Entscheidungsdatum
16.08.2018Norm
AEUV Art.267Spruch
W230 2195856-1/14Z
W230 2195858-1/8Z
W230 2195860-1/11Z
W230 2195862-1/9Z
W230 2201105-1/5Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch seinen Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., in den Beschwerdesachen
1. des XXXX [KU], vertreten durch BRANDSTÄTTER SCHERBAUM Rechtsanwälte OG, Tuchlauben 13/12, 1010 Wien, gegen das Straferkenntnis der Übernahmekommission vom 29.01.2018, GZ 2017/1/1-117, bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung der Übernahmekommission vom 27.04.2018, GZ 2017/1/1-131,
2. des XXXX [CC], vertreten durch Pelzmann Gall Rechtsanwälte GmbH, Wagramer Straße 19/33, 1220 Wien, gegen das Straferkenntnis der Übernahmekommission vom 29.01.2018, GZ 2017/1/1-117, bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung der Übernahmekommission vom 27.04.2018, GZ 2017/1/1-130,
3. der XXXX [AR AG], vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH, Schottenring 19, 1010 Wien, gegen das Straferkenntnis der Übernahmekommission vom 29.01.2018, GZ 2017/1/1-117, bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung der Übernahmekommission vom 27.04.2018, GZ 2017/1/1-129,
4. des XXXX [AH], vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH, Währinger Straße 2-4, 1090 Wien, gegen das Straferkenntnis der Übernahmekommission vom 29.01.2018, GZ 2017/1/1-117, bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung der Übernahmekommission vom 26.04.2018, GZ 2017/1/1-128,
und
5. der XXXX [PA LLP], vertreten durch BRANDSTÄTTER SCHERBAUM Rechtsanwälte OG, Tuchlauben 13/12, 1010 Wien, gegen das Straferkenntnis der Übernahmekommission vom 29.01.2018, GZ 2017/1/1-117,
den Beschluss:
A)
I. Die Verfahren werden gem. § 39 Abs. 2 AVG iVm. § 24 und § 29 Abs. 2 VStG iVm. § 38 VwGVG verbunden.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen der Auslegung zur Vorabentscheidung vorgelegt:
II.1. Stehen die Art. 4 und 17 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote - gelesen im Lichte des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes - einer Auslegung entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen dieselbe Person keine Bindungswirkung zuerkannt wird, womit dieser Person neuerlich alle tatsächlichen und rechtlichen Einreden und Beweismittel zur Verfügung stehen, um die in der bereits rechtskräftigen Entscheidung festgestellte Rechtsverletzung zu bestreiten?
II.2. Stehen die Art. 4 und 17 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote - gelesen im Lichte des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes - einer Auslegung entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer juristischen Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen das vertretungsbefugte Organ dieser juristischen Person keine Bindungswirkung zuerkannt wird, womit dieser Person (dem Organ) alle tatsächlichen und rechtlichen Einreden und Beweismittel zur Verfügung stehen, um die in der bereits rechtskräftigen Entscheidung festgestellte Rechtsverletzung zu bestreiten?
II.3. (Bei Verneinung der Frage II.1.:) Steht Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer innerstaatlichen Praxis entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen dieselbe Person Bindungswirkung zukommt, so dass diese Person gehindert ist, die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsverletzung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bestreiten?
II.4. (Bei Verneinung der Frage II.2.) Steht Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer innerstaatlichen Praxis entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer juristischen Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen das vertretungsbefugte Organ dieser juristischen Person Bindungswirkung zuerkannt wird, so dass diese Person (das Organ) gehindert ist, die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsverletzung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bestreiten?
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Zu A)
I. Ausgangsverfahren:
1. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Ausgangsverfahren über Beschwerden gegen Straferkenntnisse der Übernahmekommission zu entscheiden.
2. Bei der Übernahmekommission handelt es sich um die in Artikel 4 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote (im Folgenden RL 2004/25/EG) vorgesehene Aufsichtsstelle.
3. Die RL 2004/25/EG wurde in Österreich durch das Bundesgesetz betreffend Übernahmeangebote (Übernahmegesetz - ÜbG), BGBl. I Nr. 127/1998 (derzeitige Fassung BGBl. I Nr. 107/2017) umgesetzt.
4. Mit Straferkenntnissen vom 29.01.2018 erkannte die Übernahmekommission XXXX [CC], XXXX [AH] und XXXX [KU] schuldig, gegen das Übernahmegesetz verstoßen zu haben, weil diese es zu verantworten hätten, dass sie (bzw. die von ihnen vertretenen Gesellschaften) auf Grund einer Absprache am 29.09.2015, unter Beteiligung von XXXX [CC], XXXX [AR AG], XXXX [MPT Limited], XXXX [W AG] und XXXX [PA LLP]eine Gruppe gemeinsam vorgehender Rechtsträger im Sinne des § 22a ÜbG gebildet und entgegen der Vorschrift des § 22a Z 1 iVm § 22 Abs 1 ÜbG der Übernahmekommission kein Angebot gemäß den Bestimmungen des 3. Teils des ÜbG binnen der gesetzlichen Frist von 20 Börsetagen angezeigt hätten. Die Übernahmekommission verhängte über XXXX [CC], XXXX [AH] und XXXX [KU] Geldstrafen und verpflichtete die von XXXX [AH] und XXXX [KU] vertretenen Gesellschaften jeweils zur Haftung.
