TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/2 L516 1434100-2

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Veröffentlicht am 02.08.2018
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Entscheidungsdatum

02.08.2018

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 1434100-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA Pakistan, vertreten durch die Mutter XXXX, diese vertreten durch Mag. Josef Phillip BISCHOF & Mag. Andreas LEPSCHI, Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.02.2017, Zahl 821614509 - 1578876, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs 2 AsylG wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein minderjähriger pakistanischer Staatsangehöriger, wurde am XXXX in Österreich geboren. Seine Mutter brachte für ihn als gesetzliche Vertreterin am 05.11.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz ein und begründete dies mit dem Vorliegen eines Familienverfahrens.

2. Das Bundesasylamt wies mit erstem Bescheid vom 21.03.2013, Zahl 12 16.145-BAL, den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan aus.

3. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde gegen jenen Bescheid mit Erkenntnis vom 02.10.2014, L516 1434100-1/4E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab; gleichzeitig wurde die vom Bundesasylamt verfügte Ausweisung behoben und das Verfahren gem § 75 Abs 20 an das Bundesamt für Fremdenwesen (BFA) zur neuerlichen Entscheidung über eine Rückkehrentscheidung zurückverwiesen.

4. In der Folge wurde die Mutter des Beschwerdeführers vom BFA am 21.05.2015 niederschriftlich einvernommen.

5. Das BFA erteilte mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 01.02.2017 dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides. Das BFA sprach zudem gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung aus (Spruchpunkt II). Mit Verfahrensanordnung vom 03.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Der Beschwerdeführer hat gegen den seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin am 07.02.2017 zugestellten Bescheid des BFA mit Schreiben vom 20.02.2017 durch die gewillkürte rechtsfreundliche Vertretung Beschwerde erhoben.

7. Das Bundesverwaltungsgerichtes behob mit Erkenntnis vom 06.03.2017, L516 1434100-2/2E, Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ersatzlos mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung.

8. Das Bundesverwaltungsgericht forderte mit Schreiben vom 03.05.2018 die Mutter des Beschwerdeführers als dessen gesetzliche Vertreterin auf, sich zum aktuellen Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zu äußern. Die Mutter und der Vater des Beschwerdeführers gaben dazu mit Schriftsätzen vom 30.05.2018 und 05.06.2018 eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der minderjährige Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX in Österreich geboren. Er ist der leibliche Sohn von XXXX, XXXX (Mutter) und XXXX, geb XXXX (Vater) und der Bruder seiner ebenso in Österreich geborenen Geschwister XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb XXXX, und XXXX, geb XXXX. Der Beschwerdeführer, seine Eltern und seine Geschwister sind pakistanische Staatsangehörige. Seine Identität steht fest.

1.2. Die Mutter des Beschwerdeführers stellte am 30.06.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für seinen Bruder XXXX wurde am 13.12.2010 ein entsprechender Antrag gestellt. Das Bundesasylamt wie die Anträge der Mutter und des Bruders des Beschwerdeführers mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 19.03.2010 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab und erkannte zunächst beiden den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu. Das Bundesasylamt erkannte den Status des subsidiär Schutzberechtigten jedoch mit Bescheiden vom 15.03.2012 in beiden Fällen wieder ab, entzog jeweils die befristete Aufenthaltsberechtigung und wies die Mutter und den Bruder des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan aus. Die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 19.03.2010 wegen Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 24.05.2012, E11 412.554-1/2010/7E bezüglich der Mutter und 417.705-1/2011/7E bezüglich des Bruders als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidungen erwuchsen mit 11.06.2012 in Rechtskraft. Die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 15.03.2012 wegen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie der Ausweisung nach Pakistan wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 24.05.2012 als unbegründet abgewiesen. Die Mutter des Beschwerdeführers erhob in ihrer eigenen Asylangelegenheit wegen der Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, der Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung sowie der Ausweisung nach Pakistan Beschwerde gegen die Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 24.05.2012, E11 412.554-2/2012/3E, an den Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 05.03.2014, U1517/2012-8, die Behandlung dieser Beschwerde ab.

Aktuell verfügen die Mutter und der Bruder XXXX seit 10.06.2015 sowie die Schwester XXXX seit 28.04.2016 nach am 08.06.2015 bzw 28.04.2016 gestellten Anträgen auf internationalen Schutz gegenwärtig über ein Aufenthaltsrecht gem § 13 Abs 1 AsylG sowie über eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG. Deren Verfahren sind nach wie vor beim BFA anhängig und noch nicht entschieden.

1.3. Der Vater des Beschwerdeführers ist mit einer EU-Bürgerin standesamtlich verheiratet und verfügt seit 07.12.2015 über eine bis 07.12.2020 gültige Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers.

