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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §37;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/18/0372 Ra 2018/18/0371Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision
1. der U V, 2. des A T und 3. der S T, alle vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Mai 2018, Zlen. W215 2185554-1/14E (ad 1.), W215 2185551- 1/7E (ad 2.) und W215 2185552-1/7E (ad 3.), betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige der Republik Kasachstan und Angehörige einer Familie (Mutter und zwei Kinder). Die Erstrevisionswerberin stellte für sich und ihre minderjährigen Kinder in Österreich am 2. Juli 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab die Erstrevisionswerberin Gewalttätigkeiten ihres mittlerweile geschiedenen Ehemannes gegenüber ihr und ihren Kindern an. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.
2 Mit Bescheiden vom 2. Jänner 2018 (ad 1. und 2.) bzw. vom 1. Februar 2018 (ad 3.; gemeint wohl auch: 2. Jänner 2018) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der revisionswerbenden Parteien sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keine Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen die revisionswerbenden Parteien Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass deren Abschiebung nach Kasachstan zulässig sei (Spruchpunkt III.), und erkannte einer Beschwerde gegen die genannten Bescheide die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.).
3 Die revisionswerbenden Parteien erhoben Beschwerde. 4 Mit Teilerkenntnis vom 14. Februar 2018 hob das Bundesverwaltungsgericht Spruchpunkt IV. der Bescheide (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG ersatzlos auf.
5 Im Übrigen wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien als unbegründet ab und setzte die Frist für deren freiwillige Ausreise mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig.
6 Begründend führte das Gericht - zusammengefasst - aus, es sei mangels glaubhafter Angaben der Erstrevisionswerberin, die sich im Zuge ihrer Ausführungen in näher dargestellte Widersprüche verstrickt habe, nicht von der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen. Auch eine reale Gefahr einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung drohe den revisionswerbenden Parteien in Kasachstan nicht. Zur Rückkehrentscheidung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass kein Eingriff in das Familienleben der revisionswerbenden Parteien vorliege, weil alle Familienmitglieder gleichermaßen von der aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen seien. Es sei zudem im Sinne des Wohles der Kinder, wenn die zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien mit beiden Elternteilen im Herkunftsstaat aufwachsen könnten. Die Erstrevisionswerberin habe eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt und spreche nur gebrochen Deutsch. Eine wirtschaftliche Integration bestehe nicht und es sei nicht davon auszugehen, dass die Erstrevisionswerberin, die bis zu ihrem 37. Lebensjahr in Kasachstan gelebt habe, ihrem Kulturkreis entfremdet sei. Die zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien hätten den überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht und dort auch bereits die Schule besucht. Sie seien in einem anpassungsfähigen Alter sowie mit den kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten des Herkunftsstaates vertraut. In einer Gesamtschau falle daher die Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu Ungunsten der revisionswerbenden Parteien aus.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht hätte hinsichtlich der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien das Vorliegen eigener Fluchtgründe prüfen müssen. Darüber hinaus seien die revisionswerbenden Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich von einer "Scheinvertreterin", nämlich einer Nicht-Juristin, vertreten gewesen, die nicht befugt gewesen sei, den anwaltlichen Vertreter der revisionswerbenden Parteien zu substituieren. Es wäre vor diesem Hintergrund die mündliche Verhandlung erneut durchzuführen gewesen. Auch habe das Gericht gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insofern verstoßen, als es verabsäumt habe, den Zweitrevisionswerber "als Beteiligten gemäß § 49 AVG zu den Flucht-, Ausreise-, Bedrohungs- und Rückkehrgefährdungsgründen" der Erstrevisionswerberin zu befragen. Weiters seien sowohl die Beweiswürdigung als auch die Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK in unvertretbarer Weise vorgenommen worden und es habe das Bundesverwaltungsgericht gegen die Begründungspflicht sowie den Amtswegigkeitsgrundsatz verstoßen, indem es nicht auf alle im Verfahren hervorgekommenen "Verfolgungs- und Rückkehrgefährdungen" Bedacht genommen habe. Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Soweit die Revision beanstandet, das Bundesverwaltungsgericht hätte eigene Fluchtgründe der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien prüfen müssen, ist dem lediglich entgegenzuhalten, dass die Erstrevisionswerberin, die gemäß § 10 Abs. 2 BFA-VG zur Vertretung ihrer Kinder vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht befugt ist, ausdrücklich angab, dass die zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien keine eigenen Fluchtgründe hätten.
10 Dem Zulässigkeitsvorbringen, wonach in der mündlichen Verhandlung zu Unrecht eine Vertretungsbefugnis einer "Scheinvertreterin" angenommen worden sei, ist zu erwidern, dass im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht weder Anwalts- noch Vertretungspflicht besteht und die in der Verhandlung offenkundig mit Zustimmung des anwaltlichen Vertreters der revisionswerbenden Parteien als deren Vertreterin aufgetretene Frau Dkfm. W - wie die Revision selbst festhält - weder Anträge noch Fragen gestellt und keine weiteren Erklärungen abgegeben hat. Dem diesbezüglichen Vorbringen kann somit unter dem Gesichtspunkt einer behaupteten fehlenden Vertretungsbefugnis keine Relevanz zukommen.