5. Die gegen diese Straferkenntnisse erhobenen Beschwerden erledigte die Übernahmekommission zunächst mit Beschwerdevorentscheidungen, mit denen sie die Beschwerden des Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführers (unter Vornahme einer hier nicht weiter relevanten Abänderung im Fall des Viertbeschwerdeführers) abwies. Nach Einbringung von Vorlageanträgen legte die Übernahmekommission die Beschwerden dem dafür zuständigen Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor (eingelangt am 18. Mai 2018).
II. Rechtlicher Rahmen der Entscheidungen der Übernahmekommission:
6. Die Übernahmekommission ist als Kollegialbehörde eingerichtet, deren Mitglieder in Ausübung dieses Amtes unabsetzbar und an keine Weisungen gebunden sind (Art. 20 Abs. 2 Z 4 Bundes-Verfassungsgesetz, § 28 Abs. 3 ÜbG). Ihre Mitglieder werden für jeweils fünf Jahre ernannt (§ 28 Abs. 4 ÜbG). Das Gesetz sieht Unvereinbarkeitsbestimmungen bei der Bestellung der Kommissionsmitglieder vor (§ 28 Abs. 5 ÜbG). Die Gründe für die vorzeitige Endigung der Funktion sind im Gesetz eng definiert und das Funktionsende tritt (außer bei Verzicht, Tod oder Ende der Funktionsperiode) nur nach entsprechender Feststellung der (unabhängigen) Übernahmekommission ein (§ 28 Abs. 6 ÜbG). Das Verfahren vor der Übernahmekommission ist in folgender Weise gerichtsförmig ausgestaltet: Als Verfahrensrecht hat sie gemäß § 30 Abs. 2 ÜbG das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) anzuwenden, im Verwaltungsstrafverfahren zudem das Verwaltungsstrafverfahrensgesetz (VStG). Sie unterliegt für Verhandlungen den Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), in denen eine grundsätzliche Verhandlungspflicht, die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlung sowie das Unmittelbarkeitsprinzip verankert und näher geregelt sind (§ 24, 25 VwGVG). Über Befangenheit eines Senatsmitglieds entscheidet der Senat (ohne Mitwirkung des betreffenden Mitglieds - § 28 Abs. 9 ÜbG). Die Zusammensetzung der Senate der Übernahmekommission und die Verteilung der Geschäfte auf diese Senate werden durch eine Geschäftsordnung geregelt, welche die Übernahmekommission (wohl: im Vorhinein) zu erlassen hat (§ 28 Abs. 3 ÜbG). Die Übernahmekommission wird vom Verfassungsgerichtshof als unabhängige Behörde qualifiziert, die den Anforderungen an ein Tribunal im Sinne von Art. 6 EMRK entspricht (VfSlg. 16.048/2000).
7. Gegen Bescheide der Übernahmekommission in Administrativverfahren kann der Oberste Gerichtshof als Rekursgericht angerufen werden (§ 30a Abs. 1 ÜbG).
8. Gegen Bescheide der Übernahmekommission in Verwaltungsstrafsachen kann gemäß § 35 Abs. 3 ÜbG Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden (diese Beschwerde unterliegt mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung gemäß § 6 BVwGG der Zuständigkeit eines Einzelrichters).
III. Vorgeschichte des Ausgangsverfahrens:
9. Mit Bescheid vom 01.12.2016, GZ 2016/1/2-313, hat die Übernahmekommission nach Durchführung eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens und dreitägiger mündlicher Verhandlung Folgendes festgestellt:
" XXXX [AR AG], XXXX [MPT Limited], XXXX [CC], XXXX [W AG] und XXXX [PA LLP] haben gemäß § 33 Abs 1 Z 2 ÜbG ein Pflichtangebot zu Unrecht nicht gestellt".
