TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/3 W139 2159882-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2018
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Entscheidungsdatum

03.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W139 2159882-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Caritas Burgenland, St. Rochus-Straße 15, 7000 Eisenstadt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, reiste mit seiner Familie illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Er stellte am 19.11.2015 gemeinsam mit seinen Eltern (Zl. W139 2159877-1 und W139 2159869-1), mit seinen zwei Schwestern (Zl. W139 2159873-1 und W139 2159886-1) und seinem Bruder (Zl. W139 2159888-1) einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In seiner Erstbefragung am 19.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei in Peshawar, Pakistan geboren und habe mit seiner Familie dort gelebt und auch dort die Schule besucht. Die Familie habe Grundstücke in Afghanistan, sie hätten jedoch darauf keinen Zugriff, da sich die Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers (Brüder der Mutter) diese Grundstücke angeeignet hätten. Deshalb gebe es Streit in der Familie seiner Mutter. Zum Fluchtgrund führte er an, die Familie sei aus Pakistan geflüchtet, weil die Schule der Familie von einer Organisation namens RAWA unterstützt worden sei und dies einigen Leuten dort nicht gefallen habe. Der Beschwerdeführer habe in dieser Schule als Lehrer gearbeitet. Man habe einen seiner Brüder entführt und dieser sei seitdem verschollen. Später habe man auch einen weiteren seiner Brüder (Beschwerdeführer zu Zl. W139 2159888-1) entführen wollen. Dann hätten sie beschlossen zu flüchten. In Afghanistan bestehe eine Gefahr durch die Brüder der Mutter des Beschwerdeführers, da diese mit der Regierung zusammenarbeiten würden.

3. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 13.04.2017 gab der Beschwerdeführer an, in Pakistan habe er sich überhaupt nicht frei bewegen können und keine Freiheit gehabt. Er habe sich weiterbilden und studieren wollen, habe das jedoch nicht gedurft. Er sei immer mit der Familie zusammen gewesen und habe gezwungenermaßen als Lehrer in der Schule seiner Mutter arbeiten müssen. In Afghanistan sei er noch nie gewesen. Er befürchte, so wie sein Bruder entführt zu werden, oder getötet zu werden. Der Beschwerdeführer legte Dokumente vor (u.a. Tazkira, Zeugnisse und Zertifikate, Kursbestätigungen, Empfehlungsschreiben und Fotos).

4. Mit Schreiben vom 19.04.2017 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Afghanistan, worin ausgeführt wurde, die Mutter des Beschwerdeführers habe sich als Lehrerin für das Recht von Mädchen auf Bildung eingesetzt und sei deswegen bedroht worden. Sie sei nicht gewillt, sich an das traditionelle Rollenbild afghanischer Frauen zu halten und habe sich eine westliche Lebensweise zu eigen gemacht. Die Mutter des Beschwerdeführers habe weiters in einer Erbangelegenheit ihr Recht geltend machen wollen und sei deshalb bedroht und misshandelt worden. Die gesamte Familie habe eine äußerst liberale Lebensweise und es sei Asyl bzw zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.05.2017 wies die belangte Behörde sowohl den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, auf die vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit Pakistan vorgebrachten Fluchtgründe sei nicht näher einzugehen, da es sich dabei nicht um den Herkunftsstaat handle. Soweit der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz damit begründe, dass ihm in Afghanistan dieselben Schwierigkeiten wie seiner Mutter drohen würden, sei festzuhalten, dass das Vorbringen der Mutter als nicht glaubhaft erachtet worden sei, weshalb auch die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers als unglaubhaft einzustufen seien. Zweifelhaft sei, ob der Beschwerdeführer wirklich sein ganzes Leben in Pakistan verbracht habe. Das von ihm vorgelegte Zeugnis sei vom afghanischen Bildungsministerium bestätigt. Es sei unklar, warum der afghanische Staat einen Schulbesuch in Pakistan bestätigen sollte. Im Zeugnis stehe auch, der Beschwerdeführer sei in Kabul geboren, was sich nicht mit seinen Angaben decke. Auch die vorgelegte Tazkira sei in Kabul besorgt worden. Schließlich wolle der Beschwerdeführer nach seinen Angaben in Österreich den Pflichtschulabschluss nachholen. Hätte er in Pakistan tatsächlich die Matura gemacht und als Lehrer gearbeitet, dann könnte er in Österreich auch studieren. Diese Diskrepanz lasse am Wahrheitsgehalt seiner Angaben zweifeln. Der Beschwerdeführer habe familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan und da er auch vor seiner Ausreise gearbeitet habe, könnte er im Fall einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten. Die Rückkehrentscheidung gemäß Spruchpunkt III. wurde mit einer zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK begründet.

