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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des AB in Wien, geboren am 7. Juni 1967, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Juli 1998, Zl. 203.360/0-VIII/23/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 30. Juli 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 31. Juli 1992 mit folgender Begründung Asyl:
"Ich habe den Irak verlassen, weil ich Angst habe, dass mich die irakische Armee auf Grund dessen, dass ich Kurde bin, erschießt.
Ich war von November 1989 bis März 1991 im Gefängnis in Arbil. Ich wurde dort geschlagen. Man verbrannte mich am Fuß mit einer Zigarette und schlug mich auch auf den Kopf. Man sperrte mich ein, weil ich der Aufforderung mich zum Militärdienst zu melden nicht Folge leistete. Im März 1991 wurde ich von Kurden aus dem Gefängnis befreit. Nach meiner Befreiung ging ich in HAJ OMRAN. Dort blieb ich 10 Tage. Kehrte nach 10 Tagen jedoch wieder nach Arbil zurück, weil keine irakische Armee mehr in dieser Stadt war. In Arbil blieb ich bis Mai 1992.
Ich verließ Arbil, weil die wirtschaftliche Situation dort immer schlechter wurde. Außerdem konnte ich keine Arbeit in Arbil finden. Es gab nicht einmal mehr Benzin für die Autos. Ich konnte bei meiner Tante wohnen. Diese gab mir auch zu Essen. Als jedoch auch meine Tante nichts mehr zu essen hatte, entschloss ich mich das Land zu verlassen. Da die Arbeitslosigkeit im Irak sehr groß ist, ist es auch nicht möglich in einer anderen Stadt Arbeit zu finden. Es gibt keine Industrie, alles wurde bombardiert. Aus diesem Grund gibt es auch keine Arbeitsplätze."
Mit Bescheid vom 3. August 1992 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab, weil sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Slowenien aufgehalten und dort vor Verfolgung sicher gewesen sei.
In seiner dagegen angefochtenen Berufung führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, er hätte aus politischer Überzeugung den Militärdienst verweigert. Für diese Überzeugung habe er gelitten und hätte auch jetzt noch mit schwer wiegenden Folgen zu rechnen. Wirtschaftliche Gründe seien sekundär gewesen.
Nach Aufhebung eines Bescheides des Bundesminister für Inneres vom 11. April 1994 durch den Verwaltungsgerichtshof und nach Zurückweisung der Beschwerde gegen einen weiteren Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. November 1995 durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Mai 1998 gemäß § 44 Abs. 3 AsylG wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die Berufung gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG mit der wesentlichen Begründung ab, dass zwar die Angaben des Berufungswerbers der Berufungsbehörde glaubwürdig erschienen, jedoch die Wehrdienstverweigerung mit der nachfolgenden Inhaftierung allein keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft darstelle. Den vom Beschwerdeführer zu erduldenden Misshandlungen während der Haft fehle es an der bis zur Ausreise notwendigen Dauer der Verfolgungshandlungen einerseits und deren Aktualität andererseits, weil die Haft bereits im März 1991 geendet habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat das von der belangten Behörde für glaubwürdig erachtete Vorbringen erstattet, als Kurde wegen Wehrdienstverweigerung im Irak vom November 1989 bis März 1991 inhaftiert gewesen zu sein. Er sei dort geschlagen worden, man habe ihn am Fuß mit ein Zigarette verbrannt und ihn auf den Kopf geschlagen. Er habe den Militärdienst aus politischer Überzeugung verweigert, habe für diese Überzeugung gelitten und hätte auch jetzt noch (ergänze: im Falle seiner Rückkehr) mit schwer wiegenden Folgen zu rechnen.
Der belangten Behörde ist zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt, bei dem damit gerechnet werden müsste, dass ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, sowie das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1998, Zlen. 97/01/0302 und 97/01/0802).
Zwar konnte der Beschwerdeführer nach dem Ende seiner eineinhalbjährigen Haft von März 1991 bis zu seiner Flucht im Mai 1992 in Abril leben, ohne Verfolgungen wegen seiner Wehrdienstverweigerung und wegen seiner Flucht aus dem Gefängnis ausgesetzt zu sein. Dieser Zeitablauf allein vermag jedoch im vorliegenden Fall (vgl. zur notwendigen Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls das hg. Erkenntnis vom 7. November 1995, Zl. 94/20/0793) weitere asylrelevante Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Irak aus folgenden Gründen nicht auszuschließen:
Obwohl der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich vorgebracht hat, dass - im Vergleich zu anderen Volksgruppenangehörigen - seine Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung härter ausgefallen sei oder dass die Folterungen aus asylrelevanten Gründen (Wehrdienstverweigerung eines Kurden im Irak) erfolgt seien, ist eine erhebliche Wahrscheinlichkeit derartiger Zusammenhänge unter den behaupteten Umständen offensichtlich. Die belangte Behörde hätte daher im Sinne des § 28 AsylG darüber Erhebungen durchführen und Feststellungen treffen müssen.
Sollte aber eine asylrelevante Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers im Sinne der weiter oben genannten Rechtsprechung festgestellt werden, so wäre das Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte im Falle seiner Rückkehr mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen, asylrechtlich relevant, weil - in Ermangelung von Feststellungen über eine inländische Fluchtalternative (Abril), die der Beschwerdeführer gefahrlos erreichen könnte - es nicht ausgeschlossen werden kann, dass er wegen seiner Wehrdienstverweigerung oder wegen seiner Flucht aus dem Gefängnis von den irakischen Behörden erneut zur Verantwortung gezogen und aus einem der in der FlKonv genannten Gründen verfolgt werden könnte.
Die belangte Behörde wird daher - im Rahmen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art. II Abs. 2 Abschnitt D Z 43a EGVG - ergänzende Ermittlungen über die Gründe und das Ausmaß der dem Beschwerdeführer während seiner Haft zugefügten Misshandlungen sowie über eine allenfalls davon abweichende Behandlung von Wehrdienstverweigerern anderer Volksgruppenzugehörigkeit vorzunehmen und sich darüber hinaus mit der Frage auseinander zu setzen haben, inwieweit dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Irak asylrelevante diskriminierende Sanktionen wegen seiner Wehrdienstverweigerung drohen. Des Weiteren wird die belangte Behörde die Hintergründe der von ihr für glaubhaft gehaltenen Angabe des Beschwerdeführers zu erheben haben, er habe den Irak verlassen, weil er Angst habe, wegen seiner kurdischen Abstammung von Angehörigen der irakischen Armee erschossen zu werden.
Aus den angeführten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dies Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. 45/1965, hingewiesen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 25. November 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998200523.X00Im RIS seit
20.11.2000