10. Dieser Bescheid ist im Internet veröffentlicht unter
https://www.takeover.at/uploads/u/pxe/A2_Entscheidungen/Bescheide/GZ_2016-1-2-317_conwert_Veroeffentlichungsversion__22.11.2016.pdf
11. Die Übernahmekommission kam dabei zu näheren Feststellungen zum Sachverhalt und, darauf beruhend, zu folgendem abschließenden Gesamtergebnis (Rz. 149 des Bescheides):
"In Bezug auf die geplante Transaktion im Herbst 2015 (‚Projekt Paloma') bestand zwischen XXXX [AR AG] und XXXX [PA LLP] eine Absprache iSd § 1 Z 6 ÜbG. Die Absprache wurde durch XXXX [CC] vermittelt, der selbst Partei dieser Absprache war. Durch die Absprache versuchten XXXX [AR AG], XXXX [CC] und XXXX [KU], das Management der XXXX [C AG] zum Abschluss der Transaktion zu bewegen. Die Absprache zur Durchführung der geplanten Transaktion im Herbst 2015 wurde jedenfalls teilweise umgesetzt, und zwar spätestens am 29.9.2015. Sie war zudem auch kontrollrelevant iSd § 1 Z 6 ÜbG:
Hätte das Management der XXXX [C AG] in die Durchführung der Transaktion eingewilligt, wäre es im Zuge der notwendigen Sachkapitalerhöhung zu einer tiefgreifenden Änderung der Unternehmensstruktur gekommen und die Beteiligung des schon bislang größten Aktionärs erheblich ausgebaut worden. Dass die Zusammenarbeit zwischen XXXX [AR AG], XXXX [PA LLP] und XXXX [CC] nicht zum Erfolg führte, weil das Management der der XXXX [C AG] nicht in den Abschluss der Transaktion einwilligte, ist für die Beurteilung des gemeinsamen Vorgehens nach § 1 Z 6 ÜbG nicht ausschlaggebend. XXXX [AR AG], XXXX [PA LLP] und XXXX [CC] sind daher als gemeinsam vorgehende Rechtsträger iSd § 1 Z 6 ÜbG zu qualifizieren. Zu dieser Gruppe gehören auch XXXX [W AG] und XXXX [MP Limited], weil aufgrund der Konzernzugehörigkeit dieser Gesellschaften die Vermutung des § 1 Z 6 Satz 2 Fall 1 ÜbG greift und diese Vermutung nicht widerlegt wurde.
Die Stimmrechte dieser Parteien waren daher erstmals am 29.9.2015 gemäß § 23 Abs 1 ÜbG wechselseitig zuzurechnen. Zu dieser Zeit hielten XXXX [AR AG] mittelbar über XXXX [MP Limited] 25,26% und XXXX [PA LLP] 6,10% der Stimmrechte an XXXX [C AG]; insgesamt also 31,36%. Damit wurde bei wechselseitiger Stimmrechtszurechnung gemäß § 23 Abs 1 ÜbG eine kontrollierende Beteiligung iSd § 22 ÜbG erlangt, womit an diesem Tag grundsätzlich auch erstmalig die Angebotspflicht gemäß § 22a Z 1 ÜbG entstand.
Eine Ausnahme von der Angebotspflicht (§ 24 Abs 2 Z 2 ÜbG; § 25 Abs 1 Z 3 ÜbG) liegt nicht vor. Die Anwendung des § 24 Abs 2 Z 2 ÜbG scheitert bereits daran, dass im vorliegenden Fall XXXX [AR AG], XXXX [CC] und XXXX [KU] versuchten, die Führung der Gesellschaft außerhalb der Hauptversammlung zu beeinflussen, indem es zu einer informellen Einflussnahme auf die Verwaltungsorgane der Zielgesellschaft kam. Der Tatbestand von § 25 Abs 1 Z 3 ÜbG ist ebenfalls nicht erfüllt, weil die Überschreitung der formellen Kontrollschwelle weder unbeabsichtigt noch vorübergehend im Sinne dieser Vorschrift war.
XXXX [AR AG], XXXX [MPT Limited], XXXX [CC], XXXX [W AG] und XXXX [PA LLP] haben daher gemäß § 33 Abs 1 Z 2 ÜbG ein Pflichtangebot zu Unrecht nicht gestellt."
12. Gegen diesen Bescheid der Übernahmekommission wurden Rekurse erhoben, die der Oberste Gerichtshof abgewiesen hat (OGH 01.03.2017, 6 Ob 22/17d, im Internet veröffentlicht unter https://www.takeover.at/uploads/u/pxe/A2_Entscheidungen/Sonstige_Entscheidungen/6_Ob_17d__OGH__conwert__1.3.2017.pdf).
13. Der Bescheid der Übernahmekommission vom 01.12.2016, GZ 2016/1/2-313, ist seither rechtskräftig.
14. Nicht bereits während des Feststellungsverfahrens, sondern erst nach erstinstanzlichem Abschluss des Feststellungsverfahrens leitete die Übernahmekommission Verwaltungsstrafverfahren (unter anderem) gegen XXXX [CC], XXXX [AH] und XXXX [KU] ein. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von XXXX [AH] wurde dabei auf seine Funktion als Organ der XXXX [AR AG] im vorgeworfenen Tatzeitraum gestützt, jene des XXXX [KU] auf seine Funktion als Organ der XXXX [PA LLP] im vorgeworfenen Tatzeitraum. Die Übernahmekommission bezog die juristischen Personen XXXX [AR AG] und XXXX [PA LLP] gleichzeitig als Parteien in diese Verwaltungsstrafverfahren ein, weil für den Fall der Bestrafung ihrer jeweiligen Organe ( XXXX [KU] und XXXX [AH]) eine akzessorische Haftung der Gesellschaften für die verhängten Geldstrafen nach § 9 Abs. 7 VStG in Betracht kommt.
IV. Relevante Vorschriften des innerstaatlichen Verfahrensrechts:
15. § 38 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) lautet:
"§ 38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."
