TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/1 W262 2186975-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.08.2018
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Entscheidungsdatum

01.08.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W262 2186975-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 29.01.2018, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des damals zuständigen Bundessozialamtes vom 17.01.2008 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses nach Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Facharztes für Orthopädie abgewiesen, da nach der Richtsatzverordnung ein Grad der Behinderung von 30. V.H. festgestellt wurde.

2. Die Beschwerdeführerin stellte am 25.10.2017 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" und legte einen ärztlichen Bericht ihrer Hausärztin bei.

3. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.01.2018 erstatteten - Gutachten vom 26.01.2018 wurde auszugsweise Folgendes festgehalten:

"...

Derzeitige Beschwerden:

‚Beschwerden habe ich vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Ausstrahlung in die Leiste, in den Hüften habe ich keine Beschwerden. Habe Probleme beim Ausziehen und Anziehen von Socken, da die Beugefähigkeit vor allem der rechten Hüfte eingeschränkt ist. Beantrage den Parkausweis, da ich Beschwerden habe bei längerem Gehen, vor allem auf hartem oder unebenem Boden. Beim Tragen von Gegenständen habe ich Beschwerden. Hergekommen bin ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Gehhilfe verwende ich nicht, wenn ich allerdings länger gehe, etwa 1 Stunde spazieren gehe, verwende ich Nordic-Walking-Stöcke. Schmerzen habe ich auch im Bereich der Daumensattelgelenke beidseits. Beabsichtige wieder einen Rehabilitationsaufenthalt zu beantragen. Mache private Physiotherapie.'

...

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Hüfttotalendoprothese beidseits Unterer Rahmensatz, da geringgradig einschränkte Beugefähigkeit vor allem rechts ohne Hinweis auf Lockerung.

02.05.08

20

2

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Lumbalgie Unterer Rahmensatz, da rezidivierende Beschwerden bei geringgradig eingeschränkter Beweglichkeit ohne erforderliche Dauermedikation

02.01.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 20 v.H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Die führende Funktionsbeeinträchtigung Nummer 1 wird durch Leiden 2 nicht erhöht, da dieses nur von geringem Ausmaß und geringer funktioneller Relevanz ist.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten

Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Zustand nach Nasenscheidewandoperation: keine funktionelle Einschränkung objektivierbar

Rhizarthrose beidseits: keine funktionelle Einschränkung objektivierbar

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Leiden 1 wird nach erfolgter Implantation einer Hüfttotalendoprothese rechts neu bezeichnet und um eine Stufe herabgesetzt, da eine Besserung objektivierbar ist.

Hinzukommen von Leiden 2, da dokumentiert.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung: Der Gesamtgrad der Behinderung wird um eine Stufe herabgesetzt, da Besserung von Leiden 1.

Dauerzustand.

...

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Es liegen keine Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche das Zurücklegen kurzer Wegstrecken von 300-400m, das Einsteigen und Aussteigen sowie den sicheren Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln erheblich und dauerhaft einschränken. Nach Implantation von Hüfttotalendoprothesen beidseits ist keine relevante Gangbildbeeinträchtigung oder Gangleistungsminderung feststellbar.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein.

... "

4. Mit Bescheid vom 29.01.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG ab, da die Beschwerdeführerin mit dem festgestellten Grad der Behinderung von 20 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des durchgeführten Begutachtungsverfahrens seien dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom 26.01.2018 zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde und als Beilage des Bescheides der Beschwerdeführerin übermittelt wurde.

5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 19.02.2018 fristgerecht Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, dass sie bereits nach Erhalt des linken Hüftimplantates einen Grad der Behinderung von 30 v.H. gehabt habe. Nun seien auch schmerzhafte Rhizarthrosen an beiden Handgelenken hinzugekommen. Der Grad der Behinderung könne daher nicht herabgestuft werden. Sie leide trotz Operation und Physiotherapie nach wie vor an Bewegungseinschränkungen im Alltag. Auch seien ihre Beinlängen nicht ident und sie habe Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Im Alltag habe sie mit der Daumensattelgelenksarthrose Probleme beim Einkaufen, Tragen oder Kochen. Sie habe dies auch bei der Untersuchung vorgebracht, dies sei aber nicht berücksichtigt worden. Es liege keine Besserung des Gesamtzustandes vor.

6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.02.2018 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stellte am 25.10.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1. Hüfttotalendoprothese beidseits mit geringgradig eingeschränkter Beugefähigkeit vor allem rechts ohne Hinweis auf Lockerung;

2. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Lumbalgie mit rezidivierenden Beschwerden bei geringgradig eingeschränkter Beweglichkeit ohne erforderliche Dauermedikation.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaßes, medizinischer Einschätzung und wechselseitiger Leidensbeeinflussung werden die diesbezügliche Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 26.01.2018 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 20 v. H.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Einbringung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung und die festgestellten Funktionseinschränkungen gründen sich auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 26.01.2018. Darin wird auf die Leiden der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.

Von der befassten Sachverständigen wurde der einzig vorgelegte ärztliche Bericht der Hausärztin der Beschwerdeführerin in die Beurteilung einbezogen, welcher im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung steht und kein höheres Funktionsdefizit dokumentiert, als anlässlich der Begutachtung festgestellt werden konnte.