6. Mit Schreiben vom 26.05.2017 erhob der Beschwerdeführer - fristgerecht - Beschwerde gegen den obgenannten Bescheid. Er beantragte die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Zurückverweisung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei mit Willkür behaftet. So habe die Behörde etwa die eingebrachte Stellungnahme ignoriert und sich nicht mit der Zugehörigkeit der Mutter des Beschwerdeführers und seiner Schwestern zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen auseinandergesetzt. Die Mutter des Beschwerdeführers und seine Schwestern seien emanzipierte und gut ausgebildete Frauen, die sich die westliche Lebensweise nachdrücklich zu eigen gemacht hätten, wobei die Schwestern von den Eltern bereits liberal erzogen worden seien. Dass das Zeugnis des Beschwerdeführers vom afghanischen Bildungsministerium abgestempelt worden sei, spreche nicht dagegen, dass der Beschwerdeführer in Pakistan gelebt habe. Afghanische Schulen für afghanische Flüchtlingskinder wie jene, die die Mutter des Beschwerdeführers in Pakistan geleitet habe und wo auch der Beschwerdeführer ausgebildet worden sei, würden nach afghanischem Lehrplan unterrichten und seien beim afghanischen Bildungsministerium registriert. Daher würden die Abschlusszeugnisse logischerweise auch das Amtssiegel dieser Behörde tragen, dies sei völlig normal. Die Behörde hätte entsprechende Ermittlungen anstellen müssen. Betreffend den mit Kabul angegebenen Geburtsort des Beschwerdeführers auf dem Maturazeugnis sei festzuhalten, dass dies daher rühre, dass die Tazkiras für jene Kinder, die bereits in Pakistan geboren worden seien, vom afghanischen Konsulat in Peshawar ausgestellt worden seien. Dabei sei standardmäßig Kabul als Geburtsort eingetragen worden, da der Vater des Beschwerdeführers ebenfalls in Kabul registriert worden sei. Daher sei sein Geburtsort auch als Geburtsort der Kinder angenommen worden. Diese Vorgehensweise sei üblich.

7. Mit Schreiben vom 30.01.2018, 13.04.2018 und 04.05.2018 wurden weitere Unterlagen betreffend die Integration der Familie vorgelegt (Kursteilnahmebestätigungen, Fotos). In einer Stellungnahme vom 05.06.2018 wurde ergänzend ausgeführt, die Tätigkeit der Mutter des Beschwerdeführers als Schulleiterin für afghanische Flüchtlinge in Pakistan sei mit Unterstützung der bekannten Organisation RAWA (Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans) erfolgt, die in Afghanistan bzw Pakistan wegen ihres Einsatzes für die Unterstützung von Frauen und die Verbreitung ihrer weltoffenen Philosophie von Taliban und anderen Gruppierungen gewaltsam verfolgt werde. Weiters habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert. Dazu wurden Unterlagen betreffend RAWA sowie weitere Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer und seine Familie vorgelegt (u.a. Pflichtschulprüfungszeugnisse des Beschwerdeführers, Kursteilnahmebestätigungen, Fotos, Empfehlungsschreiben).

