TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/26 G307 2179580-1

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Veröffentlicht am 26.07.2018
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Entscheidungsdatum

26.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

G307 2179583-1/9E

G307 2179589-1/7E

G307 2179580-1/8E

G307 2179586-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der 1. XXXX, geboren am XXXX, 2. des XXXX, geboren am XXXX, 3. des XXXX, geboren am XXXX sowie 4. der XXXX, geboren am XXXX, alle StA: Irak, letztere drei gesetzlich vertreten durch die Mutter, alle rechtlich vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ in 1070 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017, Zahlen: XXXX, XXXX, XXXX sowie XXXX nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt: 18.05.2018

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 25.07.2019 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 26.11.2015 stellte XXXX (im Folgenden: BF1) für sich und ihre minderjährigen Kinder (im Folgenden: BF2 bis BF3) einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gemäß § 2 Z 13 AsylG.

2. Am 10.04.2017 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (im Folgenden: BFA, RD Wien), die niederschriftliche Einvernahme der BF1 zu ihrem Fluchtweg und ihren Fluchtgründen statt.

3. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, den BF persönlich zugestellt am 08.11.2017, wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und den BF gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründne nicht erteilt, gegen die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Irak gemäß 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde den BF eine 14tägige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt.

4. Mit Schriftsatz vom 06.12.2017, beim BFA eingebracht am selben Tag, erhoben die BF durch die im Spruch angeführte Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) fristgerecht Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid. Darin wurde beantragt, gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) anzuberaumen; soferne nicht zu Lasten der BF gehende Rechtwidrigkeiten im angefochtenen Bescheid in der Beschwerde geltend gemacht wurden, diese amtswegig aufzugreifen, bzw. allenfalls den BF einen Versbesserungsauftrag zu erteilen, um die nicht mit der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte ausführen zu können; der Beschwerde stattzugeben, den Bescheid im angefochtenen Umfang abzuändern, in der Sache selbst zu entscheiden, dem Antrag auf internationalen Schutz stattzugeben und festzustellen, dass den BF der Staut des Asylberechtigten zukomme; den angefochtenen Bescheid (gemeint wohl die angefochtenen Bescheide) allenfalls nach Verfahrensergänzung bezüglich des Spruchpunktes II. abzuändern und den BF den Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8Abs. 1 Z 1 AsylG zuzuerkennen; den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes III. aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde sowie festzustellen, dass ihre Abschiebung in den Irak unzulässig und die Frist für die freiwillige Ausreise ersatzlos zu beheben sei; in eventu den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen.

5. Die gegenständliche Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.12.2017 vom BFA vorgelegt und sind dort am 14.12.2017 eingelangt.

6. Am 18.05.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF und ihre RV teilnahmen sowie deren Lebensgefährte (im Folgenden: LG) als Zeuge einvernommen wurden.

7. Mit Schreiben von 28.05.2018, beim BVwG eingelant am 29.05.2018 erstattete die BF durch ihre RV eine Beschwerdeergänzung, in deren Rahmen weitere Beweismittel vorgelegt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF führen die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsbürger des Irak. Sie stammen aus XXXX, sind alle Angehörige der kurdischen Volksgruppe und bekennen sich zum sunnitischen Islam. Die BF sind daher Asylwerber iSd § 2 Abs. 1 Z 14 FPG.

1.2. Die BF verließen den Irak am 15.11.2015 auf dem Landweg per Bus in die Türkei. Sodann begaben sie sich schlepperunterstützt nach Griechenland. Von dort fuhren die BF über eine nicht feststellbare Route und mit nicht feststellbaren Verkehrsmitteln nach Österreich, wo sie am 26.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes stellten. Die Kosten für die Schleppung betrugen insgesamt rund € 5.000,00 welche BF1 aus von ihrem Mann Ersparten und aus dem Verkauf von Hausrat lukrierte. Ansonsten beziehen die BF kein Einkommen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF Vermögen besitzen.

1.3. BF1 absolvierte im Heimatland keine Schul- und Berufsausbildung und war bis zur ihrer Einreise nach Österreich Analphabetin. Die BF ehelichte Ende 2005 XXXX und hat von ihm die ins Verfahren eingebundenen drei Kinder. Ihren Lebensunterhalt sowie jenen der Kinder deckte sie - bis zu dessen Tod - durch die berufliche Tätigkeit des Mannes. Der Ehegatte der BF kam im August 2015 ums Leben. Die Hintergründe hiefür konnten nicht festgestellt werden. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass die BF im Herkunftsstaat einer Bedrohung aus einem der in der GFK angeführten Gründen ausgesetzt sind.

1.4. BF1 ging im Bundesgebiet keiner Beschäftigung nach, die älteste Tochter besucht die Schule, die jüngere Tochter der BF und deren Sohn noch den Kindergarten. Die BF leben zusammen mit dem Lebensgefährten (LG) von BF1, XXXX, geb. am XXXX, seit rund 2 1/2 Jahren im gemeinsamen Haushalt in einer rund 60 m² großen Wohnung. BF1 lernte ihren LG Ende 2015 bei der XXXX in Wien kennen. Seit Anfang 2016 lebt BF1 mit ihren Kindern und ihrem LG im gemeinsamen Haushalt. Der LG der BF1 ist derzeit beschäftigungslos und ist behindert. Dass dieser eine Invalitätspension bezieht, konnte ebensowenig festgestellt werden wie die Höhe der ihm zu Teil werdenden staatlichen Unterstützung. Er pflegt zu den BF ein besonders gutes Verhältnis. Der LG ist seit dem XXXX.2018 beim Arbeitsmarktservice (AMS) XXXX als arbeitssuchend gemeldet, bezog vom XXXX.2011 bis XXXX.2013 und bezieht seit XXXX.2014 wieder bedarfsorientierte Mindestsicherung. Er befindet sich seit 2004 in Österreich und stellte am 26.04.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher in zweiter Instanz am 21.02.2006 rechtskräftig positiv beschieden wurde.

