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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §55;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des N A, vertreten durch Mag. Margot Astrid Rest, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Biberstraße 22, gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2017, Zl. W102 2132207- 1/7E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Die angefochtene Entscheidung wird insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers in Bezug auf die gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs. 9 FPG und die Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 7. April 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 21. Juli 2016 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und setzte die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen fest.
3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die er in der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2017 hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten zurückzog.
4 Mit der angefochtenen Entscheidung stellte das BVwG das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ein. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
5 Begründend stellte es fest, der Revisionswerber habe vor seiner Ausreise in einem näher bezeichneten Dorf im Distrikt Paghman (Provinz Kabul) gewohnt. Er habe keine Schule besucht, verfüge aber über Berufserfahrung als Bauarbeiter. Verwandte (Eltern und Geschwister) lebten noch immer im Heimatdorf, die Schwester sei in Kabul verheiratet. Im Falle seiner Verbringung in den Herkunftsstaat drohe ihm kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK. In diesem Zusammenhang traf das BVwG umfangreiche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat.
6 Weiters stellte das BVwG fest, der Revisionswerber habe in Österreich eine Ehe geschlossen und lebe gemeinsam mit seiner Ehefrau, welche in Österreich anerkannter Flüchtling sei. Er habe Deutschkurse absolviert, sei nicht straffällig und gehe aktuell keiner regelmäßigen Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit nach. Er sei gesund und arbeitsfähig. In das Bundesgebiet sei er nicht legal eingereist und habe nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht besessen.
7 Rechtlich folgerte das BVwG, dem Revisionswerber sei kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen, weil er ungefährdet in die Heimatprovinz zurückkehren könne. Er sei gesund, im erwerbsfähigen Alter und habe bereits Berufserfahrung. Bis zu seiner Ausreise habe er im Heimatdorf gelebt, spreche Dari und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut. Wie sich aus den Länderfeststellungen ergebe, sei die Sicherheitslage in der Heimatregion relativ stabil und er könne sie - von Kabul aus - auch sicher erreichen. Hinzu komme, dass er dort nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte habe und auf eine Unterstützung im Rahmen des Familienverbandes zurückgreifen könne. Überdies bestehe für den Revisionswerber in Kabul eine innerstaatliche Fluchtalternative.
8 Die Rückkehrentscheidung begründete das BVwG wie folgt:
Gehe man im vorliegenden Fall von einem bestehenden Familien- und Privatleben des Revisionswerbers in Österreich aus, falle die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung zu Lasten des Revisionswerbers aus. Der Revisionswerber sei unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist und habe nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens verfügt. Die Dauer des Asylverfahrens sei angemessen gewesen. Der Revisionswerber habe in Österreich seine nunmehrige Ehefrau kennengelernt. Weder er noch seine Ehefrau hätten auf die Erteilung eines dauernden Aufenthaltsrechts für den Revisionswerber vertrauen können. Dem Paar habe von Anbeginn die Unsicherheit des Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers bewusst sein müssen. Dadurch werde das Gewicht des zwischenzeitig entstandenen Familienlebens gemindert. Dem Revisionswerber sei es nicht verwehrt, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG in das Bundesgebiet zurückzukehren. Bis dahin könnten die Eheleute die Beziehung durch Nutzung neuer Medien aufrechterhalten. Die Ehefrau sei auch nicht vom Revisionswerber abhängig. Im Folgenden wog das BVwG einzelne Integrationsschritte des - unbescholtenen - Revisionswerbers gegen das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ab und verwies darauf, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Aufgrund der genannten Umstände würden in einer Gesamtbetrachtung die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Fremdenwesens wiege in diesem Fall schwerer als die privaten Interessen des Revisionswerbers.
9 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der das BFA keine Revisionsbeantwortung erstattet hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist teilweise zulässig und begründet. 11 Zutreffend macht die Revision geltend, dass das BVwG bei
seiner Rückkehrentscheidung die nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bedeutsamen Aspekte nur unzureichend berücksichtigt habe. Sie verweist darauf, dass der Revisionswerber in Österreich mit einer afghanischen Staatsbürgerin verheiratet sei, die seit dem Jahr 2011 anerkannter Flüchtling sei. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei für sie ausgeschlossen. Würde der Revisionswerber nach Afghanistan abgeschoben, so könne er seine Frau nie wiedersehen.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, mwN).
13 Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Revisionswerber mit einer in Österreich asylberechtigten Frau verheiratet ist, von der in der Revision behauptet wird, sie sei afghanische Staatsangehörige und könne in den Herkunftsstaat des Revisionswerbers jedenfalls nicht mitreisen. Mit der Staatsangehörigkeit der Ehefrau hat sich das BVwG ebensowenig auseinandergesetzt wie mit der Frage, ob für das Ehepaar eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich wäre. In der höchstgerichtlichen Judikatur wurde diesbezüglich aber wiederholt erkannt, dass eine Trennung der Ehepartner in solchen Fällen nur dann gerechtfertigt wäre, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. etwa VwGH 11.11.2013, 2013/22/0224, und 7.5.2014, 2012/22/0084), oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug". (vgl. etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, und 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, jeweils mwN).
14 Dass diese Voraussetzungen im gegenständlichen Fall vorlägen, legt das BVwG nicht hinreichend dar. Das Verwaltungsgericht gesteht dem Revisionswerber zu, strafrechtlich unbescholten zu sein. Es hält ihm (und seiner Ehefrau) aber vor, sie hätten sich bei der Eheschließung des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers bewusst sein müssen. Das trifft zwar grundsätzlich zu, entbindet das Gericht aber nicht von der Prüfung, ob von einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung im Sinne des bisher Gesagten auszugehen wäre.
15 Die angefochtene Entscheidung, die diesen Aspekten des Falles keine rechtliche Bedeutung beigemessen hat und daher eine notwendige Auseinandersetzung mit den aufgeworfenen Fragen nicht enthält, erweist sich daher in Bezug auf die Rückkehrentscheidung als inhaltlich rechtswidrig.
16 Sie war daher insoweit und hinsichtlich der darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
17 Soweit sich die Revision gegen die übrigen Teile der angefochtenen Entscheidung wendet, ist sie hingegen nicht zulässig.
18 Der Revision gelingt es insoweit nicht, eine Rechtsfrage darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Insbesondere begegnet die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber erfülle die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht, fallbezogen keinen Bedenken. Warum die Revision trotz Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auch die Einstellung des Verfahrens in diesem Punkt bekämpft und weiterhin die Gewährung von Asyl anstrebt, vermag sie nicht nachvollziehbar darzustellen. Auch in Bezug auf die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 enthält die Revision kein stichhaltiges Vorbringen.
19 Die Revision war daher in Bezug auf all diese Spruchpunkte wegen Nichtvorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
20 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte, soweit eine Zurückweisung der Revision stattfindet, gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG, soweit die Aufhebung des Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erfolgt, gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 6. September 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180026.L00.1Im RIS seit
02.10.2018Zuletzt aktualisiert am
23.04.2019