8. Am 03.07.2018 (fortgesetzt am 05.07.2018) fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, bei welcher der Beschwerdeführer, seine Eltern sowie seine drei in Österreich befindlichen Geschwister einvernommen wurden. Der Beschwerdeführer beantwortete die an ihn gestellten Fragen weitgehend auf Deutsch. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurde ein Konvolut an weiteren Dokumenten vorgelegt (u.a. Pflichtschulabschlusszeugnis sowie Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers und Kursteilnahmebestätigungen, Empfehlungsschreiben, Fotos).

Im Rahmen der Befragung bestätigte der Beschwerdeführer zunächst die bisherigen Angaben zu seiner Person und bekräftigte, bei den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt zu haben. Er habe die Dolmetscher gut verstanden, die Niederschriften seien ihm rückübersetzt worden.

Weiters gab der Beschwerdeführer (BF) entscheidungswesentlich Folgendes an (RI = erkennende Richterin) [evtl. Rechtschreib- oder Tippfehler vom Bundesverwaltungsgericht korrigiert]:

"[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen Lebensumständen:

[...]

RI: Welche Schulbildung haben Sie?

BF: Ich habe 12 Jahre die Schule besucht und danach habe ich als Lehrer zu arbeiten begonnen. Ich habe ca. 2 bis 3 Jahre gearbeitet und dann sind wir geflüchtet.

[...]

RI: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

BF: Dari, Paschtu, Englisch, Farsi, Urdu und Deutsch.

[...]

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem BFA zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht?

BF: Ja.

RI: Haben Sie das Gefühl, dass Sie bei den Einvernahmen alles sagen konnten?

BF: Ich wurde beim BFA nicht viel gefragt. Wir wurden gefragt, ob wir damit, was meine Mutter gesagt hat, einverstanden wären, wir sagten ja und das war es schon.

RI: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

BF: Nein.

RI: Schildern Sie mir nun bitte mit eigenen Worten, was Sie konkret für sich im Falle einer eventuellen Rückkehr nach Afghanistan befürchten?

BF: Ich habe Angst vor den Brüdern meiner Mutter. Sie haben sogar ihre eigene Schwester nicht verschont. Außerdem ist die Sicherheitslage dort schlecht.

RI: Welche Gefahr befürchten Sie, die von den Brüdern der Mutter ausgehen kann?

BF: Meine Mutter war Direktorin der Schule. Sie war eine moderne und freie Frau. Ihre Schule wurde von Rawa unterstützt, ihre Brüder waren dagegen. Daher hätten sie mich, wenn ich in Afghanistan gewesen wäre, getötet.

RI: Was wissen Sie über die Grundstücksstreitigkeiten betreffend das Erbe Ihrer Mutter?

BF: Am Anfang wusste ich das nicht, aber nachdem meine Mutter einen Antrag bei UN in Pakistan gestellt hat, erfuhr ich davon.

RI: Wissen Sie, warum die Brüder gegen die Tätigkeit Ihrer Mutter waren?

BF: Das weiß ich nicht genau.

RI: Können Sie sich an Drohungen gegenüber Ihrer Mutter/Vater/Familie genauer erinnern? Wenn ja, wie oft gab es solche, seit wann und bis wann? Wie erfolgten die Drohungen? Wissen Sie, weshalb es diese Drohungen gab?

BF: Nein, meine Eltern haben uns darüber nichts gesagt. Ich weiß nichts von Drohbriefen.

RI: Ihre Schwestern kannten diese Drohbriefe allerdings.

BF: Nein, ich wusste davon nichts.

RI: Haben Sie bis heute nichts davon gewusst?

BF: Inzwischen habe ich davon erfahren.

RI: Wissen Sie heute, von wem diese Drohbriefe stammten?

BF: Ja. Diese dürften von den Taliban stammen, weil meine Mutter von Rawa unterstützt wurde, waren die Taliban gegen meine Mutter.

RI: Von wem haben Sie erfahren, dass die Taliban gegen die Unterstützung von Rawa waren?

BF: Meine Eltern haben mir davon erzählt. Ich habe davon erfahren nachdem meine Mutter diesen Antrag bei UN gestellt hat.

RI: Ist in diesem Zusammenhang auch der Begriff Hezbe Islami gefallen?

BF: Ich kann mich nicht erinnern.

RI: Können Sie mir über die Entführung Ihres Bruders XXXX und den Entführungsversuch betreffend XXXX etwas sagen?

BF: Mein Bruder XXXX ist im Jahr 2005 einkaufen gegangen und kam nicht zurück nach Hause. Als er sich verspätete, schickte meine Mutter meinen Vater um nachzusehen, wo er bleibt. Inzwischen wurde meine Mutter angerufen, sie war traurig und hat geweint. Als wir sie fragten sagte sie uns nichts. Ende 2014 war es als meine Mutter in der Schule bewusstlos wurde. Meine Schwestern und ich haben sie nach Hause gebracht. Wir haben XXXX in der Schule vergessen, mein Vater war gerade Blut testen. Als mein Bruder bei einem Friedhof auf der Straße alleine nach Hause unterwegs war, hat man versucht, ihn zu entführen oder zu töten. Diese Leute waren mit einem schwarzen PKW unterwegs und wollten meinen Bruder durch das offene Fenster des PKWs in das Auto zerren. Dabei verletzte sich mein Bruder, die Leute die gerade am Friedhof anwesend waren, eilten ihm zu Hilfe. So wurde mein Bruder gerettet.

RI: Hatten Ihre Eltern oder Sie eine Vermutung, wer hinter den Angriffen gestanden ist?

BF: Nein, damals war ich jung und mir wurde nichts gesagt, aber auch jetzt weiß ich es nicht.

RI: Wurden Sie persönlich jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein, eigentlich nicht. Ich war nämlich immer mit meiner Mutter und meinem Vater zusammen.

RI: Sie führen aus, die Brüder der Mutter würden mit der Regierung zusammenarbeiten und Sie wären daher gefährdet. Was meinen Sie damit konkret?

BF: Ich meinte damit, weil meine Onkel bei der Regierung arbeiten, sind sie mächtig und wenn etwas passiert und wir uns bei der Polizei beschweren, würde uns das nichts nützen, weil sie mächtig sind.

RI: Sie führen vor dem BFA aus, sie hätten in Pakistan keine Freiheit gehabt und sich nicht weiterbilden und studieren können so wie Ihre Freunde. Weshalb konnten Sie dies nicht?

BF: Ja, ich wollte IT studieren. Ich hätte das auch schaffen können, aber das Problem war, ich konnte nicht alleine unterwegs sein. Weil ich Angst hatte, wie mein Bruder XXXX entführt zu werden. Ich hatte ständig Angst.

RI: Sind Sie in Ihrer Familie eher traditionell und religiös konservativ aufgewachsen und erzogen worden oder eher liberal?

BF: Wir wurden sehr modern aufgezogen. Alles, was wir wollten, konnten wir machen. Ich habe gar nicht gebetet. Gefastet habe ich auch nicht. In Österreich mache ich das auch nicht.

RI: Wie ist Ihre Einstellung zu dieser eher liberalen Lebensweise und -einstellung innerhalb Ihrer Familie, insbesondere auch zum Rollenbild der Frau in einer westlich geprägten Gesellschaft wie sie etwa hier in Österreich vorliegt?

BF: Ich mag es hier in Österreich, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und dass man hier Freiheit hat, jeder kann machen, was er möchte. Niemand sagt einem, was man darf und was nicht, im Rahmen der Gesetze.

RI: Ist die Lebensweise Ihrer Mutter und Ihrer Schwestern hier in Österreich für Sie akzeptabel? Könnten Ihre Schwestern auch einen Lebenspartner einer anderen Religion und Staatsangehörigkeit wählen?

BF: Mir gefällt das. Ich bin glücklich, dass meine Mutter und Schwestern sich frei fühlen. Ich habe sogar meine 2 Schwestern in die Disco mitgenommen, damit sie das auch sehen können. Meine Schwestern können frei entscheiden, welchen Lebenspartner sie wollen.