1.5. BF1 besuchte bis dato einen Deutsch-A1- und A2-Kurs, wobei sie ersteren erfolgreich abschloss. Sie zeigt sich ferner bemüht, Schreiben und Lesen zu lernen und damit ihren Analphabetismus zu bekämpfen.

1.6. BF1 ist gesund und arbeitsfähig, auch die BF2 bis BF4 sind gesund. Alle BF sind - ebenso wie der LG der BF1 - strafrechtlich unbescholten.

1.7. Der Lebensmittelpunkt der BF liegt in Österreich. Die BF - insbesondere BF1 - haben alle Beziehungen und Kontakte zum Herkunftsstaat abgebrochen.

1.8. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF im Falle einer Rückkehr in den Irak einer asylrelevanten Verfolgung iSd GFK ausgesetzt wären. Sie wären diesfalls jedoch der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt oder bedeutete die Rückkehr dorthin für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.9. Zum Irak und zur Lage der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird festgestellt:

1.9.1. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der BF

Die wachsende Macht schiitischer Milizen hat die Sicherheitslage im Irak massiv verschlechtert und ein Klima der Rechtlosigkeit entstehen lassen. Im Irak kämpft die Gruppe Asa¿ib Ahl al-Haqq derzeit im Bündnis der Volksmobilmachung gegen den IS. Das Bündnis wurde im Irak zu einem offiziellen Arm des Staates erklärt und damit ihre Rolle im Kampf gegen den islamischen Staat gewürdigt. http://www.ecoi.net/local_link/328799/469652_de.html (Zugriff am 14. Dezember 2017)]. Die nichtstaatliche Organisation Amnesty International berichtet, dass diese schiitischen Gruppen, die Kriegsverbrechen begehen, von der Regierung unterstützt werden. [http://www.amnesty-at/de/irak/ (Zugriff am 14. Dezember 2017)].

Gewaltmonopol des Staates

Staatlichen Stellen ist es derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen[sowie der IS] handeln eigenmächtig. Dadurch sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage den Schutz der Bürger sicherzustellen (AA 7.2.2017). Insbesondere über den Nordwesten des Irak kann die Regierung nicht die Kontrolle behalten und muss sich auf die [vorwiegend] schiitischen Milizen der PMF verlassen. Die zwei wichtigsten davon sind Asa-ib Ahl al-Haqq (AAH) und die Badr-Brigaden, die beide [effektiv] unter dem Kommando des Iran stehen (Stansfiled 26.4.2017). Durch die staatliche Legitimierung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren. Staatliche Ordnungskräfte können sich teilwiese nicht mehr gegen die mächtigen Milizen durchsetzen (AA 7.2.2017).

Eine der wichtigsten Milizen innerhalb der PMF (Popular Mobilization Forces; Volksmobilisierungseinheiten). Die Asa¿ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz¿ali-Netzwerk, League oft he Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz¿ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa¿ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Organisation und Kata¿ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefütchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz¿ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

Minderheiten

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen (AA 7.2.2017), [gemäß CIA-Factbool 55-60 Prozent (CIA 2010)] und vor allem den Süden und Südosten des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). (AA 7.2.2017). In der Hauptstadt Bagdad wird die Mehrheit der Bevölkerung von den schiitischen Arabern gestellt (USDOS 10.8.2016).

Allgemeine Menschenrechtsage

Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017). Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen);

Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten;

einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 20216 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017).

zAllgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kotrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. (UNHCR 14.11.2016).

Menschenrechtslage: IS-"Islamischer Staat" Aus den Berichten der Vereinten Nationen und mehrerer Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass der IS an Angriffen gegen die Zivilbevölkerung, Ermordungen (einschließlich Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren, Entführungen, Folter, Vergewaltigung und sonstigen Formen sexueller Gewalt, sexueller Sklaverei, Zwangskonvertierungen und der Einberufung von Kindern zum Militärdienst beteiligt war. (UNHCR 14.11.2016).

IDPs und Flüchtlinge /Bewegungsfreiheit

Die Vorstöße des IS in den Jahren 2014/2015 und die nachfolgenden militärischen Operationen gegen den IS haben zu Massenvertreibungen geführt (UNHCR 14.11.2016), während gleichzeitig humanitäre Hilfsorganisationen einen starken Rückgang internationaler Finanzhilfen beklagten (ÖB 12.2017).

Staatliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit

Laut Einschätzung des UNHCR sind die Möglichkeiten einer innerstaatlichen Fluchtalternative für IDPs durch die aktuellen Umstände, das Ausmaß innerstaatlicher Vertreibung, die ernstzunehmende humanitäre Krise, die zunehmenden interkommunalen Spannungen, die Beschränkungen bzgl. des Zuganges und /oder Aufenthaltes in fast allen Teilen des Landes und durch den steigenden Druck der IDPs in ihre Heimatgebiete zurückzukehren, eingeschränkt (UNHCR 12.4.2017). Laut Amnesty International schränkten die Behörden des Irak sowie der KRI die Bewegungsfreiheit vertriebener arabischer Sunniten willkürlich und in diskriminierender Weise ein (AI 22.2.2017).

Grundversorgung/Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57 % der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Das Land befindet sich in einer anschwellenden humanitären Krise, die durch anhaltende Konflikte, beschränkten Zugang zu humanitären Hilfsleistungen, zunehmendes Versagen bestehender Bewältigungsmechanismen und finanzielle Engpässe gekennzeichnet ist. (...) (UNHCR 14.11.2016). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016).

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen 8AA 7.2.2017).

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Versorgung sicherzustellen. (...) (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017).

