Entscheidungsdatum
13.08.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W196 2139479-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Somalia, vertreten durch RA E.W.Daigneault, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2016, Zl. 1081557203-151034046, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.06.2018 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG
2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Somalia, reiste 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu dem sie am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.
Im Zuge der Erstbefragung gab die Beschwerdeführerin an, sie sei von ihren Eltern gegen Geld einem alten Mann zur Ehefrau versprochen worden. Sie wolle aber die Schule besuchen und ihre Tante aus Norwegen habe alles bezahlt. Sie fürchte sich vor ihren Eltern.
Bei der Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab sie an das sie am 01.01.1997 in Somalia geboren wurde und somalische Staatsbürgerin sei. Sie habe keine normale Schule, sondern acht Jahre lang die Koranschule besucht. Dort habe sie Arabisch und den Koran gelernt. Sie könne Lesen und Schreiben. Sie gehöre der Volksgruppe Sheikhal an. Sie sei verheiratet und habe keine Kinder. In Somalia habe sie mit den Eltern und acht Geschwistern zusammengelebt. Ihr Ehemann sei jetzt in Äthiopien. Das Heimatland habe sie verlassen, da sie von der eigenen Familie geschlagen und unterdrückt worden sei. Die Familie hatte herausgefunden, dass sie heimlich einen Freund habe von dem sie auch ein Kind erwarte. Sie habe Probleme mit den Eltern bekommen, da der Vater Geld von einem anderen Mann bekommen habe, um die Beschwerdeführerin mit diesem Mann Zwangs zu verheiraten. Er habe nicht akzeptieren wollen, dass sie bereits einen Freund habe und diesen liebe. Ihren Freund habe sie heimlich in Kismayo geheiratet. In Mogadischu habe sie nicht bleiben können, da sie befürchte, dass sie dort gefunden werden könne. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland fürchte sie die Eltern.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen, der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG i.V.m. § 9 bfa Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung erlassen, sowie festgestellt dass die Abschiebung gemäß 46 FPG nach Somalia zulässig sei. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates wurde angeführt, dass ihr die Glaubwürdigkeit zu ihren Fluchtgründen zur Gänze versagt werde. Es liege im Fall der Beschwerdeführerin keine Gefährdungslage im Fall einer Rückkehr nach Somalia vor. Es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Das Bundesamt gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin ihr Heimatland aus wirtschaftlichen oder sonstigen Überlegungen verlassen habe.
Am 31.10.2016 brachte die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsanwalt Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2016 ein. Im Gegensatz zur Beurteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sei die Beschwerdeführerin mit ihren Aussagen durchaus glaubhaft gewesen und sei der somalische Staat nicht in der Lage sie gegen eine Zwangsheiraten zu schützen.
Zu bedenken sei auch, dass die Beschwerdeführerin anlässlich der Erstbefragung durch einen Mann einvernommen worden wäre und auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt sei ein männlicher Dolmetscher zugegen gewesen. Sie habe sich während der gesamten Vernehmung geschämt und unwohl gefühlt.
Es werde beantragt das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen.
Am 28.06.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache, der Beschwerdeführerin sowie deren Rechtsvertreter statt, um sich ein Bild von der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin machen zu können.
Dabei, gab die Beschwerdeführerin folgendes an:
RI: R: Sie sind am 1.1.1997 in Jilib geboren?
BF: Ja.
R: Ihre Eltern sind XXXX und XXXX ?
BF: Als ich das Land verlassen habe, waren sie noch in Jilib.
R: Sie waren überhaupt nicht in der Schule?
BF: Ich war in der Koranschule.
R: Haben Sie lesen und schreiben gelernt?
BF: Ja.
R: Wissen Sie, was mit Ihren Brüder und Schwestern ist?
BF: Ich habe fünf Brüder (zwei sind älter als ich, die anderen sind jünger) und drei Schwestern.
R: Sie sind vom Clan Sheikhal?
BF: Ja.
R: Was bedeutet das für Sie?
BF: Die haben mit der Religion zu tun. Soweit ich weiß, sind sie meistens Koranlehrer und arbeiten in der Landwirtschaft. Auch mein Vater war Koranlehrer.
R: Das unterscheidet sie von anderen Clans?
BF: Ja.
R: Ist ein Leben im Sheikhal-Clan anders als bei Hawiye?
BF: Nein es unterscheidet sich nicht.
