TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/9 L510 2202395-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2018
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Entscheidungsdatum

09.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §17 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L510 2202395-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. am XXXX, StA. Irak, vertreten durch Queer Base-Welcome and Support for LGBTIQ Refugees, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2018, XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF, §§ 57, 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG, §§ 52 Abs. 2 Z. 2 u. Abs. 9 FPG, 46 FPG, 55 Abs. 1a FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 13.10.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die bP ist ein Mann irakischer Staatsangehörigkeit mit kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und gehört der Religionsgemeinschaft der Yarsan, auch Kaka-i, an.

Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.08.2017, XXXX gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebungen gem. § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Diese Entscheidung erwuchs am 13.09.2017 in Rechtskraft.

2. Von 20.09.2017 bis 26.12.2017 hielt sich die bP in Deutschland auf. Am 27.12.2017 stellte die bP einen weiteren, den nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser Folgeantrag der bP wurde mit im Spruch bezeichneten Bescheid des BFA hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten jeweils gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der bP in den Irak gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Dagegen wurde durch die Vertretung der bP fristgerecht Beschwerde erhoben und der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der bP:

Die bP ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und gehört der Religionsgemeinschaft der Yarsan, auch Kaka-i, an.

Sie lebte überwiegend im Irak, wurde dort sozialisiert und spricht ihre Landessprache auf muttersprachlichem Niveau. Im Irak leben die Eltern, ihre Großeltern und Geschwister. Die bP ist gesund und arbeitsfähig.

1.2. Zu den Anträgen der bP auf internationalen Schutz:

Erster Antrag auf internationalen Schutz vom 13.10.2015 (Verfahren des maßgeblichen Vergleichsbescheides)

Im Zuge ihres ersten Antrages auf internationalen Schutz gab die bP befragt zu ihren Fluchtgründen bei der Erstbefragung an, dass sie Kurde sei. Im Irak würden die Kurden verfolgt, da sie eine Minderheit darstellen würden. Sie habe Angst um ihr Leben. Außerdem habe sie in ihrer Heimat keine Zukunft. Sie habe gehört, dass man in Österreich Geld bekomme, sobald man anerkannter Flüchtling sei und die weiße Karte erhalte.

Ihre Einvernahme vor dem BFA gestaltete sich im Wesentlichen folgend:

"...LA: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht?

VP Ja.

LA Wurden diese korrekt protokolliert und Ihnen rückübersetzt?

VP Es wurde nicht rückübersetzt.

LA Haben Sie irgendwelche Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie im bisherigen Verfahren noch nicht vorgelegt haben?

Anm.: Es wird ein Personalausweis im Original vorgelegt (kommt zum Akt); Weiters werden eine Übersetzung eines Drohbriefes, eine Übersetzung aus Facebook und ein Schreiben in Deutsch vorgelegt (kommen zum Akt).

LA Wann und wo wurden Sie geboren?

VP Am XXXX in XXXX.

LA Wo haben Sie im Irak gelebt?

VP In XXXX. Es ist ein Dorf.

LA Wo ist das genau?

VP 10 Kilometer von XXXX entfernt. XXXX ist XXXX entfernt.

LA Schildern Sie bitte Ihre Lebensumstände im Irak :

VP Ich habe in einem Dorf namens XXXX gelebt. Ich bin bis zur elften Klasse in die Schule gegangen. Bis 2015. Dann habe ich die Heimat in diesem Jahr verlassen. Gearbeitet habe ich nicht.

LA Welche Angehörigen haben Sie noch zu Hause?

VP Nur meine Großeltern leben im Irak.

LA Wo leben Ihre Großeltern?

VP Sie sind nach Kirkuk umgezogen, weil es in XXXX für sie gefährlich war.

LA Wovon leben Ihre Großeltern?

VP Sie sind Bauern.

LA Haben Sie derzeit Kontakt mit jemandem zu Hause im Irak?

VP Ab und zu telefoniere ich mit ihnen.

LA Wo leben Ihre Eltern?

VP In der Türkei. Auch mein Bruder und meine Schwester. Sie leben alle derzeit dort.

LA Sind Sie verheiratet?

VP Nein.

LA Haben Sie Kinder?

VP Nein.

LA Wovon haben Sie im Irak gelebt?

VP Von meinem Vater.

LA Welcher Nationalität, Bevölkerungsgruppe und Religion gehören Sie an?

VP Ich bin Iraker, Kurde, und meine Religion ist Yarsan.

LA Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe zu schildern, gebe ich an:

VP Da ich eine andere Religion habe, und wenn man eine andere Religion hat, hat man keinen Platz in einem muslimischen Land. Der Feind Nummer eins für den IS sind die Yarsanisten.

LA Schildern Sie mir eine konkret gegen Sie gerichtete Verfolgungs- oder Bedrohungssituation.

VP Es hat schon in der Schule angefangen. Ich wurde oft schikaniert. Sobald die Schüler gewusst haben, dass ich kein Moslem bin, haben sie sich entweder ferngehalten von mir, wurde von manchen gedemütigt. Und ich wurde gezwungen an Koranstunden in der Schule teilzunehmen. Außerhalb der Schule wurde ich ein paar Mal geschlagen. Am 8.11.2011, ich kann mich an dieses Datum genau erinnern. An diesem Tag wurde ich geschlagen.

LA Von wem wurden Sie geschlagen?

VP Es waren einige der religiösen Dorfbewohner. Ich habe sie sogar angezeigt. Die Polizei hat keine Maßnahmen ergriffen, weil sie selbst auch Moslems sind und die Yarsaniten herablassend ansehen. Wenn sie meinen Personalausweis anschauen, steht unter Religion Moslem. Das ist eines meiner größten Probleme, dass als Religion nicht Kakeyi eingetragen wird, obwohl ich das ein paarmal beantragt habe.

LA Wieso wissen Sie dieses Datum so genau? Ich meine den 8.11.2011.

