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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 2005 §55;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S S in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen Spruchpunkt A I. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Februar 2018, W163 1401146- 3/4E, betreffend Karte für Geduldete (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist indischer Staatsangehöriger. Er reiste spätestens Anfang März 2008 nach Österreich ein und stellte hier am 6. März 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. In diesem Zusammenhang zu seinem Reiseweg befragt, gab er an, "legal mit eigenem Pass" von Neu Delhi nach Moskau geflogen zu sein; in Moskau habe ihm der Schlepper den Reisepass abgenommen, er sei dann mit verschiedenen LKWs, versteckt auf der Ladefläche, durch unbekannte Länder bis nach Österreich gebracht worden.
2 Mit Bescheid vom 29. Juli 2008 wies das Bundesasylamt den genannten Antrag des Revisionswerbers vollinhaltlich ab und wies ihn unter einem nach Indien aus. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 24. Oktober 2008 als unbegründet ab.
3 Der Revisionswerber verblieb in Österreich, weshalb die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes bei der indischen Botschaft in Wien in die Wege geleitet wurde. Die genannte Botschaft teilte hierauf mit Note vom 6. Februar 2009 mit, der Revisionswerber möge zu näher angeführten Zeiten für ein Interview mit dem Konsularbeamten der Botschaft zur Verfügung stehen. Diese Mitteilung wurde dem Revisionswerber seitens der Bundespolizeidirektion Wien gemeinsam mit der Aufforderung, binnen 14 Tagen bei der Konsularabteilung der Botschaft bezüglich der Ausstellung eines Passersatzdokumentes persönlich vorzusprechen und einen Nachweis über die erfolgte Vorsprache vorzulegen, in Kopie übermittelt. Der seinerzeitige Vertreter des Revisionswerbers teilte darauf bezugnehmend in der Folge mit, "nach Information der Kanzlei des ausgewiesenen Vertreters" habe der Revisionswerber bei der indischen Botschaft vorgesprochen, es sei ihm jedoch eine "Bestätigung darüber" nicht ausgestellt worden.
4 Das bei der indischen Botschaft angefragte Ersatzreisedokument wurde nicht ausgestellt; mehrfache Urgenzen des Bundesministeriums für Inneres blieben ohne Reaktion.
5 Im Juli 2012 ging bei der Bundespolizeidirektion Wien ein anonymes Schreiben ein, wonach der Revisionswerber seinen Originalreisepass zu Hause (gemeint: in Österreich) versteckt habe. Diesem Schreiben angeschlossen waren Kopien eines auf den Revisionswerber ausgestellten und von 30. August 2006 bis 29. August 2016 gültigen indischen Reisepasses mit einem vom 20. Dezember 2007 bis 14. September 2008 gültigen italienischen Visum. Laut einem Bericht der Landespolizeidirektion Wien habe der Revisionswerber dazu befragt angegeben, den Reisepass vor der Einreise in das Bundesgebiet vernichtet zu haben. Die erwähnte Reisepasskopie wurde an die indische Botschaft unter Bezug auf das Ersuchen um Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes am 1. August 2012 weitergeleitet. Dieses Ersuchen sowie eine Urgenz vom 2. November 2012 blieben ohne Reaktion.
6 Im Mai 2015 beantragte der Revisionswerber dann die Ausstellung einer Karte für Geduldete, weil er aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht abgeschoben werden könne. Mit dem - im zweiten Rechtsgang ergangenen - Bescheid vom 7. Oktober 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Einvernahme des Revisionswerbers im Zuge der am 10. August 2017 durchgeführten Beschwerdeverhandlung mit Spruchpunkt A I. seines Erkenntnisses vom 19. Februar 2018 gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 3 FPG keine Folge. (Unter Spruchpunkt A II. erkannte das BVwG über eine Beschwerde des Revisionswerbers in Angelegenheiten des von ihm gestellten Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Mit der gegenständlichen Revision, insoweit protokolliert zu Ra 2018/22/0180, wird auch dieser Abspruch bekämpft, worüber eine gesonderte Entscheidung ergeht.)
7 Das BVwG ging davon aus, dass der Revisionswerber legal mit seinem eigenen Reisepass und im Besitz eines italienischen Visums von Neu Delhi direkt nach Italien geflogen sei; nach dem vergeblichen Versuch, in Italien Arbeit zu finden, sei er im März 2008 unter Nutzung von Reisepass samt Visum nach Österreich weitergereist. Der Revisionswerber sei nach wie vor im Besitz seines bis 29. August 2016 gültigen Reisepasses; er habe diesen zu keinem Zeitpunkt vorgelegt und zum Verbleib durchwegs falsche Angaben erstattet. Er habe auch nicht die indische Botschaft zwecks Erlangung eines Ersatzreisedokuments aufgesucht und insbesondere "die konkrete Einladung zum Interview bei der Botschaft" nicht wahrgenommen.