1.4. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich geboren, wird in wenigen Tagen sechs Jahre alt, hat in Österreich sein gesamtes Leben verbracht und war noch nie in Pakistan. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Mutter und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Er besucht den Kindergarten und wächst unter anderem deutschsprachig auf. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater besteht eine enge Beziehung. Der Vater des Beschwerdeführers lebt zwar nicht mit dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt, zeigt jedoch nachweislich erhebliches Interesse an seinem Sohn, nimmt seine Fürsorge- und Erziehungsaufgaben engagiert wahr und kümmert sich um den Beschwerdeführer sowie um die anderen Geschwister des Beschwerdeführers, besucht diesen zwei bis drei Mal in der Woche, bringt ihn regelmäßig in den Kindergarten und unternimmt regelmäßig Ausflüge mit dem Beschwerdeführer. Der Vater übernimmt auch finanzielle Aufwendungen für den Beschwerdeführer, dessen Geschwister und Mutter, kommt beispielsweise für die Miete jener Wohnung auf, in der der Beschwerdeführer wohnt, zahlt den Kindergarten sowie Lebensmittel.

2. Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen:

2.1. Die Feststellungen zur Person und Herkunft des Beschwerdeführers (oben II.1.1.) ergeben sich aus den diesbezüglich unzweifelhaften Angaben der Mutter des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren (AS 39ff, 305ff). Die Identität steht aufgrund der vorgelegten, von einem österreichischen Standesamt ausgestellten, Geburtsurkunde fest (AS 5).

2.2. Die Feststellungen zu den von der Mutter und den Geschwistern geführten Verfahren sowie zu ihrem aktuellen aufenthaltsrechtlichen Status (oben II.1.2.) ergeben sich aus den betreffenden Verwaltungsverfahrensakten der Behörde und den Gerichtsakten des Asylgerichtshofes sowie nach einer aktuellen Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister des Bundesministeriums für Inneres (IZR).

2.3. Die Feststellungen, dass der Vater des Beschwerdeführers mit einer EU-Bürgerin standesamtlich verheiratet ist und seit 07.12.2015 über eine bis 07.12.2020 gültige Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers verfügt (oben II.1.3.), ergeben sich aus der im Verfahren vorgelegten Aufenthaltskarte (AS 401-403, OZ 4) sowie aus der Eintragung im IZR. Das BFA hatte im angefochtenen Bescheid seiner Entscheidung die Feststellungen zugrunde gelegt, dass der Vater des Beschwerdeführers als Familienangehöriger über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge und gegen den Vater eine rechtskräftige und durchsetzbare Ausweisung bestehe (Bescheid, S 3). Diese Feststellungen des BFA waren deshalb bereits zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung falsch (zur Gegenstandslosigkeit einer Rückkehrentscheidung bei nachfolgendem Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes VwGH 15.03.2018, Ro 2018/21/0001).

2.4. Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers (oben II.1.4.) beruhen auf den Angaben der Mutter vor dem BFA, welche vom BFA nicht in Zweifel gezogen wurden, sowie auf den im Beschwerdeverfahren abgegebenen übereinstimmenden Stellungnahmen der Mutter sowie des Vaters des Beschwerdeführers, welche insofern stringent waren und keine Anhaltspunkte für die Annahme boten, dass die Eltern des Beschwerdeführers diesbezüglich falsche Angaben gemacht hätten, und diese auch mit den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR) und der mit den Stellungnahmen vorgelegten Kindergartenbescheinigung in Einklang gebracht werden konnten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Stattgabe der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, Feststellung, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und Erteilung des Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten

Rechtsgrundlagen

3.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

3.2. Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

3.3. Gemäß § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. (Abs 1)

Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. (Abs 1a) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. (Abs 2) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt. (Abs 3) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. (Abs 4)

3.4. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

3.5. Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.6. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.7. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1.) dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und 2.) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl I Nr 189/1955) erreicht wird. Gemäß Abs 2 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Zum gegenständlichen Verfahren

3.8. Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041).

3.9. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) entsteht ein von Art 8 Abs 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt. Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Zusammenleben zwischen einem Elternteil und dem Kind ist dabei keine unabdingbare Voraussetzung für das Vorhandensein eines Familienlebens iSv Art 8 Abs 1 EMRK. Eine fehlende Obsorge durch einen Elternteil entbindet das Bundesverwaltungsgericht nicht von der grundrechtlichen Verpflichtung, die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die Beziehung zwischen Elternteil und Kind(ern) und das Kindeswohl zu ermitteln (vgl jüngst VfGH 12.10.2016, E 1349/2013-13 mwN).

3.10. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) sprach in diesem Zusammenhang aus, dass bei einem Familienleben, das nicht die gleiche Intensität aufweist wie bei einem Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt, nicht allein wegen einer zeitlichen Begrenztheit der Kontakte gesagt werden könne, dass eine dauerhafte Trennung des Kindes vom Elternteil durch dessen Aufenthaltsbeendigung keine maßgebliche Beeinträchtigung des Familienlebens und insbesondere auch des Kindeswohls darstellen würde (VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0199).