VP Ich habe an diesem Tag meine größte Demütigung erlebt. Diesen Tag vergesse ich nie.

LA Wollen Sie noch weitere Gründe geltend machen?

VP Das waren meine persönlichen Gründe. Außerdem wurde auch ein Anschlag auf meinen Vater verübt. Sein Auto wurde in die Luft gejagt. Er wurde schwer verletzt. An seinem rechten Bein sind statt Knochen jetzt Metalle drin. Sein rechtes Bein funktioniert nicht mehr. Er kann nicht mehr gehen und auch nicht mehr arbeiten.

LA Sie haben eine Übersetzung eines Drohbriefes an die Kakeyi vorgelegt. Wer hat diese Drohung erhalten?

VP Die Kakeye haben einen Repräsentanten in Deutschland. Er hat diese Drohung erhalten. Diese Drohung wurde dann an mich durch diesen Repräsentanten weitergeleitet.

LA Wieso sind Sie nicht innerstaatlich geflüchtet?

VP Wie gesagt, ich möchte nicht mehr in einem islamischen Land leben. Ich habe sogar versucht in der Türkei zu bleiben, was auch sehr schwierig war. Ich werde nicht nur aufgrund meiner Religion verfolgt, sondern auch aufgrund meiner Nationalität. Und in manchen Gebieten und Ländern wird man sogar getötet. Auch meine Eltern und Geschwister trauen sich nicht sich zu ihrer Religion öffentlich zu bekennen. Sie warten auch auf eine Gelegenheit, die Türkei so schnell wie möglich zu verlassen.

LA Welcher Religion gehören Ihre Großeltern an?

VP Sie sind auch Kakeyi.

LA Wieso können Ihre Großeltern dann im Irak leben und Sie nicht?

VP Sie haben es auch nicht leicht. Sie sind sogar umgezogen und haben ihr Dorf verlassen. Da sie aber sehr alt sind, werden sie verschont. Aufgrund der IS-Drohungen haben sie ihr Dorf verlassen müssen.

LA Wie alt sind ihre Großeltern?

VP Meine Großmutter um die 90. Mein Großvater ist um die 96 Jahre alt.

LA Was befürchten Sie im Fall einer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat?

VP Ich fürchte um mein Leben und um meine Freiheit. Wenn ich nachts auf die Toilette gehe, muss ich auch vorsichtig sein. Ich schaue immer nach links und nach rechts, ob jemand da ist. Ab 20 Uhr war bei uns Ausgehsperre und wir mussten alle Fenster und Türen schließen.

LA Würden Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihrem Herkunftsland Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

VP Verfolgt werde ich ganz sicher. Aber offiziell vom Gericht gibt es kein Todesurteil. Die Behörden bzw. die Polizei unterstützen die Moslems. Vor einer Woche wurde dieser Drohbrief an das Stammesoberhapt der Kakeyi geschickt. Über diese Drohung wurde sogar in den Medien berichtet (Es wird ein Schreiben auf Arabisch vorgelegt, kommt zum Akt; laut Dolmetscher ein Schreiben mit allgemeinen Drohungen)

LA Wie sind Sie zu diesem Schreiben gekommen?

VP Das habe ich von einem Freund im Irak bekommen. Dieses Schreiben wurde in einer Zeitung veröffentlicht.

LA Was wollen Sie mit diesem Schreiben beweisen?

VP Ich will damit beweisen, dass nicht nur ich sondern alle Kakeyis im Irak in Gefahr sind.

LA Wo sind Sie darin erwähnt? Wo ist die persönliche Bedrohung gegen Sie ersichtlich?

VP Ich bin da persönlich nicht bedroht worden in diesem Brief. Aber ich bin ein Kakeyi. Und das ist an jene Menschen gerichtet, die sich zur Kakeyi-Religion bekennen.

LA Mit mir werden nun die Feststellungen zur Situation in meinem Herkunftsland erörtert. Möchten Sie dazu etwas angeben?

VP Nein.

LA Wollen Sie Gründe geltend machen, die gegen eine Rückkehrentscheidung sprechen?

VP Ich verstehe die Frage nicht. Können Sie sie wiederholen oder anders stellen.

LA Haben Sie besondere Gründe vorzubringen, die für eine Asylgewährung sprechen?

VP Ich glaube, diese Gründe die ich bereits genannt habe, sprechen für eine Asylgewährung. Mir wurde nicht nur die Freiheit geraubt, sondern ich musste ständig um mein Leben fürchten.

LA Haben Sie besondere Bindungen zu Österreich?

VP Ja, mit Sicherheit.

LA Inwiefern?

VP Ich habe einen großen Freundeskreis aufgebaut in Österreich. Ich gehe oft aus. Sie bringen mir außer der Sprache viel bei. Das überwältigt mich. Ich habe das noch nie erlebt, dass ich so akzeptiert werde, obwohl ich eine andere Religion habe und aus einer anderen Nation komme. Dieser Respekt, den ich hier spüre, stärkt meine Bindung zu Österreich.

LA Haben Sie hier Verwandte?

VP Ja, in Wien. Auch einen Verwandten in Graz. Er hat noch keinen Status. Außerdem gibt es in Österreich viele Kakeyi.

LA Wie sind die Personen in Wien und Graz mit ihnen verwandt?

VP Die Verwandten in Wien sind Cousins meines Vaters. Der in Graz ist der Cousin meines Vaters mütterlicherseits. Es besteht aber keine enge Beziehung.

LA Sind Sie erwerbstätig oder besuchen Sie eine Schule?

VP Ich habe es versucht, aber ich warte noch in die Schule zu gehen. Am 2.10. soll ich ein Schreiben bekommen.

LA Wie bestreiten Sie nun in Österreich Ihren Lebensunterhalt? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

VP Von der Caritas.

LA Sind Sie in anderer Form integriert, z.B. Vereinsmitgliedschaften, etc.?

