Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des F B in W, vertreten durch Dr. Friedrich Schubert, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Reisnerstraße 40, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. Jänner 2018, L515 2125043- 1/43E, betreffend Karte für Geduldete (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber wurde in Armenien geboren und reiste erstmals 2005 und - nach zwischenzeitiger Abschiebung in die Slowakei - erneut spätestens im Mai 2006 nach Österreich ein. Hier stellte er insgesamt fünf Asylanträge bzw. Anträge auf internationalen Schutz, die teils zurück- und teils abgewiesen wurden; hiermit war jeweils eine Ausweisung (zunächst in die Slowakei, dann einerseits in die Ukraine und andererseits nach Armenien) verbunden.
2 Lediglich die Ausweisung in die Slowakei konnte (siehe oben) durch Abschiebung vollzogen werden. Der Revisionswerber befindet sich daher seit spätestens Mai 2006 durchgehend im Bundesgebiet und stellte schließlich im Dezember 2012 einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete; er sei Jeside und - wie schon in den Asylverfahren seit 2007 behauptet - staatenlos, seine Abschiebung sei aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.
3 Mit im zweiten Rechtsgang ergangenem Bescheid vom 30. März 2016 gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem genannten Antrag gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 3 Z 1 und 3 FPG keine Folge. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 16. Dezember 2016 als unbegründet ab.
4 Dabei ging das BVwG mit dem BFA davon aus, dass der geltend gemachte Duldungsgrund nach § 46a Abs. 1 Z 3 FPG (eine Abschiebung erscheint aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich) nicht vorliege, weil die Ausschlusstatbestände nach § 46a Abs. 3 Z 1 und 3 FPG (demnach liegen vom Fremden zu vertretende Gründe jedenfalls vor, wenn er seine Identität verschleiert (Z 1) oder an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt (Z 3)) gegeben seien. Einerseits habe der Revisionswerber seine wahre Identität und Herkunft verschleiert und andererseits habe er die ihm zumutbare Mitwirkung an der Erlangung eines Reisedokuments, etwa durch das wahrheitsgemäße Ausfüllen eines "Heimreisezertifikats-Formulars", verweigert.
5 Mit Erkenntnis vom 31. August 2017, Ra 2017/21/0024, hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung des BVwG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Das BVwG erkannte hierauf erneut über die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid des BFA vom 30. März 2016; es wies diese Beschwerde mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 15. Jänner 2018 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG und § 46a Abs. 1 und 3 Z 3 sowie Abs. 4 FPG abermals als unbegründet ab. Außerdem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens (Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet) erwogen:
6 In seinem die erste Entscheidung des BVwG aufhebenden Erkenntnis vom 31. August 2017 hatte der Verwaltungsgerichtshof zusammenfassend festgehalten, dass die vom BVwG angestellten Überlegungen noch nicht die Annahme zuließen, der Revisionswerber verschleiere im Sinn des § 46a Abs. 3 Z 1 FPG (aktuell) seine Identität; insbesondere rechtfertigten sie nicht die Annahme, der Revisionswerber sei tatsächlich Staatsangehöriger der Republik Armenien und seine Staatsangehörigkeit wäre seitens des armenischen Staates zu verifizieren, würde er unter seiner wahren Identität auftreten. Ausgehend davon, dass noch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, der Revisionswerber besitze die armenische Staatsangehörigkeit, sondern vielmehr deutliche Hinweise dafür, er sei staatenlos, habe aber auch nicht gesagt werden können, er habe infolge seiner Weigerung, ihm vorgelegte "Formulare für die armenische Botschaft" auszufüllen, an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitgewirkt und damit den Tatbestand des § 46a Abs. 3 Z 3 FPG verwirklicht.