11 Darüber hinaus hatte die Erstrevisionswerberin nach der vorliegenden Niederschrift unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie in der Verhandlung durch die dort als ihre Vertreterin aufgetretene, als solche in der Niederschrift bezeichnete und während der mehrstündigen Verhandlung anwesende Person vertreten zu sein wünschte (siehe zu einer ähnlichen Konstellation VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0093).
12 Im Übrigen wird in der Revision nicht behauptet und ergeben sich auch aufgrund der vorliegenden Verfahrensakten keine Anhaltspunkte dafür, dass die revisionswerbenden Parteien, obwohl sie von dieser Möglichkeit in Kenntnis gesetzt worden waren, im Sinn von § 52 Abs. 2 letzter Satz BFA-VG um die Teilnahme eines Rechtsberaters ersucht hatten. Ein diesbezügliches Ersuchen ergibt sich nicht einmal aus der Stellungnahme ihres anwaltlichen Vertreters, die am 23. April 2018 nach der mündlichen Verhandlung dem Gericht übermittelt wurde.
13 Wenn die Revision weiters die Unterlassung der amtswegigen Einvernahme des Zweitrevisionswerbers gemäß § 49 AVG, und zwar im Hinblick auf das Verfahren der Erstrevisionswerberin, rügt, ist zunächst festzuhalten, dass diese Einvernahme (selbst in der durch den anwaltlichen Vertreter übermittelten Stellungnahme vom 23. April 2018) nicht beantragt wurde.
14 Das in der Revision zur Stützung ihrer Rechtsansicht zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Ra 2015/18/0082-0086, 0087, betraf einen gänzlich anders gelagerten Sachverhalt und ist daher nicht einschlägig. Die Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht eine persönliche Befragung des Zweitrevisionswerbers hätte vornehmen müssen, stellt eine von der konkret vorliegenden Verfahrenssituation abhängige und somit einzelfallbezogene Frage dar (VwGH 28.6.2018, Ra 2018/18/0358). Solchen Fragen kann dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen. Dass die zuletzt genannte Voraussetzung im Hinblick auf das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren erfüllt wäre, wird von der Revision nicht aufgezeigt.
15 Sofern sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts richtet, ist anzumerken, dass der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung läge eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0307, mwN).
16 Derart massive Mängel der Beweiswürdigung legt die Revision nicht dar. Insbesondere gelingt es ihr nicht aufzuzeigen, dass die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts, die Erstrevisionswerberin habe im Laufe des gerichtlichen und behördlichen Verfahrens mehrfach widersprüchliche Angaben gemacht, unzutreffend und die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts im Ergebnis unvertretbar wäre.
17 Weiters ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 22.2.2018, Ra 2018/18/0037).
18 Dass die im Einzelfall vorgenommene Abwägung des Bundesverwaltungsgerichts in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre, ist nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht berücksichtigte insbesondere das Familien- und Privatleben der minderjährigen zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien und kam im Zuge einer vertretbaren Interessenabwägung zu dem Schluss, dass vom Überwiegen der öffentlichen Interessen gegenüber jenen der revisionswerbenden Parteien auszugehen sei. Dabei nahm das Verwaltungsgericht darauf Bedacht, dass der Zweitrevisionswerber seinen Herkunftsstaat erst im Alter von zwölf Jahren verlassen und demnach seine grundsätzliche Sozialisierung bereits in Kasachstan erfahren hat, weshalb sich - auch bezogen auf den Zweitrevisionswerber - die Annahme einer zumutbaren Möglichkeit der Wiedereingliederung jedenfalls als nicht unvertretbar erweist (VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422-0423 und 0424; 30.7.2015, Ra 2014/22/0055-0058, mwN).
19 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang wiederholt die Gefahr eines "An-Sich-Reißens" der Obsorge durch den Vater der zweit- und drittrevisionswerbenden Parteien ins Treffen führt, wird übersehen, dass das Bundesverwaltungsgericht das diesbezügliche Fluchtvorbringen der Erstrevisionswerberin im Rahmen einer schlüssigen Beweiswürdigung als nicht glaubhaft erachtete.
20 Diesen Umstand übersieht die Revision auch dann, wenn sie dem Bundesverwaltungsgericht vorwirft, es habe die Einflussmöglichkeit des geschiedenen Ehemanns bzw. Vaters auf die Pflegschaftsbehörden und die weit verbreitete Korruption im Herkunftsstaat nicht berücksichtigt und aus diesem Grund "das Amtswegigkeitsprinzip" verletzt.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen. Wien, am 6. September 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180370.L00Im RIS seit
03.10.2018Zuletzt aktualisiert am
02.11.2018