Dazu merkt das vorlegende Gericht an: Eine Bindung der Behörde entfalten nicht nur Bescheide, in denen die Vorfrage von einer "anderen Verwaltungsbehörde" entschieden wurde, sondern die Behörde und die Parteien sind auch durch Bescheide gebunden, mit denen die gleiche Behörde die Vorfrage bereits rechtskräftig als Hauptfrage entschieden hat (vgl. zB VwGH 07.09.2004, 2003/05/0094 [=VwSlg
16.430 A/2004]; 14.12.2009, 2009/10/0187).
16. §§ 49, 50 und 51 AVG lauten auszugsweise:
"§ 49. (1) Die Aussage darf von einem Zeugen verweigert werden:
1. über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen, einem seiner Angehörigen (§ 36a), einer mit seiner Obsorge betrauten Person, seinem Sachwalter oder einem seiner Pflegebefohlenen einen unmittelbaren Vermögensnachteil oder die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung zuziehen oder zur Unehre gereichen würde;
2. über Fragen, die er nicht beantworten könnte, ohne eine ihm obliegende gesetzlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit, von der er nicht gültig entbunden wurde, zu verletzen oder ein Kunst-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis zu offenbaren;
3. ....
(2) Die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Personen können die Zeugenaussage auch darüber verweigern, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Vertreter einer Partei von dieser anvertraut wurde.
(3) ...
(4) Will ein Zeuge die Aussage verweigern, so hat er die Gründe seiner Weigerung glaubhaft zu machen.
(5) ...
§ 50. Jeder Zeuge ist zu Beginn seiner Vernehmung über die für die Vernehmung maßgebenden persönlichen Verhältnisse zu befragen und zu ermahnen, die Wahrheit anzugeben und nichts zu verschweigen. Er ist auch auf die gesetzlichen Gründe für die Verweigerung der Aussage, auf die Folgen einer ungerechtfertigten Verweigerung der Aussage und die strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage aufmerksam zu machen.
Vernehmung von Beteiligten
§ 51. Die §§ 48 und 49 sind auch auf die Vernehmung von Beteiligten zum Zweck der Beweisführung anzuwenden, doch gilt der Weigerungsgrund des § 49 Abs. 1 Z 1 wegen Gefahr eines Vermögensnachteils nicht."
17. § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) lautet:
"§ 24. Soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, gilt das AVG auch im Verwaltungsstrafverfahren. Die §§ 2, 3, 4, 11, 12, 13 Abs. 8, 14 Abs. 3 zweiter Satz, 37 zweiter Satz, 39 Abs. 3, 41, 42, 44a bis 44g, 51, 57, 68 Abs. 2 und 3, 75 und 78 bis 82 AVG sind im Verwaltungsstrafverfahren nicht anzuwenden."
18. Der im 2. Abschnitt ("Verfahren in Verwaltungsstrafsachen") des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) angesiedelte § 38 VwGVG lautet:
"Anzuwendendes Recht
§ 38. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG in Verwaltungsstrafsachen die Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52/1991, mit Ausnahme des 5. Abschnittes des II. Teiles, und des Finanzstrafgesetzes - FinStrG, BGBl. Nr. 129/1958, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte."
V. Standpunkte und Rechtsprechung zur strittigen Bindungswirkung:
19. Die Übernahmekommission stützte sich bei Erlassung ihrer Straferkenntnisse und ihrer bestätigenden Beschwerdevorentscheidungen darauf, dass hinsichtlich der Frage, ob das Verhalten der Verfahrensbeteiligten in objektiver Hinsicht als Verletzung der Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots zu qualifizieren sei, bereits eine rechtskräftige Entscheidung (in Gestalt ihres Bescheides vom 01.12.2016) vorliege, die Bindungswirkung auch für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren entfalte. Aus diesem Grund sei diese Frage in rechtlicher Hinsicht für den gleichbleibenden Sachverhalt bereits entschieden. Ein Ermittlungsverfahren dazu (Zeugen- und Parteieneinvernahmen, Urkundenbeweise etc) oder eine andere rechtliche Beurteilung sei vor diesem Hintergrund nicht mehr statthaft.
20. Für das Bundesverwaltungsgericht ist in diesem Zusammenhang Folgendes relevant:
21. Nach österreichischem Verwaltungsverfahrensrecht bindet die rechtskräftige Entscheidung über eine Vorfrage bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage (die gleiche Behörde sowie) auch andere Verwaltungsbehörden und Gerichte, die in einer Angelegenheit zu entscheiden haben, für die sich eine Vorfrage stellt, die mit der rechtskräftigen Entscheidung bereits entschieden wurde. Diese Bindungswirkung ist auch von den Verwaltungsgerichten zu beachten, und zwar auch, wenn die rechtskräftig entschiedene Vorfrage von einer Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Voraussetzung dafür, dass von der Vorfragenentscheidung eine Bindungswirkung für ein darauf aufbauendes Verfahren ausgeht, ist grundsätzlich Parteienidentität.
