Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 2005 §3 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H J, vertreten durch Mag. Elke Weidinger, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Brückenkopfgasse 1/VIII, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Februar 2018, Zl. W138 2131821-1/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 21. Dezember 2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheid vom 7. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG u.a. aus, der Revisionswerber gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Er stamme aus dem Distrikt Bandar der Provinz Daikundi, wo er geboren und aufgewachsen sei. Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan habe er gemeinsam mit seiner Familie in seinem Heimatdorf in deren Haus gelebt. Auch unter eingehender Berücksichtigung seines noch minderjährigen Alters sei es dem Revisionswerber nicht gelungen, die behauptete versuchte Zwangsrekrutierung durch die Taliban glaubhaft darzulegen. Selbst unter Berücksichtigung des Bildungsstandes des Revisionswerbers sowie der Annahme einer persönlichen Belastung infolge der Fluchtsituation müsse im Hinblick auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens sowie vor dem Hintergrund des mittlerweile vom Revisionswerber erreichten Alters dennoch die Anforderung gestellt werden, dass das Vorbringen wenigstens im Ansatz plausibilisiert und näher begründet werden könne, was hier nicht der Fall gewesen sei. Auch hätten sich aus den sonstigen im Verfahren erhobenen Beweisquellen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass in der Heimatregion des Revisionswerbers eine besonders potenzierte Gefahrenlage bestehe und die Taliban insbesondere dort versuchten, Kämpfer zu rekrutieren. Bezüglich des Aufenthaltes der Familie des Revisionswerbers habe nicht festgestellt werden können, dass sie nicht mehr in ihrem Heimatdorf lebe. Da die Familie - abgesehen von der behaupteten Zwangsrekrutierung des Revisionswerbers - durch die Taliban gemäß den Angaben des Revisionswerbers sonst keiner Bedrohung oder Verfolgung in deren Heimatprovinz ausgesetzt gewesen sei, sei kein Grund erkennbar, warum sie ihr Heimatdorf verlassen hätte sollen. Auch der pauschale Hinweis des Revisionswerbers auf die Sicherheitslage in seinem Heimatland sowie auf die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit seiner Familie sei nicht geeignet gewesen, um tatsächlich davon auszugehen, dass die Angehörigen des Revisionswerbers ihr Dorf verlassen hätten. Da es sich bei Daikundi um eine relativ friedliche Provinz handle, welche auch gefahrlos zu erreichen sei, sei dem Revisionswerber eine Rückkehr dorthin möglich und zumutbar. Selbst unter der Annahme, dass dem Revisionswerber eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz nicht möglich sei, stünde ihm die Hauptstadt Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal es sich beim Revisionswerber um einen arbeitsfähigen jungen Mann handle, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Der Revisionswerber könne etwas lesen und schreiben und habe bereits seit seinem elften Lebensjahr in der Landwirtschaft seiner Familie mitgearbeitet, weshalb er Kenntnisse im Ackerbau besitze. Angesichts der vom Revisionswerber nahezu erreichten Volljährigkeit könne daher davon ausgegangen werden, dass dieser über die notwendige Selbständigkeit verfüge, um eine Anstellung zu finden und sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Der Revisionswerber habe den überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Heimatland verbracht, spreche eine der Landessprachen und sei mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten in Afghanistan vollständig vertraut, sodass eine Wiedereingliederung möglich und zumutbar sei.
5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit - zusammengefasst - geltend gemacht, das BVwG habe bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers verabsäumt zu bedenken, dass die Erzählung der Fluchtgeschichte aus der Perspektive eines Minderjährigen erfolgt sei. Auch hinsichtlich des sozialen Kontakts des Revisionswerbers zu seiner Familie habe das BVwG lediglich eine Negativfeststellung getroffen, wonach nicht feststellbar sei, ob die Familie des Revisionswerbers noch in der Heimatprovinz aufhältig sei. Es sei in Frage zu stellen, ob das BVwG diesbezüglich seinen erhöhten Beweiswürdigungspflichten im Falle der Aussagen von Minderjährigen nachgekommen sei. Würde der Revisionswerber im Falle der Rückkehr nach Afghanistan über keine sozialen Kontakte verfügen, wäre er der sozialen Gruppe der alleingelassenen minderjährigen Kinder zuzurechnen, welche besonders schutzwürdig sei. Das BVwG habe sich zudem nicht damit auseinandergesetzt, ob dem Revisionswerber eine risikofreie Erreichbarkeit seiner Heimatprovinz möglich wäre. Außerdem habe es verabsäumt festzustellen, wie der Revisionswerber in Kabul Fuß fassen solle, wenn ihm kein soziales Netz zur Verfügung stehe.
6 Die Revision erweist sich als nicht zulässig. 7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Nach der hg. Rechtsprechung ist in einem Fall, in dem das fluchtauslösende Ereignis im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren erlebt wurde und diesem Ereignis eine mehrjährige Flucht nachfolgte, eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und darf die Dichte dieses Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden. Es muss sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgte. Auf die Tatsache, dass ein Asylwerber seinen Heimatstaat als Minderjähriger verlassen hat, ist in der Entscheidung einzugehen. Im Lichte dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ersichtlich, dass es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf (vgl. VwGH 24.9.2014, Ra 2014/19/0020, mwN).
11 Die Revision vermochte allerdings auch vor diesem Hintergrund keine unschlüssige Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich der behaupteten Zwangsrekrutierung des Revisionswerbers darzutun. Das BVwG nahm im Erkenntnis an mehreren Stellen auf die Minderjährigkeit des Revisionswerbers Bezug. Angesichts der - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - getroffenen, umfangreichen beweiswürdigenden Erwägungen war kein Abweichen von der hg. Rechtsprechung ersichtlich. Entgegen dem Revisionsvorbringen führte das BVwG in seinem Erkenntnis aus, dass nicht festgestellt habe werden können, dass die Familie des Revisionswerbers nicht mehr in ihrem Heimatdorf lebe. Auch die diesbezügliche, umfangreiche Beweiswürdigung war im Lichte der hg. Rechtsprechung nicht zu beanstanden.
12 Soweit die Revision behauptet, das BVwG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers für diesen risikofrei erreichbar sei, ist darauf hinzuweisen, dass dem Erkenntnis auch dazu umfangreiche Erwägungen zu entnehmen sind. Folglich war diesbezüglich kein Verfahrensmangel ersichtlich (vgl. allgemein zur Begründungspflicht, VwGH 28.1.2015, Ra 2014/18/0097, mwN). Im Übrigen kann im Zusammenhang mit einem behaupteten Verfahrensmangel nur dann davon ausgegangen werden, dass die Revision von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird (VwGH 6.7.2015, Ra 2015/19/0141, mwN).
13 Da das BVwG in vertretbarer Weise von familiären Anknüpfungspunkten des Revisionswerbers in seiner Herkunftsprovinz ausging, muss schließlich auf die behauptete Zugehörigkeit des Revisionswerbers zur sozialen Gruppe der alleingelassenen minderjährigen Kinder nicht näher eingegangen werden.
14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme und von denen das rechtliche Schicksal der Revision abhängt. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 6. September 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180150.L00.1Im RIS seit
03.10.2018Zuletzt aktualisiert am
02.11.2018