TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/17 W251 2148461-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.08.2018
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Entscheidungsdatum

17.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2148461-1/21E

W251 2148456-1/15E

W251 2148450-1/15E

W251 2196796-1/8E

W251 2148453-1/19E

W251 2148458-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX und 6.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, Beschwerdeführer 1 bis 3, 5 und 6 vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Beschwerdeführer 4 vertreten durch Diakonie - Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 10.01.2017, Zl. XXXX , 2.) vom 10.01.2017, Zl. XXXX , 3.) vom 10.01.2017, Zl. XXXX , 4.) vom 25.04.2018, Zl. XXXX , 5.) vom 10.01.2017, Zl. XXXX und 6.) vom 10.01.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten - abgesehen vom Viertbeschwerdeführer - gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 10.09.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Viertbeschwerdeführer stellte am 25.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Drittbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- und des Viertbeschwerdeführers. Der Viertbeschwerdeführer ist der Vater der Fünftbeschwerdeführerin. Der Erstbeschwerdeführer ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin. Die Sechstbeschwerdeführerin ist das leibliche Kind des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin.

2. Die niederschriftliche Erstbefragung der Erst- bis Drittbeschwerdeführer fand am 11.09.2015, die des Viertbeschwerdeführers am 26.01.2016 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er die Zweitbeschwerdeführerin im Iran kennengelernt habe und heiraten habe wollen. Da der Cousin der Zweitbeschwerdeführerin diese ebenfalls heiraten habe wollen, seien ihre Familien gegen die Hochzeit des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gewesen. Sie hätten dennoch geheiratet, weshalb der Erstbeschwerdeführer von der Familie seiner Ehefrau sowohl im Iran als auch in Afghanistan bedroht und verfolgt worden sei.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an zwangsverheiratet worden zu sein. Dieser Mann (im Folgenden als "Ex-Mann" bezeichnet) habe sie geschlagen und Drogen konsumiert, weshalb sie sich von ihm habe scheiden lassen. Er habe sie daraufhin verfolgt und ihr mit dem Tod gedroht. Im Iran habe sie dann den Erstbeschwerdeführer kennengelernt und gegen den Willen ihrer Familien geheiratet, weshalb sie von ihrer Familie sowohl im Iran als auch in Afghanistan bedroht und verfolgt werde.

Die Drittbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass in Afghanistan Unsicherheit und Krieg herrsche. Da sie verwitwet sei und ihre Enkeltochter - die Fünft-beschwerdeführerin - bei ihr aufgewachsen sei, sei es für sie zu schwer alleine in Afghanistan zu leben. Sie sei deshalb mit ihrer Familie geflüchtet.

Der Viertbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er aufgrund des Krieges, der Taliban - die ihn zur Zusammenarbeit aufgefordert hätten - und der schlechten Sicherheitslage Afghanistan verlassen habe.

Für die Fünft- und Sechstbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

3. Am 20.07.2016 wurden die Erst- bis Drittbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab im Wesentlichen an Usbeke zu sein. Er habe Afghanistan vor 12-13 Jahren verlassen, weil die Tadschiken und Hazara nicht mit Usbeken gemeinsam in der Region leben hätten wollen. Er könne nunmehr nicht zurück nach Afghanistan, weil er eine Mischehe mit der Zweitbeschwerdeführerin, die Tadschikin sei, eingegangen sei. Die Verwandten ihres Vaters sowie ihr Ex-Mann seien nicht damit einverstanden gewesen, dass sie einen Usbeken geheiratet habe.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab nach ihren Fluchtgründen befragt an, dass die finanzielle Situation nach dem Tod ihres Vaters in Afghanistan sehr schlecht gewesen sei, weshalb sie mit ihrer Familie in den Iran gezogen sei. Sie könne nunmehr nicht nach Afghanistan zurück, weil ihr Ex-Mann gegen ihre zweite Hochzeit gewesen sei und deshalb ihr Leben und das ihres derzeitigen Ehemannes - dem Erstbeschwerdeführer - in Gefahr sei.