R: Sie haben eine Tante in Norwegen, die die Flucht bezahlt hat?
BF: Zuletzt war sie in Norwegen, jetzt ist sie umgezogen in ein arabisches Land.
R: Was haben Sie in Deutschland gemacht?
BF: Ich habe viel Stress gehabt. Mein Mann ist verstorben. Ich habe keinen Bescheid bekommen und bin einfach nach Deutschland weitergezogen. Eines Tages bin ich nach Vorarlberg gefahren und habe Freunde besucht. Dann haben wir gestritten, ich war wütend und bin nach Deutschland gefahren. Ich war verwirrt. Die Freundin hat laut geschrien, ich war vorher schon nervös. Die Freundin hat ihr Handy verloren und hat immer laut geschrien, das habe ich nicht ausgehalten. Dann bin ich nach Deutschland.
RV: Haben Sie Freunde in Deutschland?
BF: Ja.
R: Wo?
BF: In München.
RV: Wer sind diese Freunde?
BF: Ein Cousin von meinem verstorbenen Mann und eine Freundin, die ich 2015 kennengelernt habe.
RV: Sind Sie mit diesen Freunden viel in Kontakt?
BF: Ja, wir haben regelmäßigen Kontakt.
R: Haben die schon Asyl dort?
BF: Sie sind Somalier. Asylberechtigte.
R: Wann ist Ihr Mann XXXX gestorben?
BF: 2016. Er war in Äthiopien. Er ist geflüchtet und ist im Meer ertrunken.
R: Wieso wissen Sie das?
BF: Sein Cousin hat mir das gesagt. Er lebt in Deutschland.
R: Bitte erzählen Sie mir ganz genau, warum Sie sich entschlossen haben, das Land zu verlassen.
BF: Normalerweise habe ich die Koranschule jeden Tag besucht. Eines Tages, als ich auf dem Weg war, habe ich Shamake kennengelernt. Wir haben eine Beziehung seit langem. Ich habe später erfahren, dass er Madiban-Angehöriger ist. Er hat gesagt, er will mich heiraten. Ich habe oft mitbekommen, dass mein Vater über Madiban-Angehörige geschimpft hat. Ich habe zu XXXX gesagt, dass mein Vater das nicht erlauben wird. XXXX hat gesagt, wir können heimlich heiraten. Ich war damit einverstanden. Wir sind nach Kismaayo gegangen und haben dort geheiratet. In Jilib war es unmöglich, dass wir dort heimlich heiraten.
R: Ist es nicht verdächtig gewesen, dass Sie nach Kismaayo gefahren sind?
BF: Ich war allein. Ich habe zu meinen Eltern gesagt, dass ich zu meiner Freundin gehe und wir gemeinsam den Koran auswendig lernen.
R: Ist Ihnen das nicht gefährlich vorgekommen, vor allem die Eltern nicht zu fragen?
BF: Niemand hat es erfahren.
R: Auch aus der Familie Ihres Mannes hat es niemand gewusst?
BF: Sein Onkel hat es gewusst.
R: Wir haben sehr lange ein Verhältnis gehabt, wir haben uns immer getroffen. Eines Tages war ich krank. Meine Großmutter war bei uns, sie hat gemerkt, dass ich schwanger bin. Zwei Monate habe ich keine Regel bekommen. Bei meiner Regel habe ich immer starke Schmerzen bekommen, die sind eben ausgeblieben. Sie hat es meiner Mutter erzählt, die hat mich ins Krankenhaus gebracht. Der Arzt hat gesagt, dass ich schwanger bin. Meine Mutter hat laut geschrien und mich beschimpft. Mein Vater hat das auch mitbekommen, er hat auch laut geschrien und mich beschimpft, er hat mich geschlagen. Auch meine zwei älteren Brüder haben mich geschlagen. Ich habe mich entschieden, diese Probleme meinem Mann nicht zu erzählen.
R: Wo haben Sie sich mit Ihrem Mann heimlich getroffen?
BF: Er hat einen besten Freund und dort haben wir uns getroffen. Ich habe meinen Eltern auch nicht erzählt, wer der Vater dieses Kindes ist. Wenn ich zu meiner Familie gesagt hätte, dass ich von XXXX schwanger bin, hätten sie ihn getötet, ich wollte ihn schützen.
R: Was haben die Eltern dann gemacht?