8 Beweiswürdigend verwies das BVwG darauf, dass der Revisionswerber nunmehr selbst eingestanden habe, dass seine ursprünglichen Behauptungen über die Einreise nach Österreich falsch gewesen seien und dass er über Italien ins Bundesgebiet gelangt sei. Dass dies - wie angegeben - unter Einschaltung eines Schleppers erfolgt sei, sei allerdings angesichts legaler Einreisemöglichkeiten (Pass und Visum) eine "reine Schutzbehauptung". Davon ausgehend und im Hinblick auf die zunächst zur Einreise erstatteten unrichtigen Angaben könne aber auch den nunmehrigen Behauptungen des überdies persönlich nicht glaubwürdigen Revisionswerbers über eine Abnahme bzw. Wegnahme seines Reisepasses durch einen Schlepper nicht gefolgt werden. Da der Revisionswerber - so das BVwG weiter - selbst angegeben habe, keine Kopien seines Reisepasses gehabt zu haben, könnten die im Juli 2012 der Behörde übermittelten Kopien nur vom Original des Reisepasses stammen; sohin sei davon auszugehen, dass der Reisepass des Revisionswerbers tatsächlich in Österreich "in seiner Verfügungssphäre" sei und dass jemand Zugang zu diesem Dokument bekommen habe; daraus ergebe sich zusammenfassend, dass der Revisionswerber im Besitz seines Reisepasses sei, diesen aber bislang nicht vorgelegt habe.
9 Das Vorbringen des Revisionswerbers, er habe zur Erlangung eines Reisedokumentes die indische Botschaft aufgesucht, sei angesichts insoweit widersprüchlicher Behauptungen des Revisionswerbers und mangels Nachweis dieser Botschaftsbesuche ebenfalls nicht glaubwürdig. Auch unter diesem Gesichtspunkt, insbesondere weil er "die konkrete Einladung zum Interview bei der Botschaft" nicht wahrgenommen habe, habe er - ebenso wie durch die Nichtvorlage seines Reisepasses; dessen Zurückhalten sei auch aktuell geeignet, die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes zu verhindern, weil der Reisepass im Original einen erheblich höheren Beweiswert habe als die der indischen Botschaft 2012 erfolglos übermittelten Kopien - seine Mitwirkungspflichten verletzt. Seine Abschiebung "erscheine" daher (lediglich) aus von ihm zu vertretenden Gründen tatsächlich unmöglich.
10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Abspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
13 In der Revision, soweit sie sich gegen den hier gegenständlichen Spruchpunkt A I. des Erkenntnisses vom 19. Februar 2018 richtet, wird unter diesem Bezug die Beweiswürdigung des BVwG in Frage gestellt. Die Schlussfolgerung des BVwG, der Revisionswerber müsse über den indischen Originalreisepass verfügen, sei nicht zwingend, die Annahme, dass der Reisepass im Original einen höheren Beweiswert habe als die der indischen Botschaft 2012 ergebnislos übermittelten Reisepasskopien, sei spekulativ.
14 Damit vermag der Revisionswerber keine grundsätzliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die dargestellten Überlegungen des BVwG sind nämlich jedenfalls vertretbar und daher nicht revisibel (vgl. nur VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0206, Rn. 9 f). Soweit der Revisionswerber in diesem Zusammenhang außerdem ins Treffen führt, sämtliche an die indische Botschaft gerichteten Anfragen seien unbeantwortet geblieben, trifft dies im Übrigen nicht zu; er übergeht die Mitteilung der Botschaft vom 6. Februar 2009, wonach der Revisionswerber für ein "Interview" mit dem Konsularbeamten bei der Botschaft erscheinen möge (Rn. 3). Dass der Revisionswerber dem nicht Folge leistete, wird in der Revision gar nicht in Frage gestellt, weshalb im Übrigen schon deshalb die Beurteilung zutrifft, er habe an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitgewirkt (§ 46a Abs. 3 Z 1 FPG) und damit das Unterbleiben seiner Abschiebung - was der geltend gemachten Duldung wegen Unmöglichkeit einer Abschiebung aus tatsächlichen Gründen entgegen steht - selbst zu vertreten. Das im Beschwerdeverfahren ins Treffen geführte Erkenntnis VwGH 28.8.2012, 2011/21/0209, betrifft eine andere Fallkonstellation (Unterbleiben einer persönlichen Vorsprache bei einer Botschaft aus eigener Initiative, nachdem diese Botschaft vorweg schon ohne nähere Begründung die Angaben der konkreten Fremden als falsch bezeichnet hatte) und steht diesem Ergebnis daher nicht entgegen.
15 Was noch den ergänzend erhobenen Vorwurf anlangt, das BVwG hätte von Amts wegen weitere Ermittlungen pflegen müssen, so unterbleibt jegliche Darstellung der Relevanz dieses behaupteten Verfahrensfehlers. Schon deshalb vermag der Revisionswerber auch insoweit keine grundsätzliche Rechtsfrage aufzuzeigen, weshalb seine Revision, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A I. des Erkenntnisses vom 19. Februar 2018 richtet, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nicht öffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen war.
Wien, am 30. August 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210149.L00Im RIS seit
02.10.2018Zuletzt aktualisiert am
10.10.2018