22. Hinsichtlich des XXXX [CC] besteht Parteienidentität zwischen
dem rechtskräftig entschiedenen Vorverfahren einerseits und dem hier
gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren andererseits, so dass
zwar die fehlende Parteienidentität kein Hindernis für die Annahme
einer Bindungswirkung nach innerstaatlichem Recht bilden würde. Auch
sonst sind nach vorläufiger Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes
alle Voraussetzungen für eine Bindung an die rechtskräftige
Entscheidung nach innerstaatlichem Recht erfüllt, dies jedoch mit
einer Einschränkung: Der Annahme einer solchen Bindungswirkung
könnte entgegenstehen, dass nach der Rechtsprechung des
österreichischen Verfassungsgerichtshofes und des
Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens
die Annahme einer zu Lasten des Beschuldigten gehenden Bindung an
außerhalb eines Strafverfahrens ergangene rechtskräftige Bescheide -
und zwar selbst bei Identität zwischen Beschuldigtem im
Strafverfahren und Partei im vorhergegangenen Verwaltungsverfahren -
für unzulässig gehalten wird: So hat der Verfassungsgerichtshof
entschieden, dass es der "Grundsatz der verfassungskonformen
Gesetzesauslegung ... verbietet", eine
finanzstrafverfahrensrechtliche Norm des innerstaatlichen Rechts
"als implizite Aussage über eine Bindung an einen rechtskräftigen
Abgabenbescheid ... zu verstehen" (VfGH 30.06.1977, B 102/75
[=VfSlg. 8111/1977]). Er begründete dies unter Bezugnahme auf die in
Art. 6 EMRK verankerte Unschuldsvermutung, die es ausschließe, "die
Frage nach der Verwirklichung (auch nur) des objektiven Tatbestandes
durch den Beschuldigten im verwaltungsbehördlichen
Finanzstrafverfahren ... (zur Gänze oder auch nur teilweise) mit
einer bloßen Verweisung auf einen rechtskräftigen Abgabenbescheid zu
beantworten und dem Beschuldigten die Last eines Gegenbeweises
aufzuerlegen". Der österreichische Verwaltungsgerichthof folgte
dieser Rechtsprechung und sprach aus, dass "die
Verwaltungsstrafbehörde ... die Verwirklichung des objektiven
Tatbestandes durch einen Beschuldigten unabhängig von einem anderen
Verfahren ... zu prüfen [hat]" und dass "eine bloße Verweisung auf
einen rechtskräftigen Bescheid ... verfassungswidrig" sei (VwGH
25.04.1996, 92/06/0039, mit Hinweis auf VfSlg. 8111/1977). Auch vom Verfassungsgerichtshof liegen Folgeerkenntnisse vor, die zum gleichen Ergebnis kommen, dieses aber ohne Bezugnahme auf Art. 6 EMRK und allein durch das einfachgesetzliche Recht begründen (VfSlg. 9395/1982 und 10.144/1984).
23. In jüngeren Erkenntnissen traf der Verwaltungsgerichtshof Aussagen, die die Übernahmekommission im vorliegenden Verfahren zur Begründung ihrer gegenteiligen Ansicht heranzog und in ihren Straferkenntnissen als Beleg dafür anführte, dass sowohl im Verwaltungsstrafverfahren gegen XXXX [CC] als auch in jenen gegen
XXXX [AH] und gegen XXXX [KU] der Bescheid vom 01.12.2016 Bindungswirkung entfalte, was dazu führe, dass in diesen Verwaltungsstrafverfahren die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes (Rechtswidrigkeit) nicht mehr geprüft werden müsse (bzw. dürfe) und im Wesentlichen nur mehr die Frage des Verschuldens und der Strafhöhe Gegenstand eines Beweisverfahrens und einer eigenständigen rechtlichen Beurteilung sein dürften.
24. Die von der Übernahmekommission zum Beleg dieser Rechtsansicht angeführte Aussage des Verwaltungsgerichtshofes lautete wie folgt:
"... Vielmehr gilt gemäß § 24 VStG § 38 AVG [Anm des vorlegenden Gerichtes: betreffend die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen über Vorfragen] auch im Verwaltungsstrafverfahren (...). Die Bindungswirkung geht aber nicht so weit, dass damit der Strafbehörde keinerlei Kompetenz hinsichtlich des Schuldspruches zukäme, sondern nur mehr hinsichtlich der Strafbemessung. DIE BEURTEILUNG, OB EIN
BESCHULDIGTER EINEN VERWALTUNGSSTRAFRECHTLICHEN TATBESTAND
VERWIRKLICHT HAT und ihm auch das erforderliche Verschulden anzulasten ist, kommt allein der Strafbehörde zu" (VwGH 19.08.1993, 93/06/0099; 19.03.2013, 2009/02/0257 [= VwSlg. 18.595 A/2013] - Hervorhebung nicht im Original).
25. Unvorgreiflich einer endgültigen Entscheidung in dieser Beschwerdesache lässt sich der im vorstehenden Zitat durch Großbuchstaben hervorgehobene Satzteil freilich auch gegen die Ansicht der Übernahmekommission ins Treffen führen. Auch das weitere von der Übernahmekommission herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 09.06.2005, 2004/03/0176) bietet für ihre Auffassung keine zwingende Stütze, denn es ging darin nicht um den Fall, dass über die für das Strafverfahren relevante Gesetzesverletzung mit vorhergehendem Bescheid bereits rechtskräftig in der Hauptsache entschieden wurde, sondern um den strafrechtlichen Vorwurf, dass das Gesetz verletzt wurde, weil ein rechtskräftiger, zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt bereits vorhandener, Bescheid nicht beachtet wurde. Der rechtskräftige Vorbescheid entfaltet in einem solchen Fall nicht Bindungswirkung hinsichtlich der im Strafverfahren strittigen Vorfrage der Rechtsverletzung, sondern ist nur ein Tatbestandselement, das bei der Beurteilung des rechtserheblichen Sachverhalts relevant ist (Tatbestandswirkung).