VP Ich habe in Wien ehrenamtlich bei einem freien Verein gearbeitet und habe Asylwerber freiwillig unterstützt. Unser Einsatz war am Hauptbahnhof.

LA Wie gestaltet sich Ihr Tagesablauf in Österreich?

VP Ich mache Sport, gehe mit meinen Freunden aus, wenn sie Zeit haben.

LA Können Sie mir Ihren bisherigen heutigen Tagesablauf auf Deutsch schildern?

VP Ich habe meine Dusche gemacht, essen, dann ich komme mit Bus. Weil der Straßenbahn ist kaputt. Am XXXX aussteigen. Ich fahre mit Bus 30. Am XXXX und ich komme. (AW hat auf Deutsch geantwortet)

LA: Hatten Sie jemals Probleme mit der Polizei in Österreich?

VP Nein. Ich wurde nur einmal als Zeuge vernommen. Es ging um einen Streit.

LA Sind Sie einverstanden, dass erforderlichenfalls Erhebungen in Ihrem Herkunftsland getätigt werden?

VP Ja.

LA Haben Sie bereits überlegt, die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr in Anspruch zu nehmen? Es gibt dazu verschiedene Projekte und Einrichtungen die Sie diesbezüglich unterstützen könnten.

VP Niemand würde freiwillig in den Tod gehen.

LA Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?

VP Nur Fotos, die ich mithabe, als Beweismittel, dass unsere heiligen Stätten durch den IS in die Luft gejagt wurden. Dieser Junge auf dem Foto wurde auch getötet. Es war in den Medien. (AW zeigt auf ein Foto mit einem Jungen und will es vorlegen).

LA Sie legen lauter Dinge vor, die nicht Sie persönlich betreffen, sondern die die allgemeine auch uns bekannte Situation im Irak angeht. Inwiefern sind Sie davon persönlich betroffen?

VP Ich will damit nur sagen, dass meine Geschichte auch so geendet hätte, wenn ich im Irak geblieben wäre.

LA Haben Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden?

VP Ja."

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 24.08.2017, XXXX in allen Spruchpunkten ab- und die bP in den Irak ausgewiesen. Beweiswürdigend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es den bP nicht gelungen sei, eine begründete Furcht vor Verfolgung tatsächlich glaubhaft zu machen.

Dieser Bescheid erwuchs mit 13.09.2017 in Rechtskraft.

Die ergangene rechtskräftige Entscheidung wurde wie folgt begründet:

"Sie haben in dieser Hinsicht keine einzige, konkret gegen Sie gerichtete Verfolgungshandlung oder Bedrohung geschildert. Abgesehen von der Angabe, dass Sie im Jahr 2011 von einigen religiösen Dorfbewohnern einmal geschlagen worden seien, beschränkten Sie sich auf vage Angaben und Allgemeinheiten. (Vgl. " Da ich eine andere Religion habe, und wenn man eine andere Religion hat, hat man keinen Platz in einem muslimischen Land.")

Auch den von Ihnen vorgelegten Schreiben des Vereins in Deutschland "XXXX" kann in keiner Weise eine persönliche Verfolgung entnommen werden. Auch diese sind nur pauschal formuliert. Darüber hinaus haben Sie selbst in der Einvernahme angegeben, dass Sie in diesen Schreiben nicht persönlich bedroht worden sind.

Angeführt muss in diesem Zusammenhang werden, dass Sie Ihre Gründe in diesem Punkt zwischen Erstbefragung und Einvernahme grundsätzlich geändert haben. So haben Sie in der Erstbefragung angegeben, aufgrund Ihrer kurdischen Abstammung verfolgt worden zu sein. Mit keinem Wort jedoch erwähnten Sie in der Erstbefragung die angeblichen Probleme aufgrund Ihrer Religion. In der Einvernahme verhielt es sich genau umgekehrt. Dieses Mal gaben Sie eben an, aus religiösen Gründen bedroht worden zu sein und der Umstand, dass sie Kurde sind und die damit zusammenhängende angebliche Verfolgung blieb vollkommen unerwähnt.

Auch aus diesem Grund, da Sie Ihre Gründe für das Verlassen Ihres Herkunftslandes grundlegend geändert haben, geht die Behörde davon aus, dass Sie niemals einer persönlichen Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt gewesen sind. Weder als Kurde noch als Angehöriger des Religionsgemeinschaft der Yarsani bzw. Kakeyi.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Gründe einer angeblichen Verfolgung mangels asylrelevanter Gründe zwischen Erstbefragung und Einvernahme von Volksgruppen- auf Religionszugehörigkeit "geändert" wurden, um somit Vorteile im Asylverfahren zu erlangen. Durch die vorgelegten Schreiben des Vereins in Deutschland "XXXX versuchten Sie die dafür notwendige Glaubwürdigkeit zu erlangen. Anzumerken ist, dass nicht an der Existenz dieses Vereins gezweifelt wird. An der Echtheit dieser Schreiben allerdings schon. Doch auch wenn die Schreiben, insbesondere deren drohender Inhalt der Realität entsprechen sollten, sind Sie darin nicht persönlich genannt oder bedroht worden, wie Sie selbst zugegeben haben.

Zum angeblichen Anschlag auf Ihren Vater muss angeführt werden, dass es durchaus glaubhaft erscheint, dass er durch einen kriegsbedingten Vorfall verletzt worden ist. Ihr von Ihnen diesbezüglich vorgelegtes Foto beweist in dieser Hinsicht jedoch nichts. Weder dass es sich bei dem Mann auf dem Foto um Ihren Vater handelt, noch um welche Art der Verletzung es sich handelt und wodurch eine solche erlitten wurde. Wie dem auch sei, selbst wenn Ihre diesbezüglichen Angaben der Wahrheit entsprechen sollten - was wie bereits erwähnt, durchaus im Bereich des Möglichen liegt - kann dazu kein Zusammenhang zu Ihren Vorbringen bzw. zu Ihnen hergestellt werden.