BF: Eines Tages hat mich mein älterer Bruder sehr stark geschlagen, er hat gesagt, ich soll sagen, von wem das Kind ist. Ich habe versucht zu flüchten. Als ich weggelaufen bin, bin ich gestürzt und auf den Boden gefallen. Ich wurde ohnmächtig. Als ich wach war, habe ich gesehen, dass ich im Krankenhaus bin und mein Kind verloren habe. Meine Brüder haben erfahren, dass ich von Shamake schwanger bin. Als er mich stark geschlagen hat, habe ich es verraten. Meine Brüder haben nach Shamake gesucht, sie haben ihn aber nicht gefunden. Sie haben nur sein Friseurgeschäft zerstört. Als Shamake erfahren hat, dass meine Geschwister nach ihm suchen, ist er nach Mogadischu gegangen. Ich bin nach Hause zurückgekommen, ich war sehr schwach. Nach gewisser Zeit kam mein Vater zu mir und hat gesagt, heimliche Heiraten funktionieren nicht. Er hat gesagt, es gibt einen alten Mann, den musst du heiraten. Ich habe diesen Mann gekannt, weil seine Kinder waren auch in der Koranschule, er hatte auch zwei andere Frauen. Ich war schockiert und konnte diesen Mann nicht heiraten. Eines Tages wollte ich flüchten. Es war kurz vor Sonnenuntergang. Mein Bruder hat mich erwischt. Ich habe versucht wegzulaufen.
R: Wie erwischt man jemand beim Flüchten, wenn man auch spazieren gehen kann im Ort?
BF: Sie haben mich bewacht, aber nicht in ein Zimmer gesperrt. Ich durfte das Haus nicht verlassen.
R: Ab wann durften Sie das Haus nicht mehr verlassen? Früher schon?
BF: Nachdem sie erfahren haben, dass ich schwanger bin.
R: Die anderen Schwestern haben das Haus schon verlassen dürfen?
BF: Auch sie durften nicht nach draußen.
R: Bevor Sie schwanger waren, haben Sie schon das Haus verlassen dürfen?
BF: Ja.
R: Die Schwestern auch?
BF: Ja, auch meine Schwestern. Aber als ich schwanger geworden bin, durften wir nicht mehr nach draußen.
R: Wie hat Ihr Bruder bemerkt, dass Sie weg wollten?
BF: Ein Bruder war zu Hause, um auf mich aufzupassen. Als dieser einkaufen ging und keiner da war, habe ich das Haus verlassen. Ich bin gelaufen, er hat gesehen, dass ich flüchten will, er hat nach mir gerufen und gesagt, ich soll stehen bleiben. Ich bin weitergelaufen. Ich habe nach hinten geschaut und bin bei einem kleinen Erdloch gestürzt und habe mir ein Bein gebrochen. Mein Bruder ist gekommen und hat mich geschlagen. Ich habe starke Schmerzen gehabt und gesagt, dass mein Bein gebrochen ist. Er hat mich gestützt und wir sind nach Hause gegangen. Er hat einen Mann angerufen, der meine Beine verarztete. Dann konnte ich mich nicht mehr bewegen, ich musste zu Hause bleiben. Nach gewisser Zeit kam der alte Mann, der mich heiraten wollte. Er hat gesehen, dass ich meine Beine gebrochen habe. Er hat meine Eltern gefragt war passiert ist. Meine Eltern haben gelogen, sie haben gesagt, dass ich auf einem Baum gespielt habe und runtergefallen bin. Der alte Mann hat gesagt, wie kann jemand, der beschnitten ist, auf einem Baum spielen. Meine Großmutter hat gesagt, ich bin nicht beschnitten. Der alte Mann hat gesagt, eine Frau, die nicht beschnitten ist, kann ich nicht heiraten, das ist nicht sauber. Er hat gesagt, ich soll beschnitten werden. Ich war schockiert. Meine Eltern und die Großmutter haben entschieden, dass ich beschnitten werde. Es gibt eine alte Dame, die eine Freundin von meiner Großmutter ist, sie macht das. Normalerweise wird das gemacht, wenn die Mädchen klein sind.
R: Wieso waren Sie nicht beschnitten?
BF: Meine Mutter wollte das nicht, deswegen war ich nicht beschnitten.
R: Warum war die Mutter und die Großmutter dann dafür?