26. Einer abschließenden Interpretation des innerstaatlichen Rechts bedarf es für den Zweck der sich hier stellenden Frage noch nicht, weil das vorlegende Gericht das innerstaatliche Recht ohnedies auch unionsrechtskonform auslegen müsste: Es müsste der Ansicht der Übernahmekommission im Ergebnis folgen, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union die erste Vorlagefrage dahin beantwortet, dass jedenfalls bereits das Unionsrecht bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage die Annahme einer Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung zwingend verlangt.
VI. Anwendbare Vorschriften des Unionsrechts:
27. Sowohl das Verfahren, in dem der rechtskräftige Feststellungsbescheid der Übernahmekommission vom 01.12.2016 ergangen ist, als auch das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren führte die Übernahmekommission in Ausübung ihrer Funktion als Aufsichtsstelle nach der RL 2004/25/EG.
28. Nach Art. 4 Abs. 5 der RL 2004/25/EG "verfügen [die Aufsichtsstellen] über alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen
Befugnisse". Sie haben "im Rahmen ihrer Aufgaben ... auch dafür
Sorge zu tragen, dass die Parteien des Angebots die gemäß dieser Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften einhalten":
Nach Art. 17 der RL 2004/25/EG "legen [die Mitgliedstaaten] die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten". Art. 17 der Richtlinie bestimmt weiters, dass "[d]ie
Sanktionen ... wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein
[müssen]".
29. Daraus folgt, dass die Übernahmekommission sowohl im Verfahren über die Erlassung des Bescheides, mit dem die Verletzung der Angebotspflicht förmlich festgestellt wurde, als auch im darauf aufbauenden Verwaltungsstrafverfahren, in dem sie aufgrund dieses Sachverhaltes Sanktionen (nämlich Verwaltungsstrafen) verhängt hat, in Durchführung von Unionsrecht handelte. Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta war daher bereits für das erste Verfahren eröffnet, er ist es auch für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren (vgl. EuGH 26.02.2013 Rs. C-617/10 Åkerberg Fransson Rz 24 ff) und zwar sowohl für die Übernahmekommission als auch für das - deren Straferkenntnisse nachprüfende - vorlegende Gericht.
30. Das vorlegende Gericht geht daher davon aus, dass für die Beurteilung des Ausgangsverfahrens sowohl die für Verfahren zur Durchsetzung von Rechten und Pflichten in Durchführung des Unionsrechts relevanten Prinzipien als auch die Grundrechtecharta von Bedeutung sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, u. a. die zuständigen Behörden zu bestimmen und die Modalitäten der Verfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, wobei diese Modalitäten jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen als die entsprechender innerstaatlicher Rechtsbehelfe (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).
VII. Unionsrechtliches Gebot und unionsrechtliche Grenzen einer Bindungswirkung
1. Bindungswirkung als Ausfluss des Effektivitätsgrundsatzes bei Parteienidentität?
31. Der Gerichtshof hat wiederholt die Bedeutung von Bestimmungen, die gerichtlichen oder Verwaltungsentscheidungen Rechtskraft bzw. Bestandskraft verleihen, sowohl für die Rechtsordnung der Union als auch für die nationalen Rechtssysteme hervorgehoben, da diese zur Rechtssicherheit beitragen, die ein Grundprinzip des Unionsrechts darstellt (vgl. hierzu u.a. Urteile vom 16.03. 2006 Kapferer C-234/04 Slg. 2006 I 2585 Rn. 20 und 13.01.2004 Kühne & Heitz C 453/00, Slg. 2004, I 837 Rn 24; zur Bedeutung der Rechtskraft zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege vgl. auch EuGH 10.07.2014 Impresa Pizzarotti C-213/13 Rn 58; 21.07.2016 Apple and Pear Australia C-226/15 P Rn 51).
32. Ausfluss der Rechtskraft ist auch die Bindungswirkung von Entscheidungen der für eine Angelegenheit in der Hauptsache zuständigen Behörden oder Gerichte. Die Bindungswirkung ist unverzichtbar für die Autorität eines individuellen Rechtsakts bei der verbindlichen Durchsetzung der relevanten Rechtsnormen des Unionsrechts. Auch die Bindungswirkung muss daher als Bestandteil des erwähnten Grundprinzips des Unionsrechts gesehen werden: Sie trägt zur Rechtssicherheit, Prozessökonomie, Klarheit und Sicherung der rechtlichen (und politischen - damit auch demokratischen) Verantwortungszuordnung und Legitimation von Entscheidungen, Einheit der Rechtsordnung, Wahrung der Zuständigkeitsordnung und damit auch der Qualität der Rechtsdurchsetzung bei, dies auch und gerade bei Entscheidungen von örtlich, fachlich oder funktionell spezialisierten Behörden oder Gerichten.