Die Feststellung, dass Sie Ihren Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen und finanziellen Gründen verlassen haben, um in Österreich bessere Zukunftsperspektiven vorzufinden, stützt sich auf die eindeutige und unmissverständliche Angabe in der Erstbefragung. (Vgl.: Außerdem in meiner Heimat habe ich keine Zukunft, und ich hörte, dass man in Österreich Geld bekommt, sobald man anerkannter Flüchtling ist und die weiße Karte erhält.")

Dieses Bestreben ist in gewisser Weise auch verständlich und nachvollziehbar. Allerdings kann dazu kein asylrechtlicher Zusammenhang hergestellt werden.

Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:

Wie bereits im vorigen Abschnitt ausgeführt wurde, konnte keine persönliche Verfolgung aufgrund Ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit festgestellt werden. Schon aus den obigen Ausführungen ergibt sich daher, dass Sie im Falle einer Rückkehr keiner derartigen Bedrohungssituation ausgesetzt sind.

Wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, ist die Sicherheitslage im kurdischen Autonomiegebiet verglichen mit dem übrigen Irak gut und auch vergleichsweise deutlich weniger von der im übrigen Irak herrschenden Gewalt betroffen. Auch aus diesem Grund ist Ihnen daher eine Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat zumutbar. Auch wenn Sie ursprünglich nicht direkt aus dem kurdischen Autonomiegebiet stammen, so ist das Gouvernement Kirkuk doch teilweise unter Kontrolle der autonomen Region Kurdistan und überwiegend unter kurdischer Kontrolle.

Ihre Großeltern befinden sich noch in Ihrem Herkunftsland und sind landwirtschaftlich tätig. Zusätzlich stehen Sie ab und zu mit ihnen in Kontakt. Sie sind somit nach Ihrer Rückkehr nicht auf sich alleine gestellt, sondern können auf die Unterstützungsleistungen Ihrer Angehörigen - in der zu Beginn möglicherweise mit Schwierigkeiten verbundenen Zeit zurückgreifen - und verfügen somit auf ein Ihnen vertrautes Umfeld. Ihren Angaben, wonach Ihre Großeltern bereits 90 und 96 Jahre alt seien, wird in dieser Hinsicht keinerlei Glauben geschenkt, sondern werden diese als reine Schutzbehauptung erachtet, um somit durch diese hohe Altersangaben den Eindruck zu erwecken, dass Sie auf keine dementsprechende Unterstützung mehr zurückgreifen können. Umso mehr, als Sie angegeben haben, dass Ihre Großeltern noch als Bauern tätig sind.

Es ist für die Behörde deshalb nicht ersichtlich, weswegen Ihre Großeltern im Irak leben können und Ihnen diese Möglichkeit nicht gegeben sein sollte, da Ihren Angaben zufolge alle Angehörigen Ihres Glaubens im Irak in Gefahr sein sollen. (Vgl.:"...dass nicht nur ich, sondern alle Kakeyis im Irak in Gefahr sind."). Ihre Großeltern gehören jedoch derselben Glaubensrichtung wie Sie an.

Darüber hinaus sind Sie arbeitsfähig und können sich auf dem vorhandenen Arbeitsmarkt umsehen. Wenn auch vorerst möglicherweise nur in Form von Hilfs- oder Gelegenheitsarbeiten. Ihre langjährige Schulausbildung (elf bis zwölf Jahre) wird in dieser Hinsicht ein Vorteil für Sie sein.

Zusammenfassend ist für die Behörde daher kein Grund ersichtlich, warum Sie nach Ihrer Rückkehr mit unüberwindbaren Hindernissen bzw. lebens- oder existenzbedrohenden Situationen konfrontiert sein sollten."

Zweiter Antrag der bP auf internationalen Schutz vom 27.12.2017

Am 27.12.2017 stellte die bP den zweiten und gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung am 27.12.207 gab sie zu ihrem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass sie die gleichen Gründe habe, wie beim letzten Asylantrag in Österreich. Sie habe keine anderen Gründe.

Am 29.01.2018 wurde die bP beim BFA niederschriftlich einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalteten sich dabei wie folgt:

"...LA: Haben Sie bis jetzt im Verfahren zur Ihrer Person und den Fluchtgründen die Wahrheit gesagt?

VP: Ja.

LA: Haben Sie einen Vertreter beziehungsweise einen Zustellbevollmächtigten in Ihrem Asylverfahren?

VP: Verein Queer Base, Vollmacht heute abgegeben.

LA: Sind Sie derzeit in ärztlicher Betreuung und/ oder Behandlung bzw. Therapie?

VP: Nein.

LA: Nehmen Sie zurzeit Medikamente? Wenn ja welche?

VP: Nein.

LA: Haben Sie Österreich seit der rechtskräftigen Entscheidung verlassen?

VP: Ja.

LA: Wo haben Sie sich seit der rechtskräftigen Entscheidung aufgehalten?

VP: Ich war in Deutschland. Seit September 2017, am 26.12.2017 kam ich zurück. Nachgefragt wohne ich in XXXX XXXX.

LA: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt? Werden Sie vom Staat oder irgendjemand anderem unterstützt oder erhalten Sie sich selbst?

VP: Durch die Caritas bekomme ich 80 Euro pro Monat. Es ist eine Caritas Unterkunft mit Essen und Verpflegung.

LA: Sprechen Sie deutsch, wie gut sind Ihre Kenntnisse?

VP: Ja, ein bisschen. Deutschkurs mache ich noch nicht, ich habe noch keinen Platz bekommen. Ich möchte über Queer Base einen Kurs machen.

LA: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen, CH, Lichtenstein oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?

VP: Eine Tante in Deutschland und eine Cousine mit Familie in Frankreich.

LA: Haben Sie in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder (Blutverwandtschaft oder durch Adoption begründet).