Der vorliegende Sachverständigenbeweis vom 26.01.2018 wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als schlüssig erachtet. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung korrekt eingestuft.

Das führende Leiden 1 (beidseitige Hüfttotalendoprothese) wurde von der Sachverständigen korrekt der Positionsnummer 02.05.08 (Funktionseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades beidseitig) der Anlage zur Einschätzungsverordnung unter Heranziehung des unteren Rahmensatzes von 20 v.H. zugeordnet. Begründend wird im Sachverständigengutachten ausgeführt, dass lediglich rechts eine geringgradig eingeschränkte Beugefähigkeit vorliegt (90 Grad), kein Hinweis auf eine Lockerung besteht und im Vergleich zum Vorgutachten aus 2008 eine Besserung objektivierbar ist, zumal die Beschwerdeführerin selbst angibt, eine Stunde - wenn auch mit Nordic-Walking-Stöcken - spazierenzugehen.

Zu den Einschräkungen der Wirbelsäule ist im Lichte der Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass bei Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule allgemeine einschätzungsrelevante Kriterien etwa die Beweglichkeit und Belastbarkeit, Gelenksfunktionen, Funktionen der Muskel, Sehnen, Bänder und Gelenkskapsel, Messungen des Bewegungsradius, Entzündungsaktivität (Schmerzen, Schwellung) sowie Ausmaß der beteiligten Gelenke, Körperregionen und organische Folgebeteiligung sind. Bei radiologischen Befunden ist die Korrelation mit der klinischen Symptomatik für die Einschätzung relevant. Die konkrete Differenzierung zwischen Funktionseinschränkungen geringen, mittleren und schweren Grades wird insbesondere auch anhand der Häufigkeit und Dauer akuter Episoden, des Ausmaßes radiologischer und/oder morphologischer Veränderungen, des Vorliegens klinischer Defizite, des jeweiligen Therapie- und Medikationsbedarfs sowie des Ausmaßes der Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben vorgenommen.

Angesichts des bei der Beschwerdeführerin anlässlich der Untersuchung festgestellten Ausmaßes der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen wurde im Gutachten korrekt die Positionsnummer 02.01.01 unter Heranziehung des unteren Rahmensatzes von 10 v.H. angesetzt. Begründend wurde im Gutachten insbesondere auf die rezidivierenden, aber nur geringgradigen Funktionseinschränkungen ohne erforderliche Dauermedikation verwiesen.

Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule mittleren und schweren Grades, die u.a. mit maßgeblichen Einschränkungen im Alltag einhergehen und daher auch einen höheren Grad der Behinderung begründen als im Fall der Beschwerdeführerin, konnten im Rahmen der klinischen Untersuchung hingegen nicht festgestellt werden.

Die Sachverständige begründete nachvollziehbar, dass Leiden 1 durch Leiden 2 nicht erhöht wird, da aufgrund des geringen Ausmaßes dieses Leidens nur geringe funktionelle Relevanz gegeben ist.

Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde monierten Funktionseinschränkungen durch Rhizarthrose führt die Sachverständige schlüssig aus, dass bei freier Beweglichkeit der Daumen und vorzeigbaren Grob- und Spitzgriff sowie Faustschluss keine funktionellen Einschränkungen objektivierbar waren.

Auch die Einwendungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde waren nicht geeignet, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin, der es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl die getroffene Einschätzung der Sachverständigen zu entkräften, ist dem Sachverständigengutachten vom 26.01.2018 nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten.

Es wurde somit weder durch entsprechend aussagekräftige Befunde noch durch ein substantiiertes Vorbringen der Beschwerdeführerin aufgezeigt, dass eine höhere Einschätzung ihrer Leiden hätte erfolgen müssen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 26.01.2018. Es wird in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu Spruchteil A)

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

3.3. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

3.4. Die Anlage zur Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sieht - soweit für den Beschwerdefall relevant - auszugsweise Folgendes vor (geringfügige Formatierungsänderungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

"02 Muskel - Skelett - und Bindegewebssystem Haltungs- und Bewegungsapparat

...

02.01 Wirbelsäule

02.01.01 Funktionseinschränkungen geringen Grades 10 - 20 %

Akute Episoden selten (2-3 Mal im Jahr) und kurzdauernd (Tage)

Mäßige radiologische Veränderungen

Im Intervall nur geringe Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben

Keine Dauertherapie erforderlich

...

02.05 Untere Extremitäten

Hüftgelenke

...

02.05.08 Funktionseinschränkung geringen Grades beidseitig 20 - 40 %

Streckung/Beugung bis zu 0-10-90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit."

3.5. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es der Antragstellerin frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023). Diesen von der Judikatur (und von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen ist das Gutachten der Sachverständigen nachgekommen.

3.6. Wie oben eingehend ausgeführt, wird der Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 26.01.2018 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 20 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen in der Beschwerde nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt 20 v.H. beträgt.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 20 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

3.7. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

3.8. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

3.8.1. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.8.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, da der Sachverhalt aufgrund des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin dem Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist, keiner weiteren Erörterung bedarf.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W262.2186975.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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