Die Drittbeschwerdeführerin gab an, dass in Afghanistan Krieg und die Taliban herrschen würden. In der Anfangsrevolutionszeit sei ihr Vater erschossen worden und ihr Bruder habe ein Auge verloren, weshalb sie in den Iran gegangen sei. Derzeit sitze ihr Sohn unschuldig im Iran im Gefängnis. Sie habe vor Jahren auch Probleme gehabt, weil ihr Schwager ihre Töchter mit seinen Söhnen verheiraten habe wollen, sie jedoch dagegen gewesen sei. Aktuell wolle sie nicht nach Afghanistan, weil man dort getötet werde.

Hinsichtlich der Fünft und Sechstbeschwerdeführerin wurden wiederum keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Am 24.04.2018 fand die niederschriftliche Einvernahme des Viertbeschwerdeführers beim Bundesamt statt. Der Viertbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass die Sicherheitslage sehr schlecht sei, weil die Taliban einen zwingen würden mit ihnen in den Kampf zu ziehen. Im Iran habe er kein Aufenthaltsrecht gehabt und er sei drei Jahre im Iran im Gefängnis gewesen. Danach sei er nach Afghanistan abgeschoben worden, wo er Alkohol verkauft habe. Dies stelle zwar eine Straftat dar, er habe deshalb aber keine Probleme gehabt.

4. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen bzw. 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevanten Fluchtgründe geltend bzw. glaubhaft gemacht hätten. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführer würden in Österreich - abgesehen voneinander - zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehr-entscheidung entgegenstehe, verfügen.

5. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 1 AVG genügt habe, weshalb das Verfahren mangelhaft sei. So habe das Bundesamt teilweise veraltete und lediglich allgemein gehaltene Länderberichte herangezogen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe dem Erst- und der Zweit-beschwerdeführerin Verfolgung als Rückkehrer aus dem Iran sowie als Rückkehrer aus dem Westen durch die Familie des Ex-Mannes der Zweitbeschwerdeführerin. Die Drittbeschwerde-führerin gehöre der sozialen Gruppe der alleinstehenden Witwen im fortgeschrittenen Alter an, die Fünft- und Sechstbeschwerdeführerin jener der kleinen im Iran geborenen Mädchen. Dem Viertbeschwerdeführer drohe durch den Verkauf von Alkohol in Afghanistan Verfolgung aufgrund des Verstoßes gegen islamische Grundsätze bzw. traditionelle Normen und Werte. Ihm könne aufgrund seines langen Aufenthalts im Iran und dem westlichen Ausland von den Taliban eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werden. Den Beschwerdeführern stehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, zumal sie über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügen würden.

6. Mit Urkundenvorlage vom 08.08.2017, 07.09.2017, 28.11.2017 und 11.12.2017 legten die Beschwerdeführer ärztliche Unterlagen sowie Unterlagen betreffend ihre Integration in Österreich vor.

7. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 18.12.2017 wurde gegen den Erstbeschwerdeführer wegen des Verdachts der Begehung des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO verhängt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.07.2018 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und Farsi sowie im Beisein der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden. Ein Vertreter des Bundesamtes nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem Bundesamt übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind traditionell miteinander verheiratet. Dieser Ehe entstammt die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin, die den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt.

Die Drittbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie ist die Mutter der Zweit- und des Viertbeschwerdeführers.

Der Viertbeschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX , geb. XXXX . Er ist der Vater der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin, die den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt.

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige und bekennen

sich zum muslimisch- sunnitischen Glauben (Verhandlungsprotokoll vom

16.07.2018 = VP, S. 9 f, 18, 28, 37). Die Beschwerdeführer sprechen

die Sprache Dari auf muttersprachlichem Niveau. Der Erst-, die

Dritt- und der Viertbeschwerdeführer sprechen weiters die Sprache

Farsi und der Erstbeschwerdeführer darüber hinaus die Sprache

Usbekisch (Akt W251 2148461-1 = BF 1 AS 1; Akt W251 2148456-1 = BF 2

AS 1; Akt W251 2148450-1 = BF 3 AS 13; Akt W251 2196796-1 = BF 4 AS

15; VP, S. 5).