3.11. Die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit modernen Kommunikationsmitteln oder Besuchen bei Kindern im Kleinkindalter nach ständiger Rechtsprechung kaum möglich. Dem Vater eines Kindes kommt grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu (VwGH 17.04.2013, 2013/22/0088; VfGH 19.06.2015, E 426/2015).

3.12. Fallbezogen hatte das BFA im angefochtenen Bescheid seiner Entscheidung die Feststellungen zugrunde gelegt, dass der Vater des Beschwerdeführers als Familienangehöriger über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge und gegen den Vater eine

rechtskräftige und durchsetzbare Ausweisung bestehe, und das BFA hat sich in seiner Beurteilung nicht mit den Folgen einer möglichen Trennung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Vater auseinandergesetzt. Diese Feststellungen des BFA waren jedoch bereits zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung falsch, da der Vater des Beschwerdeführers zum einen bereits seit 07.12.2015 über eine bis 07.12.2020 gültige Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers verfügt und zum anderen damit auch

die Ausweisung bzw Rückkehrentscheidung gegenstandslos ist (VwGH 15.03.2018, Ro 2018/21/0001). Der Beschwerdeführer wurde in Österreich geboren, wird in wenigen Tagen sechs Jahre alt, hat in Österreich sein gesamtes Leben verbracht und war noch nie in Pakistan. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Mutter und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Er besucht den Kindergarten und wächst unter anderem deutschsprachig auf. Der Vater des Beschwerdeführers lebt zwar nicht mit dem Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt, zeigt jedoch nachweislich erhebliches Interesse an seinem Sohn, nimmt seine Fürsorge- und Erziehungsaufgaben engagiert wahr und kümmert sich um den Beschwerdeführer sowie um die anderen Geschwister des Beschwerdeführers, besucht diesen zwei bis drei Mal in der Woche, bringt ihn regelmäßig in den Kindergarten und unternimmt regelmäßig Ausflüge mit dem Beschwerdeführer. Der Vater übernimmt auch regelmäßig finanzielle Aufwendungen für den Beschwerdeführer, dessen Geschwister und Mutter. Im Falle des Beschwerdeführers liegen somit tatsächlich enge persönliche Bindungen zu seinem Vater vor, der Vater lebt bereits rechtmäßig dauerhaft in Österreich und der Beschwerdeführer hat sein gesamtes Leben in Österreich verbracht. Ein Umzug des Vaters nach Pakistan zur Aufrechterhaltung des Familienlebens zum Beschwerdeführer ist dem Vater nicht zuzumuten, da dieser in Österreich mit einer aufenthaltsberechtigten Unionsbürgerin verheiratet ist und auch mit dieser ein gemeinsames Familienleben führt. Eine Aufrechterhaltung des Kontaktes lediglich mit modernen Kommunikationsmitteln wiederum ersetzt keinesfalls die persönliche Beziehung eines Kleinkindes zu seinen Eltern bzw einem Elternteil. Dem Kindeswohl entspricht es daher, dass es dem Beschwerdeführer ermöglicht wird, die Beziehung zu seinem Vater in Österreich aufrechtzuerhalten und zu sichern, eine Trennung ist dem Beschwerdeführer unzumutbar.

3.13. Gründe, die gegen den weiteren Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich und für die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung sprechen, liegen nicht vor. Der Umstand, dass der bald sechsjährige Beschwerdeführer Österreich bisher nicht allein verlassen hat und sich gegenwärtig ohne rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich befindet, ist diesem nicht vorwerfbar, zumal neben seinem dauerhaft aufenthaltsberechtigten Vater auch seine Mutter sowie seine Geschwister seit Juni 2015 bzw April 2016 (wieder) über ein

Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz verfügen und deren Verfahren nach wie vor beim BFA anhängig und nicht abgeschlossen sind.

3.14. Im Ergebnis ergibt sich daraus, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles den privaten Interessen des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seines Familienlebens mit seinem Vater ein so großes Gewicht zukommt, dass die Auswirkung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Die im Falle einer Rückkehrentscheidung drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens beruht zudem im gegenständlichen Fall auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Es erweist sich daher die im angefochtenen Bescheid angeordnete aufenthaltsbeendende Maßnahme als unzulässig und eine Rückkehrentscheidung daher auf Dauer unzulässig.

3.15. Es war daher spruchgemäß der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid stattzugeben, festzustellen, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist sowie dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs 2 AsylG den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

Zu B)

Revision

3.16. Da die Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die ordentliche Revision nicht zulässig.

3.17. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsrecht, Familienangehöriger,
Minderjährigkeit, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.1434100.2.00

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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