RI: Ihre Schwester XXXX hat die Verlobung gelöst. Wissen Sie davon und wie sehen Sie das?

BF: Ja, das weiß ich. Meine Schwester war mit ihm nicht glücklich, deshalb hat sie sich von ihm getrennt. Ich finde das gut.

RI: Woher kommt Ihre Freundin?

BF: Sie ist Österreicherin, kommt aus XXXX und wohnt in XXXX .

RI: Wie sieht es mit Ihren Kontakten zur österreichischen Bevölkerung aus? Haben Sie schon Kontakte herstellen können?

BF: Ja, ich habe viele Freunde hier in Österreich. Ich habe einen österreichischen Wahlonkel und auch Wahlgroßeltern und eine Wahltante und Freunde habe ich viele. Wir spielen Fußball, wir gehen in die Disco, schwimmen.

RI: Sie lernen die deutsche Sprache. Warum machen Sie das?

BF: Weil das wichtig ist. Wenn man in einem anderen Land lebt, ist es wichtig, dass man die Landessprache dort lernt, damit man sich weiterbilden und auch arbeiten kann.

RI: Möchten Sie etwas Ergänzendes zu Ihrem Fluchtgrund vorbringen?

BF: Ich habe alles gesagt.

RI: Laut UNHCR-Richtlinien (zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 2016, Seite 10) können alleinstehende, leistungsfähige Männer unter bestimmten Umständen in urbanen und semi-urbanen Umgebung leben, ohne dass es einer Unterstützung von Familie und Gemeinschaft bedürfe. Wäre es Ihnen, wenn Sie nach Afghanistan zurückgehen müssten, Ihrer Meinung nach möglich, unabhängig von Ihrer Fluchtgeschichte, nach Kabul zurückzukehren und dort wirtschaftlich zu überleben? Wenn nein, welche außergewöhnlichen Gründe können Sie anführen, weshalb dies nicht möglich ist und eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat für Sie persönlich ausscheidet?

BF: Nein, ich könnte das nicht. Ich habe dort niemanden und außerdem kenne ich mich in Afghanistan nicht aus. Ich war nie in Afghanistan. Meine Schwester ist zwar in Afghanistan, aber ich war nie bei ihr.

RI: Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn Sie etwa nach Kabul zurückkehren würden?

BF: Ich habe Angst, umgebracht zu werden. Weil dort auch noch immer die Brüder meiner Mutter leben. Diese Onkel von mir arbeiten für die Regierung. Ich weiß nicht, wie sie mich finden würden, aber ich habe Angst davor. Die Freiheit die ich hier habe, würde ich dort nicht haben.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Wie gestaltet sich Ihr Alltag hier In Österreich? Schildern Sie mir das bitte.

BF: In der Früh stehe ich um 6 Uhr auf und gehe duschen. Danach mache ich mir Frühstück und gehe in die Schule. Das ist unterschiedlich bis wann ich Schule habe, manchmal auch bis um 16 Uhr. Ich gehe einmal zu meiner Wahloma. Manchmal braucht sie Hilfe z. B. beim Einkaufen. Dann komme ich nach Hause und mach meine Hausaufgabe. Danach schaue ich mir vielleicht einen Film an. Ich spiele dann auch Fußball. Manchmal gehe ich auch ins Haus Franziskus und helfe dort beim Übersetzen und bei den Hausaufgaben. Manchmal gehe ich auch ins Krankenhaus zum Dolmetschen.

RI: Was sind Ihre weiteren Pläne nach dem Pflichtschulabschluss?