Der Erstbeschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken (BF 1 AS 81; VP, S. 9). Er ist in der Provinz XXXX (beim Bundesamt "Sare-e-Pul" geschrieben) im Dorf XXXX (beim Bundesamt " XXXX " geschrieben) geboren und dort zunächst in einem Haus mit seiner Mutter aufgewachsen. Den Lebensunterhalt haben der Erstbeschwerdeführer und seine Mutter in Afghanistan aus ihrer eigenen Landwirtschaft bestritten, in der der Erstbeschwerdeführer auch mitgeholfen hat. Der Erstbeschwerdeführer ist ca. im Jahr 2002 in den Iran gezogen, wo er bei seinem Onkel väterlicherseits gelebt hat (BF 1 AS 79 ff; VP, S. 11). Der Erstbeschwerdeführer hat keine Schule besucht, er kann weder lesen noch schreiben. Er hat im Iran als Hilfsarbeiter auf Baustellen gearbeitet (BF 1 AS 1, 81, 87; VP, S. 10).

Die Drittbeschwerdeführerin ist Angehörige der Volksgruppe Paschtunen, Untergruppe Berijis (VP, S. 28). Die Zweit- und der Viertbeschwerdeführer sind Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken (BF 2 AS 87; BF 4 AS 96; VP, S. 18, 37). Die Drittbeschwerdeführerin ist in der Stadt XXXX im Stadtteil XXXX (beim Bundesamt " XXXX ", in der Beschwerde-verhandlung " XXXX " geschrieben) geboren. Die Drittbeschwerdeführerin hat bis zum Tod ihres Ehemannes mit diesem und ihren acht Kindern (drei Söhnen und fünf Töchtern) - darunter die Zweit- und der Viertbeschwerdeführer - in der Provinz XXXX im Dorf XXXX gelebt (BF 2 AS 83; BF 4 AS 96; VP, S. 18, 28, 37). Ca. im Jahr 2007 ist die Drittbeschwerde-führerin mit ihren Kindern - darunter die Zweit- und der Viertbeschwerdeführer - in den Iran gezogen (BF 2 AS 81; BF 3 AS 71; BF 4 AS 96; VP, S. 18, 38). Weder die Zweit, noch die Dritt- oder der Viertbeschwerdeführer haben eine Schule besucht, sie können weder lesen noch schreiben. Die Zweitbeschwerdeführerin hat im Iran als Schneiderin, der Viertbeschwerde-führer als Schweißer gearbeitet. Die Drittbeschwerdeführerin hat in Afghanistan in der Landwirtschaft gearbeitet und Teppiche geknüpft (BF 2 AS 1, 87; BF 3 AS 1, 73; BF 4 AS 15, 96; VP, S. 19 f, 29).

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben traditionell im Iran geheiratet. Sie sind gemeinsam für ca. eine Woche zurück nach Afghanistan gegangen und haben in dieser Zeit beim Onkel der Zweitbeschwerdeführerin väterlicherseits in der Provinz XXXX im Dorf XXXX gewohnt. Danach sind sie wieder in den Iran gegangen (BF 1 AS 87; BF 2 AS 83). Dieser Ehe entstammt die minderjährige Sechstbeschwerdeführerin.

Der Viertbeschwerdeführer war mit der Mutter seiner Tochter verheiratet, die jedoch bereits kurz nach der Geburt ihrer Tochter - der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin - verstorben ist. Der Viertbeschwerdeführer war ca. XXXX lang im Iran aufgrund XXXX im Gefängnis. Die Fünftbeschwerdeführerin ist deshalb bei ihrer Großmutter - der Drittbeschwerdeführerin - aufgewachsen (BF 3 AS 81; BF 4 AS 97).

Die Beschwerdeführer reisten - abgesehen vom Viertbeschwerdeführer - im Familienverband unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 10.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz (BF 1 AS 1 ff; BF 2 AS 1 ff; BF 3 AS 13 ff). Der Viertbeschwerdeführer reiste ebenfalls unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 25.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz (BF 4 AS 15 ff).