VP: Nein, aber einen Cousin. Er heißt XXXX, lebt in Wien in der XXXX. Er ist Asylwerber. Nachgefragt unterstützt er mich mit ca. 10-50 Euro gelegentlich.

LA: Leben Sie mit einer sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Falls dies der Fall ist, beschreiben Sie diese Gemeinschaft.

VP: Wir sind fünf Personen in einem Zimmer. Ich habe mehrere Freunde.

LA: Wovon wollen Sie leben, wenn Sie in Österreich weiter bleiben wollen?

VP: Ich kann alles machen. Beruf habe ich keinen gelernt. Ich möchte auch in Österreich studieren. Ich wollte im Irak studieren, ich habe Maturaabschluss.

LA: Welche Integrationsschritte haben Sie bis jetzt getätigt?

VP: Ich habe selbst ein bisschen deutsch gelernt, ich versuche Kontakt zu Einheimischen zu haben. Ich habe auch freiwillig gearbeitet in der Flüchtlingshilfe.

LA: Sind Sie in irgendwelchen Vereinen, kirchl. Organisationen, Hilfsorganisationen tätig?

VP: Ich spiele Basketball bei Queer Base, Verein habe ich nicht.

LA: Haben Sie Kontakt zur Familie im Heimatland?

VP: Momentan nicht. Im Irak leben meine Eltern und Geschwister. Nachgefragt habe ich keinen Kontakt, weil ich Probleme mit meinem Vater habe, seit ca. einer Woche. Mein Vater hat mich bedroht. Vorher hatte ich telefonischen Kontakt, fast täglich.

LA: Aus welchem Grund werden Sie von Ihrem Vater bedroht?

VP: Ich bin homosexuell, mein Vater wusste das nicht. Er weiß es seit einer Woche. Ich glaube meine Verwandten aus Deutschland haben es ihm gesagt. Ein Araber war im Camp bei mir und hat das meinen Verwandten erzählt und diese es meinen Eltern. Ich kannte diesen Araber schon vom Irak, ich habe in zufällig dort getroffen.

LA: Warum sollte er das weitererzählen?

VP: Er sagte, dass das unsrer Religion nicht erlaubt. Genau weiß ich es aber nicht. ER wollte mich auch schlagen, aber ich bin weggegangen.

LA: Wann war das letzte Gespräch mit Ihrem Vater?

VP: CA. vor einer Woche.

LA: Wie spielte sich das Gespräch ab?

VP: Er sagte, wenn ich dich wiedersehe, werde ich dich umbringen.

LA: Seit wann sind Sie homosexuell?

VP: Seit ca. sechs Jahren. Nachgefragt merkte das niemand. Sie haben es nicht erfahren.

LA: Sie möchten Ihre Homosexualität als Fluchtgrund darbringen, warum erwähnten Sie das nicht beim ersten Asylantrag im November 2015?

VP: Weil Freunde mir sagten, dass das auf meinem Ausweis eingetragen wird. Das erfährt dann jeder und meine Eltern auch. LA: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals in Haft oder wurden Sie strafrechtlich verurteilt?

VP: Nein.

LA: Hatten Sie in Ihrer Heimat jemals Probleme mit den Behörden?

VP. Nein.

LA: Waren Sie im Irak jemals politisch oder religiös aktiv?

VP: Nein.

LA: Sie haben bereits am 09.11.2015 einen Asylantrag gestellt, der am 13.09.2017 rechtskräftig in 1.Instanz abgewiesen wurde. Haben Sie damals betreffend den Fluchtgründen (Ich bin Kurde, im Irak werden die Kurden verfolgt, da wir eine Minderheit darstellen. Ich habe Angst um mein Leben. Außerdem in meiner Heimat habe ich keine Zukunft, und ich habe gehört, dass man in Österreich Geld bekommt, sobald man anerkannter Flüchtling ist)die Wahrheit gesagt?

VP: Ja, das habe ich gesagt, aber wegen des Geldes das habe ich nicht gesagt.

LA: Ihre alten Gründe sind also noch aufrecht. Ist das korrekt?

VP: Ich meinte die Religion, aber nicht die Kurden.

LA: Hat sich seit der rechtskräftigen Entscheidung von Ihrem Vorverfahren irgendetwas Wesentliches in Ihrem Leben geändert?

VP: Nein, ich bin nach Deutschland gegangen, ich wollte dort ein neues Leben beginnen. Weil der Araber erfuhr, dass ich homosexuell bin, und ich keine Probleme wollte, bin ich nach Österreich zurück.

LA: Aus welchem Grund glauben Sie in Ihrer Heimat verfolgt zu werden?

VP: Bedrohung durch die Eltern.

LA: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?

VP: Sie werden mich töten.

LA: Wieso erwähnten Sie dieses Problem bei Ihrer Erstbefragung am 27.12.2017 nicht?

VP: Weil Freunde mir sagten, dass das wird im Ausweís eingetragen wird. Aber weil meine Eltern es jetzt wissen, deswegen sage ich es.

LA: Wie standen Sie im Kontakt mit Ihrem arabischen Freund?

VP: Am 23.12. 2017 telefonierte ich mit einem Freund, und er hat das mitbekommen. Ich habe keinen Kontakt mehr mit ihm. Ich habe ein neues Telefon und daher keinen Kontakt.

LA: Eine Bedrohung durch Privatpersonen stellt keinen Asylgrund nach der Genfer Konvention dar, möchten Sie dazu etwas sagen?

VP: Ich werde von meinem Vater wegen der Homosexualität bedroht. Homosexualität ist nicht nur im Irak sondern in allen moslemischen Ländern verboten, im Irak bis 15 Jahre Gefängnis.

LA: Sie haben eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes gem. §29/3/4 und 6 AsylG 2005 übernommen, in welcher Ihnen mitgeteilt wurde, dass, seitens des Bundesamtes die Absicht besteht, Ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Es ist die Absicht der Behörde Sie von Österreich in den Irak auszuweisen.

Möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

VP: Wenn ich in den Irak gehe werden mich meine Eltern umbringen. Ich möchte nicht zurück. Ich bin kein Moslem, sondern Yasani.

LA: Möchte Sie die aktuellen Länderfeststellunggen zum Irak ausgefolgt bekommen und dazu innerhalb von zwei Wochen eine Stellungnahme abgeben?

VP: Ja, bitte.

LA: Der RB wird die Möglichkeit gegeben, Fragen und/ oder Anträge zu stellen.

RB: Keine Fragen.

Herr XXXX fragt AW: In welche Lokale gehst du, hast du schwule Freunde und wo triffst du sie?

VP: XXXX und über Internet XXXX.

Bis jetzt habe ich nur normale Freunde. ( AW zeigt Foto mit XXXX, er ist Verwandter und Freund). Ich kann hier offen schwul leben. Meinen Arzt, Dr. XXXX kenne ich seit ca. 1,5 Jahren, ich habe ihn in einer Schwulenbar kennengelernt.

LA: Haben Sie im Moment einen Partner?

VP: Ja, aber kein Liebesverhältnis.

LA: Wann hatten Sie zuvor eine Liebesbeziehung?

VP: Vor ca. 1 Jahr und vier Monaten. Er heißt XXXX und kommt aus Graz. Wir waren 2 Monate zusammen. Dann hatte ich keinen Kontakt mehr. Seither hatte ich keinen Freund mehr.

LA: Wollen Sie noch etwas angeben was Ihnen wichtig erscheint? Wollen Sie noch etwas vorbringen oder ergänzen?

VP: Nein..."

Dieser Antrag wurde mit im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt II.) Gem. § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der bP in den Irak gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt I.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid wurde durch die Vertretung der bP innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Es wurde dargelegt, dass die bP aus Scham und Angst erneut die religiöse Verfolgung vorgebracht habe. Erst nach dem Bekanntwerden der Homosexualität bei ihrer Familie und erfolgten Drohungen durch den Vater habe sich die bP gezwungen gesehen, in der Einvernahme vor dem Bundesamt diese neu hervorgekommene Tatsache vorzubringen. Dem geänderten Sachverhalt müsse nach der ständigen Judikatur des VwGH Entscheidungsrelevanz zu kommen {vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; VwGH 23.11,1993, 91/04/0205; VwGH 26.04.1994, 93/08/0212; VwGH 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung werde nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulasse, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet hätten, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten könne (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; VwGH 21.02.1991, 90/09/0162; VwGH 10.06.1991, 89/10/0078; VwGH 04.08.1992, 88/12/0169; VwGH 18,03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; VwGH 03.12.1990, 90/19/0072}. Dabei müsse die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit bestehe - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung müsse zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukomme und an die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen könne (VwGH 24.02.2000, 99/20/0173-6). Nach der Judikatur des VfGH sei bei der Prüfung der Frage, ob entschiedene Sache vorliege, nicht nur auf das Asylvorbringen einzugehen, sondern auch zu prüfen, ob nicht Umstände vorlägen, die es erforderlich machten, den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren. Wie bereits dargestellt und von der bP in der Einvernahme vor dem Bundesamt vorgebracht, sei während des Aufenthalts in einem Flüchtlingslager in Deutschland die Homosexualität bekannt geworden und sie in der Folge von ihrem Vater bedroht worden. Dieser Sachverhalt sei zum Zeitpunkt des 1. Asylverfahrens noch nicht bekannt gewesen und habe deshalb nicht vorgebracht werden können. Da im Falle der bP die Verfolgungsgefahr sowohl von der Familie, als auch anderen Privatpersonen bis hin zu staatlichen Akteuren und Milizen ausgehe, komme dem Fluchtvorbringen eindeutig Asylrelevanz zu. Auch wenn die bP bereits seit sechs Jahren - und somit auch bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens - homosexuell gewesen sei und dies bereits im Geheimen im Irak ausgelebt habe, so würden nicht die Homosexualität, sondern das Bekanntwerden und die Drohungen durch die Familie den neuen Sachverhalt in gegenständlichem Verfahren darstellen. Es wurden drei Schreiben eingebracht, die die Homosexualität der bP und deren Verwurzelung in die Wiener Homosexuellenszene eindeutig belegen würden.

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Schreiben Herr XXXX vom 08.07.2018

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Schreiben Herr XXXX vom 16.07.2018

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Schreiben Herr XXXX vom 06.07.2018

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in welchen jeweils dargelegt wird, dass diese Personen sexuellen Kontakt zur bP pflegten.

Es wurden zudem folgende Beweisanträge gestellt:

Zum Beweis der Tatsache, dass die bP homosexuell sei, die zeugenschaftliche

a. Einvernahme von Herrn XXXX, geboren am XXXX, wohnhaft an der Adresse XXXX. Der Zeugenbeweis sei geeignet, über den Gegenstand der Beweisaufnahme (die sexuelle Orientierung und Lebensweise des BF) einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, weil der beantragte Zeuge die bP seit Jänner 2018 kenne und mehrmals sexuelle Kontakte mit dieser gehabt habe. Zudem könne er aus eigenen Wahrnehmungen die freiwillige Mitarbeit der bP im XXXX bestätigen.

b. die zeugenschaftliche Einvernahme von Herrn XXXX. Der Zeugenbeweis sei geeignet, über den Gegenstand der Beweisaufnahme (die sexuelle Orientierung und Lebensweise der bP) einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, weil der beantragte Zeuge sexuelle Kontakte mit der bP hätte und aus eigenen Wahrnehmungen von Besuchen diverser Schwulen-Lokale der bP berichten könne und somit die sexuelle Orientierung der bP eindeutig bestätigen könne.

c. die zeugenschaftliche Einvernahme von Herrn XXXX. Der Zeugenbeweis sei geeignet, über den Gegenstand der Beweisaufnahme (die sexuelle Orientierung und Lebensweise der b) einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen, weil der beantragte Zeuge die bP in der Bar"XXXX" kennengelernt habe und seitdem mehrere sexuelle Kontakte mit der bP gehabt habe und so die sexuelle Orientierung der bP eindeutig bestätigen könne.