BF: Ich wollte als Einzelhandelskaufmann tätig sein. Aber ich durfte das nicht, weil ich noch keinen positiven Bescheid habe. Ich habe einmal eine Bewerbung an Kika geschickt und auch einmal an XXXL Lutz als Kellner. Weil das ist ein Mangelberuf. Aber sie haben leider gesagt, dass das momentan nicht geht. Jetzt arbeite ich freiwillig beim Roten Kreuz. Einmal habe ich auch als Kellner freiwillig im Krankenhaus gearbeitet. Ich habe derzeit aber leider keine feste Anstellung und auch daher kein regelmäßiges Einkommen. Wenn ich eine positive Entscheidung erhalten sollte, könnte ich beim Spar zu arbeiten beginnen. Das hat mir der Vater meines Freundes versichert.

RI: Wie sieht es mit Ihren Deutschkenntnissen aus? Besuchten Sie bzw. besuchen Sie hier einen Deutschkurs oder können Sie sich auf andere Weise Deutschkenntnisse aneignen? Seit wann besuchen Sie den Kurs?

BF: Ich wollte noch einmal einen Deutschkurs besuchen und dann bei meiner Lehrstelle arbeiten. Das wäre super. Ich habe zuerst das Brückenmodul Deutsch besucht, dort habe ich das Zertifikat A1 bekommen. Dann durfte ich den Pflichtschulabschluss machen.

RI: Leben Sie mit Ihren Eltern und Geschwistern gemeinsam?

BF: Ja. In XXXX in der XXXX . Wir waren immer in Pakistan zusammen und leben auch hier seitdem wir in Österreich sind, gemeinsam. Manchmal bin ich bei meiner Freundin und sie kommt auch manchmal zu uns.

RI: Heute ist auch Ihre Mutter mitgekommen. Sagen Sie mir, was bedeutet Ihnen Ihre Familie.

BF: Meine Familie ist mein Leben. Meine Familie bedeutet mir alles. Meine Familie hat mich immer beschützt, meine Mutter ist auch heute mit meinem Bruder und mir zu dieser Verhandlung gekommen.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt?

BF: Nein.

RI: Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Österreich im Falle eines weiteren Aufenthaltes vor? Welche Pläne haben Sie?

BF: Ich will als Einzelhandelskaufmann arbeiten. Ich möchte ein eigenes Geschäft eröffnen, nachdem ich einige Jahre z.B. bei Spar gearbeitet habe. Dann heirate ich auch meine Freundin, wenn sie damit einverstanden ist. Denn ich muss sie fragen, ob sie das will. Dann geht das Leben weiter und ich kaufe mir vielleicht eine Wohnung oder ein Haus.

RI: Möchten Sie noch etwas abschließend sagen?

BF: Ich bedanke mich bei der Republik Österreich, dass wir hier frei leben können und in Sicherheit leben können und keine Angst haben und weiter lernen können und wir sind hier auch glücklich hier und wir wissen jetzt, dass wir auch Menschen sind."

Das erkennende Gericht brachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren ein (aktualisierte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation, Stand 29.06.2018) und verwies auf den Country Report on Human Rights Practices 2016 des US Department of State, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 sowie auf die Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern Dezember 2016, und auf den Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Afghanistan, 22. Februar 2018 sowie auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft).

9. Mit Schreiben vom 09.07.2018 übermittelte der Beschwerdeführer eine ergänzende Stellungnahme, worin ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe seit seiner Geburt in Pakistan gelebt, sei weltoffen und liberal erzogen worden, habe sich bestens in Österreich integriert und sei niemals in Afghanistan gewesen. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan abgesehen von seiner Schwester, die mit ihrem streng religiösen Mann in Nangarhar lebe und zu der nur sporadisch Telefonkontakt bestehe, und den Onkeln mütterlicherseits keine Verwandten, die ihm Unterstützung bieten könnten. Der aufgeklärte westliche Lebensstil des Beschwerdeführers und seiner Familie, ihr kaum religiös geprägtes Selbstverständnis sowie ihr in Pakistan erworbener und in Europa verbesserter Bildungsstand wären in den Augen der Gesellschaft Afghanistans deutliche Indizien für einen blasphemischen Lebensstil. Rückkehrer aus dem westlichen Ausland würden mit großem Argwohn betrachtet. Der Beschwerdeführer gehöre der sozialen Gruppe der liberal erzogenen, außerhalb Afghanistans geborenen und aufgewachsenen Afghanen an, die wegen ihrer guten Ausbildung und der daraus resultierenden Lebenseinstellung für den Fall ihrer Neuansiedlung in Afghanistan höchstwahrscheinlich asylrelevante Verfolgung zu gewärtigen hätten.