33. Das Bundesverwaltungsgericht geht vorläufig davon aus, dass die oben zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 8111/1977, 9395/1982 und 10.144/1984) und des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 19.08.1993, 93/06/0099; 25.04.1996, 92/06/0039; 19.03.2013, 2009/02/0257 [= VwSlg. 18.595 A/2013]) auch im Fall von Parteienidentität (hier also: im Verfahren des XXXX) dagegen spräche, zulasten des Beschuldigten eine Bindungswirkung des Bescheids der Übernahmekommission vom 16.11.2016, mit dem ihm gegenüber bereits die Verletzung der Pflicht zur Abgabe (und Anzeige) eines Pflichtangebots festgestellt wurde, anzunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht geht infolgedessen davon aus, dass bei Beachtung dieser Rechtsprechung dem Betreffenden trotz bereits rechtskräftig ergangener Entscheidung der Übernahmekommission im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren alle Einreden und Beweismöglichkeiten zustehen würden, um die bereits festgestellte Verletzung der Pflicht sowohl in rechtlicher als auch in sachverhaltsmäßiger Hinsicht in Frage zu stellen.
34. Es stellt sich die Frage, ob der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz einer solchen innerstaatlichen Praxis und Rechtsprechung entgegensteht, wonach eine rechtskräftige Entscheidung einer Behörde (hier: der Aufsichtsstelle nach Art. 4 der RL 2004/25/EG), mit der diese den festgestellten Sachverhalt (Zusammenwirken der beteiligten Personen) verbindlich als Verletzung des in Umsetzung einer Richtlinie ergangenen Gesetzes (hier: Verletzung der Angebotspflicht) qualifiziert hat, trotz unveränderter Sach- und Rechtslage und Parteienidentität (hier jedenfalls im Fall des Herrn XXXX [CC]) in einem nachfolgenden Verwaltungsstrafverfahren zur Verhängung einer Sanktion im Sinne von Art. 17 der RL 2004/25/EG nicht als bindend angesehen werden darf.
2. Bindungswirkung als Ausfluss des Effektivitätsgrundsatzes abseits von Parteienidentität?
35. In weiterer Folge, dh. für den Fall der Bejahung der ersten Frage, wäre zu prüfen, ob das Effektivitätsprinzip sogar eine Beachtung einer "erweiterten" Bindungswirkung verlangt, wenn diese einer Person entgegengehalten wird, die zum Zeitpunkt des vorhergehenden Verfahrens als Organ einer juristischen Person fungierte, die Partei des abgeschlossenen Verfahrens und Adressat der dieses Verfahren abschließenden Entscheidung war. In den beim Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Straferkenntnissen gegen Herrn XXXX [AH] und Herrn XXXX [KU] begründete die Übernahmekommission die Annahme einer solchen "erweiterten" Bindungswirkung (auch: Rechtskrafterstreckung) damit, dass es "durch ‚prozessuale Repräsentation' zu einer Erstreckung der Rechtskraft kommen könne, insbesondere im Verhältnis von Gesellschaft und Gesellschaftsorganen". Eine solche Rechtskrafterstreckung werde dann angenommen, "wenn zwischen Repräsentant und Repräsentiertem ein Interessengleichlauf besteht und der Interessengleichlauf so ausgestaltet ist, dass der Repräsentant durch den Prozessverlust selbst beschwert wäre". Die Beschwerdeführer bestreiten freilich diese Rechtsauffassung der Übernahmekommission und bringen vor, dass es auch nach österreichischem Zivilprozessrecht (auf das die Übernahmekommission bei ihren Ausführungen offenbar Bezug nimmt) erforderlich ist, dass einem Organ im Prozess der juristischen Person zuvor der Streit verkündet wurde, damit das Urteil bindend auch gegen das Organ wirksam wird.