Quellen:

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http://www.ecoi.net/local_link/328799/469652_de.html (Zugriff am 14. Dezember 2017)

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http://www.amnesty-at/de/irak/ (Zugriff am 14. Dezember 2017)

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AA-Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges amt-bericht-ueber-die-asyö-und-abschiebungsrelevantelage-in-der-republik-irakstand-dezember-2016-07-02-2017.pdf, Zugriff 6.8.2017,

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UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (14.11.2016): UNHCR Position on Returns to Iraq,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1479283205_2016-11-14- unhcr-position-iraq-returns.pdf, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1485247972_opendocpdf.pdf, Zugriff 6.8.2017

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ÖB-Österreichische Botschaft Amman (12.2016):Asylländerbericht-Irak, per E-Mail

-

USDOS-US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016-Iraq.

http://www.ecoi.net/local_link/337187/479950_de.html, Zugriff 6.8.2017

-

OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (7.3.2017): Humanitarian Needs Overview, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/irq_2017_hno.pdf, Zugriff 16.6.2017

-

Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/2017 - The State for the World-s Human Rights - Iraq, http://www.ecoi.net/local_link/336503/479164_de.hml, Zugriff 6.8.2017

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Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504517740_bfa-staatendokumentationffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31.pdf

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Stansfield, Gareth - Professor of Middle East Politics and the Al-Qasimi Chair of Arab Gulf Studies at the University of Exeter (26.4.2017): EASO COI Meeting Report Iraq, Practical Cooperation Meeting 25.-26- April, Brussels, http://coi.easo.europa.eu/adfministration/easo/PLib/IRQ_Meeting_Report.pdf, Zugriff 24.7.2017,

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AIO - An international organization (12.6.2017).

Gesprächsprotokoll per E-Mail,

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Eindringen des IS in den Zentralirak. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Auch für den Großraum Bagdad sind im Gefolge der nunmehrigen Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak zuletzt keine außergewöhnlichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen bekannt geworden.

Wiedererstandene Grenze zu Syrien

Die irakische Armee sucht die syrische Grenze, die der IS auf der Höhe seiner Macht als aufgehoben erklärt hatte, wieder ihrer ganzen Länge nach abzusichern und dieser IS-Leute habhaft zu werden.

Auf der syrischen Seite der Grenze stehen meist Truppen der SDF, das heisst der Syrischen Demokratischen Kräfte, die zur Mehrheit aus syrischen Kurden bestehen, zur Minderheit aus mit diesen zusammenarbeitenden Arabern. Sie erhalten zurzeit noch Unterstützung von der amerikanischen Luftwaffe sowie die Hilfe amerikanischer Berater und Sondertruppen auf dem Boden.

Der südlichste Sektor dieser Grenze jedoch - wo die Grenzlinie das Euphrattal überquert und in den Wüsten südlich davon - befindet sich in der Hand der syrischen Regierungsarmee, die ihrerseits Hilfe von der russischen Luftwaffe erhält.

Der irakische Krieg gegen den IS ist insofern nicht abgeschlossen, als es nach wie vor eine Untergrundpräsenz von IS-Terroristen gibt, die bereit sind, Selbstmordanschläge durchzuführen, und offenbar vorläufig auch in der Lage, solche zu organisieren. Bagdad bleibt ihr bevorzugtes Ziel. Doch Anschläge kommen auch weiter im Süden vor, im Inneren der von Schiiten bewohnten südlichen Provinzen sowie im Norden in den neu dem IS entrissenen Landesteilen.

Spannungen mit Kurden

Neben dem IS-Krieg, der noch voll bereinigt werden muss, gibt es auch das gespannte, kriegsträchtige Verhältnis zu den irakischen Kurden. Die meisten der zwischen Kurden und Bagdad umstrittenen Gebiete, einschliesslich der Erdölstadt Kirkuk, hat die irakische Armee am 19. Oktober dieses Jahres den kurdischen Peschmerga entrissen, nachdem Streit über das "Unabhängigkeits"-Referendum ausgebrochen war, das die Kurden durchgeführt hatten.

Doch es gibt noch einige kleinere "umstrittene Gebiete" in der nördlichen Provinz Ninive (Hauptstadt Mosul), die in der Hand der Peschmerga verblieben sind. Wie der Streit zwischen Bagdad und irakisch Kurdistan weitergeht, ist zurzeit ungewiss. Beide Seiten versuchen zunächst, ihn mit friedlichen Mitteln zu lösen. Doch er bleibt völlig ungelöst.

Iran kontra USA

Die wichtigste Bruchlinie, die es für den Irak in der Nachkriegszeit zu überwinden gilt, ist jene zwischen dem iranischen Einfluss und dem der USA. Wie gefährlich dieser Gegensatz ist, zeigt der Umstand, dass es im Land bewaffnete Gruppen gibt, die Iran zuneigen und von Iran gestützt und teilweise unterhalten werden, während andere sich von den Amerikanern ausbilden lassen.

Amerikanische Ausbilder wirken in der regulären irakischen Armee und suchen diese kampffähig zu machen. Es waren amerikanisch ausgebildete Elitetruppen von Armee und bewaffneter Polizei, welche zu Lande die Hauptlast der Belagerung von Mosul trugen. Diesen Kämpfern kamen jeweils die Flugzeuge der amerikanischen Koalition zu Hilfe, wenn sie Luftschläge gegen Stellungen und Heckenschützen des IS anforderten.

Vermutlich stehen diese Kampfflugzeuge weiterhin jenen irakischen Truppen zur Verfügung, die sich gegenwärtig bemühen, die Wüste, soweit es gehen mag, von den letzten IS-Kämpfern zu säubern. Was nachher geschehen soll, ist unklar. Präsident Trumps Absichten sind unbekannt, und viel dürfte auch davon abhängen, ob der Ministerpräsident weiterhin amerikanische Ausbilder für seine Armee anfordern will und welche Bedingungen dafür ausgehandelt werden.