BF: Meine Mutter wollte das nicht, aber meine Großmutter und mein Vater. Meine Mutter konnte dazu nichts sagen. Nach gewisser Zeit konnte ich wieder gehen. Mein Onkel ist plötzlich gestorben. Meine ganze Familie ist zur Beerdigung des Onkels gegangen, ich bin zu Hause geblieben, niemand war da, außer den kleinen Geschwistern. Da habe ich eine Chance gesehen zu flüchten. Ich habe mich verschleiert, damit mich niemand erkennt. Dann bin ich nach Mogadischu gegangen, weil mein Mann dort war. Ich wurde nicht beschnitten.
R: Wie war es weiter?
BF: Ich habe bei meinem Mann in Mogadischu gelebt. Er hat mich an unterschiedliche Orte gebracht. Mein Mann hatte dort mehrere Bekannte und hat mich jede Nacht woanders hin gebracht.
R: Wozu?
BF: Weil ich große Angst vor meiner Familie hatte, dass sie mich suchen.
R: Hat die Familie Sie gesucht?
BF: Ja, ich habe gehört, dass sie nach mir suchen.
R: Wie sucht man nach jemand?
BF: Sie haben nur in Jilib nach mir gesucht.
R: Wie haben Sie das erfahren?
BF: Durch meine Freundin. Ich konnte nicht dort bleiben, weil ich unruhig war. Mein Mann hat mich in die Türkei geschickt.
R: Woher hatte der Mann das Geld? Ein Flug in die Türkei ist die teuerste Fluchtmöglichkeit.
BF: Es waren 2.000 Dollar. Einen Teil hatte er, den Rest hatte die Familie.
R: Und dann?
BF: Ich bin dort vier Monate geblieben. Ich war alleine. Mein Mann konnte nicht für beide das Geld auftreiben. Dort habe ich in einem Schlepperhaus gearbeitet und meinen Lebensunterhalt verdient. Ich habe die Telefonnummer meiner Tante gesucht, sie lebte in Norwegen. Ich habe ihr meine Probleme erzählt, sie hat mir geholfen und Geld zu mir geschickt. Dann bin ich in Österreich angekommen.
R: Können Sie ein Attest über Ihren Beschneidungszustand bringen?
BF: Ja.
RV: Haben Sie noch Kontakt mit der Familie Ihres Mannes? Hätten Sie Schutz dort?
BF: Ich habe keinen Kontakt zu ihnen.
R: Haben Sie zu Ihrer Familie Kontakt?
BF: Nein.
R: Wovor müssten Sie sich fürchten, wenn Sie nach Somalia zurückmüssten?
BF: Ich habe große Angst vor meiner Familie. Sie würden mich beschneiden und verheiraten.
Keine weiteren Fragen.
....
Am 25.07.2018 brachte der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin ein medizinisches Gutachten ein, wonach an der Beschwerdeführerin noch keine Beschneidung vorgenommen wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Somalia und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Sie lebte vor ihrer Ausreise in der Stadt Jiliib. Im April 2015 verließ die Beschwerdeführerin Somalia und reiste schlepperunterstützt nach Österreich, wo sie nach illegaler Einreise am 06.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin nach der Bedrohung durch ihre eigene Familie wegen einer nicht durch die Familie genehmigte Heirat und Schwangerschaft und einer versuchten Zwangsverheiratung in deren Zusammenhang noch eine Beschneidung durchgeführt werden sollte, ihre Heimat verlassen hat. Die Beschwerdeführerin ist nicht beschnitten.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragstellerin im Fall ihrer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt der Antragstellerin nicht zu.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zur maßgeblichen Situation in Somalia wird festgestellt:
1. Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG
Erläuterung
Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse "wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind", berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.
Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.
Verbesserung i.S. §3 Abs 4a AsylG
Titel
LIB-Abschnitt
Ein Vergleich der Informationen zu asylrelevanten Themengebieten im vorliegenden LIB mit jenen des vormals aktuellen LIB hat ergeben, dass es zu keinen wie im §3 Abs 4a AsylG beschriebenen Verbesserungen in Somalia gekommen ist.
