TE OGH 2018/8/28 8ObA39/18w

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Veröffentlicht am 28.08.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (Arbeitgeber) und KR Karl Frint (Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Mag. Norbert Huber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 2018, GZ 15 Ra 15/18w-36, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. Oktober 2017, GZ 43 Cga 68/16b-31, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.234,70 EUR (darin 372,40 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger war seit 23. 12. 1990 als Busfahrer bei der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt und seit 2002 unkündbar gestellt. Er wurde am 5. 9. 2016 von der Beklagten entlassen. Zu diesem Zeitpunkt war er arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitsbereit. Beim Kläger liegt weder eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf seine Berufstätigkeit als Busfahrer vor noch ist ein Krankenstand von mehr als 26 Wochen pro Jahr zu erwarten.

Seit 1. 3. 1999 unterfällt das Dienstverhältnis der Dienst- und Besoldungsordnung für die Bediensteten österreichischer Privatbahnen (kurz DBO), die Kollektivvertragscharakter hat und auszugsweise wie folgt lautet:

§ 14 Ärztliche Untersuchungen

Der Bedienstete ist verpflichtet, sich auf Anordnung unverzüglich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

§ 39 Entlassung ...

(2) Ohne Disziplinarverfahren, nach bloßer Feststellung des Sachverhaltes, kann aus wichtigem Grund die fristlose Entlassung ausgesprochen werden:

b) wenn der Bedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflicht schuldig macht, durch die er das Vertrauen für den Dienst einbüßt,

f) wenn der Bedienstete unfähig wird, die versprochenen oder die nach den Umständen angemessenen Dienste (analog § 6 AngG) zu leisten, sofern der Bedienstete an seiner Dienstverrichtung infolge Krankheit oder Unfall mehr als 1 Jahr verhindert war. Bei der Berechnung der Dauer dieser Dienstverhinderung ist für den Fall, dass innerhalb von 6 Monaten nach einem eventuellen Wiederantritt des Dienstes abermals eine Dienstverhinderung durch dieselbe Krankheit oder denselben Unfall eintritt, zu berücksichtigen, dass dies als Fortsetzung der früheren Dienstverhinderung angesehen wird.

Im Jahr 2012 befand sich der Kläger 351 Tage, im Jahr 2013 128 Tage, im Jahr 2014 178 Tage, im Jahr 2015 215 Tage und im Jahr 2016 77 Tage im Krankenstand. Vom 8. 6. 2016 bis zum Tag der Entlassung verrichtete der Kläger seine Arbeit als Busfahrer bei der Beklagten unbeanstandet ohne Krankenstände. Die Krankenstände des Klägers im Zeitraum von 11. 1. 2012 bis 7. 6. 2016 hatten insgesamt neun verschiedene Ursachen. Die Dauer und die Ursachen dieser Krankenstände stellen sich wie folgt dar:

Mit Schreiben vom 23. 6. 2016 beauftragte die Beklagte die Allgemeinchirurgin und Ernährungsmedizinerin Dr. P***** (kurz Ärztin) mit der Ergänzung eines bereits im Jahr 2014 erstatteten medizinischen Fachgutachtens, das damals dem Kläger volle Arbeitsfähigkeit attestiert hatte. Mit Schreiben vom selben Tag forderte die Beklagte den Kläger auf, sich einer fachärztlichen Untersuchung durch diese Ärztin zu unterziehen, und teilte ihm mit, dass folgende Fragen medizinisch abzuklären seien:

1. Wie lautet die Prognose hinsichtlich des weiteren Andauerns der Arbeitsunfähigkeit über 12 Monate hinaus? Wäre von einer beginnenden, dauerhaften Arbeitsunfähigkeit auszugehen?

2. Inwieweit ist die im Dienstvertrag vereinbarte Tätigkeit als Busfahrer dem Arbeitnehmer noch zumutbar und möglich?

3. Wenn die im Dienstvertrag vereinbarte Tätigkeit weder zumutbar noch möglich wäre, welche anderen Arbeiten sind ihm aus medizinischer Sicht zumutbar bzw möglich? Inwieweit sind Arbeiten im leichten, schweren oder mittelschweren Ausmaß möglich?

4. Mit wie vielen Krankenständen muss in Zukunft gerechnet werden? Mehr oder weniger als 7 Wochen?

5. Sollte der Arbeitnehmer teilweise arbeitsfähig sein, welche Maßnahmen der Reintegration in den Arbeitsablauf werden empfohlen?

6. Beruht der Krankenstand seit dem letzten Jahr auf demselben medizinischen Grund?

7. Werden zur Abklärung dieser Fragen noch weitere Gutachten benötigt?

Schließlich wurde dem Kläger mit diesem Schreiben noch zur Kenntnis gebracht, dass ein Zuwiderhandeln gegen die dienstliche Weisung des Aufsuchens der Ärztin zur Untersuchung am 29. 7. 2016 eine Dienstpflichtverletzung darstelle, die arbeitsrechtliche Konsequenzen auslösen könne.