Der Erstbeschwerdeführer verfügt über seine Mutter sowie zwei Brüder in der Provinz XXXX im Dorf XXXX . Die Familie des Erstbeschwerdeführers verfügt über Grundstücke im Ausmaß von vier Jirib und Nutztiere in ihrem Heimatdorf. Der Erstbeschwerdeführer hat auch einen Onkel väterlicherseits in der Stadt XXXX . Dieser verfügt über Grundstücke im Ausmaß von sieben Jirib (BF 1 AS 79; VP, S. 11 ff).

Die Zweit-, Dritt- und der Viertbeschwerdeführer verfügen über die Mutter (Drittbeschwerdeführerin) bzw. die Großmutter (Zweit- und Viertbeschwerdeführer) sowie über einen Bruder (Drittbeschwerdeführerin) bzw. Onkel mütterlicherseits (Zweit- und Viertbeschwerdeführer) samt dessen Kind, eine Schwester (Drittbeschwerdeführerin) bzw. Tante mütterlicherseits (Zweit- und Viertbeschwerdeführer) sowie eine Tochter (Dritt-beschwerdeführerin) bzw. Schwester (Zweit- und Viertbeschwerdeführer) samt deren Ehemann und fünf Kinder in der Provinz XXXX im Dorf XXXX sowie weiters über drei Töchter (Drittbeschwerdeführerin) bzw. Schwestern (Zweit- und Viertbeschwerdeführer) sowie einen Sohn (Drittbeschwerdeführerin) bzw. Bruder (Zweit- und Viertbeschwerdeführer) im Iran (BF 2 AS 85; BF 3 AS 69 ff; BF 4 AS 97 f; VP, S. 20, 29, 38 f). Es kann nicht festgestellt werden, dass die Tochter der Drittbeschwerdeführerin bzw. die Schwester der Zweit- und des Viertbeschwerdeführers in Afghanistan bereits verstorben ist.

Die Zweit- und der Viertbeschwerdeführer haben auch einen Onkel väterlicherseits in der Provinz XXXX im Dorf XXXX , der über ein Haus verfügt (BF 2 AS 85; VP, S. 21). Es kann nicht festgestellt werden, dass der Onkel väterlicherseits der Zweit- und des Viertbeschwerdeführers in Afghanistan bereits verstorben ist. Die Tante väterlicherseits der Zweit- und des Viertbeschwerdeführers ist bereits verstorben (BF 4 AS 98, VP, S. 38).

Die Familie der Drittbeschwerdeführerin verfügt über ein Haus in der Provinz XXXX (BF 3 AS 71). Es kann nicht festgestellt werden, dass dieses Haus zerstört worden ist.

Der Erstbeschwerdeführer hat sowohl zu seiner Mutter und zu seinen Brüdern als auch zu seinem Onkel väterlicherseits regelmäßig Kontakt. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer haben regelmäßig Kontakt zu ihren Verwandten in Afghanistan.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen oder sonstigen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Es kann weder festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin zwangsverheiratet worden ist noch, dass sie vor ihrer aktuellen Ehe bereits verheiratet gewesen ist. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin gleichzeitig mit zwei Männern verheiratet war bzw. nach wie vor ist. Es kann auch weder festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer deshalb von dem vermeintlichen Ex-Mann der Zweitbeschwerdeführerin und/oder dessen Brüdern und/oder den Verwandten des Vaters der Zweitbeschwerdeführerin konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden sind noch, dass sie konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen sind.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Lebensgefahr oder ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch den vermeintlichen Ex-Mann der Zweitbeschwerdeführerin und/oder dessen Brüdern und/oder den Verwandten des Vaters der Zweitbeschwerdeführerin oder durch andere Personen droht.

1.2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Erstbeschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Usbeken konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Mischehe - zwischen einem Angehörigen der Usbeken und einer Angehörigen der Tadschiken - konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan durch ihre Familien oder sonstigen Personen droht.

1.2.3. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Viertbeschwerdeführer in Afghanistan Alkohol verkauft hat und deswegen in Afghanistan im Gefängnis gewesen ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Viertbeschwerdeführer in Afghanistan gegen islamische Grundsätze bzw. traditionelle Normen und Werte verstoßen hat. Es kann weder festgestellt werden, dass der Viertbeschwerdeführer von den Taliban aufgefordert worden ist für sie zu arbeiten noch, dass er konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt von den Taliban bedroht worden ist.