2. Neueste Ereignisse -
Integrierte Kurzinformationen
KI vom 13.2.2017: Farmaajo neuer Präsident (betrifft: Abschnitt 2 / politische Lage)
Der frühere Regierungschef Mohamed Abdullahi Mohamed Farmaajo hat die Präsidentenwahl in Somalia gewonnen. Im zweiten Durchgang der Wahl am Mittwoch ließ der 54-jährige somalisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Farmaajo den bisherigen Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich (NZZ 8.2.2017). Tausende Menschen feierten am Mittwochabend (8.2.2017) den Sieg von Farmaajo auf den Straßen von Mogadischu. Es gab Hupkonzerte, und Menschen umarmten Soldaten (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Auch in anderen somalischen Städten sowie in Kenia - in Garissa und Eastleigh - kam es zu spontanen Freudenfeiern, die als Ausdruck aufrichtiger Unterstützung für den neuen Präsidenten durch die Bevölkerung gewertet werden können (VOA 9.2.2017).
Die Wahl von Mohamed Farmaajo kam überraschend, galt doch der Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud als Favorit (FR 10.2.2017). Letzterer hat jedenfalls seine Niederlage eingestanden (NZZ 8.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017), und er forderte alle Somalis dazu auf, den neuen Präsidenten zu unterstützen. Farmaajo wurde unmittelbar angelobt (VOA 9.2.2017).
Die Durchführung einer allgemeinen und freien Wahl war in Somalia zwar nicht möglich gewesen; doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Die Medien konnten hinsichtlich der Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern - ein gutes Zeichen (DW 10.2.2017).
2010/2011 war Farmaajo acht Monate lang Premierminister von Somalia gewesen. Damals hatte er sich einen Namen als Anti-Korruptionskämpfer erworben (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Seine Entlassung durch den damaligen Präsidenten Ahmed Sheikh Sharif führte zu heftigen Protesten der Bevölkerung (FR 10.2.2017).
Quellen:
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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 13.2.2017
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FR - Frankfurter Rundschau (10.2.2017): Hoffnung für Somalia, http://www.fr-online.de/politik/wahl-hoffnung-fuer-somalia,1472596,35147632.html, Zugriff 13.2.2017
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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (8.2.2017): Präsidentenwahl zwischen Sandsäcken und Ruinen,
https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/mohamud-in-somalia-abgewaehlt-praesidentenwahl-zwischen-sandsaecken-und-ruinen-ld.144287, Zugriff 13.2.2017
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VOA - Voice of America (9.2.2017): Somalis Optimistic About New President,
http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html, Zugriff 13.2.2017
KI vom 19.1.2017: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)
Nach einer schwachen Gu-Regenzeit im Jahr 2016 blieben auch die Regenfälle der Deyr-Regenzeit Ende 2016 aus. Von der Nahrungsversorgungsunsicherheit am schlimmsten betroffen sind landwirtschaftlich genutzte Gebiete im Süden und nomadisch genutzte Gebiete im Nordosten des Landes (FEWSNET 16.1.2017). Alleine im sogenannten South-West-State sind 820.000 Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele suchen in größeren Städten nach Hilfe. Der Gouverneur der Region Bay schätzt, dass bereits rund 3.000 Familien aus ländlichen Gebieten nach Baidoa geflohen sind (UNSOM 16.1.2017). Dabei ziehen Nahrungsmittelpreise an: Der Preis für Mais liegt in Qoryooley 51% über dem Fünfjahresmittel; für Sorghum in Baidoa um 88% darüber (FEWSNET 16.1.2017).
Die humanitäre Situation in Somalia ist zunehmend fragil. Fünf Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 12.1.2017; vgl. UNSOM 16.1.2017) und leiden unter Nahrungsversorgungsunsicherheit (FAO 20.12.2016). 3,9 Millionen davon gelten als "stressed", 1,1 Millionen Menschen leiden unter akuter Nahrungsversorgungsunsicherheit (acutely food insecure) (UNOCHA 12.1.2017) und befinden sich auf den IPC-Stufen drei (Krise) und 4 (Not/Emergency). Alleine im zweiten Halbjahr 2016 hat die Zahl um 20% zugenommen. Prognosen lassen erwarten, dass die Zahl der akut Bedrohten im ersten Halbjahr 2017 um eine weitere Viertelmillion zunehmen wird. Ähnliche Bedingungen hatten im Jahr 2011 zu einer Hungersnot und Hungertoten geführt (FAO 20.12.2016). Folglich fahren humanitäre Organisationen ihre lebensrettenden Maßnahmen hoch, angesammelte Fonds werden angezapft (UNOCHA 12.1.2017).