10. Im Strafregisterauszug der Republik Österreich vom 01.08.2018 - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheint keine Verurteilung auf.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Aufgrund des Asylantrags vom 19.11.2015, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch die belangte Behörde, der Beschwerde vom 26.05.2017 gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 11.05.2017, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, praktiziert seinen Glauben jedoch nicht. Seine Muttersprache ist Dari. Weiters beherrscht er Paschtu, Farsi, Urdu, Englisch und Deutsch.

Der Beschwerdeführer lebt mit seinen Eltern (Zl. W139 2159877-1 und W139 2159869-1) sowie drei seiner Geschwister (ein Bruder, Zl. W139 2159888-1, und zwei Schwestern, Zl. W139 2159873-1 und W139 2159886-1) in Österreich. Insgesamt hat er sieben Geschwister. Eine Schwester lebt mit ihrem Mann (einem konservativen Paschtunen) in Jalalabad, Afghanistan, und eine weitere Schwester in Kanada. Ein Bruder des Beschwerdeführers ist verschollen und dessen Zwillingsbruder hat die Familie verlassen und ist unbekannten Aufenthalts. Der Beschwerdeführer hat Onkel in Afghanistan (die Brüder seiner Mutter), er weiß jedoch nicht, wo sich diese aufhalten. Seine Mutter hatte mit diesen Brüdern Erbschaftsstreitigkeiten um die Grundstücke ihres Vaters. Der Beschwerdeführer ist ledig, hat jedoch eine österreichische Freundin.

