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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1152;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Dr. F P in L, vertreten durch Mag. Günther Kieberger, Rechtsanwalt in 3040 Neulengbach, Hauptplatz 79, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 29. Mai 2018, Zl. LVwG-S-660/001-2018, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Pölten), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Ein Kostenersatz findet nicht statt.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 Abs. 1 und 1a ASVG mit einer Geldstrafe von EUR 1.000,-- belegt, weil er es als zur Vertretung nach außen berufenes Organ des Vereins A. (eines Tierschutzvereins) zu verantworten habe, dass die Dienstnehmerin R.P. vom 15. März 2017 bis zum Kontrollzeitpunkt am 27. August 2017 vom Verein beschäftigt worden sei, ohne beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Pflichtversicherung angemeldet worden zu sein.
2 Das Verwaltungsgericht stellte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest, dass R.P. nicht Mitglied des Vereins sei. Sie sei in den Jahren 2011 bis 2012 sowie seit Jänner 2018 in einem angemeldeten Dienstverhältnis zum Verein gestanden. Im Tatzeitraum hätten die vom Verein angestellten Tierpflegerinnen bei absehbarem Personalengpass R.P. im Vorfeld kontaktiert und gefragt, ob sie an bestimmten Tagen als Tierpflegerin einspringen könne. Die teilweise unter Vorbehalt zugesagten Dienste seien in einen Kalender eingetragen worden. R.P. und die Tierpflegerinnen seien davon ausgegangen, dass sie so viele Dienste wie möglich übernehme und nur vereinzelt Dienste absage. Sie habe zwei eigene Katzen im Verein untergebracht und zu diesen durch die regelmäßigen Dienste Kontakt halten können. Ohne die Einsätze von R.P. sei infolge Unterbesetzung die Versorgung der Tiere nicht sichergestellt gewesen. Für den Tatzeitraum seien insgesamt 29 einzelne Arbeitstage zu je acht Arbeitsstunden vereinbart worden, von denen jedenfalls mehr als 20 Tage tatsächlich geleistet worden seien. R.P. habe dafür weder Lohn noch Spesen erhalten und auch nicht erwartet. Habe R.P. einen vereinbarten Dienst nicht leisten wollen, habe sie telefonisch abgesagt. Im Wissen um die Verlässlichkeit von R.P. hätten alle Vereinsverantwortlichen auf die Leistung der Dienste vertraut. Die verrichtete Tätigkeit und die Kontrolle durch den Revisionswerber und seine Mitarbeiter hätten sich weder von den in den beiden eigenen Dienstverhältnissen zum Verein verrichteten Tätigkeiten noch von jenen der übrigen beim Verein angestellten Tierpflegerinnen unterschieden.
3 Die noch offenen Beweisanträge beträfen die Frage einer allfällig tatsächlich erfolgten Entlohnung und damit kein entscheidungsrelevantes Beweisthema; das Verwaltungsgericht gehe nämlich ohnehin davon aus, dass R.P. vereinbarungsgemäß keine Entlohnung erhalten habe.
4 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, auf Grund der Zeugenaussagen der Kontrollorgane könne kein Zweifel an einer vollversicherungspflichtigen Beschäftigung von R.P. im vom Revisionswerber vertretenen Verein bestehen. Eine sachliche Rechtfertigung für die vereinbarte Unentgeltlichkeit könne nicht festgestellt werden, zumal R.P. in dienstnehmerartig regelmäßiger Weise im Voraus eingeplant und kalendermäßig - wenn auch nicht sanktionsbewehrt - zum "freiwilligen" Dienst vorgesehen gewesen sei. Damit sei die von der Rechtsprechung "als sachlich allenfalls gerechtfertigte Grenze einer vereinbarten Unentgeltlichkeit" deutlich überschritten. Besondere Umstände hätten nicht objektiviert werden können, zumal R.P. das Ausmaß und die Regelmäßigkeit ihrer Einsätze ausschließlich ideell begründe. Zwar könne der Rechtsprechung zufolge die ehrenamtliche Tätigkeit für einen Verein auch in der idealistischen Einstellung eine sachliche Rechtfertigung im Hinblick auf eine vereinbarte Unentgeltlichkeit finden, doch bedürfe es dazu objektivierbarer Umstände. Im vorliegenden Fall könne eine sachliche Rechtfertigung nicht erkannt werden. Vielmehr habe sich der Verein zur regelmäßigen Bewältigung von vorhersehbaren Personalengpässen auf planmäßig organisierte und dokumentierte Weise der verlässlichen, idealistisch motivierten R.P. bedient, deren jeweilige Einsätze schon mangels Vereinsmitgliedschaft nicht als ehrenamtlich gewertet werden könnten und somit eine Arbeitsleistung darstellten, die üblicherweise nicht unentgeltlich erbracht werde. Wenngleich R.P. infolge konkludent vereinbarter Unentgeltlichkeit bei Nichtverrichtung eines vereinbarten Dienstes keine finanzielle Sanktion hätte befürchten müssen, habe sich der Revisionswerber darauf verlassen können, dass sie schon auf Grund ihrer idealistischen Einstellung zum Tierschutz und des von ihr angestrebten Kontakts zu ihren Katzen die Dienste regelmäßig leisten werde. Darüber hinaus habe jedoch keine besondere, objektivierbare Bindung der R.P. an den Revisionswerber oder an den Verein bestanden.
5 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:
6 Der Revisionswerber macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob eine Privatperson unentgeltlich ihre Arbeitsleistung einem Verein oder einer sonstigen gemeinnützigen Einrichtung zur Verfügung stellen dürfe, wenn diese Leistung lediglich auf Grund eines persönlichen eigenen Interesses - wie hier des idealistischen Tierschutzgedankens - der leistungserbringenden Person erbracht werde.
7 Die Revision ist zulässig und - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - berechtigt. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den in der Zulässigkeitsbegründung angesprochenen Fragen liegt zwar vor, sie wurde vom Verwaltungsgericht aber missinterpretiert.
8 Die - eine Pflichtversicherung ausschließende - Unentgeltlichkeit einer Verwendung ist nicht schon bei bloßem Fehlen einer Entgeltvereinbarung zu vermuten. Die Unentgeltlichkeit muss vielmehr - wenigstens den Umständen nach konkludent - vereinbart worden sein und einer Prüfung auf ihre sachliche Rechtfertigung standhalten. Eine derartige sachliche Rechtfertigung könnte in persönlichen Beziehungen, in bestimmten wirtschaftlichen Interessen, aber auch in einer idealistischen Einstellung begründet sein (vgl. VwGH 4.9.2013, 2011/08/0318, mwN).
9 Die sachliche Rechtfertigung der Unentgeltlichkeit einer Dienstleistung ist ein Kriterium, das dazu dient, ein entsprechendes Vorbringen unter Glaubwürdigkeitsgesichtspunkten dahingehend zu beurteilen, ob die Unentgeltlichkeitsvereinbarung nur nachträglich behauptet bzw. bloß zum Schein geschlossen wurde; eine Aussage, wonach Unentgeltlichkeit gewollt war, ist nämlich vor dem Hintergrund zu prüfen, dass unentgeltliche Dienstverhältnisse nur ausnahmsweise und nur dann vorkommen, wenn sie ganz bestimmten, die (sonst das Arbeitsverhältnis dominierende) Erwerbsabsicht substituierenden Motiven entspringen (vgl. in diesem Sinn das grundlegende Erkenntnis VwGH 25.9.1990, 89/08/0334).
10 Das Verwaltungsgericht hat nun aber aus den von ihm festgestellten Umständen der Leistungserbringung bzw. den aus seiner Sicht zu wenig gewichtigen Motiven für eine so umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit nicht darauf geschlossen, dass die behauptete Vereinbarung der Unentgeltlichkeit nicht glaubwürdig sei. Vielmehr ist es ausdrücklich von der Unentgeltlichkeit der Dienstleistung ausgegangen. Auf dieser Basis wäre aber die Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG jedenfalls zu verneinen gewesen, da § 4 Abs. 2 ASVG ausdrücklich eine Beschäftigung "gegen Entgelt" verlangt. Zudem würde die Annahme einer Pflichtversicherung auch in der Krankenversicherung (und nicht nur in der Unfallversicherung) entsprechend dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Tatbestand des § 33 Abs. 1 ASVG die Feststellung eines über der Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs. 2 ASVG liegenden Anspruchslohns (oder tatsächlich bezahlten höheren Entgelts) voraussetzen.
11 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Verwaltungsgericht - unter Einbeziehung der Zeugenaussagen betreffend eine tatsächliche Bezahlung der R.P. - insbesondere mit der Glaubwürdigkeit der behaupteten Unentgeltlichkeitsvereinbarung auseinanderzusetzen haben.
12 Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Ein Kostenersatz hat mangels diesbezüglichen Antrages des Revisionswerbers nicht zu erfolgen.
Wien, am 12. September 2018
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Beschäftigung gegen EntgeltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018080191.L00Im RIS seit
04.10.2018Zuletzt aktualisiert am
20.11.2018