Eine Entschärfung der Situation ist in rein nomadisch genutzten Gebieten nicht für Mai/Juni zu erwarten; in agro-pastoral genutzten Gebieten nicht vor Juni/Juli. Im schlimmsten anzunehmenden Szenario bleibt auch die Gu-Regenzeit des Jahres 2017 - wie gegenwärtig prognostiziert - schwach und in der Folge sinkt die Kaufkraft auf das Niveau der Jahre 2010/2011. Reicht dann die humanitäre Hilfe nicht aus, wird eine Hungersnot (IPC 5) die Folge sein (FEWSNET 16.1.2017). Bereits jetzt werden vereinzelt Hungertote aus den Regionen Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo gemeldet (SMN 15.1.2017).
Quellen:
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FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (20.12.2016): With continued drought, Horn of Africa braces for another hunger season,
http://reliefweb.int/report/somalia/continued-drought-horn-africa-braces-another-hunger-season, Zugriff 19.1.2017
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FEWSNET - Famine Early Warning Systems Network (16.1.2017): Severe drought, rising prices, continued access limitations, and dry forecasts suggest Famine is possible in 2017, http://www.fews.net/east-africa/somalia/alert/january-16-2017, Zugriff 19.1.2017
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SMN - Shabelle Media Network (15.1.2017): A Mother and her kids die of hunger in Gedo,
http://allafrica.com/stories/201701160709.html, Zugriff 19.1.2017
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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.1.2017): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 12 January 2017), http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/somalia_humanitarian_snapshot_-_january_2017.pdf, Zugriff 19.1.2017
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UNSOM - UN Assistance Mission to Somalia (16.1.2017): Deputy SRSG de Clercq assesses humanitarian crisis in Somalia's South West state,
http://reliefweb.int/report/somalia/deputy-srsg-de-clercq-assesses-humanitarian-crisis-somalia-s-south-west-state, Zugriff 19.1.2017
KI vom 20.9.2016: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)
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Die humanitäre Lage in Somalia bleibt prekär. Etwa 38 Prozent der Bevölkerung sind auf Unterstützung angewiesen, eine Million Menschen können ihren grundlegenden Nahrungsbedarf nicht decken. 305.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt. Zwischen Jänner und Juni wurden ca. 490.000 Menschen mit Nahrungsmittelhilfe versorgt, 125.000 Kinder konnten wegen akuter Unterernährung behandelt werden (UNSC 6.9.2016). UNOCHA stellt hinsichtlich Nahrungsmittelsicherheit nebenstehende aktuelle Karte zur Verfügung (UNOCHA 9.9.2016).
Das Klimaphänomen El Niño führte in Somaliland und in Puntland zu Dürre. Dort sind 385.000 Menschen akut von Nahrungsmittelunsicherheit bedroht, weitere 1,3 Millionen Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, ohne Unterstützung in eine akute Bedrohung abzugleiten (UNSC 6.9.2016; vgl. UNOCHA 1.9.2016). In Süd-/Zentralsomalia brachte El Niño hingegen schwere Regenfälle und teilweise Überschwemmungen (UNOCHA 1.9.2016).
Die Regenzeit Gu (März-Juni) brachte für Puntland und Somaliland zwar eine teilweise Entlastung; doch wird für den Zeitraum Juli-Dezember 2016 wieder eine Erhöhung der Nahrungsmittelunsicherheit erwartet (UNSC 6.9.2016). Für eine nachhaltige Besserung bedarf es mehr als nur einer guten Regenzeit. Prognosen zufolge könnte sich die Situation durch das nachfolgende Wetterphänomen La Niña weiter verschärfen. So bietet auch die Nahrungsmittelsicherheit in Süd-/Zentralsomalia zunehmend Grund zur Sorge. Derzeit sind also - v.a. im Norden - noch die Auswirkungen von El Niño zu spüren, während aufgrund von La Niña eine schlechte Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) erwartet wird. Die schwere Hungersnot der Jahre 2011/2012 war durch La Niña verursacht worden (UNOCHA 1.9.2016).