Der Beschwerdeführer wurde in Peshawar, Pakistan geboren und lebte dort mit seiner Familie. Er hat sich noch nie in Afghanistan aufgehalten. Er hat nach einem zwölfjährigen Schulbesuch und nach der Matura als Lehrer für Englisch und Dari in der Schule seiner Mutter gearbeitet. Seine Mutter hat im Jahr 1994 eine Schule in Peshawar eröffnet und sich für die Alphabetisierung und Bildung von Frauen und Kindern eingesetzt. Dazu hat seine Mutter von 2002 bis 2005 auch finanzielle Unterstützung von der Organisation RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, eine Frauenrechtsorganisation) erhalten. Aus diesen Gründen war seine Mutter immer wieder Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt, auch seitens der Brüder seiner Mutter, welche die liberale Lebenseinstellung der Mutter und deren Unterstützung durch RAWA ablehnten. Seine Mutter war in Afghanistan als Lehrerin und in Pakistan als Direktorin einer Schule tätig, sein Vater als Schulwart. Nach einem Vorfall im Jahr 2005, bei dem ein Bruder des Beschwerdeführers entführt und seine Mutter telefonisch bedroht wurde, hat seine Mutter (offiziell) keine Unterstützung mehr von RAWA angenommen. Die Familie hat die Wohnadresse in Peshawar gewechselt und die Mutter des Beschwerdeführers hat auch die Schule an einer anderen Adresse eröffnet. Die Drohungen setzten sich jedoch fort. Die Familie war aus Angst immer gemeinsam unterwegs und die Schwestern des Beschwerdeführers haben aus Sicherheitsgründen auch in der Schule der Mutter als Lehrerinnen gearbeitet. Der Beschwerdeführer wollte IT studieren, dies war ihm jedoch ebenfalls aus Sicherheitsbedenken nicht möglich. Nach einem weiteren Vorfall im Jahr 2014, bei dem versucht wurde, einen anderen Bruder des Beschwerdeführers (Beschwerdeführer zu zu Zl. W139 2159888-1) zu entführen, hat die Familie beschlossen, Pakistan zu verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde nicht konservativ-religiös erzogen, sondern ist im Gegenteil von Beginn an sehr modern aufgewachsen. Er und seine mit ihm in Österreich befindliche Familie haben eine sehr aufgeschlossene und liberale Einstellung, auch und besonders im Hinblick auf die Rechte von Frauen auf Bildung und Selbständigkeit. Die Familie pflegte schon in Pakistan einen liberalen Lebensstil, wenn auch unter schwierigen Verhältnissen und in notwendigerweise eingeschränkter Form. Der Beschwerdeführer ist in diesem freisinnigen Umfeld bereits mit der Überzeugung aufgewachsen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, und lebt diese Werte auch. Er ist froh, dass seine Mutter und seine beiden älteren Schwestern hier in Österreich nunmehr nicht nur im Rahmen der Familie so leben können, wie es ihrer inneren Haltung entspricht und er unterstützt vor allem die Eigenständigkeit seiner Schwestern, so etwa die freie, unbeeinflusste Wahl ihrer Lebenspartner. Insofern steht er auch der Auflösung der Verlobung seiner Schwester positiv gegenüber, die sich in Österreich von ihrem Verlobten, einem Paschtunen, aufgrund dessen konservativer Einstellung getrennt hat. Der Beschwerdeführer nützt aber auch selbst jene Freiheit, die ihm aufgrund der ständigen Bedrohungen, denen seine Familie ausgesetzt war, verwehrt war. In Österreich hat der Beschwerdeführer den Pflichtschulabschluss nachgeholt und die Prüfung erfolgreich bestanden. Weiters hat er verschiedene Workshops und Kurse absolviert, darunter einen Werte- und Orientierungskurs sowie einen Erste-Hilfe-Kurs. In der mündlichen Verhandlung hat er weitgehend auf Deutsch geantwortet. Der Beschwerdeführer betätigt sich ehrenamtlich, etwa als Nachhilfelehrer und Übersetzer bei der Caritas, und arbeitet freiwillig beim Roten Kreuz. Der Beschwerdeführer bezeichnet sich selbst als Moslem, hält sich jedoch nicht an religiöse Vorschriften (d.h. er betet und fastet nicht und hat dies auch früher nicht gemacht). Er hat keine Berührungsängste mit anderen Religionen und ist der österreichischen Kultur gegenüber sehr aufgeschlossen, so hat er etwa im Krankenhaus der XXXX bei der Veranstaltung " XXXX " ehrenamtlich mitgearbeitet. Der Beschwerdeführer hat sich mehrmals um eine feste Anstellung bemüht, diese jedoch nicht erhalten, was er bedauert. Er möchte arbeiten, sobald ihm dies möglich ist, und später auch ein eigenes Geschäft eröffnen. Er hat eine Wahltante, einen Wahlonkel und auch Wahlgroßeltern. Er unterstützt seine Wahloma, etwa beim Einkaufen. Weiters hat er viele österreichische Freunde gewonnen, mit denen er Fußball spielt, in die Disco und schwimmen geht.

Die persönliche Lebenseinstellung und Denkweise des Beschwerdeführers entspricht nicht den in der afghanischen Gesellschaft bislang vorherrschenden Ansichten und gesellschaftlich-religiösen Traditionen. Er möchte ein selbstbestimmtes Leben führen, sich weiterbilden und Entscheidungen unbeeinflusst von religiösen oder politischen Werthaltungen treffen. Der Beschwerdeführer lehnt aufgrund seiner weltoffenen Haltung erkennbar die in der afghanischen Gesellschaft vorherrschende konservativ-restriktive Werthaltung insgesamt und insbesondere auch hinsichtlich der Rolle und Stellung von Frauen ab. Die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägten Lebensumstände, mit welchen der Beschwerdeführer im hypothetischen Fall eines Lebens in Afghanistan konfrontiert wäre, stünden mit jenen, welche er sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw bereits gestaltet hat, ganz offensichtlich in unüberwindbarem Gegensatz.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Gründe, nach denen ein Ausschluss der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018; Auszüge)

1. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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