1.2.4. Die Zweit-, Dritt-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Den Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen droht in Afghanistan auch nicht die Gefahr zwangsverheiratet zu werden.

1.2.5. Bei den Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen handelt es sich nicht um auf Eigenständigkeit bedachte Frauen, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sind. Sie sprechen (faktisch) kein Deutsch und können weder lesen noch schreiben. Sie kümmern sich in Österreich primär um den Haushalt und ihre (Enkel)Kinder. Sie haben in Österreich Kontakte zu Nachbarn und Lehrern bzw. der Schuldirektorin der Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen. Sowohl die Zweit- als auch die Drittbeschwerdeführerin bedürfen einer Unterstützung im Alltag durch ihren Ehemann (Zweitbeschwerdeführerin) bzw. Schwiegersohn (Drittbeschwerdeführerin) sowie nunmehr durch ihren Bruder (Zweitbeschwerdeführerin) bzw. ihren Sohn (Drittbeschwerdeführerin).

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass es den Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen unmöglich oder unzumutbar wäre, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

1.2.6. In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn den Fünft- und Sechstbeschwerde-führerinnen eine grundlegende Bildung zukommt. Die Eltern bzw. die Großmutter würden die Fünft- und Sechstbeschwerdeführerin in Herat in die Schule schicken und diesen eine Schulbildung ermöglichen.

1.2.7. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihres Aufenthaltes in Europa psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wären.

1.2.8. Die Beschwerdeführer verließen den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

Dem Erstbeschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf in der Provinz XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Auch den Zweit- bis Sechstbeschwerdeführern würde bei einer Rückkehr in ihr Heimatdorf in der Provinz Herat ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat können die Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführer können zumindest anfänglich auf die finanzielle Unterstützung durch die Familie des Erstbeschwerdeführers und dessen Onkel väterlicherseits sowie auf die nach wie vor in Afghanistan lebenden Familienangehörigen der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer zurückgreifen. Insbesondere der Erst- und der Viertbeschwerde-führer sowie die Zweitbeschwerdeführerin können für ihr Auskommen und Fortkommen sowie für das der Dritt-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen sorgen.

Den Fünft- und Sechstbeschwerdeführerinnen ist es möglich nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat eine Schule zu besuchen und sich an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen, nämlich neue Kontakte zu knüpfen, die begonnene Schulbildung fortzusetzen, einen Beruf zu lernen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache zu vertiefen.

Es ist den Beschwerdeführern somit möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Erst- bis Dritt, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer sind seit ihrer Antragsstellung am 10.09.2015, der Viertbeschwerdeführer seit seiner Antragstellung am 25.01.2016, aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig.

Der Erstbeschwerdeführer hat zwar Deutsch-Alphabetisierungskurse besucht, er verfügt jedoch nur über geringe Deutschkenntnisse (Beilage ./A). Die Zweitbeschwerdeführerin hat an einem Deutschkurs und einem Nähkurs teilgenommen (BF 2 AS 103), sie verfügt jedoch faktisch über keine Deutschkenntnisse. Die Dritt- und der Viertbeschwerdeführer haben an keinen Deutsch- oder Integrationskursen teilgenommen, sie verfügen über keine Deutschkenntnisse (VP, S. 30, 41).

Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer gehen in Österreich weder einer beruflichen Tätigkeit nach noch üben sie gemeinnützige Tätigkeiten aus oder beteiligen sich aktiv in einem Verein oder ihrer Nachbarschaft. Sie leben von der Grundversorgung (VP, S. 14 f, 21 f, 30 f, 41 f).

Der Erst-, die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin haben in Österreich zwar Kontakte zu Afghanen und Österreichern knüpfen können, jedoch bestehen keine engen sozialen Kontakte zu diesen (VP, S. 14, 23, 32). Der Viertbeschwerdeführer hat keine Kontakte zu Österreichern (VP, S. 43).

Die Fünftbeschwerdeführerin besucht seit dem Schuljahr 2015/2016 eine Volksschule. Seit Beginn des Schuljahres 2017/2018 wird sie als ordentliche Schülerin geführt (BF 5 AS 43; Beilage ./B).