Quellen:
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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2016): Somalia - Humanitarian Snapshot, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia%20Humanitarian%20Snapshot%20-%20September%202016.pdf, Zugriff 20.9.2016
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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.9.2016): Humanitarian Bulletin Somalia, August 2016, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/August%202016%20Somalia%20Humanitarian%20Bulletin.pdf, Zugriff 20.9.2016
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UNSC - UN Security Council (6.9.2016): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2016/763], http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1473923936_n1627603.pdf, Zugriff 20.9.2016
3. Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.12.2015).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.12.2015). Somalia ist keine Wahldemokratie. Es gibt keine demokratischen Institutionen. Das Parlament wurde durch Clan-Repräsentanten ausgewählt, und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Diese gibt den vier Hauptclans jeweils gleich viele Sitze, und den kleineren Clans und Minderheiten insgesamt halb so viele Sitze, wie einem Hauptclan. Trotzdem wird die Förderung der Demokratie formell von allen politischen Akteuren - mit der Ausnahme von al Shabaab - akzeptiert. So ist das politische System Somalias weder demokratisch noch autoritär; alles dreht sich um die Repräsentation auf Basis der Clans (BS 2016).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Das derzeitige Bundesparlament wurde konsensual unter Einbeziehung traditioneller Eliten bestimmt und hat dann den Präsidenten gewählt (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Dies ist die erste Regierung Somalias seit 1991, der breite internationale Unterstützung zukommt (BS 2016). Somalia gilt laut dem UN-Repräsentanten nicht mehr als failed state, sondern als fragiles Land. Die Situation hat sich in den vergangenen drei Jahren stabilisiert (AP 23.12.2015; vgl. AA 1.12.2015).
Eigentlich waren für 2016 Wahlen vorgesehen. Der Präsident hat aber im Juni 2015 angekündigt, dass diese "one person, one vote"-Wahlen verschoben werden (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 8.1.2016). Dagegen hat es im Parlament Proteste gegeben (AI 24.2.2016). Ein von der Regierung einberufenes National Consultative Forum soll über einen anderen Wahlprozess für das Jahr 2016 beraten. Gleichzeitig soll das Forum auf Vorbereitungen für allgemeine Wahlen im Jahr 2020 treffen (UNSC 8.1.2016).
Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet wird, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft (AA 1.12.2015). Die Erfolge der aktuellen Regierung bei Friedens- und Staatsbildung waren sehr bescheiden. Politische Grabenkämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister haben zu mangelnder Kontinuität beim Regierungspersonal geführt (BS 2016). Zuletzt gab es im August 2015 eine Regierungskrise, als das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mohamud einleiten wollte (UNSC 11.9.2015; vgl. AI 24.2.2016). Dieses Begehren wurde später zurückgezogen (UNSC 8.1.2016).
Die anhaltenden politischen Grabenkämpfe und der Fokus auf die Föderalisierung haben die Regierung von Reformen im Justiz- und Sicherheitsbereich abgelenkt (HRW 27.1.2016). Das Clansystem hat wiederum die Einrichtung nachhaltiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen behindert (UNHRC 28.10.2015). Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 1.12.2015).
Es gab einen signifikanten Fortschritt bei der Einrichtung staatlicher Strukturen auf regionaler Ebene, und für alle Bezirke (außer Baardheere) gibt es vorläufige Verwaltungen (UNSC 8.1.2016). Gleichwohl gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach, wesentliche Staatsfunktionen können nicht ausgeübt werden (AA 1.12.2015). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 10.2015). Die regionalen Verwaltungen kämpfen noch damit, ihre Autorität durchzusetzen. Sie stehen dabei einem Mangel an Geld, einem Mangel an Regierungsinfrastruktur und einem Mangel an Personal gegenüber. Außerdem fehlt es an Details zu den Strukturen der Bundesstaaten sowie an breiter Unterstützung beim Staatsbildungsprozess (UNSC 8.1.2016). Die internationalen Partner werden auch weiterhin signifikante Unterstützung gewähren müssen (UNSC 8.1.2016), wie etwa über laufende Projekte zur Kapazitätsbildung und zu Kernfunktionen der Regierung durch die Weltbank und UNDP (UNSC 11.9.2015).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Die Bundesregierung hat einen Prozess zur Schaffung föderaler Bundesstaaten initiiert (BS 2016). Das Bundesparlament hat eine Grenz- und Bundeskommission einberufen, welche hinsichtlich der Grenzen der Bundesstaaten, Regionalverwaltungen und Bezirke beraten soll. Die Kommission wird von der UN und anderen Partnern unterstützt (UNSC 11.9.2015).