Milizen: Terroristen oder Sicherheitsfaktoren?

Zurzeit erklären die Amerikaner, ihrer Ansicht nach sollten die irakischen Milizen der sogenannten Volksmobilisation aufgehoben werden. Milizionäre, die weiter als Militärs zu dienen gedächten, sollten in die reguläre Armee eingegliedert werden. Doch die Anführer der mächtigsten der Milizen widersprechen laut. Am vergangenen Samstag erklärte der Stellvertretende Kommandant der Volksmilizen, Abual-Mahdi al-Muhandis: "Wir brauchen militärische Kräfte, die erfahren sind in Kämpfen gegen Terroristen und gegen alle Bedrohungen von aussen, und wir müssen genügend Kräfte aufrechterhalten. Wir sehen unsere Rolle als ergänzend zu derjenigen der Armee. Sie können nicht kämpfen ohne uns, und wir nicht ohne sie!"

Fast gleichzeitig hat ein Mitglied des amerikanischen Senats ein Gesetz vorgeschlagen, durch das gewisse irakische Volksmilizen wie jene, die sich "Asaib Ahl al-Haqq" und "Harakat Hizbullah an-Nujaba" nennen, ("Scharen der Anhänger der Wahrheit" und "Bewegung der Edlen der Partei Gottes") zu Terroristen erklärt werden sollen. Der Anführer dieser zweitgenannten Gruppierung, Akram al-Kaabi, wurde schon 2008 von den USA als Terrorist klassifiziert.

Der Chef einer der bekanntesten dieser Milizen, der pro-iranischen "Badr Brigade", Hadi al-Amri, verweist auf einen Widerspruch, den er in der Haltung der USA sieht, weil diese erklären, sie selbst seien unentbehrlich für die irakische Armee, während die Volksmobilisation entbehrlich sei. "Diese Doppelmoral muss aufhören!", donnerte er. "Wir erleben zurzeit die letzten Tage des IS, doch es wäre falsch zu denken, das Ende von IS sei das Ende der Angelegenheit!" Welche Angelegenheit er meint, sagte er nicht.

Übergewicht der Schiiten

Gesamthaft gibt es zur Zeit 140'000 Angehörige der Volksmobilisation. Von ihnen sind 34'000 Mann sunnitische Kämpfer und rund 10'000 Angehörige der Minderheiten wie Christen, Schabak und Jesiden, alle in ihren eigenen Einheiten. Die übrigen knapp 100'000 sind Schiiten.

Doch auch unter den Schiiten gibt es Unterschiede. Manche von ihren Milizen sind loyal gegenüber dem irakischen Grossayatollah Sistani und anderen irakischen Geistlichen, andere jedoch neigen dem iranischen "Herrschenden Gottesgelehrten" Khamenei zu. Letztere werden direkt von Iran unterstützt.

Seit dem vergangenen Sommer sind die Milizen der Volksmobilisation durch einen Parlamentsbeschluss reguläre Angehörige der irakischen Streitkräfte, und Ministerpräsident Haidar al-Abadi gilt formell als ihr Oberbefehlshaber. Doch sie stehen weiterhin unter ihren eigenen Anführern und rekrutierten ihre eigenen Mannschaften. Der Staat bezahlt gegenwärtig jedem Milizsoldaten den Gegenwert von 500 Dollar im Monat. Die regulären Armeesoldaten erhalten das Doppelte, doch es gibt Bestrebungen im Parlament, ihren Sold auf den Gegenwert von monatlich 2'000 Dollar zu erhöhen.

Muqtada as-Sadrs Wandlungen

Neben diesen Milizen, die im Krieg gegen den IS mitgekämpft haben, gibt es noch die Anhänger des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr. Er verfügt über eine grosse Zahl von ihm fanatisch ergebenen Gefolgsleuten, meist aus den schiitischen Elendsvierteln der Grossstädte Bagdad und Basra. Zur Zeit der amerikanischen Besetzung kämpften sie gegen die Amerikaner, später hat Sadr sie in ein Friedenscorps umgewandelt und eingesetzt für Demonstrationen gegen die Korruption der irakischen Politiker.

Zur Zeit der Bedrohung Bagdads durch den IS, im Sommer 2014, wurden Teile der Sadr-Anhänger wieder bewaffnet und auch als Volkserhebungsmiliz mobilisiert. Doch Sadr will sie nun wieder entwaffnen und nicht als permanent bewaffnete Gruppe aufrechterhalten. Ihre Zahl ist nicht in den 140'000 der gegenwärtigen Volksmobilisation inbegriffen. Sie waren in den südlichen Städten und in der Hauptstadt verblieben und hatten nicht am Feldzug gegen den IS teilgenommen. Ihr Chef, Sadr, ist heute ein irakischer Nationalist, der für den Zusammenhalt der drei Bevölkerungsgruppen des Iraks unter einer zentralen Regierung in Bagdad eintritt.

Glaubwürdige und populäre Milizenführer

Die Milizen und ihre Anführer sind im Irak populär, natürlich vor allem bei den Schiiten. Ihre Führer gelten nicht als korrupt und auf eigenen Vorteil bedacht, wie es den meisten Politikern, auch den ins Parlament gewählten keineswegs ohne Grund nachgesagt wird.

Die Bevölkerung des Südens und Bagdads erinnert sich auch daran, dass die irakische Armee nach der Überrumpelung von Mosul durch den IS im Sommer 2014 zusammenbrach, und dass es einzig die damals nach Aufrufen von Sistani entstandene Volksmobilisation war, die dafür sorgte, dass Bagdad und der Süden des Iraks gegen den IS verteidigt wurden.