Der Kläger erklärte seine Bereitschaft, sich von der Ärztin untersuchen zu lassen, und begab sich am 29. 7. 2016 zum vorgegebenen Termin in deren Praxis. Dort teilte er der Ärztin mit, dass er sich der Untersuchung unterziehen wolle, die Ärztin für die Untersuchung aber nicht von ihrer ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbinde, woraufhin die Ärztin die geplante Untersuchung unterließ.

Mit Schreiben vom 24. 8. 2016 (Beilage ./12) wies der Beklagtenvertreter den Kläger darauf hin, dass dieser gemäß § 14 DBO verpflichtet sei, sich „auf Anordnung unverzüglich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen“, und diese kollektivvertragliche Bestimmung nur Sinn mache, „wenn sie den Bediensteten zugleich verpflichtet, das Ergebnis (nicht aber die Detaildiagnosen) dem Dienstgeber bekanntzugeben bzw den Arzt insoweit von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden“. Unter Androhung der Entlassung wurde dem Kläger die Weisung erteilt:

Sie haben sich am 7. September 2016, 14:00 Uhr, zu ... [der Ärztin] zu begeben und sich dort einer fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Dabei haben Sie ... [die Ärztin] zu ermächtigen, folgende Fragen zu Ihrer Arbeitsfähigkeit dem Dienstgeber zu beantworten:“ Hierauf wurden die dem Kläger bereits mit Schreiben vom 23. 6. 2016 mitgeteilten Fragen wiederholt.

Das von der Beklagten mit dieser Untersuchung verfolgte erklärte Ziel war es, neben der Beurteilung der aktuellen Arbeitsfähigkeit des Klägers auch die Ursachen der in der Vergangenheit liegenden Krankenstände festzustellen.

Mit Antwortschreiben vom 31. 8. 2016 (Beilage ./13) teilte der Klagevertreter dem Beklagtenvertreter mit, dass der Kläger wie bisher bereit sei, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aber die untersuchende Ärztin nicht von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbinden werde, er werde der Ärztin „vielmehr die ihr in ihrer Fachdisziplin unter Berücksichtigung der gegebenen Verschwiegenheitspflicht mögliche Beantwortung von gestellten Fragen überlassen“.

Am 5. 9. 2016, nachdem der Kläger ordnungsgemäß seinen Dienst angetreten hatte, fragte ihn Dr. B*****, ob er die Ärztin für die Untersuchung und Gutachtenserstattung von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbinden werde. Der Kläger erwiderte, die Ärztin hiervon nicht entbinden zu wollen. Daraufhin sprach Dr. B***** im Namen der Beklagten die Entlassung des Klägers aus.

Der Kläger begehrte die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses zur Beklagten mangels Vorliegens eines Entlassungsgrundes, in eventu die Aufhebung der Entlassung wegen Sozialwidrigkeit.

Die Beklagte stützte die Entlassung auf § 39 Abs 2 lit b und lit f DBO. Der Kläger habe weisungswidrig gehandelt, indem er nicht zugestimmt habe, dass das Ergebnis der nach § 14 DBO angeordneten ärztlichen Untersuchung dem Arbeitgeber bekanntgemacht werde. Er könne für seine Handlungsweise nur den Grund gehabt haben, dass alle Krankenstände auf derselben Ursache beruhten, weshalb nach der Zusammenrechnungsregel des § 39 Abs 2 lit f DBO der Entlassungsgrund der Dienstunfähigkeit gegeben sei.

Die Vorinstanzen gaben dem Hauptbegehren des Klägers übereinstimmend statt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem
– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruch unzulässig. Ihre Zurückweisung kann sich auf die Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

I. Die Beklagte behauptet weder, dass der Kläger „dauernd“ dienstunfähig ist (vgl 9 ObA 127/12k), noch bezweifelt sie die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Entlassungsgrund des § 39 Abs 2 lit f DBO schon deshalb nicht verwirklicht ist, weil der Kläger an seiner Dienstverrichtung infolge Unfall oder Krankheit in der Zeit von 2012 bis zur Entlassung nicht mehr als ein Jahr verhindert war, und zwar wegen der festgestellten zeitlichen Lagerung der auf neun unterschiedlichen Ursachen beruhenden Krankenstände auch nicht unter Bedachtnahme auf die Zusammenrechnungsregel im zweiten Satz dieser Bestimmung. Sie wendet sich nur gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass ihr Entlassungsrecht selbst dann verwirkt wäre, wenn die Krankenstände des Klägers die von § 39 Abs 2 lit f DBO für die Entlassung geforderte Dauer von mehr als einem Jahr erreicht hätten.