Die bP habe bereits im Verfahren ein Bestätigungsschreiben vom Allgemeinmediziner Dr. XXXX vorgelegt, der auch aus eigenen Wahrnehmungen die Homosexualität der bP eindeutig bestätigen könne. Ohne sich weitergehend mit dem Schreiben zu befassen oder den unterzeichnenden Arzt als Zeugen zu befragen, werde es aufgrund eines offensichtlichen Schreibfehlers als "vorgefasstes Schreiben" gewertet. Anhand der mit der Beschwerde zusätzlich in das Verfahren eingebrachten Stellungnahmen und Zeugen, stehe die sexuelle Orientierung eindeutig fest und könne dieses nicht als ein beliebiges Wechseln des Fluchtgrundes gewertet werden.

Aus Scham und Angst eines Bekanntwerdens ihrer Homosexualität sah die bP im ersten Verfahren keine Möglichkeit und Notwendigkeit ihre zu dem Zeitpunkt bereits bestehende Homosexualität vorzubringen. Erst nach dem Bekanntwerden der Homosexualität bei ihren Verwandten und den Drohungen durch den Vater habe sich die bP schlussendlich gezwungen gesehen, den für sie wesentlichen neuen Sachverhalt in der Einvernahme vor dem Bundesamt darzulegen. Die Drohungen und das Bekanntwerden bei der Familie würden einen neuen Sachverhalt darstellen, welcher zum Zeitpunkt des Erstverfahrens nicht bestanden habe, so dass im vorliegenden Fall keine entschiedene Sache vorliege.

Zudem halte auch der EuGH in Bezug auf ein spätes Vorbringen der sexuellen Orientierung fest, dass - aufgrund der besonderen Intimität - das Erfordernis, dass Antragsteller "so schnell wie möglich" alle Anhaltspunkte darzulegen haben, einschränkend auszulegen ist und ein späteres Vorbringen zur sexuellen Orientierung deshalb nicht ohne Weiteres als Argument gegen die Glaubwürdigkeit eines Antragstellers heranzuziehen ist (vgl. EuGH vom 2.12.2014, C-148/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande, Rn. 69 bis 71).

Es wurde das Verfahren des BFA moniert. Es sei XXXX nicht als Zeuge einvernommen worden, welcher die sexuelle Orientierung der bP hätte bestätigen können.

Folgende Berichte wurden dargelegt:

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Menschenrechtsbericht vom April 2018 (Berichtszeitraum: 2017), dass es der Regierung trotz wiederholter Drohungen und Gewalt gegen LGBTI-Personen nicht gelungen sei, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen, zu verfolgen oder die Opfer der Angriffe zu schützen. Laut dem Bericht würden die Behörden auf Vorwürfe wegen öffentlicher Indiskretion oder Prostitution zurückgreifen, um gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten rechtlich zu verfolgen. Die Behörden würden dieselben Vorwürfe benutzen, um heterosexuelle Personen, die sexuelle Beziehungen mit anderen Personen als ihrem Ehepartner eingingen, zu verhaften:

"Despite repeated threats and violence targeting LGBTI individuals, the government failed to identify, arrest, or prosecute attackers or to protect targeted individuals. Authorities relied on public 'indecency or prostitution charges to prosecute same- sex sexual activity. Authorities used the same charges to arrest heterosexual persons involved in sexual relations with anyone other than their spouse." (USDOS, 20. April 2018, Section 6)

Laut Amir Ashour, Gründer der Organisation IraQueer, seien LGBT-Personen seit dem Jahr 2006 von einer organisierten Mordkampagne betroffen, die mit der Eliminierung des Islamischer Staat (IS) keineswegs beendet sein werde. Der Hauptfeind der LGBT-Personen im Irak sei die Regierung selbst. Diese würde den Betroffenen nicht nur keinen Schutz bieten, sondern sei direkt an den Verletzungen ihrer Rechte beteiligt. Derzeit würden irakische LGBT-Personen von allen Seiten bedroht, vom IS, von Milizen, sowie von der Regierung und deren Sicherheitskräften. Daneben könne für LGBT-Personen auch die Familie, insbesondere die Großfamilie, eine Gefahr darstellen.

"But in reality we've been facing an organized killing campaign since 2006, and that's not going to stop with the elimination of ISIS. The first enemy of LGBT people in Iraq is the government itself Not only are they not providing protection for us, but they are directly involved in violating our rights. [...]

For now, the threats to LGBT+ Iraqis remain on all sides: from ISIS, militias, and the government and its-own forces. On top of that, also families are a source of threat, especially the extended family. Mainly LGBTQ+ people just think of surviving,'' (Daily Beast 7. Juni 2017)

ILGA weist im Bericht vom Mai 2017 darauf hin, dass es bekannt sei, dass im Irak nichtstaatliche Akteure (einschließlich Scharia-Richter) Exekutionen von Männern und Frauen aufgrund gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen angeordnet hatten. Wie von der NGO OutRight seit 2014 dokumentiert, sei auch bekannt, dass Polizei und Milizen häufig LGBT-Personen entführt, bedroht und getötet hätten:

"Non-State actors in Iraq including Sharia judges, are known to order executions of men and women for same-sex sexual behaviour, despite the fact that Iraq's civil code is silent on same-sex sexual behaviour, and the country's legal system does not defer to the Sharia court. It is also known that both police and militias have frequently kidnapped, threatened and killed LGBT people, as documented by OutRight since 2014, and charted on their Timeline."