Die Sechstbeschwerdeführerin hat in Österreich von 05.11.2015 bis 30.06.2016 einen Kindergarten besucht. Seit dem Schuljahr 2016/2017 besucht sie die Volksschule (BF 6 AS 39; Beilage ./C).

Abgesehen von den im Spruch genannten Familienmitgliedern verfügt die Drittbeschwerde-führerin über einen volljährigen Sohn bzw. die Zweit- und der Viertbeschwerdeführer über einen Bruder in Österreich (VP, S. 22, 31 f, 42). Die Beschwerdeführer stehen zu diesem jedoch in keinem Abhängigkeitsverhältnis.

Der Viertbeschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 14.09.2017 wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Geldstrafe von XXXX Tagessätzen zu je € XXXX (insgesamt sohin € XXXX ) im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von XXXX Tagen verurteilt (Beilage ./I).

Gegen den Erstbeschwerdeführer wurde mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 18.12.2017, wegen des Verdachts der Begehung des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB die Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs. 6 StPO verhängt, da der Erstbeschwerdeführer die Zweitbeschwerdeführerin gewürgt habe (Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 18.12.2017). Der Erstbeschwerdeführer bestritt diese Vorwürfe (VP, S. 10). Der Erstbeschwerdeführer wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin hat sich mit dem Erstbeschwerdeführer versöhnte und möchte ihm eine zweite Chance geben und wieder mit ihm zusammenleben (VP, S. 24).

Die Erst- bis Dritt-, sowie Fünft- und Sechstbeschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 - LIB 29.06.2018, S. 20).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 29.06.2018, S. 20).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 29.06.2018, S. 24).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 29.06.2018, S. 32).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 29.06.2018, S. 25).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 29.06.2018, S. 25).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB 29.06.2018, S. 25).

Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 29.06.2018, S. 26 ff, 30).

Taliban:

Die Taliban konzentrierten sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" nicht. Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 ist auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (LIB 29.06.2018, S. 34).

Die Veränderungen des Konfliktschemas wirken sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus. Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht, Personal mit militärischem Hintergrund oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Da das Personal der afghanischen Streitkräfte über diese Fähigkeiten verfügt, versuchen die Taliban diese auf ihre Seite zu ziehen. Aufgrund der Schwerpunktlegung auf militärisches Wissen ist auch das Durchschnittsalter der Rekruten gestiegen (Beilage./IV, S. 8).

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden (Beilage./IV, S. 12-13). Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Beilage./IV, S. 18). Taliban haben keine Schwierigkeiten beim Zugang zu neuen Rekruten (Beilage./IV, S. 8).

Die Taliban nehmen heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht. Die Organisation der Taliban betreibt Zwangsrekrutierung nicht systematisch und Personen, die sich gegen eine Mobilisierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Reaktionen angedroht. Zudem steht eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in sehr beschränkten Ausmaß und in Ausnahmefällen zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, da die Taliban ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten haben. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Beilage./IV, S. 19).

Sar-i-Pul / Sar-e-Pul / Sar-i-Pol

Die nördliche Provinz Sar-i-Pul war bis 1988 Teil der Provinz Jawzjan. Sie grenzt im Süden an die Provinzen Ghor und Bamyan, im Westen und im Norden an Faryab, Jawzjan und Balkh und im Osten an Samangan. Die Provinz besteht aus sieben Distrikten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 578.639 geschätzt. In der Provinz leben Usbeken, Paschtunen, Hazara, Tadschiken und andere ethnische Gruppierungen (LIB 29.06.2018, S. 191).

Während die Provinz Sar-i-Pul im Februar und Juni 2017 noch zu den relativ friedlichen Provinzen in Nordafghanistan zählte, wurde sie im August 2017 als volatil bezeichnet. Die Sicherheitslage in der Provinz Sar-i Pul hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, nachdem Aufständische der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Gruppierungen in gewissen Gegenden aktiv geworden sind (LIB 29.06.2018, S. 191).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 108 zivile Opfer (67 getötete Zivilisten und 41 Verletzte) registriert. Hauptursache waren gezielte Tötungen, Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet eine Steigerung von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 29.06.2018, S. 192).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Terroristen zu befreien; dabei werden Aufständische verhaftet und getötet. Auch werden Luftangriffe durchgeführt; dabei werden Aufständische getötet. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften finden statt (LIB 29.06.2018, S. 192).

Regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen sind in einigen Distrikten aktiv und führen Angriffe aus. Talibankämpfer sind in der Provinz aktiv und rekrutieren neue Anhänger. Der IS gewinnt in einigen Distrikten der Provinz Terrain (LIB 29.06.2018, S. 192 f).

So sollen Mitglieder des IS gemeinsam mit den Taliban, zwei i. d. R. verfeindete Gruppierungen, im August 2018 einen bedeutenden Angriff verübt und zahlreiche Zivilisten getötet haben. Auch ausländische Kämpfer sollen sich dem IS in Nordafghanistan, auch in der Provinz Sar-i Pul, angeschlossen haben (LIB 29.06.2018, S. 193).

Die Islamische Bewegung Usbekistan (IMU) ist in der Provinz aktiv und hat ein Trainingscamp in Sar-i-Pul; auch der Anführer der Bewegung soll in der Provinz für den IS rekrutieren (LIB 29.06.2018, S. 193).

Aufständische schließen sich zum Teil den Friedensprozessen in Sar-i-Pul an (LIB 29.06.2018, S. 193).

Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in 16 Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB 29.06.2018, S. 101).

Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (LIB 29.06.2018, S. 101, 222 f).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (LIB 29.06.2018, S. 101).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Die Provinz Herat zählt zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (LIB 29.06.2018, S. 102).

Nach zehn Jahren der Entminung sind nun 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher. In diesen Gegenden besteht keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 29.06.2018, S. 103).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 29.06.2018, S. 103).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 29.06.2018, S. 104).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (LIB 29.06.2018, S. 104).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 29.06.2018, S. 104).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich (LIB 29.06.2018, S. 319).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben ca. mehr als 34.1 Millionen Menschen.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (LIB 29.06.2018, S. 274).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet.". Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (LIB 29.06.2018, S. 274).

Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 29.06.2018, S. 274).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 29.06.2018, S. 275).

Tadschiken

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (LIB 29.06.2018, S. 279).

Usbeken

Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans und macht etwa 9% der Bevölkerung aus. Usbeken sind Sunniten und siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Laschkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (LIB 29.06.2018, S. 280).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Usbeken in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari. Pashtunwali ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB 29.06.2018, S. 275).

Mischehen

Es gibt prinzipiell kein Verbot von Mischehen. Gemischte Ehen sind in städtischen Gebieten üblicher als in ländlichen Gebieten (Beilage ./VIII, S. 2). Es gibt eine beträchtliche Zahl von Mischehen zwischen den ethnischen Gruppe, was dazu führt, dass die Grenzen der Loyalität zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen undeutlicher werden (Beilage ./VIII, S. 3).

und insbesondere Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken keine Seltenheit sind (LIB 29.06.2018, S. 280).

Es kann nicht festgestellt werden, dass Eheleute einer ethnischen Mischehe in Afghanistan allein aufgrund ihrer ethnischen Mischehe psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Frauen

Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt (Beilage ./VI, S. 10).

Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten (Beilage ./VI, S. 2).

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (LIB 29.06.2018, S. 283). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an (LIB 29.06.2018, S. 284).

Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten (Beilage ./VI, S. 22). In urbanen Zentren werden zudem vermehrt Freizeitangebote speziell für Frauen angeboten (Beilage ./VI, S. 29 ff).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB 29.06.2018, S. 285 f).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB 29.06.2018, S. 290).

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (LIB 29.06.2018, S. 296).

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (LIB 29.06.2018, S. 296).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes. Jedoch wird durch UNICEF in Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet um auch diesen Kindern Zugang zu Bildung zu ermöglichen. In von den Taliban kontrollierten Gegenden sind gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (LIB 29.06.2018, S. 296 f).

Wirtschaft:

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 29.06.2018, S. 311).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 29.06.2018, S. 312).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (Beilage ./V, S. 29 - 30).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 29.06.2018, S. 324 f).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 29.06.2018, S. 326 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 29.06.2018, S. 327 f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 29.06.2018, S. 328).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Ei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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