TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/5 Ra 2018/12/0031

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Veröffentlicht am 05.09.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/02 Gehaltsgesetz;

Norm

AVG §58;
AVG §60;
GehG 1956 §12;
MRK Art6;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29 Abs1;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2017/12/0093 E 3. Oktober 2018

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Feiel als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die außerordentliche Revision des I P in K, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2018, W213 2156633-1/9E, betreffend Anrechnung von Vordienstzeiten für das Besoldungsdienstalter (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber wurde mit 1. März 2017 in ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis ernannt. Er steht als Inspektor bei der Landespolizeidirektion Wien in Verwendung.

2 Anlässlich dieser Ernennung sprach die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangte Dienstbehörde mit Bescheid vom 14. März 2017 aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 12 Gehaltsgesetz 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54/1956, eine Zeit von zwei Jahren, sechs Monaten und einem Tag auf sein Besoldungsdienstalter in der Verwendungsgruppe E2b angerechnet werde. Nicht angerechnet wurden dem Revisionswerber geleistete freiwillige Waffenübungen und Auslandseinsatzpräsenzdienste.

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin vertrat er die Auffassung, dass die oben angeführten, nicht angerechneten Zeiten (u.a.) aus dem Grunde des § 12 Abs. 3 GehG zu berücksichtigen gewesen wären. Er beantrage dazu mit näherem Vorbringen zu seiner Tätigkeit beim Bundesheer seine Einvernahme als Partei.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 12 Abs. 2 Z 4 und Abs. 3 GehG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

5 Nach Darstellung des Inhalts des angefochtenen Bescheids, der Beschwerde und einer dieser entgegentretenden Stellungnahme der belangten Behörde verwies das Verwaltungsgericht für Sachverhaltsfeststellungen auf den Verfahrensgang. Beweiswürdigend führte es aus, der maßgebliche Sachverhalt ergebe sich aus der klar nachvollziehbaren und hinsichtlich des Ausmaßes der zu beurteilenden Vordienstzeiten unbestrittenen Aktenlage.

6 Die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht habe erwarten lassen. Dem Entfall der Verhandlung stehe auch weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe etwa in seiner Entscheidung vom 5. September 2002, Speil/Austria, 42057/98, unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigten. Solche besonderen Umstände habe der Gerichtshof darin erblickt, wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet sei, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich gemacht hätte. Eine solche Fallkonstellation sah das Bundesverwaltungsgericht auch in diesem Verfahren gegeben.

7 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe gesetzlicher Bestimmungen fallbezogen aus, dass bereits dem Gesetzeswortlaut des § 12 GehG klar zu entnehmen sei, dass Zeiten des Grundwehrdienstes im Ausmaß von höchstens sechs Monaten angerechnet werden könnten. Alle darüber hinaus gehenden freiwilligen Dienste sowie darüber hinausgehende Pflichtdienste nach älteren Bestimmungen seien nicht anrechenbar. Dem Gesetzeswortlaut folgend seien auch Präsenzdienste, die keine Grundwehrdienste nach § 19 Abs. 1 Z 1 Wehrgesetz 2001 seien, nicht anrechenbar.

8 Zu einer möglichen Anrechnung nach § 12 Abs. 3 GehG verwies das Verwaltungsgericht auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Februar 2018, Ro 2018/12/0001, und verneinte vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung eine auf § 12 Abs. 3 GehG gestützte Anrechenbarkeit der vom Revisionswerber geleisteten Präsenzdienstzeiten beim Bundesheer schon deshalb, weil es dieser Tätigkeit an der vom Verwaltungsgerichtshof geforderten Einschlägigkeit fehle. Die Tätigkeit im Rahmen des Präsenzdienstes könne auch nicht als mit der eines Exekutivbeamten verwandt bezeichnet werden. Der Revisionswerber selbst weise nur pauschal auf eine soziale Kompetenz im Umgang mit Menschen und die im Rahmen des Präsenzdienstes erworbene Befähigung zum Lenken eines Lkw hin. Damit könne aber nicht hinreichend dargetan werden, dass er in den ersten sechs Monaten seines Einsatzes im praktischen Polizeidienst wesentlich - um 25 % - bessere Verwendungserfolge erzielt habe. Ferner sei zu bedenken, dass zwischen der in Rede stehenden Vortätigkeit und der nunmehrigen dienstlichen Verwendung die von ihm absolvierte - im Erkenntnis näher dargestellte - polizeiliche Grundausbildung gelegen sei. Im Hinblick auf die dort gelehrten umfangreichen Ausbildungsinhalte - vor allem auch im Hinblick auf die vom Revisionswerber angesprochene soziale Kompetenz im Umgang mit Menschen - sei nicht davon auszugehen, dass die vom Revisionswerber angeführten Vortätigkeiten im Rahmen des Präsenzdienstes in den ersten sechs Monaten seines Einsatzes im praktischen Polizeidienst zu einem wesentlich - um 25 % - besseren Verwendungserfolg geführt hätten.

9 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf eine klare Sach- und Rechtslage.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag die Revision zurückzuweisen, hilfsweise sie abzuweisen.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senate erwogen:

12 Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit sowie in der Begründung seiner Revision ins Treffen, das Verwaltungsgericht habe mit dem Unterlassen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gegen die - in der Revision näher dargestellte - ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs verstoßen, wären doch nicht nur rein rechtliche Fragen zu beurteilen gewesen.

13 Damit zeigt die Revision eine grundsätzliche Rechtsfrage auf, weil das Bundesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vom Fehlen einer Verhandlungspflicht ausgegangen ist:

14 Der vorliegende Fall gleicht nun hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts und der entscheidungswesentlichen Rechtsfragen insofern jenem, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. November 2017, Ra 2017/12/0099, zugrunde lag, als einerseits die hier gegenständliche Entscheidung über das Besoldungsdienstalter über "civil rights" im Verständnis des Art. 6 EMRK erging und andererseits die Beurteilung der für eine Anrechnung gemäß § 12 Abs. 3 GehG maßgeblichen "Einschlägigkeit" u.a. von Tatsachenfragen abhängt, sodass die nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR zulässigen Ausnahmen von der Verhandlungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK für nicht übermäßig komplexe Rechtsfragen oder hochtechnische Fragen nicht Platz greifen. Für die weitere Begründung wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses vom 21. November 2017 verwiesen.

15 Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 5.9.2002, Speil/Austria, 42057/98; siehe dazu auch VwGH 23.1.2013, 2010/15/0196).

16 Zudem wird das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts den von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs herausgearbeiteten Begründungserfordernissen dann nicht gerecht, wenn es - wie hier - keine eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den maßgeblichen Sachverhaltselementen enthält, sondern diesbezüglich bloß auf den Verfahrensgang verwiesen wird (vgl. VwGH 19.2.2018, Ra 2017/12/0017, Rn 32, mwN), und auch nicht etwa ausdrücklich die behördlichen Feststellungen übernommen wurden. Es ist daher auch nicht ausreichend klar erkennbar, von welchen Feststellungen zu den maßgeblichen Tatsachenfragen das Verwaltungsgericht ausging.

17 Der Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die aus Art. 6 Abs. 1 EMRK abgeleitete Verhandlungspflicht führt ohne nähere Prüfung einer Relevanz dieses Verfahrensmangels zur Aufhebung des Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG (siehe auch dazu VwGH 21.11.2017, Ra 2017/12/0099, u.a.).

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. September 2018

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018120031.L00

Im RIS seit

02.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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