(ILGA, Mai 2017, S. 128)

Laut USDOS sei im Berichtszeitraum 2017 die gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität und unkonventionellem Auftreten in den Bereichen Arbeit und Wohnen weit verbreitet gewesen. LGBTI-Personen seien von Seiten ihrer Familien oder von Seiten nichtstaatlicher Akteure häufig von Missbrauch oder Gewalt betroffen gewesen. Lokale Informanten hätten berichtet, dass Milizen LGBTI - Tötungslisten erstellt und Männer hingerichtet hätten, die als schwul, bisexuell oder transgender angesehen worden seien. Am 4. Juli 2017 sei Medienberichten zufolge Karar Nushi (Schauspieler, Model und Student) in Bagdad auf Grund seiner vermuteten Zugehörigkeit zu einer sexuellen Minderheit erstochen worden. Der IS habe im Berichtsjahr weiterhin Videos veröffentlicht, in denen Hinrichtungen von Personen zu sehen gewesen seien, die der Homosexualität bezichtigt worden seien, in Bagdad hätten einige bewaffnete Gruppen eine Hetzkampagne gegen Homosexuelle gestartet:

"Societal discrimination in employment, occupation, and housing based on sexual orientation, gender identity, and unconventional appearance was common. LGBTI persons often faced abuse and violence from family and nongovernmental actors. {...]

Local contacts reported that militia groups drafted LGBTI 'kill lists' and executed men perceived as gay, bisexual, or transgender. On July 4, media reported that Karar Nushi, an actor, model, and Student, was stabbed to death in Baghdad because of his perceived sexuality. ISIS continued to publish videos depicting executions of persons accused of homosexual activity that induded stoning and being thrown from buildings. Some armed groups also started a campaign against homosexual persons in Baghdad." (USDOS, 20, April 2018, Section 6)

Weiters berichtet das USDOS, dass LGBTI-Personen abgesehen von der gezielten Gewalt ihnen gegenüber im Berichtsjahr 2017 auch weiterhin der Gefahr ausgesetzt gewesen seien, Opfer von Ehrenverbrechen zu werden. So hätte beispielsweise am 1. März 2017 ein nahes Familienmitglied einen Mann getötet, von dem angenommen worden sei, dass er einer von zwei Männern sei, die in einem im Internet kursierenden Schwulen-Sex-Video zu sehen waren.

"In addition to targeted violence, LGBTI persons remained at risk for honor crimes. For example, on March 1, a close family member killed a man purported to be one of two man shown in a gay-sex video circulated online." (USDOS, 20. April 2018, Section 6)

Ältere Informationen zur Lage von LGBT-Personen im Irak finden sich in der ACCORD Anfragebeantwortung a-10035 vom 9. Februar 2017.

Wegen der Aktualität und der Relevanz im Verfahren des BF darf des Weiteren auf das Erkenntnis des VfGH vom 21.06.2017, zur Zahl E3074/2016, verwiesen werden. Darin hebt der VfGH ein Erkenntnis des BVwG auf, in dem einem homosexuellen Iraker kein Asyl zuerkannt worden war, obwohl die Homosexualität für das BVwG außer Zweifel stand. Der VfGH setzt sich in seinem Erkenntnis ausführlich mit der Situation von Homosexuellen im Irak auseinander und berücksichtigt äußerst aktuelle Berichteund Entwicklungen. Der VfGH führt dazu aus:

"5.4.1. Die Einschätzung, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Irak - bei gewöhnlichem Leben seiner homosexuellen Orientierung - keiner Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sei und dieser (wie auch vor seiner Ausreise) keinen maßgeblichen Einschränkungen in seinem Beziehungs- und Sexualleben unterliegen würde, widerspricht sowohl den Feststellungen der Länderberichte als auch den eindeutigen Ausführungen des Beschwerdeführers in den mündlichen Verhandlungen, in denen er u.a. wiederholt angab, dass homosexuelle Personen im Irak, wie auch er selbst, ihre Beziehungen aus Angst immer im Geheimen leben würden. Diese Beurteilung ist mit den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht vereinbar und würde im Ergebnis dazu führen, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen - unter ständiger Angst entdeckt zu werden - zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Diese implizite Konsequenz aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, seine sexuelle Orientierung nicht oder nur im Geheimen zu leben, ist mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 7. November 2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua., nicht vereinbar. Nach Ansicht des Gerichtshofes der Europäischen Union dürfe von Personen mit homosexueller Orientierung nicht erwartet werden, dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Leben ihrer sexuellen Ausrichtung ("l'expression de son Orientation sexuelle") üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (vgl. dazu auch VfGH 18.9.2014, E910/2014). [... ]

Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht in nicht nachvollziehbarer Weise davon aus, dass sich die Situation Homosexueller im Irak alleine auf Grund des Bestehens einer "Fatwa" derart verbessern werde, dass im Fall der Rückkehr keine (systematische) Gefahr der Verfolgung homosexueller Personen bestehe - ohne entsprechende Ermittlungen zur Untermauerung dieser Annahme durchgeführt zu haben."

ACCORD Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von LGBT Menschen, speziell in Bagdad und Erbil, Verfolgung durch Milizen zw. Behandlung durch den Staat [a-10587]

Das vorliegende Dokument beruht auf einer zeitlich begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Dokumenten, die ACCORD derzeit zur Verfügung stehen sowie gegebenenfalls auf Expertenauskünften, und wurde in Übereinstimmung mit den Standards von ACCORD und den Common EU Guidelines for processing Country of Origin Information (COI) erstellt.

Diese Antwort stellt keine Meinung zum Inhalt eines Ansuchens um Asyl oder anderen internationalen Schutz dar. Alle Übersetzungen stellen Arbeitsübersetzungen dar, für die keine Gewähr übernommen werden kann.

Wir empfehlen, die verwendeten Materialien im Original durchzusehen. Originaldokumente, die nicht kos

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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