Im kommenden Frühling und Sommer stehen lokal- und Parlamentswahlen bevor. Viele der Parlamentarier versuchen mit Milizführern ein politisches Bündnis zu schliessen, weil sie bessere Chancen haben, Stimmen zu gewinnen, wenn Milizführer für sie eintreten.

Verdeckte ethnische Säuberungen?

Gegen einige der Milizen wurden Vorwürfe erhoben, sie hätten Racheaktionen an Sunniten in den vom IS befreiten Ortschaften und Städten durchgeführt. Ihren Opfern werfen sie vor, sie gehörten zum IS oder sie hätten mit diesem sympathisiert. Die Milizführer geben zu, dass gelegentlich "Fehler" gemacht worden seien.

Die Ankläger versichern jedoch, es handle sich um viel mehr. Sie behaupten, diese Milizen versuchten in bestimmten, bisher von Sunniten bewohnten Regionen und Ortschaften schiitische Mehrheiten zu konstruieren, indem sie den wegen der Kriegsaktivitäten geflohenen Zivilisten verböten, nach der Befreiung in ihre Heimatorte zurückzukehren. Der Haus- und Landbesitz dieser Geflohenen werde von schiitischen Neusiedlern in Besitz genommen.

Derartige Versuche ethnischer Säuberung kommen vor allem in der sunnitisch-schiitisch gemischten Provinz Diyala vor. Sie liegt nordöstlich von Bagdad und reicht bis an die iranische Grenze.

Unbewältigte Schuldfragen

Die Frage, was mit den Angehörigen von IS-Kämpfern und mit gefangenen Kämpfern geschehen soll, ist heikel. Manchmal wurden Flüchtlinge und Gefangene erschossen, was einem Kriegsverbrechen gleichkommt. Als Regel gilt, dass gefangene IS-Kämpfer und Behörden in besondere Lager verbracht werden, wo sie - ohne Zweifel nicht bei bester Behandlung - ihre Aburteilung durch Richter erwarten. Ihre Frauen und Kinder kommen in gesonderte Lager. Bei ausländischen IS-Leuten, bei Frauen aus anderen islamischen Staaten oder auch aus Europa - oftmals mit kleinen Kindern -, versucht der Irak, sie in ihre Ursprungsländer abzuschieben.

Es kommt oft vor, dass Anklagen gegen Flüchtlinge erhoben werden, wonach diese in Wirklichkeit Mitglieder oder Sympathisanten des IS seien und versuchten, sich unter die Masse der zivilen Fliehenden zu mischen. Das kann zutreffen, es kann sich bei derartigen Anschuldigungen aber auch um Racheaktionen gegen alte Feinde handeln.

Dabei gibt es schwer zu beurteilende Grenzfragen, wie: Wer war ein Sympathisant? Wer machte unter Zwang mit? Was hat die angeklagte Person im Dienst des IS getan, was hat sie unterlassen? - Offiziere der regulären Armee und solche der Milizen können in solchen Belangen bestenfalls summarisch Gerechtigkeit üben. Entscheide jedoch, die nach dem Empfinden der sunnitischen Bevölkerungsteile ungerecht ausfallen, sind gefährlich. Kommen sie allzu oft vor, drohen sie erneut Wasser auf die Mühlen des IS oder künftiger vergleichbarer Gruppierungen zu leiten.

Fallstricke des Wiederaufbaus

Mit derartigen Fragen verbunden sind die Probleme des Wiederaufbaus. Die Bewohner der zerstörten Städte und die aus ihnen Geflohenen sind fast ausschliesslich Sunniten. Sie erhielten Versprechungen von Seiten der Regierung, dass ihnen beim Wiederaufbau geholfen werde. Doch die versprochenen Kompensationen, etwa für zerstörte Häuser und Wohnungen, treffen nur selten und langsam ein. Kommt dann doch Hilfe, vermuten die bisher leer ausgegangenen Nachbarn, der Betreffende hätte eine Vorzugsbehandlung erlangt, wahrscheinlich auf krummen Wegen.

Da es viel Korruption gibt, herrscht beständig Korruptionsverdacht. Der Ministerpräsident, Haidar al-Abadi, hat erklärt, nach dem Sieg über den IS sei der nächste Schritt die Korruptionsbekämpfung.

Doch es fehlt auch einfach das Geld, um allen Bedürfnissen der gründlich zerstörten Städte nachzukommen, die nun vom IS befreit worden sind. In den meisten der dem IS entrissenen Ortschaften konnte nicht einmal die Infrastruktur für Wasser und Abwasser oder die Elektrizitätsversorgung wiederhergestellt werden.

Zweieinhalb Jahre Krieg gegen den IS

Die Rückeroberung von Süden nach Norden hatte schon im April 2015 mit der Provinzhauptstadt Tikrit begonnen. In der Endphase des Krieges gegen den IS wurde im vergangenen Juli Mosul von der regulären Armee und kurz darauf auch die letzte der irakischen Städte des Nordens, Tel Afar, durch die Milizen der Volksmobilisation eingenommen. Danach erfolgte noch ein Feldzug dem Euphrat entlang aufwärts bis zur syrischen Grenze, beendet am 13. Dezember dieses Jahres.

Gegenwärtig läuft der Versuch, den IS aus dem Wadi Hauran zu vertreiben. Dies ist ein beinahe immer wasserloses Wüstental, tief eingeschnitten und mit Höhlen ausgestattet. Der Wadi ist in seinem irakischen Teil 350 Kilometer lang. Er beginnt in Jordanien, im Grenzraum des Dreiländerecks von Saudi-Arabien, Jordanien und dem Irak und zieht sich hin bis an den Euphrat nahe der Stadt Haditha unterhalb der syrischen Grenze. Er scheint der IS-Führung als letztes Versteck zu dienen. Das Wüstental befand sich seit Juni 2014 im Besitz des IS.

Wiedereingliederung der Sunniten

Mit dem Ende der Kämpfe rücken die Fragen des Wiederaufbaus und der künftigen Ordnung des Iraks ins Zentrum. Sie hatten sich schon zuvor gestellt. Doch die militärische Aktion überschattete sie. Nun muss sich zeigen, ob das Land in der Lage ist, den sunnitisch-arabischen Teil seiner Bevölkerung, zwischen sieben und acht Millionen Menschen, wieder als Vollbürger in den irakischen Staat einzuverleiben. Bisher ist dies misslungen. Seitdem das Land zur Zeit der amerikanischen Besetzung in den Jahren 2006 und 2007 in zwei Teile zerfiel, kämpften Sunniten und Schiiten gegeneinander. Nach dem Abzug der Amerikaner von 2010 fanden die beiden Religionsgemeinschaften nicht zusammen, weil der damalige Ministerpräsident, Nuri al-Maleki, die Schiiten privilegierte und mit ihrer Unterstützung das Land zu beherrschen suchte.

Die Schiiten bilden eine knappe Mehrheit von etwa 55 Prozent der rapide anwachsenden irakischen Bevölkerung von beinahe 40 Millionen. Gegenwärtig zählen die Schiiten rund 22 Millionen. So gut wie alle Schiiten sind arabophon. Die Sunniten jedoch sind geteilt in gut sieben Millionen Araber und knapp sieben Millionen Kurden. Der IS hatte die Ressentiments der arabischsprechenden Sunniten ausgenützt, um in Mosul, der größten sunnitischen Stadt des Iraks, die Macht zu erlangen. Etwas später hatte er dann auch die wichtigsten anderen sunnitisch-arabischen Städte beherrscht. Es sind daher die sunnitischen Städte und Provinzen, die am meisten durch den Krieg zu leiden hatten. Sie sind heute weitgehend zerstört. Viele ihrer Bewohner befinden sich noch immer in Lagern.

Gefahr neuer Zusammenbrüche

Wenn der Wiederaufbau erfolgreich verliefe, könnte Bagdad die Loyalität der Sunniten zurückgewinnen. Doch wenn er zögerlich oder gar nicht vorankommt, werden die Ressentiments der arabischen Sunniten noch weiter anwachsen. Sie würden in diesem Fall an ihrer alten Meinung festhalten, es seien immer die Schiiten, welche in Bagdad regierten und darauf aus seien, sie - die Sunniten - zu benachteiligen. Ginge es jedoch mit dem Wiederaufbau voran, so verbesserten sich die Aussichten, dass der irakische Staat wieder zusammenzufinden vermag und als Staat fortexistieren kann.

Im anderen Fall droht ein Zusammenbruch. Die Kurden fordern ohnehin ihren eigenen Staat, und die arabischen Sunniten werden in Unzufriedenheit und Ressentiment leben und möglicherweise aufbegehren. Der schiitische Süden würde in weitere Abhängigkeit von dem großen iranischen Nachbarn geraten. Das Land könnte dann leicht, wie heute schon Jemen, zu einer blutigen Arena werden, in der die sunnitisch-schiitische Rivalität ausgetragen wird, mit den Golfstaaten und Saudi-Arabien auf der sunnitischen und Iran auf der schiitischen Seite.

Der Wiederaufbau der sunnitischen Landesteile und mit ihm die Wiedereingliederung der arabischen Sunniten wird aber jedenfalls schwierig werden. Er benötigt große Summen, über welche der irakische Staat angesichts der relativ niedrigen Erdölpreise nicht verfügt. Wenn die Korruption nicht rasch und gründlich gemeistert werden kann, wird außerdem noch ein großer Teil der Gelder denen zufallen, die sie auf ihre Mühlen zu leiten wissen. Das würde für weitere Ressentiments bei den durch den Krieg in erster Linie geschädigten arabischen Sunniten sorgen.

Fehlende Gelder

Um nur Mosul zu nehmen: Die Uno hat versucht, 985 Millionen Dollar für eilige humanitäre Hilfe zu erhalten, die dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur der Stadt dienen sollte. Sie konnte aber nur Zusagen (nicht Auszahlungen) von Geberstaaten in der Höhe von 423 Millionen mobilisieren.

Die irakische Verwaltung spricht davon, dass ein Wiederaufbauplan für die gesamten befreiten Gebiete etwa 100 Milliarden Dollar kosten würde. Sie hofft in Zukunft große Teile dieser Summen durch Investitionen aus dem Ausland aufzubringen. Doch die Wirtschaftsstruktur des Landes in ihrer gegenwärtigen Form ist für private Anleger ungünstig. Der Staat dominiert die gesamte Wirtschaft durch das ihm unterstehende Erdölwesen. Dieses bringt auch fast das gesamte Staatseinkommen ein. Die leitenden Posten werden oftmals auf Grund von politischen Verteilungskämpfen und Kompromissen besetzt, nicht auf der Grundlage fachlicher Kompetenz.

Nur ein Beispiel: Staatliche Misswirtschaft hat dazu geführt, dass Bagdad seit den Zerstörungen durch die amerikanische Invasion von 2003 noch immer mit ungenügender Elektrizitätsversorgung zu kämpfen hat. Wer es sich leisten kann, betreibt nach wie vor seinen eigenen privaten Generator.

Um bedeutende Summen von privaten Anlegern aus dem Ausland zu erhalten, müsste das Land seine Wirtschaft umbauen. Manche Politiker und Wirtschaftsfachleute sind der Ansicht, dass der Irak dies nicht schaffen kann und deshalb die Gelder für seinen Wiederaufbau in Iran oder, wie andere es sehen, in Russland oder in China suchen müsste.

Quelle: https://www.journal21.ch/irak-nach-dem-krieg

Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen im Irak die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht auf (U.v. 9.1.2017 - 13a ZB 16.30740 - juris m.w.N.). Der Umfang der Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter, die an die sunnitische Religionszugehörigkeit anknüpfen, rechtfertigt in der Relation zu der Größe dieser Gruppe nicht die Annahme einer alle Mitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung. Die irakische Bevölkerung setzt sich zu 60 bis 65% aus arabischen Schiiten, zu 17 bis 22% aus arabischen Sunniten und zu 15 bis 20% aus (überwiegend sunnitischen) Kurden zusammen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7.2.2017 S. 7). Bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 36 Millionen Einwohnern (vgl. www.auswaertiges-amt.de - Länderinfos, Stand: März 2017) würde das bedeuten, dass sechs bis acht Millionen arabische Sunniten im Irak im oben geschilderten Sinn als Gruppe verfolgt würden. Für eine solche Annahme gibt es keine ausreichenden Hinweise. Dies gilt auch für die Stadt Bagdad, in der 7,6 Millionen Einwohner leben (vgl. www.auswaertiges-amt.de - Irak, Länderinformation, Stand: März 2017).

Zwar hat nach der Dokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) der Republik Österreich vom 24. August 2017 die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. In Bagdad sei gemeldet worden, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt worden seien, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen, wie auch die Klagepartei vorträgt. Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads seien vorgekommen. Zum Teil gehe es allerdings darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können. Laut Berichten begingen die (schiitischen) PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnappings und Morde an der sunnitischen Bevölkerung. Viele Familien seien in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen gewesen, ihre Häuser zu verlassen und sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder anzusiedeln. Somit seien separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Bagdad sei weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten (zu alldem siehe: VGH München, Beschluss v. 16.11.2017 - 5 ZB 17.31639).

1.9.2.Situation in Kirkuk

Keine Frauenhäuser in Kirkuk, nur eine "family protection unit" in einer Polizeistation. Einem Artikel von Ekurd Daily zufolge (Oktober 2012) gibt es in Kirkuk keine Frauenhäuser. Laut einem Bericht der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) und dem Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) (Juni 2013) gibt es in Kirkuk eine "family protection unit" (FPU), welche sich auf Fälle häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Kinder spezialisiert hat [UNAMI und OHCHR verwenden den Begriff "family police unit", alle anderen von uns konsultierten Quellen verweisen jedoch auf "family protection units". Wir gehen davon aus, dass es sich um dieselben Familienschutzeinheiten handelt]. Die Einrichtung habe allerdings beschränkte Kapazitäten; es mangele an qualifiziertem Personal und es habe ungenügend Platz für betroffene Frauen. 2012 hatte die "family protection unit" keine weiblichen Angestellten und war im zweiten Stock einer Polizeistation untergebracht - Faktoren, die gemäss UNAMI und OHCHR Frauen davon abschrecken, die FPU aufzusuchen. Während des Berichtzeitraums (Juli bis Dezember 2012) seien nur wenige Fälle an die FPU verwiesen worden. Die wenigen Fälle wurden von Frauenrechtsorganisationen weitergeleitet.

Auf ihrer Webseite verweist die schwedische Organisation Kvinna till Kvinna auf das Pana Centre in Kirkuk, welches von ihr unterstützt wird (Kvinna till Kvinna, ohne Datum, Zugriff am 24. Januar 2018). Das Pana Centre bekämpfe Gewalt gegen Frauen und biete kostenlose Rechtsdienstleistungen sowie Beratung für Frauen an. Auch stelle das Zentrum Anwälte bereit, welche Frauen vor Gericht vertreten. Zudem führe das Pana Centre verschiede Sensibilisierungskampagnen durch.

Steigende Gewalt an Frauen in Kirkuk. In den Jahren zwischen 2010 und 2012 ist gemäss Angaben von Sicherheitsbeamten und Frauenrechtsaktivist_innen in Kirkuk die Gewalt gegen Frauen "dramatisch" angestiegen (Ekurd Daily, Oktober 2012). Auch UNAMI und OHCHR (Juni 2013) berichteten von einer hohen Anzahl von Fällen häuslicher Gewalt in Kirkuk, welche seit 2011 signifikant angestiegen sei. So wurden nach Angaben eines Schattenberichtes einer Koalition von drei NGOs an das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) (2014) in Kirkuk 2012 in den ersten vier Monaten 19 Frauen umgebracht, im gleichen Zeitraum im Jahr 2013 waren es 28 Frauen (Koalition des CEDAWSchattenberichtes, Februar 2014). Der Bericht von UNAMI und OHCHR (2013) weist zudem auf Entführungen von Frauen und Mädchen im Gouvernement Kirkuk hin. Verschiedenen Organisationen, Staatsbürger_innen und Regierungsvertreter_innen gehen davon aus, dass die Entführungen im Rahmen von Menschenhandel und sexueller Sklaverei von Polizeioffizieren sowie Sicherheitskräften durchgeführt worden seien (UNAMI und OHCHR, 2013).

