jedoch laut Gesetz keinen nicht-muslimischen Mann heiraten. Wenn ein nicht-muslimischer Mann eine muslimische Frau heiraten möchte, müsste er zum Islam konvertieren. Eine christliche oder jüdische Ehefrau eines muslimischen Mannes muss zwar nicht konvertieren, kann jedoch nichts von ihrem Mann erben und ihre Kinder werden automatisch Muslime. Gemischtreligiöse Ehen sind in Syrien selten, existieren aber. Sie werden aber häufig geheim geschlossen oder nicht offiziell registriert, weil sie von der Gesellschaft verurteilt werden (Eijk 2013; vgl. USDOS 15.8.2017). Eine Ehe zwischen einer muslimischen Frau und einem nicht-muslimischen Mann ist ungültig und wäre laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn die Ehe bereits vollzogen wurde (Eijk 2013).

Das laut syrischem Personenstandsgesetz heiratsfähige Alter ist bei Männern 18 Jahre und bei Frauen 17 Jahre. Eine Frau, die jünger als 17 Jahre ist, braucht die Zustimmung ihres gesetzlichen Vormundes. Bei einer Frau, die 17 Jahre oder älter ist, wird das Gericht den Vormund nach seiner Meinung fragen, kann die Frau jedoch auch gegen den Willen des Vormundes, aber mit Zustimmung des Gerichtes, verheiraten (Eijk 2013).

Ehen sollten in oder durch ein Gericht geschlossen werden. Ehen, die außerhalb des Gerichts geschlossen werden, können jedoch auch als gültig angesehen werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Diese Ehen werden oft als "traditionelle Ehen" oder "'urfi-Ehen" bezeichnet. 'Urfi-Ehen werden nicht immer registriert, es scheint sogar so, dass Personen 'urfi-Ehen nur dann registrieren, wenn es einen rechtlichen Grund dafür gibt, z.B. durch aus der Ehe entstandene Kinder. Andere Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder weil es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne dem Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein weiterer Grund ist, dass Männer, die in der Armee dienen, eine Genehmigung der Armee für eine Eheschließung benötigen. Ein Mann kann auch einer solchen Ehe zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben. Selbst wenn nicht alle Bedingungen erfüllt werden, tendieren Richter dazu 'urfi-Ehen zu registrieren, speziell wenn bereits Kinder in die Ehe geboren wurden. Wenn eine 'urfi-Ehe registriert ist, wird sie als rechtsgültige Ehe angesehen (Eijk 2013). Neben Männern, die in der Armee dienen und eine Genehmigung der Armee zur Eheschließung benötigen, benötigen auch Paare, bei denen ein Partner ausländischer Staatsbürger ist, eine Genehmigung, in diesem Fall von den Sicherheitsbehörden (Eijk 2013).

Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung und nicht das Datum der Registrierung. Da es auch möglich ist Kinder ex post facto zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe) und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut der Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht Esther van Eijk, Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das "echte Hochzeitsdatum" festlegt (Eijk 4.1.2018). Stellvertreterehen und die Registrierung einer Ehe durch einen Stellvertreter sind möglich, selbst wenn beide Ehepartner von einem Stellvertreter repräsentiert werden (Eijk 2.1.2018).

Für Kinder, die in eine bestehende Ehe geboren werden, gilt automatisch der Ehemann als Vater der Kinder (Eijk 2013).

Das syrische Personenstandsrecht erkennt auf Basis des islamischen Rechts drei Arten der Scheidung an: einseitige Scheidung oder Verstoßung durch den Ehemann (talaq), Scheidung mit gegenseitigem Einverständnis (mukhala'a) und gerichtliche Scheidung (tafriq) (Eijk 2013).

Die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann ist die gängige Version der Scheidung, wobei der Ehemann die Scheidung verbal oder schriftlich aussprechen kann. In einer Wartezeit von etwa drei Monaten kann er seine Ehefrau noch zurücknehmen. Wenn der Ehemann jedoch zum dritten Mal die Scheidung ausspricht gilt diese als final. Die Scheidung kann vor einem Richter oder außerhalb des Gerichtes ausgesprochen und im Nachhinein beim Gericht registriert werden. Diese relativ verbreitete Art der Scheidung führt jedoch zu Fällen von Frauen die das Gericht aufsuchen müssen, um zu erfahren, ob sich ihre Ehemänner von ihnen scheiden haben lassen (Eijk 2013).

Die einvernehmliche Scheidung wird häufig von der Frau initiiert und beinhaltet oftmals eine Vereinbarung, laut der der Ehemann sein Einverständnis für die Scheidung gibt und die Ehefrau im Gegenzug teilweise oder gänzlich auf Unterhalt verzichtet. Der entsprechende Vertrag kann im Gericht geschlossen werden, oder außerhalb des Gerichtes geschlossen und ex post facto registriert werden. Jedenfalls muss die Ehefrau beim Gericht erscheinen und ihren Verzicht auf Unterhalt bekanntgeben (Eijk 2013).

Es gibt unterschiedliche Gründe auf Basis derer eine gerichtliche Scheidung beantragt werden kann. Scheidung aufgrund von Krankheit oder Mangel (orig. defect) des Ehemannes, Abwesenheit oder Verschwinden des Ehemannes, Unterlassen der Unterhaltszahlungen des Ehemannes oder aufgrund von Eheproblemen. Bei dieser Art der Scheidung müssen jedoch bestimmte Beweise vorgelegt werden. Wenn beispielsweise eine Ehefrau aufgrund von Abwesenheit ihres Ehemannes die Scheidung einreichen will, muss sie diesbezüglich zweimal in drei verschiedenen nationalen Zeitungen eine Anzeige stellen (Eijk 2013; vgl. Emory o.D.).

Eine Ehe, die in einer Kirche geschlossen wird, wird vom Staat als gültige Ehe anerkannt. Nach der Zeremonie sendet die Kirche die Unterlagen an das Zivilregisterbüro (Eijk 2013).

Laut christlichem Familienrecht ist die Ehe ein Sakrament und es ist daher sehr schwierig sich scheiden zu lassen. Die katholische Kirche erkennt Scheidung nicht an, lediglich die Annullierung ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Dies führt teilweise zu drastischen Maßnahmen wie einer Konversion zum Islam eines Ehepartners, um eine Scheidung zu erwirken (Eijk 2013; vgl. BFA 8.2017), wobei die erste Ehefrau noch immer an den Ehemann gebunden ist (BFA 8.2017).

Das Islamische Recht sieht nach einer Scheidung zwei Konzepte des Sorgerechtes für Kinder vor. Erstens die Vormundschaft (wilaya), welche immer der Vater innehat, und zweitens die physische Obhut/Obsorge (hadana). Im Falle einer Scheidung kann die Mutter die physische Obsorge über die Kinder erhalten, bis diese ein bestimmtes Alter erreichen, wobei die Altersgrenze hierbei von der Konfession abhängt (BFA 8.2017; vgl. Eijk 2013). Laut Syrischem Personenstandsrecht liegt diese Altersgrenze für Mädchen bei 15 und für Buben bei 13 Jahren (Eijk 2013; vgl. USDOS 15.8.2017). Die Gesetze bezüglich Vormundschaft (wilaya) sind laut syrischem Personenstandsrecht für alle Religionen/Konfessionen anzuwenden, zur Obsorge (hadana) haben jedoch die jüdischen und christlichen Gemeinden eigene Regelungen (Eijk 2013). In manchen Fällen werden Scharia-Gerichte gegenüber nicht-islamischen Gerichten bevorzugt, in der Hoffnung vorteilhaftere Urteile zu erreichen. Zum Beispiel gibt es Fälle, in denen christliche Männer zum Islam konvertiert sind und vor Scharia-Gerichten das volle Sorgerecht, also Obsorge und Vormundschaft, für ihre Kinder eingefordert haben (Eijk 2013). Frauen können das Obsorgerecht auch verlieren. Etwa wenn die Mutter Christin, der Vater aber Muslim ist, könnte der Vater im Falle einer Scheidung argumentieren, dass die Mutter die Kinder nicht richtig erziehen kann. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Mutter erneut eine Ehe eingeht. In den muslimischen, christlichen und drusischen Konfessionen kann es für eine Frau sehr schwer sein, die Obsorge über Kinder zu erhalten. Selbst wenn die Mutter die Obsorge innehat, besitzt der Vater stets die Vormundschaft über die Kinder und somit Entscheidungsgewalt über ihre Ausbildung oder Reisebewegungen der Kinder. Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Wenn der Vater neben der Vormundschaft auch die Obsorge über die Kinder hat, bleiben diese nach einer Scheidung sehr wahrscheinlich bei dessen Familie. Auch nach dem Tod des Vaters geht die Vormundschaft nicht auf die Mutter, sondern auf die Familie des Vaters über. Kinder können so als Druckmittel benutzt werden, um die Frau dazu zu bringen, sich nicht scheiden zu lassen oder auf Unterhaltszahlungen zu verzichten. Im Falle einer Scheidung zeigen die Gerichtsdokumente der Scheidungsverhandlung, wem das Obsorgerecht zugesprochen wurde. Ein gesondertes Dokument über den Zuspruch der Obsorge ist nicht bekannt (BFA 8.2017).

Frauen, deren Ehemänner als vermisst gelten, können sich unter bestimmten Umständen weder scheiden lassen, noch gelten sie als Witwen, solange es keinen Beweis für den Tod des Ehemannes gibt. Wenn der Ehemann vermisst wird, bleibt er dennoch der Vormund der Ehefrau, und sie gilt rechtlich weiterhin als verheiratet. Gleichzeitig hat sie aber den Ernährer der Familie verloren und ist so von ihrer Verwandtschaft abhängig. Dies gilt auch für Frauen, deren Männer inhaftiert sind, und die nicht wissen, ob diese überhaupt noch am Leben sind. Es gibt keinen rechtlichen Schutzmechanismus, der diesem Problem entgegenwirken würde. Dies kann zur Vulnerabilität von Frauen führen und sie dem Risiko einer Ausbeutung aussetzen, welche auch von Verwandten ausgehen kann (BFA 8.2017).

Frauen können die syrische Staatsbürgerschaft nicht an ihre Kinder weitergeben, und es gibt keine Anzeichen, dass eine Änderung der diesbezüglichen Gesetzgebung überhaupt angedacht wird. Dass Frauen die Staatsbürgerschaft nicht weitergeben können, kann ein Problem sein, z.B. für Frauen, die einen ausländischen Kämpfer geheiratet haben und manchmal nicht einmal den echten Namen des Mannes kennen. Kinder aus einer solchen Ehe sind prima facie staatenlos. Das Gesetz erlaubt grundsätzlich die Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter, wenn das Kind in Syrien geboren wurde und der Vater "unbekannt" ist. In der Praxis wird betroffenen Kindern die Staatsbürgerschaft jedoch nicht immer zuerkannt. Wenn ein Kind im Ausland geboren wurde, kann es die syrische Staatsbürgerschaft nur erlangen, wenn der Vater syrischer Staatsbürger ist. Wenn eine Geburt nicht registriert wird, führt dies für das Kind zu bestimmten Einschränkungen im Zugang zu Leistungen, wie Abschlusszeugnissen, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formaler Beschäftigung, Dokumenten und zivilem Schutz (BFA 8.2017). Eine Mutter kann ihrem Kind auch nicht ihren Nachnamen geben, ohne Nachnamen wird dem Kind keine Identitätskarte ausgestellt, und es wird nicht in die Schule gehen, ins Ausland reisen oder Eigentum besitzen können. Für eine unverheiratete Frau bleibt nur die Option das Kind bei einem Waisenhaus als Findling zurück zu lassen oder einen Mann zu finden, der sie heiratet und das Kind als sein eigenes anerkennt (Eijk 2013).

Kinderehen gab es in Syrien bereits vor dem Konflikt. Im Zuge dessen steigt seither die Zahl an Früh- und Zwangsehen jedoch an, wobei sich die Dynamik und die Gründe für eine Ehe verändert haben (BFA 8.2017). Besonders bei vertriebenen und flüchtenden Familien ist die Anzahl der Kinderehen hoch (FH 1.2017), und junge Mädchen werden aus Gründen der Sicherheit verheiratet, oder um die Mädchen versorgt zu wissen. Dies kann jedoch zur Folge haben, dass manche dieser Ehen zu sexueller Ausbeutung führen. Auch aufeinanderfolgende Zeitehen werden immer häufiger und setzen besonders heranwachsende Mädchen dem Risiko von Vergewaltigung, frühen und ungewollten Schwangerschaften und Trauma aus (BFA 8.2017).

Sexuelle Gewalt und deren Folgen

Vergewaltigungen sind weit verbreitet und die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigungen gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder ein, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Es passieren auch Vergewaltigungen durch Wächter und Sicherheitskräfte in Haftanstalten (USDOS 3.3.2017).

Frauen und Mädchen sind besonders im Kontext von Hausdurchsuchungen, an Checkpoints, in Haftanstalten, an Grenzübergängen und nach einer Entführung durch regierungstreue Einheiten von sexueller Gewalt betroffen, während Männer und Jungen vor allem während Verhören in Haftanstalten der Regierung von sexueller Gewalt betroffen sind (WILPF 11.2016 und BFA 8.2017).

Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung vollstreckt dieses Gesetz jedoch nicht. Außerdem kann der Täter Straffreiheit erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 3.3.2017). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird. Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden. Berichten von NGOs zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem starken Anstieg bei Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von Vergewaltigungen durch Regierungseinheiten und Ausbeutung durch den IS (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten (BFA 8.2017).

Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können (BFA 8.2017). Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir ash-Sham gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib, die großteils von islamistischen Oppositionsgruppen kontrolliert wird, eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Shari'a-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch noch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wird (Syria Direct 14.12.2017).

Frauen in von der PYD kontrollierten Gebieten

Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind auch in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert. Dies gilt jedoch ausdrücklich nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht jedoch für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens (BFA 8.2017). 2013 akzeptierte die kurdische Autonomieregierung wichtige Maßnahmen, um die Rechte von Frauen zu verbessern. So werden Ehrenmorde nun als strafbare Verbrechen angesehen, Zwangsehen und Eheschließungen von Minderjährigen wurden verboten und Männer, die mehr als eine Ehefrau haben, wurden von allen Organisationen und Komitees ausgeschlossen (TF 27.8.2017).

Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, dass die "Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens" vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde und andere Gewalt gegen Frauen wurden verboten (TF 27.8.2017).

Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden, wobei auch arabische und christliche Frauen die Zentren nutzen (TF 27.8.2017). Generell gilt jedoch, nicht nur in Bezug auf Frauen, dass sich Organisationen bei der PYD registrieren oder eine Lizenz beantragen müssen, womit die PYD eine gewisse Monopolstellung erreichen will. Organisationen, die dem nicht nachkommen, werden als illegal angesehen (CHH 8.12.2017). Die kurdische Selbstadministration schloss mehrere Organisationen, die sich auf Frauenförderung und Frauenbetreuung spezialisiert hatten (SNHR 25.11.2016).

Die Emanzipation der Frauen in Rojava ist ein laufender Prozess. Gemäß der Aussage von Janet Biehl via Toward Freedom sind dort patriarchale Traditionen tief eingebettet und mit Religion verbunden (TF 27.8.2017). Laut der syrischen Aktivistin Mahwash Sheiki entstanden diese Veränderungen jedoch nicht durch Veränderungen im sozioökonomischen System, sondern waren eine von der PYD-Spitze getroffene Entscheidung, nicht von der breiten Bevölkerung. Die Raten von Fällen von Gewalt gegen Frauen sind jedenfalls gesunken, wobei Polygamie, sexuelle Gewalt, Frühehen, Vergewaltigung etc. noch immer sensible Themen in Nordsyrien sind. Aufgrund des Bürgerkriegs lassen sich die längerfristigen Entwicklungen auch im Bezug auf Frauenrechte schwer einschätzen (Syria Untold 25.3.2017).

6. Bewegungsfreiheit

Die steigende Anzahl an Checkpoints der verschiedenen bewaffneten Konfliktparteien, die schweren Kämpfe und die generelle unsichere Lage im Land schränken stark die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung und den Transport von lebensnotwendigen Gütern ein. Das syrische Regime blockiert systematisch Regionen, welche von den Rebellen kontrolliert werden, und die Rebellen und der sogenannte Islamische Staat (IS) wenden dieselbe Taktik auf von der Regierung kontrollierte Gebiete an (FH 1.2017). In Gebieten unter ihrer Kontrolle beschränken der IS und andere Regierungsgegner die Bewegungsfreiheit von Unterstützern der Regierung bzw. von Personen, von denen dies angenommen wird. Dies gilt besonders für die alawitische und schiitische Bevölkerung (USDOS 3.3.2017). Das syrische Regime setzt Scharfschützen ein, um Sperrstunden durchzusetzen, oder Zivilisten an der Flucht aus belagerten Städten zu hindern (USDOS 3.3.2017). Im Juni 2017 lebten in Syrien 540.000 Menschen unter Belagerung (UNOCHA 30.6.2017).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten erheblich ein. Zusätzlich gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 3.3.2017). Frauen haben eine etwas größere Bewegungsfreiheit an Checkpoints - allerdings bei erhöhter Gefahr, Opfer von sexueller und physischer Gewalt durch die Kriegsparteien oder individuelle kriminelle Elemente zu werden. In Gebieten, welche vom IS kontrolliert werden, sind Frauen zahlreichen Beschränkungen ausgesetzt. Ihr Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und ihre Bewegungsfreiheit sind sehr stark eingeschränkt oder komplett untersagt (UNHRC 11.2.2016). Der IS erlaubt Frauen nicht, ohne einen nahen männlichen Verwandten durch das von ihnen kontrollierte Gebiet zu reisen (USDOS 3.3.2017).

Die syrische Regierung verweigert die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schloss regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge. Über Menschenrechtsaktivisten oder andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, deren Familien oder Bekannte werden häufig Ausreiseverbote verhängt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 3.3.2017).

Aufgrund des Bürgerkrieges haben in Gebieten, welche von der Opposition kontrolliert werden, Institutionen, die Identitätsdokumente ausstellten, aufgehört zu funktionieren. In Gebieten, welche von der Regierung kontrolliert werden, gibt es diese Institutionen noch, für manche Syrer ist es jedoch unmöglich geworden sie zu erreichen. So können manche Personen Geburten, Eheschließungen oder Todesfälle nicht mehr eintragen lassen, oder sich neue Identitätsdokumente ausstellen lassen. Durch den Bürgerkrieg sind auch die Kontrollmaßnahmen schwächer geworden. So werden "echte" Dokumente mit falschen Namen oder geänderten Informationen ausgestellt. Außerdem werden vermehrt gefälschte Dokumente benutzt (Landinfo 11.11.2016).

5,3 Millionen Menschen sind seit Beginn des Konfliktes aus Syrien geflohen (UNOCHA 10.2017). Seit Beginn des Jahres 2016 wurden erhöhte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit implementiert, sowohl innerhalb Syriens als auch in den Nachbarländern. Die Landgrenzen werden durch die Nachbarstaaten streng überwacht, und es gibt strikte Bedingungen für Einreisevisa, um in den Libanon oder die Türkei einreisen zu können (MMP 4.2017). Grundsätzlich ist die türkische Grenze geschlossen, verletzte Flüchtlinge werden zur Behandlung jedoch in die Türkei gebracht. Im April 2017 stellte die Türkei den Bau einer Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze (Spiegel 12.4.2017).

Die Grenze zu Jordanien ist ebenfalls geschlossen (MMP 4.2017). Im Juni 2016 hat die jordanische Regierung den Grenzübergang zu Syrien wegen Sicherheitsbedenken für syrische Flüchtlinge geschlossen und auch die Durchfahrt für Hilfsleistungen gestoppt, nachdem bei einem Selbstmordanschlag in dem Gebiet sieben jordanische Soldaten getötet worden waren. Der IS bekannte sich zu diesem Anschlag und soll auch eines der beiden informellen Zeltlager von Rukban und Haladat/Hadalat auf der syrischen Seite der Grenze infiltriert haben. Wie viele Menschen tatsächlich in den Lagern leben, wissen internationale Hilfsorganisationen nur von Satellitenbildern (Standard 5.10.2016 und C. Kozak 28.12.2017). Im September 2017 verließen die geschätzten 5.000 Bewohner des Lagers in Hadalat aufgrund des Näherrückens der Regimeeinheiten und vermehrter Luftangriffe dieses und zogen in das viel größere, jedoch ähnlich verarmte, Rukban-Lager, das ungefähr 100 Kilometer nordöstlich davon liegt. Zwei Rebellen-Fraktionen der Freien Syrischen Armee (FSA) evakuierten die Bewohner des Lagers (Syria Direct 6.9.2017; vgl. CRS 13.10.2017). Am Ende des Jahres 2016 wurde die Anzahl der zwischen der jordanischen und der syrischen Grenze lebenden Personen auf 85.000 Menschen geschätzt, im August 2017 soll die Zahl zwischen 45.000 und 50.000 gelegen sein (IDMC 4.10.2017). In Rukba

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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