Die Bekämpfung einer Hilfsbegründung allein vermag aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen (RIS-Justiz RS0042736; RS0118709 [T2]).

II. Im Weiteren kritisiert die Beklagte in ihrer Revision die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Verpflichtung des Dienstnehmers nach § 14 DBO, „sich auf Anordnung unverzüglich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen“, bloß auf den – hier nicht vorliegenden – Fall der Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls zu beziehen sei und nur nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben des § 8 AngG und § 4 EFZG wirksam bestünde. Nach Meinung der Beklagten sei die Bestimmung des § 14 DBO nicht derart eingeschränkt zu interpretieren.

Auf das Verständnis des § 14 DBO kommt es in diesem Fall allerdings nicht weiter an.

1. Der Kläger hat erklärt, sich der von der Beklagten angeordneten ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Er war in diesem Zusammenhang jedoch nicht bereit, die von der Beklagten namhaft gemachte Ärztin von ihrer Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Die Beklagte wirft dem Kläger vor, dass er die Ärztin nicht ermächtigt hat, die im Schreiben vom 23. 6. 2016 angeführten und im Schreiben vom 24. 8. 2016 wiederholten Fragen der Beklagten zu beantworten. Auch die Beklagte geht aber davon aus, dass aus § 14 DBO nur dann eine Verpflichtung zur ärztlichen Untersuchung abgeleitet werden kann, wenn bei einer konkreten Fragestellung die Abwägung mit den Geheimhaltungsinteressen des Arbeitnehmers zugunsten des Arbeitgebers ausfällt (vgl dazu, dass Arbeitgeberweisungen, die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitnehmers [§ 16 ABGB und Art 8 EMRK] berühren, besonders heikel sind etwa 9 ObA 82/15x; RIS-Justiz RS0122148; zur Interessenabwägung auch RS0029841; Friedrich in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 27 Rz 323; Pfeil in ZellKomm3 § 27 AngG Rz 132, aber auch Greifeneder; Hofer in ZellHB AV-Klauseln Besonderer Teil, 59. Klausel Rz 59.01 bis 59.05 und Rz 59.08).

2. Ob nun ein konkretes Verhalten den Entlassungsgrund nach § 39 Abs 2 lit b DBO verwirklicht, muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Dies stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen (RIS-Justiz RS0106298; RS0105955, insb [T1]).

3. Das vermag die Beklagte aber nicht aufzuzeigen.

Nach den Feststellungen verrichtete der Kläger seine Arbeit als Busfahrer vom 8. 6. 2016 bis zur Entlassung am 5. 9. 2016 unbeanstandet ohne Krankenstände. Die Beklagte meint, ihr sei die Möglichkeit zu eröffnen, die Frage der Dienstunfähigkeit des Klägers bereits vor einem Gerichtsverfahren durch einen Sachverständigen klären zu lassen. Da ihr vom Kläger die Prüfung verwehrt worden sei, ob Dienstunfähigkeit von mehr als einem Jahr vorliege, habe sie zum Mittel der „Entlassung auf Verdacht“ gegriffen. Das Berufungsgericht hat der Beklagten aber bereits zutreffend entgegengehalten, dass die Fragen von Vornherein untauglich waren, um eine Dienstunfähigkeit von mehr als einem Jahr festzustellen. Die einzige damit im Zusammenhang stehende sechste Frage will erkunden, ob der „Krankenstand seit dem letzten Jahr auf demselben medizinischen Grund“ beruht. Da aber die Krankenstände des Klägers seit 2015 auch bei vollständiger Zusammenrechnung nach § 39 Abs 2 lit f DBO die Dauer eines Jahres nicht erreicht hätten, wäre der Beklagten mit der Beantwortung dieser Frage nicht geholfen gewesen. Andere Gründe, die die Beantwortung der sieben Fragen aus Sicht der Beklagten erfordert hätten (etwa Zweifel an der Eignung des Klägers als Busfahrer), macht die Beklagte nicht konkret geltend. Da das von der Beklagten ins Treffen geführte „hohe Interesse“ an den begehrten Auskünften sich damit als nicht nachvollziehbar erweist, kann die gebotene Interessenabwägung nicht zugunsten der Beklagten ausschlagen.

4. Ob § 14 DBO überhaupt Rechtsgrundlage für über Entgeltfortzahlungsfälle hinausgehende Informationspflichten des Arbeitnehmers seinen Gesundheitszustand betreffend sein könnte, muss in dieser Konstellation daher nicht geklärt werden, sodass die relevierten Fragen zur Auslegung dieser Bestimmung auch keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO bilden (RIS-Justiz RS0088931).

III. Da die Beklagte keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, ist die Revision zurückzuweisen.

IV. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E122711

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00039.18W.0828.000

Im RIS seit

03.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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