Der Schritt zur Föderalisierung hat zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: die Galmudug Interim Administration (GIA); die Interim Juba Administration (JIA); und die Interim South West Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 13.4.2016).
1) Im Juni 2015 fand in Cadaado die Staatsbildungskonferenz für den Bundesstaat Galmudug statt. Es sollte eine Galmudug Interim Administration (GIA) für die zentralen Regionen Galgaduud und Mudug geschaffen werden (UNSC 11.9.2015). In der Folge wurde eine Regionalversammlung gebildet, die im Juli 2015 Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (UNSC 11.9.2015; vgl. EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten (USDOS 13.4.2016). Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert (UNSC 11.9.2015) und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 13.4.2016). Fraktionen der ASWJ haben sich später mit der GIA arrangiert (UNSC 11.9.2015). Trotzdem kontrolliert ASWJ noch immer teile der GIA, darunter die wichtige Stadt Dhusamareb (UNSC 8.1.2016). Auch Puntland hat sich ursprünglich gegen die GIA gestellt, da es selbst den nördlichen Teil von Mudug beansprucht. Nach Verhandlungen hat die GIA ihre Ansprüche auf Nord-Mudug zurückgezogen (UNSC 11.9.2015). Unter die GIA fallen demnach neben Galgaduud noch die Bezirke Hobyo und Xaradheere (EASO 2.2016). Die GIA hat bei der Einrichtung ihrer Verwaltungsinstitutionen in der Übergangshauptstadt Cadaado Fortschritte gemacht. Auch wurden Anstrengungen unternommen, die Bevölkerung zu erreichen, Clanmilizen zu entwaffnen und Sicherheitskräfte auszubilden (UNSC 8.1.2016). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016).
2) Nach dem Ende einer zweijährigen Übergangsperiode wurde Sheikh Ahmed Islam "Madobe" am 15.8.2015 von der neuen, 75sitzigen Regionalversammlung des Bundesstaates Juba (Lower und Middle Juba, Gedo) als Präsident der Interim Juba Administration (IJA) angelobt (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 11.9.2015). Zuvor war im Mai 2015 die Regionalversammlung selbst in Kismayo eingerichtet worden. Dabei gab es auch Kritik und das Bundesparlament strebte eine Auflösung der Regionalversammlung an (UNSC 11.9.2015). Bei der Lösung von Konflikten zwischen Clans sowie innerhalb der Darod/Marehan auf dem Gebiet der IJA gibt es Fortschritte (UNSC 8.1.2016).
3) Nach anfänglichen Streitigkeiten über die Frage, ob der Bundesstaat South West aus drei oder sechs Regionen bestehen soll, einigte man sich auf die drei-Regionen-Lösung. Die Interim South West Administration (ISWA) umfasst nunmehr die Regionen Bay, Bakool und Lower Shabelle. Im November 2014 wurde Sharif Hassan Sheikh Adan von einer ISWA-Konferenz zum Präsidenten gewählt. Damit wurde die Übergangsverwaltung ISWA offiziell geschaffen (USDOS 13.4.2016). Im August 2015 wurde ein Prozess gestartet, um eine ISWA-Regionalversammlung zu schaffen (UNSC 11.9.2015). Mit der Einrichtung der Regionalversammlung ist die Errichtung der ISWA abgeschlossen. Von den 146 Abgeordneten sind 30 weiblich (UNSC 8.1.2016).
4) Im August 2015 wurde von der Bundesregierung ein Prozess zur Bildung eines Bundesstaates Hiiraan-Middle Shabelle initiiert (UNSC 11.9.2015). Dieser Prozess wird weiter vorangetrieben. Buulo Barde könnte die Hauptstadt des neuen Bundesstaates werden (UNSC 8.1.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016
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AP - Associated Press (23.12.2015): Somalia no longer a failed state, just a fragile one, says UN. The Guardian, http://www.theguardian.com/world/2015/dec/23/somalia-no-longer-a-failed-state-just-a-fragile-one-says-un, Zugriff 20.4.2016
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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016
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HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016
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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):
Asylländerbericht Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016
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UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016
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UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016
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UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1443010894_n1527126.pdf, Zugriff 23.3.2016
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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016
3.1. Puntland
Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.12.2015; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.12.2015). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).
Puntland verfügt über ein Einkammernparlament (USDOS 13.4.2016). Im Januar 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.12.2015). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrun