TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/3 W139 2159873-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2018
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Entscheidungsdatum

03.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W139 2159873-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Caritas Burgenland, St. Rochus-Straße 15, 7000 Eisenstadt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken, reiste mit ihrer Familie illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Sie stellte am 19.11.2015 gemeinsam mit ihren Eltern (Zl. W139 2159877-1 und W139 2159869-1), mit ihrem damals minderjährigen Bruder (Zl. W139 2159888-1), einem weiteren Bruder (Zl. W139 2159882-1) und ihrer Schwester (Zl. W139 2159886-1) einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In ihrer Erstbefragung am 19.11.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie sei in Kabul geboren worden, habe aber seit 1993 mit ihrer Familie in Peshawar, Pakistan gelebt. Sie sei verlobt und ihr Verlobter befinde sich in Österreich. Ihre Mutter sei in Pakistan Schuldirektorin und ihr Vater Schulwart gewesen. Sie selbst habe als Lehrerin gearbeitet. Zum Fluchtgrund befragt gab die Beschwerdeführerin an, ihre Familie habe Pakistan verlassen, da ihre Mutter mehrmals schriftlich bedroht worden sei. Auch sei verlangt worden, dass man mit dieser Drohung nicht zur Polizei gehen solle. Den Entschluss zur Ausreise habe ihre Mutter gefasst. Zwei ihrer Brüder seien in Pakistan verschwunden und sie habe auch Angst, entführt zu werden.

3. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 11.04.2017 gab die Beschwerdeführerin an, sie habe in Peshawar die Schule besucht und maturiert. Danach sei sie Lehrerin gewesen, die letzten fünf Jahre habe sie in einer höheren Schule unterrichtet. Ihre Mutter habe im Jahr 1994 eine Schule in Peshawar gegründet. Im Jahr 2002 sei die Frauenorganisation RAWA in Erscheinung getreten und ihre Mutter sei dieser beigetreten. Ihre Mutter habe sich für die Alphabetisierung von Frauen und deren Schulbesuch eingesetzt und sei von RAWA unterstützt worden. Ihre Mutter habe dann immer wieder Drohbriefe bekommen, weil sie auch Mädchenklassen gehabt habe, und sei dazu aufgefordert worden, keine Hilfe mehr von RAWA anzunehmen. Im Mai 2005 sei der Bruder der Beschwerdeführerin entführt worden und ihre Mutter sei telefonisch bedroht worden, dass die Familie ermordet werden würde, wenn sie Anzeige bei der Polizei erstatten sollte. Es habe die Gefahr bestanden, dass auch die Beschwerdeführerin entführt werden könnte. Deshalb sei sie immer von ihren Eltern begleitet worden und habe ihre Freizeit nicht draußen verbringen können. Im Jahr 2007 sei ihre Mutter in Afghanistan gewesen. Ihre Mutter habe von ihren Eltern Grundstücke in Afghanistan geerbt und der Bruder der Mutter, der Onkel der Beschwerdeführerin, habe alles für sich haben wollen. Dieser Onkel sei mächtig und habe für die frühere Regierung gearbeitet. Dieser Onkel habe ihre Mutter und ihre Tante geschlagen und aus dem Haus geworfen und ein anderes Mal mit Waffen bedroht. Der Onkel habe verlautbart, dass er die Mutter der Beschwerdeführerin überall finden und dann töten würde. Die Beschwerdeführerin führte weiters an, ihre Familie sei nie religiös gewesen, sie seien nie in einer Moschee gewesen und hätten auch nicht gefastet. In Österreich dolmetsche die Beschwerdeführerin für verschiedene Einrichtungen, etwa für die Diakonie. Die Beschwerdeführerin legte Dokumente vor (u.a. Tazkira, Dienstausweis einer Schule, Zertifikate, ÖSD-Sprachzertifikat A1, Kursbestätigungen, Empfehlungsschreiben).

4. Mit Schreiben vom 19.04.2017 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zu Afghanistan, worin ausgeführt wurde, die Mutter der Beschwerdeführerin habe sich als Lehrerin für das Recht von Mädchen auf Bildung eingesetzt und sei deswegen bedroht worden. Die Beschwerdeführerin, ihre Mutter und ihre Schwester seien nicht gewillt, sich an das traditionelle Rollenbild afghanischer Frauen zu halten und hätten sich eine westliche Lebensweise zu eigen gemacht. Zwar gebe es mittlerweile gesetzliche Grundlagen zum Schutz von Frauen, deren Umsetzung stoße jedoch auf Widerstand in der traditionell patriarchalischen afghanischen Gesellschaft. Die Beschwerdeführerin habe in Pakistan aus Gründen des Selbstschutzes in der Öffentlichkeit ein Kopftuch getragen, genieße aber nun in Österreich mit ausdrücklicher Unterstützung ihres Vaters und ihrer Brüder die Freiheit, sich nach eigenem Geschmack zu kleiden, die Haare offen zu tragen, allein unterwegs zu sein und alle anderen Möglichkeiten auszunützen, die für westlich orientierte Frauen selbstverständlich seien. Die gesamte Familie habe eine äußerst liberale Lebensweise und es sei Asyl bzw zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.05.2017 wies die belangte Behörde sowohl den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch jenen auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, auf die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit Pakistan vorgebrachten Fluchtgründe sei nicht näher einzugehen, da es sich dabei nicht um den Herkunftsstaat handle. Soweit die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf internationalen Schutz damit begründe, dass ihr in Afghanistan dieselben Schwierigkeiten wie ihrer Mutter drohen würden, sei festzuhalten, dass das Vorbringen der Mutter als nicht glaubhaft erachtet worden sei, weshalb auch die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin als unglaubhaft einzustufen seien. Die Beschwerdeführerin habe in der Öffentlichkeit in Pakistan ein Kopftuch getragen. Konkrete Verfolgungshandlungen aufgrund ihrer Einstellung habe die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht. Sie habe auch nicht glaubhaft darlegen können, weshalb es ihr unmöglich sein sollte, ihren Beruf als Lehrerin in Afghanistan (Kabul) auszuüben. Die Beschwerdeführerin habe familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan und da sie auch vor ihrer Ausreise gearbeitet habe, könnte sie im Fall einer Rückkehr ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Rückkehrentscheidung gemäß Spruchpunkt III. wurde mit einer zu Lasten der Beschwerdeführerin ausgehenden Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 EMRK begründet.

6. Mit Schreiben vom 26.05.2017 erhob die Beschwerdeführerin - fristgerecht - Beschwerde gegen den obgenannten Bescheid. Sie beantragte die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, in eventu der subsidiär Schutzberechtigten, in eventu die Zurückverweisung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei mit Willkür behaftet. So habe die Behörde etwa die eingebrachte Stellungnahme ignoriert und sich nicht mit der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin, ihrer Mutter und ihrer Schwester zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen auseinandergesetzt. Die Beschwerdeführerin und ihre Mutter sowie ihre Schwester seien emanzipierte und gut ausgebildete Frauen, die sich die westliche Lebensweise nachdrücklich zu eigen gemacht hätten, wobei die Töchter von ihren Eltern bereits liberal erzogen worden seien.

7. Mit Schreiben vom 30.01.2018, 13.04.2018 und 04.05.2018 wurden weitere Unterlagen betreffend die Integration der Familie vorgelegt (Bestätigung der ehrenamtlichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Dolmetscherin bei der Diakonie, Kursteilnahmebestätigungen, Fotos). In einer Stellungnahme vom 05.06.2018 wurde ergänzend ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei als ehrenamtliche Dolmetscherin für verschiedene Organisationen im Einsatz. Die Tätigkeit der Mutter der Beschwerdeführerin als Schulleiterin für afghanische Flüchtlinge in Pakistan sei mit Unterstützung der bekannten Organisation RAWA (Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans) erfolgt, die in Afghanistan bzw Pakistan wegen ihres Einsatzes für die Unterstützung von Frauen und die Verbreitung ihrer weltoffenen Philosophie von Taliban und anderen Gruppierungen gewaltsam verfolgt werde. Weiters habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert. Dazu wurden Unterlagen betreffend RAWA sowie weitere Unterlagen betreffend die Beschwerdeführerin und ihre Familie vorgelegt (u.a. Bestätigungen über freiwilliges Engagement, Kursteilnahmebestätigungen, Fotos, Empfehlungsschreiben).

8. Am 03.07.2018 (fortgesetzt am 05.07.2018) fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, bei welcher die Beschwerdeführerin, ihre Eltern sowie ihre drei in Österreich befindlichen Geschwister einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurde ein Konvolut an weiteren Dokumenten vorgelegt (u.a. Kursteilnahmebestätigungen, Arztbefunde, Empfehlungsschreiben, Fotos).

Im Rahmen der Befragung bestätigte die Beschwerdeführerin zunächst die bisherigen Angaben zu ihrer Person und bekräftigte, bei den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt zu haben. Die Beschwerdeführerin gab an, die Dolmetscher bei ihren bisherigen Einvernahmen gut verstanden zu haben und die Niederschriften seien ihr rückübersetzt worden, es habe aber Fehler im Protokoll gegeben.

Weiters gab die Beschwerdeführerin (BF) entscheidungswesentlich Folgendes an (RI = erkennende Richterin, RV = Rechtsvertreter) [evtl. Rechtschreib- oder Tippfehler vom Bundesverwaltungsgericht korrigiert]:

"[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen Lebensumständen:

[...]

RI: Bitte geben Sie mir Ihren Familienstand an.

BF (auf Deutsch): Ich war 2015 im März verlobt mit einem Pashtunen, er heißt XXXX . Wir haben uns in Pakistan verlobt und auf der Flucht haben wir uns in der Türkei getroffen. Ab der Türkei sind wir gemeinsam nach Österreich geflüchtet. Wir haben die ersten 6 Monate im Haus zu siebent mit meinem damaligen Verlobten und meiner Familie in einem Raum gewohnt. Weil ich und mein Bruder viele Sprachen sprechen, haben wir am Anfang viel geholfen beim Übersetzen. In Traiskirchen haben wir eine afghanische Familie getroffen, die auch im Haus XXXX war. Wir haben uns einmal in einem und manchmal im anderen Zimmer getroffen. Mein Verlobter hat mir vorgeworfen, dass ich eine Beziehung zu dem Mann der anderen Familie hätte. Ich habe daher meinem Verlobten den Ring zurückgegeben und die Verlobung aufgelöst. Nach den sechs Monaten haben wir eine Wohnung von der Diakonie bekommen. Mein Verlobter hat immer zu meinem Bruder gesagt, ich möge ihm eine Chance geben, das habe ich dann auch gemacht, aber er war kein guter Mann für mich. Wenn ich zum Beispiel Deutschkurs ging und meine Haare färben, schneiden und schminken wollte, oder eine Hose tragen wollte sagte er, dass ich das nicht darf und ich ihn vorher fragen muss. Er wollte auch nicht, dass ich für andere Menschen übersetze, weil er dachte, ich würde dadurch Kontakt zu anderen Männern haben. An einem Tag hat er gesagt, dass ich eine schmutzige Frau sei. Ich habe dann gesagt, dass er so eine gute Frau finden soll, die zu ihm passt. Deshalb bin ich im Moment ledig.

RI: Hat er das dann akzeptiert?

BF: Er hat mich ersucht, ihm eine dritte Chance zu geben. Ich habe ihm gesagt, dass mehrere Chancen nicht möglich sind.

RI: Wo haben Sie ihn kennengelernt?

BF: In unserer Schule war eine Lehrerin namens XXXX . Wir haben sie ab und zu auch zu Hause besucht. Als wir einmal beim Neujahrsfest bei ihr waren, habe ich ihn bei ihr zu Hause kennengelernt. Er ist von der Schwiegerfamilie von der Tochter von XXXX .

[...]

RI: Welche Schulbildung haben Sie?

BF: Ich habe 12 Jahre die Schule besucht mit Matura und auch einen Englischkurs absolviert. Ich habe dann ca. 9 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet.

RI: Wo haben Sie da gearbeitet?

BF: In der Schule meiner Mutter.

RI: Welche Fächer haben Sie unterrichtet?

BF: Geschichte und Geographie.

RI: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

BF: Pashtu, Dari, Urdu, Farsi, Englisch und Deutsch. Ich kann auch Hindi sprechen, aber nicht lesen oder schreiben.

[...]

R gibt RV die Gelegenheit, Fragen zu stellen und Anmerkungen zu machen.

RV: Wie hat denn Ihre Familie drauf reagiert, dass Sie die Verlobung aufgelöst haben?

BF: Meine Familie ist mir zur Seite gestanden. Sie sagten mir, dass er mich in der Verlobungszeit so unter Druck setzt und ich soll eine Entscheidung treffen. Meine Familie hat mir auch gesagt, dass ich das entscheiden soll, was ich selbst will.

[...]

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem BFA zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.

Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht?

BF: Ja, ich bleibe dabei.

RI: Haben Sie das Gefühl, dass Sie bei den Einvernahmen alles sagen konnten?

BF: Nein, ich wollte dort alles detailliert erzählen, das wurde mir aber nicht erlaubt, denn meine Mutter hätte schon alles ausführlich erzählt.

RI: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

BF: Nein. Nur, dass ich meine Verlobung aufgelöst habe. Inzwischen habe ich auch Deutschkurse besucht.

RI: Schildern Sie mir nun bitte mit eigenen Worten, was Sie konkret für sich im Falle einer eventuellen Rückkehr nach Afghanistan befürchten?

BF: Allein, wenn ich den Namen Afghanistan höre, bekomme ich Angst. Ich habe meine Mutter in diesem Zustand, nachdem sie von Afghanistan zurück nach Pakistan kam, gesehen und fragte mich, wenn ein Bruder so etwas mit seiner eigenen Schwester macht, was würde er mit uns tun. Mein Bruder wurde in Pakistan entführt. Es wurde auch versucht, meinen anderen Bruder zu entführen. Diese Gefahr bestand auch für uns. Davor habe ich Angst.

RI: Von wem ging diese Entführungsgefahr aus?

BF: Genau weiß ich es nicht, vielleicht von den Leuten der Hezb-e Islami oder von den Taliban, oder vielleicht stecken auch meine Onkel mütterlicherseits dahinter.

RI: Wieso verdächtigen Sie auch die Taliban oder die Hezb-e Islami?

BF: Weil meine Mutter als Schuldirektorin tätig war und Unterstützung von der Organisation RAWA bekommen hat. In unserer Schule wurden sowohl Mädchen als auch Buben unterrichtet. Die Organisation RAWA ist gegen die Taliban und die Hezb-e Islami.

R: Haben Sie von Drohungen gegen Ihre Familie und den Schulbetrieb Kenntnis gehabt? Wenn ja, was können Sie mir darüber sagen?

BF: Am Anfang wusste ich es nicht, dann habe ich davon erfahren. Ich habe die Drohbriefe selbst auf dem Boden im Garten der Schule gesehen. Meine Eltern habe die Briefe dann zerrissen und im WC der Schule verbrannt.

RI: Wissen Sie oder haben Sie eine Vermutung, von wem die Drohbriefe übermittelt wurden?

BF: Ja, auf dem Briefkopf stand immer Hezb-e Islami.

RI: Wissen Sie, von wann bis wann derartige Drohbriefe der Familie übermittelt wurden?

BF: Das weiß ich nicht genau. Bis zu unserer Ausreise haben wir Drohbriefe bekommen. Wann das angefangen hat, weiß ich aber nicht.

RI: Im Jahr 2005 wurde ein Bruder von Ihnen entführt. Welche Änderungen sind dann im Schulbetrieb danach vorgenommen worden?

BF: Meine Mutter hat die Schuladresse gewechselt. Die Schule ist woandershin übersiedelt. Sie hat auch die Buben und Mädchen getrennt.

RI: Die Drohungen sind aber dennoch weitergeführt worden?

BF: Ja.

RI: Wissen Sie, womit gedroht wurde?

BF: Das weiß ich nicht. Meine Mutter hat uns die Briefe nicht gegeben, damit wir das lesen können.

RI: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es zwischen 2005 und 2014 nicht zu "ernsthaften Bedrohungen" gegen die Familie gekommen ist?

BF: Nachdem mein Bruder verschwand haben wir dann auch unsere Freiheit verloren. Wir sind dann immer in einer Gruppe unterwegs gewesen und sind von zu Hause in die Schule gegangen und gemeinsam wieder nach Hause zurückgegangen.

RI: Wie lange war dieser Weg zur Schule?

BF: Mit dem Auto ca. 15-20 Minuten. Wir sind immer mit dem Auto gefahren.

RI: Sie haben heute gesagt, dass auf den Drohbriefen, die Sie gesehen haben, immer auf dem Kopf die Hezb-e Islami gestanden ist. Sie haben einmal vor dem BFA gesagt, dass Sie nicht wussten, von wem die Drohbriefe stammten (S 181 unten) und ein weiteres Mal haben Sie angegeben, dass der Drohbrief von der Hezb-e-Islami Partei und den Taliban stammen würde (S 183). Können Sie mir bitte diese Ungereimtheit erklären.

BF: Vor dem BFA wurde mir nicht die Gelegenheit gegeben, alles zu erklären.

RI: Was wissen Sie jetzt wirklich von dem Drohbrief?

BF: Die Briefe, die ich gesehen habe, bei denen stand auf dem Briefkopf "Hezb-e Islami", mehr weiß ich nicht, meine Eltern haben dann die Briefe verbrannt.

RI: Wurden Sie persönlich jemals bedroht oder verfolgt?

BF: Nein, weil ich immer mit meinen Eltern und Geschwistern unterwegs war.

RI: Sie haben auch angeführt, dass Sie nie religiös gewesen seien, nie zu Hause ein Kopftuch getragen hätten, nie in einer Moschee gewesen seien. Sind Sie demnach eher nicht traditionell und auch nicht religiös konservativ aufgewachsen und erzogen worden?

BF: Ja, das, was ich vor dem BFA gesagt habe, stimmt. Unsere Eltern haben uns immer selbst bestimmen lassen, was wir anziehen wollen. Meine Eltern sagten uns sogar, dass wir nicht fasten sollen, weil, wir sonst Magenprobleme bekommen würden und eine Wachstumsstörung. Speziell das Wasser braucht der Körper.

RI: Sie haben, so wie Ihre Schwester und Ihr Bruder in der Schule Ihrer Mutter gearbeitet. War das Ihr Wunsch oder hätten Sie lieber etwas anderes gearbeitet?

BF: Ehrlich gesagt, wollte keiner von uns als Lehrer arbeiten, aber da wir gezwungen waren und nirgends anders arbeiten konnten aus Angst, haben wir in der Schule unserer Mutter als Lehrer/innen gearbeitet.

RI: Meinen Sie, Sie mussten nicht auch in der Schule Angst vor einem Angriff haben zumal die Schule ja im Fokus der Taliban bzw. Hezb-e Islami gestanden ist?

BF: Die Angst hat uns ständig begleitet, aber da wir die gesamte Familie in der Schule zusammen waren, hatten wir weniger Angst.

RI: Sie sind demnach relativ liberal aufgewachsen. Können Sie mir sagen, was für Sie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die westlichen Werte und ein "westliches" (emanzipiertes) "Rollenbild der Frau und Gesellschaftsbild" für Sie bedeuten und, wie Sie es tatsächlich leben?

BF: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das, was ein Mann arbeiten kann, kann auch eine Frau tun. Berufstätige Frauen arbeiten außerhalb des Hauses, als auch im Haus. Sie erledigt den Haushalt auch noch dazu, daher verdienen die Frauen mehr Respekt, meiner Meinung nach. Die Männer sollen die Frauen nicht unterdrücken und sie zum Beispiel dazu zu zwingen, ein Kopftuch zu tragen oder von ihr verlangen, streng religiös zu sein und nicht zuzulassen, dass Frauen sich bilden. Diese Einstellung ist in meinem Leben sehr wichtig.

RI: Können Sie sich vorstellen, mit einem Christen oder einem Angehörigen einer sonstigen Religion befreundet zu sein? Wie meinen Sie, würden Ihre Eltern und Ihre Brüder reagieren?

BF: Ich habe viel Respekt vor anderen Religionen, wir haben viele österreichische Freunde, sie sind Christen. Als wir uns unruhig gefühlt haben, haben uns unsere österreichischen Freunde in die Kirche mitgenommen, dort haben wir eine Kerze angezündet. Eine Kirche ist ein Platz, wo man sich beruhigt. Wir haben auch an verschiedenen Festen teilgenommen. Auch einmal an einem Konzert in der Kirche. An Weihnachten hat ein Freund uns einen Stand auf dem Christkindlmarkt betrieben, dort haben wir mitgeholfen. Unsere Freunde haben von uns auch selbstgebastelte Christbäume bekommen. Sogar der Bürgermeister von XXXX hat von uns einen selbstgebastelten Weihnachtsbaum bekommen. Wir haben von unseren österreichischen Freunden, das Backen von Süßigkeiten und Keksen, die die Christen zu Weihnachten essen, gelernt. Über Weihnachten haben wir dann diese Kekse gebacken und unseren Freunden gegeben.

RI: Schildern mir Sie bitte Ihren Alltag hier in Österreich und welche Pläne haben Sie für sich persönlich für die Zukunft?

BF auf Deutsch: An jedem Tag stehe ich um halb sieben auf. Ich habe einen Kalender. Manchmal habe ich einen Termin bei der Diakonie, Caritas oder der Bildungsberatung. Ich helfe dort als Dolmetscherin. Wenn ich keinen Termin habe, kann ich zu Hause etwas lernen. Jeden Montag und Mittwoch von 9-11 Uhr habe ich einen Termin beim Frauencafe zum Deutsch üben. Wenn ich Hausaufgaben oder so habe, wird mir dort geholfen. Manchmal haben wir Kurse "Wie Frauen in Österreich leben vom OEIF" Wir haben auch einen kleinen Garten. Wir gehen manchmal gemeinsam dorthin, manchmal gehen ich mit meinen Eltern dort hin zum gießen oder so. Jeden Montag und Mittwoch am Abend von 18 bis 20 Uhr habe ich B1 Deutschkurs. In der Zukunft, wenn wir Asyl bekommen, könnte ich als Köchin oder Optikerin arbeiten. Ich habe eine Bewerbung und einen Lebenslauf geschrieben, ich war auch dort, aber sie haben gesagt, ich kann nicht dort arbeiten mit der weißen Karte. Jeden Donnerstag helfe ich bei dem Lerncafe den Flüchtlingskindern beim Englisch lernen. Manchmal, wenn ich Zeit habe, koche ich auch zu Hause. Wir haben viel österreichische Freundinnen und Freunde. Ich und meine Brüder haben letztes Jahr 3 Freunde im Europahaus (Studentenheim) kennengelernt, die uns beim Deutsch lernen geholfen haben. Jeden Monat machen wir eine kleine Reise mit unserer österreichischen Oma und Opa. Nach Wien oder Mattersburg. In Österreich haben wir schwimmen und Radfahren gelernt. Ich habe jetzt auch ein Fahrrad. Letztes Jahr war ich auch in einem Tanzkurs, aber wegen meinen Beinschmerzen konnte ich nicht mehr weitergehen.

RI: Sie leben jetzt aber noch alle zu Hause mit der Familie?

BF: Ja.

RI: Meinen Sie, dass Sie so, wie Sie hier jetzt leben auch in Afghanistan leben könnten? Was würde, Ihrer Meinung nach, passieren?

BF auf Deutsch: Ich bin mit 5 oder 6 Jahren nach Pakistan gekommen, ich war dann nie wieder in Afghanistan, vielleicht ist es auch gefährlich für mich, weil vor allem gebildete Frauen es sehr schwierig in Afghanistan haben. Wir haben auch Angst vor meinen Onkeln und von Hezb-e Islami, da meine Mutter diese Drohbriefe bekommen hat.

RI: Beabsichtigen Sie, irgendwann einmal alleine, also getrennt von Ihrer Familie zu leben?

BF: Ja, meine Eltern sagen immer, dass es unser Leben ist. Sie können mit uns leben, sie können auch alleine leben. Wir hoffen, dass wir Asyl bekommen, dann können wir auch allein leben.

RI: Wollen Sie das auch?

BF: Ja. Mein Bruder hat eine Freundin, sie wohnen dann vielleicht alleine.

RI: Möchten Sie etwas Ergänzendes zu Ihrem Fluchtgrund vorbringen?

BF: Ich bedanke mich bei dem österreichischen Staat für die Unterstützung, die wir erhalten haben. Ich bedanke mich dafür, dass wir hier in Freiheit leben dürfen. Ich habe einmal einen Kurs von 18-20 Uhr besucht, da bin ich dann auch immer alleine unterwegs gewesen, speziell im Winter, wo es ziemlich dunkel gewesen ist, hatte ich keine Angst alleine unterwegs zu sein. Dass wir hier die Möglichkeit haben, uns weiterzubilden. Wenn ich in Pakistan gewesen wäre, müsste ich das akzeptieren, was mein Verlobter von mir verlangte. Hier hatte ich die Möglichkeit und Kraft, ihm seinen Ring zurückzugeben. Diese Freiheit mag ich hier."

Das erkennende Gericht brachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin in das Verfahren ein (aktualisierte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation, Stand 29.06.2018 und eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.06.2017 u.a. zur Situation von Rückkehrern aus Europa) und verwies auf den Country Report on Human Rights Practices 2016 des US Department of State, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 sowie auf die Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern Dezember 2016, und auf den Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Afghanistan, 22. Februar 2018.

9. Mit Schreiben vom 09.07.2018 übermittelte die Beschwerdeführerin eine ergänzende Stellungnahme.

10. Im Strafregisterauszug der Republik Österreich vom 01.08.2018 - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheint keine Verurteilung auf.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen:

Aufgrund des Asylantrags vom 19.11.2015, der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch die belangte Behörde, der Beschwerde vom 26.05.2017 gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 11.05.2017, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Dokumente sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX . Sie ist Staatsangehörige von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, praktiziert ihren Glauben jedoch nicht. Ihre Muttersprache ist Dari. Weiters beherrscht sie Paschtu, Urdu, Farsi, Englisch und Deutsch in Wort und Schrift. Sie spricht auch Hindi.

Die Beschwerdeführerin lebt mit ihren Eltern (Zl. W139 2159877-1 und W139 2159869-1) sowie drei ihrer Geschwister (zwei Brüder, Zl. W139 2159888-1 und W139 2159882-1, sowie eine Schwester, Zl. W139 2159886-1) in Österreich. Insgesamt hat sie sieben Geschwister. Eine Schwester lebt mit ihrem Mann (einem konservativen Paschtunen) in Jalalabad, Afghanistan, und eine weitere Schwester in Kanada. Ein Bruder der Beschwerdeführerin ist verschollen und sein Zwillingsbruder hat die Familie verlassen und ist unbekannten Aufenthalts. Die Beschwerdeführerin war seit 2015 mit einem Paschtunen verlobt (Zl. W139 2175721-1), der sich derzeit ebenfalls als Asylwerber in Österreich befindet. Sie hat jedoch in Österreich aufgrund dessen konservativer Einstellung die Verlobung gelöst.

Die Beschwerdeführerin wurde in Kabul geboren und lebte dort mit ihrer Familie bis zum Jahr 1993. Danach flüchtete ihre Familie mit ihr nach Pakistan, wo sie in Peshawar lebten. Die Beschwerdeführerin hat nach einem zwölfjährigen Schulbesuch maturiert und dann etwa neun Jahre lang als Lehrerin für Geschichte und Geographie in der Schule ihrer Mutter gearbeitet. Ihre Mutter hat im Jahr 1994 eine Schule in Peshawar eröffnet und sich für die Alphabetisierung und Bildung von Frauen und Kindern eingesetzt. Dazu hat ihre Mutter von 2002 bis 2005 auch finanzielle Unterstützung von der Organisation RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan, eine Frauenrechtsorganisation) erhalten. Aus diesen Gründen war ihre Mutter immer wieder Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt, auch seitens der Brüder ihrer Mutter, welche die liberale Lebenseinstellung der Mutter und deren Unterstützung durch RAWA ablehnten. Ihre Mutter war in Afghanistan als Lehrerin und in Pakistan als Direktorin einer Schule tätig, ihr Vater als Schulwart. Nach einem Vorfall im Jahr 2005, bei dem ein Bruder der Beschwerdeführerin entführt und ihre Mutter telefonisch bedroht wurde, hat ihre Mutter (offiziell) keine Unterstützung mehr von RAWA angenommen. Die Familie hat die Wohnadresse in Peshawar gewechselt und die Mutter der Beschwerdeführerin hat auch die Schule an einer anderen Adresse eröffnet. Die Drohungen setzten sich jedoch fort. Die Familie war aus Angst immer gemeinsam unterwegs und die Schwester und ein Bruder der Beschwerdeführerin haben aus Sicherheitsgründen auch in der Schule der Mutter als Lehrer gearbeitet. Nach einem weiteren Vorfall im Jahr 2014, bei dem versucht wurde, einen anderen Bruder der Beschwerdeführerin (Beschwerdeführer zu zu Zl. W139 2159888-1) zu entführen, hat die Familie beschlossen, Pakistan zu verlassen.

Die Beschwerdeführerin wurde nicht konservativ-religiös erzogen, sondern die Familie hat im Gegenteil eine sehr liberale Einstellung, auch und besonders im Hinblick auf die Rechte von Frauen auf Bildung und Selbständigkeit. In Österreich nützt die Beschwerdeführerin jene Freiheit, die ihr bisher verwehrt blieb. Sie trägt modische Kleidung und kein Kopftuch und genießt es, ohne Begleitung unterwegs sein zu können. Die Beschwerdeführerin bildet sich weiter und besucht Kurse, derzeit einen B1-Deutschkurs. Weiters beteiligt sie sich an Workshops, Projekten und Ausflügen. Sie verfügt bereits über ein Sprachdiplom Deutsch Niveau A1, das sie mit der höchstmöglichen Punktezahl bestanden hat. Sie spricht mehrere Sprachen und ist in Österreich regelmäßig als ehrenamtliche Dolmetscherin für verschiedenste Institutionen, etwa die Caritas oder die Diakonie, tätig. Weiters übersetzt sie Schriftstücke. Im Lerncafé der Caritas gibt die Beschwerdeführerin kostenlosen Englischunterricht für Flüchtlingskinder. In der mündlichen Verhandlung hat sie mehrere Fragen auf Deutsch beantwortet. Sie möchte gerne arbeiten, sobald sie die Möglichkeit dazu hat. Sie kann sich vorstellen, als Köchin oder Optikerin beschäftigt zu sein. Sie hat Schwimmen und Radfahren gelernt und auch einen Tanzkurs besucht. Die Familie unterstützt nach Kräften die Eigenständigkeit der Beschwerdeführerin, etwa betreffend die Auflösung ihrer Verlobung. Die Beschwerdeführerin begegnet anderen Religionen respektvoll. So sind die zahlreichen österreichischen Freunde und Bekannten der Familie Christen, weswegen die Familie auch bereits eine Kirche besucht und sich an Weihnachtsvorbereitungen beteiligt hat.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich demnach um eine selbstbewusste und weltoffene junge Frau, deren persönliche Haltung über die Lebensverhältnisse und die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind, steht. Aufgewachsen in einem liberalen Umfeld ist die Beschwerdeführerin zu der Überzeugung gelangt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt gegenüberstehen und Aus- und Weiterbildung von Frauen insofern sehr wichtig sind. Die Lebensweise und Wertehaltung der Beschwerdeführerin sind als "westlich", sohin an einem auf ein selbstbestimmtes Leben ausgerichteten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert, zu bezeichnen. Die Lebensumstände der Beschwerdeführerin in Afghanistan stünden mit jenen, welche sie sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw bereits gestaltet hat, ganz offenkundig in unüberwindbarem Gegensatz. Die Beschwerdeführerin kann sich nicht vorstellen, ein Leben nach der konservativ-afghanischen Tradition zu führen.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Gründe, nach denen ein Ausschluss der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018; Auszüge)

1. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östliche Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

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(UNAMA 2.2018)

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgest

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