3. Unionsgrundrechtliche Grenzen einer innerstaatlich angenommenen Bindungswirkung?
36. Sollte der Gerichtshof die Frage, ob der Effektivitätsgrundsatz die Annahme einer Bindungswirkung erfordert (Fragen II.1. und II.2.), verneinen, stellt sich die folgende Problematik:
37. Das Bundesverwaltungsgericht kann es beim gegenwärtigen Stand nicht ausschließen, dass es selbst (oder die in der Folge angerufenen Höchstgerichte) zur Auffassung gelangt (gelangen), dass die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes veraltet und auf die gegenwärtige Sach- und Rechtslage nicht mehr übertragbar ist (dies vor allem vor dem Hintergrund, dass diese Rechtsprechung noch zu Rechtslagen ergangen ist, nach denen der Grundsatz der Anrufbarkeit von Verwaltungsgerichten oder Tribunalen iSd. Art. 6 EMRK mit voller Kognitionsbefugnis im österreichischen Verwaltungsrecht noch nicht flächendeckend verwirklicht war). Dies hätte zur Folge, dass die Bindungswirkung (jedenfalls im Fall des XXXX [CC], möglicherweise aber auch in den anderen Fällen) schon aufgrund des innerstaatlichen Rechts zu bejahen wäre und Beweisanträge und rechtliches Vorbringen des Herrn XXXX [CC] (und der anderen Parteien) im vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben müssten, soweit sie darauf abzielen, die für ihn (für sie) bereits rechtskräftig festgestellte Pflichtverletzung in Frage zu stellen. Auf diesem Standpunkt steht die Übernahmekommission. Aus dieser Warte stellt sich für das vorlegende Gericht aber die Frage, ob eine solche Annahme der Bindungswirkung mit den Erfordernissen des Art. 47 GRC vereinbar wäre. Zwar hatte Herr XXXX [CC] (bzw. die von den anderen Beschuldigten repräsentierten juristischen Personen) im vorhergehenden Verfahren vor der Übernahmekommission alle Rechte einer Verfahrenspartei, konnte(n) alle ihm (ihnen) nützlich erscheinenden relevanten Beweise vortragen, seine (ihre) Rechte wahren, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen und gegen die Entscheidung auch ein Rechtsmittel ergreifen. Im Verfahren bestand Zugang zu einem unabhängigen Tribunal mit voller Kognitionsbefugnis in Sach- und Rechtsfragen, dies sogar nicht erst im Rechtsmittelweg, sondern bereits in erster Instanz (nämlich bei der Übernahmekommission, einer unabhängigen, als Tribunal im Sinne von Art. 6 EMRK qualifizierbaren Behörde - s. dazu VfSlg. 16.048/2000). In diesem Verfahren hätte sich Herr XXXX [CC] als Partei und damit als Beteiligter (§ 8 AVG, § 51 AVG) auf das Recht auf Aussageverweigerung wegen befürchteter Gefahr strafrechtlicher Verfolgung berufen können (§ 49 Abs. 1 Z 1 AVG); dasselbe gilt für Personen, die als Zeugen oder Parteien einvernommen wurden (wie allenfalls die anderen nunmehrigen Beschuldigten, XXXX [KU] und XXXX [AH]). Dieses Aussageverweigerungsrecht galt schon nach früherer Rechtslage auch in Bezug auf drohende verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung (VfSlg 14.988/1997), was vom Gesetzgeber im Jahr 2008 auch entsprechend klargestellt wurde (BGBl. I Nr. 5/2008, s. auch RV 294 BlgNR 23. GP). Herr XXXX [CC] (und die anderen Verfahrensparteien) hätte(n) eine etwaige Nichteinhaltung der Verfahrensrechte gegebenenfalls auch im Rechtsmittelweg rügen können. Das in einem solchen Verfahren zur Verfügung stehende (und in den konkreten Fällen auch tatsächlich ergriffene) Rechtsmittel an den OGH würde auch die für das Strafrecht relevanten Erfordernisse des Art. 2 des 7. ZPEMRK erfüllen, weil diese Bestimmung eine nochmalige Beurteilung des Sachverhalts nicht verlangt und ihr auch ein kassatorischer Rechtszug mit bloßer Rechtmäßigkeitskontrolle genügt (vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 [2016] § 24 Rz. 171).
38. Allerdings war das dem rechtskräftigen Bescheid vom 16.11.2016 vorangehende Verfahren vor der Übernahmekommission (im Gegensatz zum nunmehr geführten Verwaltungsstrafverfahren) kein strafrechtlich ausgestaltetes Verfahren, somit kein Verfahren, in dem der Partei als "Beschuldigter" besondere Rechte zukämen, in dem Vorschriften zur Wahrung aller für ein Strafverfahren notwendigen Garantien verankert wären (wie es zB im Fall einer Anwendbarkeit des Verwaltungsstrafverfahrensgesetz - VStG - der Fall wäre) und in dem die Unschuldsvermutung gälte. Angesichts dieser möglichen Einwände gegen eine innerstaatliche Praxis, wie sie hier etwa im Straferkenntnis der Übernahmekommission gegen XXXX [CC] zutage trat, hat das vorlegende Gericht die Vorlagefrage II.3. formuliert. Noch schärfer treten diese möglichen Einwände im Fall fehlender Parteienidentität ins Auge (also bei "Erstreckung" der Wirkungen der Entscheidung, die nur gegenüber der juristischen Person ergangen ist, auch auf das sie repräsentierende Organ), sohin im Fall der Beschwerdeführer XXXX [KU] und XXXX [AH], weshalb ergänzend die Vorlagefrage II.4. formuliert wurde.
39. Für das Verfahren der dritt- und fünftbeschwerdeführenden Parteien ist das vorliegende Vorabentscheidungsverfahren präjudiziell, weil die ihnen gegenüber ausgesprochene Haftung für die Geldstrafen des Erstbeschwerdeführers ( XXXX [KU]) und des Viertbeschwerdeführers ( XXXX [AH]) vom Ausgang der Verfahren dieser beiden Beschwerdeführer abhängig ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
40. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig (keine gesonderte Anfechtbarkeit des bloß verfahrensleitenden Beschlusses; der Vorlagebeschluss im betroffenen Ausgangsverfahren unterscheidet sich insofern von Aussetzungsbeschlüssen in Parallelverfahren; siehe zur mangelnden Anfechtbarkeit von Vorlagebeschlüssen und Normenanfechtungen im Übrigen auch OGH 09.12.1996, 16 Ok 9/96; 03.05.2012, 10 ObS 67/12v [=RZ 2012, 279]).
Schlagworte
Angebotsabgabe, Angebotspflicht, Anzeigepflicht, Äquivalenz,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W230.2201105.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.10.2018