TE Vwgh Beschluss 2018/9/10 Ra 2018/19/0411

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Veröffentlicht am 10.09.2018
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Index

19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §11;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §46;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache des M M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Juni 2018, W245 2171592-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 6. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, im Iran geboren und aufgewachsen zu sein. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei ihm nicht möglich, weil er den "Lebensstil des Iran adaptiert" habe.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 5. September 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Die Behörde erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. Juni 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit vorgebracht, es sei derzeit eine der umstrittensten Fragen des österreichischen Asylverfahrens, inwieweit afghanischen Flüchtlingen eine Rückkehr in die großen Städte Afghanistans möglich und zumutbar sei. Gerade die Frage der Behandlung von Flüchtlingen, die als Hazara niemals in Afghanistan gelebt, sondern ihr gesamtes Leben im Iran verbracht hätten, und die in Afghanistan weder über Familienangehörige noch ein soziales Netzwerk verfügten, werde vom Bundesverwaltungsgericht äußerst unterschiedlich entschieden. Es bedürfe daher einer klarstellenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, um hier Rechtsicherheit zu schaffen. Aus einem für ein deutsches Verwaltungsgericht erstellten Gutachten, das auch der österreichischen Asylbehörde und dem Bundesverwaltungsgericht bekannt sei, ergebe sich, dass ein Flüchtling wie der Revisionswerber keinesfalls nach Afghanistan geschickt werden dürfe. Demnach sei das allgemeine, für jedermann bestehende Sicherheitsrisiko in Afghanistan für Personengruppen, die über kein familiäres oder sonstiges soziales Netzwerk verfügten, noch erheblich erhöht. Dies gelte auch für Angehörige der Hazara, ebenso für Personen, die mehrere Jahre im westlichen Ausland gelebt hätten und denen von strenggläubigen Muslimen unterstellt werde, im dekadenten Westen ein Leben geführt zu haben, das gegen die Regeln des Islam verstoße. In den großen Städten in Afghanistan stünden Anschläge der Taliban und anderer Terrorgruppen auf der Tagesordnung. Aktuellen Medienberichten zufolge habe die Zahl der zivilen Todesopfer einen neuen Höhenpunkt erreicht. Damit stehe im Einklang, dass das österreichische Außenministerium für das gesamte Staatsgebiet Afghanistans eine Reisewarnung der höchsten Stufe ausgesprochen habe. Aus dem erwähnten Gutachten gehe zudem hervor, dass es in den großen Städten keinesfalls leicht möglich sei, Unterkunft und Arbeit zu finden, wenn man über kein soziales Netzwerk verfüge. Es passe ins Bild, dass Amnesty International in seinem letzten Jahresbericht die österreichische Abschiebepraxis nach Afghanistan heftig kritisiert habe und dass beispielsweise der EU-Mitgliedstaat Frankreich keine Abschiebungen nach Afghanistan durchführe. Auch die afghanische Botschafterin in Österreich habe zuletzt die Aussage getroffen, dass Afghanistan nicht sicher sei und dies die ganze Welt wisse. Die Auffassung einzelner Richter des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die großen Städte in Afghanistan für junge, gesunde, allein stehende und arbeitsfähige Männer "sicher" sei, könne sich auf keine unumstrittene fundierte Sachverständigenmeinung stützen. Das sei mehr als fraglich, soweit sich das Bundesverwaltungsgericht auf das "Sachverständigengutachten" von Mag. M berufe.

6 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

7 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine uneinheitliche Rechtsprechung eines Verwaltungsgerichts für sich genommen nicht den Tatbestand des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt, wenn es zu der betreffenden Frage eine (einheitliche) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gibt (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2015/22/0042, sowie Thienel, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, ZVG 2018, 180 (189)).

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der - im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung maßgeblichen - UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mit Hinweis auf VfGH 12.12.2017, E 2068/2017).

9 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung zeigt die Revision mit ihren teilweise sehr allgemeinen Ausführungen nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes im konkreten Einzelfall, wonach der gesunde Revisionswerber mit Schulbildung und Berufserfahrung in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorfinde, unvertretbar erfolgt wäre. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich mit den individuellen Umständen des Revisionswerbers auseinander und kam letztlich, gestützt unter anderem auch auf Feststellungen zur aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul und nach Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, in nicht unvertretbarer Weise zum Ergebnis, dass der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht nur Art. 3 EMRK nicht entgegensteht, sondern dem Revisionswerber die Inanspruchnahme auch zumutbar ist (siehe betreffend einen Angehörigen der Hazara auch bei Fehlen familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0351; 5.4.2018, Ra 2018/19/0077).

10 Soweit der Revisionswerber auf das länderkundliche Gutachten von Mag. M Bezug nimmt, ist festzuhalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Beurteilung der allgemeinen Begebenheiten in Afghanistan nicht nur auf dieses - vom Revisionswerber offenbar als mangelhaft angesehene - Gutachten, sondern auch tragend auf Länderberichte gestützt hat, denen die Revision nicht überzeugend entgegen getreten ist (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0538, mwN). Überdies verkannte auch das Bundesverwaltungsgericht unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte nicht, dass in Kabul eine prekäre Sicherheits- und Versorgungslage herrsche.

11 Mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, die an Touristen gerichteten "Reisewarnungen" des Außenministeriums müssten auch für Menschen wie ihn gelten, die nie in Afghanistan gelebt hätten, einer Minderheit angehörten und jetzt dort dauerhaft leben sollten, gelingt es ihm nicht, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels darzulegen. Es wird insbesondere nicht ausgeführt, aus welchen Gründen sich der Inhalt der Reisewarnung für die im konkreten Fall vorzunehmende Beurteilung als maßgeblich darstellt und welche anderen Feststellungen zu einer günstigeren Entscheidung für den Revisionswerber hätten führen können (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2018/19/0101). Eine solche "Reisewarnung" nimmt im Übrigen gegenüber anderen Beweismitteln keine besondere Stellung ein (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0061).

12 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2018

Schlagworte

Beweismittel Auskünfte Bestätigungen Stellungnahmen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190411.L00

Im RIS seit

01.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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