2 Frauenhäuser und Familienschutzeinheiten (FPUs) im Zentral- und Südirak

NGOs werden daran gehindert, Frauenhäuser zu betreiben und müssen im Untergrund ihre Dienste anbieten. Frauenhäuser werden zum Ziel gewalttätiger Angriffe. USDOS (März 2017) und International Women's Human Rights (IWHR), Clinic at the City University of New York School of Law, MADRE und Organisation of Women's Freedom in Iraq (OWFI) (August 2015) berichten übereinstimmend, dass im Zentral- und Südirak NGOs daran gehindert werden, Frauenhäuser für Frauen anzubieten, die von häuslicher Gewalt, versuchten Ehrenmorden, Menschenhandel oder anderen Arten sexualisierter Gewalt und geschlechtsspezifischen Verbrechen betroffen sind. IWHR et al. (August 2015) und das irakische online-Magazin Nina (Februar 2017) sprechen gar von einem Verbot, welches irakischen NGOs untersagt, von Gewalt betroffenen Frauen einen Zufluchtsort zu bieten. Laut USDOS gibt es jedoch kein Gesetz, welches Frauenhäuser, die von NGOs geführt werden, ausdrücklich verbietet. Gemäss dem geltenden Gesetz entscheide das Ministerium für Arbeit und Soziales, ob ein Frauenhaus betrieben werden kann. Laut Angaben einer anonymen NGO gegenüber USDOS (2017) verweigert die Regierung die Registrierung und Lizensierung von Frauenhäusern. Diese NGO werde einerseits regelmässig von der irakischen Regierung aufgefordert, die von ihr betriebenen Frauenhäuser zu schliessen. Trotzdem würden andererseits Regierungsbeamt_innen Frauen "inoffiziell" an diese Anlaufstellen verweisen. Einige Tage nach einer Schliessung würden die Frauenhäuser erneut geöffnet (USDOS, 2017). Laut IWHR et al. (2015) sind Frauenorganisationen gezwungen, ihre Aktivitäten im Untergrund durchzuführen. So betreibt gemäss einem von Kvinna till Kvinna publizierten Bericht (2015) die Frauenrechtsorganisation OFWI (Organization of Women's Freedom in Iraq) Frauenhäuser in Bagdad ohne offizielle Bewilligung.

Weil von NGOs geführte Frauenhäuser gegen die öffentliche Ordnung verstossen würden, werden oft Razzien durchgeführt (IWHR et al., August 2015). Ausserdem sind sie nicht vor Gewaltandrohungen extremistischer Gruppen geschützt. USDOS (2017) zufolge werden "safe houses", die sowohl von NGOs als auch von der Regierung geführt werden, oft gewaltsam angegriffen.

Frauenhäuser werden im Irak als ordnungswidrig betrachtet und die Frauen, die dort Schutz suchen, werden stigmatisiert. Gemäss IWHR et al. (August 2015) wird im Zentral- und Südirak das Betreiben von Frauenhäusern als Verstoss gegen die öffentliche Ordnung gesehen. Frauenhäuser seien Orte, wo "sittenwidrige" Frauen ohne männlichen Vormund leben, somit handle es sich dabei wohl um Bordelle. Frauen und Mädchen würden dazu ermutigt, sich ihren Ehemännern zu widersetzen und nicht den Eltern zu gehorchen. Verschiedene irakische Menschenrechtsorganisationen bestätigten das Vorherrschen dieser Haltung gegenüber IWHR et al. (siehe auch Nina, Februar 2017).

Landesweit gibt es 16 staatliche Familienschutzeinheiten (FPUs), welche auf Versöhnung statt auf Opferschutz setzen. Die meisten FPUs führen keine Frauenhäuser. Nach Angaben von USDOS (März 2017) betreibt das Innenminister landesweit 16 Familienschutzeinheiten ("family protection units" - FPU) (siehe auch Minority Rights Group International und Ceasefire, November 2015). Diese hätten das Ziel, häusliche Streitigkeiten zu schlichten und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt anzubieten. Der Fokus liege jedoch auf Versöhnung innerhalb der Familie und nicht auch auf Opferschutz. Gemäss der Koalition des CEDAW-Schattenberichtes (Februar 2014) funktionieren die FPUs ohne gesetzliche Grundlagen zur Regulierung ihrer Arbeit. Zudem seien die meisten Mitarbeitenden männliche Polizisten und bräuchten Schulungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Laut USDOS fehlt es an Kapazitäten, die Betroffenen zu unterstützen (USDOS, März 2017). Da die meisten FPUs keine Frauenhäuser führen, sei die Anzahl Zufluchtsorte für Opfer häuslicher Gewalt beschränkt (USDOS, 2017). Gemäss Kvinna till Kvinna (2015) bestehen im Irak keine öffentlich finanzierten oder unterstützten Frauenhäuser.

3 Situation für unverheiratete oder geschiedene Frauen, Witwen und alleinerziehende Mütter

Unverheiratete, geschiedene oder verwitwete Frauen werden in der irakischen Gesellschaft stigmatisiert. Laut dem Geneva International Centre for Justice (2015) werden unverheiratete Frauen im Irak gesellschaftlich stigmatisiert. Ein Bericht von Care (April 2015) deutet darauf hin, dass die vorherrschenden sozialen Normen Frauen daran hindern, ohne einen Mann zu leben. Insbesondere weiblich geführte Haushalte riskieren Gewalt ausgesetzt zu sein. Zu den schutzbedürftigsten Gruppen im Irak zählt Care unter anderem insbesondere schwangere und/oder stillende, ledige und verwitwete Frauen. Auch in einem Bericht einer Fact-FindingMission des Danish Refugee Council und des Danish Immigration Service (Januar 2016) wird hervorgehoben, dass ledige Frauen sowie weiblich geführte Haushalte unter den intern vertriebenen Menschen (IDPs) "besonders verletzlich" sind. Laut der Koalition des CEDAW-Schattenberichtes (2014) ist insbesondere die "Kategorie der Witwen und der geschiedenen Frauen" mit grossen sozialen Herausforderungen und diskriminierenden Traditionen konfrontiert. Diese Frauen seien oft dem Risiko der sexuellen Ausbeutung, Prostitution und Ehen auf Zeit ausgesetzt. Haushalte, die von Frauen geführt werden, leben aufgrund des tiefen Einkommens in sehr schlechten finanziellen Verhältnissen.

Angst vor Stigmatisierung und finanzieller Isolierung hält Frauen von einer Scheidung ab. Gemäss IWHR et

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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