7 Das BVwG führte im bei ihm wieder anhängigen Beschwerdeverfahren keine neuen Ermittlungen in Bezug auf Armenien durch. Im nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 15. Jänner 2018 ging das BVwG dann auch nicht mehr davon aus, der Revisionswerber verschleiere iSd § 46a Abs. 3 Z 1 FPG seine Identität. Es legte auch nicht mehr zugrunde, er sei armenischer Staatsangehöriger, verwies aber darauf, dass er zu seiner Staatsbürgerschaft widersprüchliche Angaben gemacht habe. (Außerdem) habe er die ihm zumutbare Mitwirkung an der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, etwa durch das wahrheitsgemäße Ausfüllen eines Formulars zur Erlangung eines Heimreisezertifikates, verweigert; "im Rahmen einer Gesamtbetrachtung" sei davon auszugehen, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikates entsprechend wahrscheinlich wäre, wenn der Revisionswerber seiner Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren nachkommen würde.
8 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Revisionswerber zwar ursprünglich behauptet hatte, armenischer oder ukrainischer Staatsangehöriger zu sein, dass er jedoch seit 2007 durchgehend deponierte, er sei staatenlos. Im Übrigen weigerte er sich zwar mehrfach, "Formulare für die armenische Botschaft" auszufüllen, doch ist dazu schon im Vorerkenntnis vom 31. August 2017 ausgesprochen worden, dass mangels ausreichender Anhaltspunkte für eine armenische Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers - ohne weitere Verifizierung - noch nicht gesagt werden könne, er habe infolge dieser Weigerung an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes (von der armenischen Botschaft) notwendigen Schritten nicht mitgewirkt und damit den Tatbestand des § 46a Abs. 3 Z 3 FPG verwirklicht (siehe Rn. 17 des genannten Erkenntnisses).
9 Die angesprochene Verifizierung hat das BVwG nicht durchgeführt. Es gelangte allerdings zu dem Ergebnis, dass im Lichte einer Neubewertung der Überlegungen zur Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers nicht (mehr) auszuschließen sei, dass er Staatsangehöriger der Russischen Föderation oder der Republik Ukraine sei.
10 Ohne auf diese, nicht auf ergänzenden Ermittlungen des BVwG beruhenden Überlegungen im Einzelnen näher einzugehen, ist dazu zunächst - der Vollständigkeit halber - festzuhalten, dass sich auch daraus nicht ableiten lässt, der Revisionswerber verschleiere aktuell seine Identität. Was aber den Vorwurf anlangt, er habe die zumutbare Mitwirkung an der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes verweigert, so ist festzuhalten, dass sich die insoweit allein angesprochenen "Verweigerungshandlungen" (Nichtausfüllen eines Formulars zur Erlangung eines Heimreisezertifikates) ausschließlich auf Armenien beziehen. Dass daraus im gegebenen Zusammenhang nichts abzuleiten ist, wurde schon ausgeführt. Insoweit geht die dann in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses zum Ausdruck gebrachte Auffassung, die Mitwirkungspflicht bestehe in Bezug auf jenen Staat, welcher von der Behörde als Herkunftsstaat vermutet werde, fallbezogen ins Leere.
11 Es trifft aber auch nicht zu - wie vom BVwG offenbar noch ergänzend vertreten -, dass die Abweisung des auf § 46a Abs. 1 Z 3 FPG gestützten Antrags des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete (schon) deshalb gerechtfertigt sei, weil dem BFA noch weitere Ermittlungsmöglichkeiten, "insbesondere in Bezug auf die Russische Föderation und die Republik Ukraine" offen stünden. Abgesehen davon, dass das BVwG grundsätzlich selbst die noch für notwendig erachteten Ermittlungen vorzunehmen gehabt hätte (vgl. in diesem Sinn nur VwGH 29.5.2018, Ra 2018/21/0060, Rn. 10), könnte das Ausbleiben gebotener Ermittlungsschritte nie zulasten des Antragstellers gehen.
12 Aus den dargestellten Gründen, die im Kern auch in den Zulassungsausführungen der gegenständlichen Revision angesprochen werden, erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt. Das angefochtene Erkenntnis, in dem im Übrigen die - wenngleich nicht entscheidungswesentlichen - Änderungen des § 46a FPG durch das FrÄG 2017 nicht beachtet wurden, war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
13 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. August 2018
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210029.L00Im RIS seit
02.10.2018Zuletzt aktualisiert am
10.10.2018