TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/21 W159 2166202-1

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Veröffentlicht am 21.08.2018
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Entscheidungsdatum

21.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W159 2166202-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2017, Zahl 1104380206 - 160177946/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.06.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigten bis zum 21.08.2019 zuerkannt.

IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Somalia, gelangte (spätestens) am 03.02.2016 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am folgenden Tag einer Erstbefragung nach dem AsylG 2005 durch die Landespolizeidirektion (LPD) Wien, Abteilung Fremdenpolizei, unterzogen wurde. Hiebei gab er zu seinen Fluchtgründen an, er habe wegen der Al Shabaab Somalia verlassen. Sie hätten gewollt, dass sich der Beschwerdeführer in die Luft sprenge und unschuldige Menschen töte, was der Beschwerdeführer nicht gewollt habe. Aus diesem Grund sei er aus Somalia geflohen.

Da der Beschwerdeführer gelegentlich der Erstbefragung den XXXX als Geburtsdatum angegeben hatte, seine Minderjährigkeit aber in Zweifel gezogen wurde, gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten in Auftrag. Dieses wurde am 27.05.2016 erstattet und geht davon aus, dass der Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt mindestens 19 Jahre alt gewesen sei, weshalb das Bundesamt mit Verfahrensanordnung vom 01.06.2016 den XXXX als Geburtsdatum des Beschwerdeführers festsetzte.

Der Beschwerdeführer wurde am 12.06.2017 vor dem Bundesamt, Regionaldirektion Niederösterreich (RD NÖ), einvernommen. Er gehöre der Volksgruppe der XXXX, dem Clan der XXXX, dem Subclan der XXXX und dem Sub-Subclan der XXXX an und habe zuletzt in XXXX gewohnt. Er sei sunnitischer Moslem. In Somalia habe er nicht gearbeitet, sein Vater sei Fischer gewesen, wodurch seine Familie den Lebensunterhalt bestreiten hätte können. Der Beschwerdeführer habe in Somalia mit seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder gelebt. Mit ihnen habe der Beschwerdeführer seit seiner Ausreise keinen Kontakt mehr.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer einleitend an, Somalia wegen Problemen verlassen zu haben. Er sei von den Mitschülern in der Koranschule gehänselt und beschimpft worden. Sie hätten Sachen kaputtgemacht und es gegenüber dem Lehrer auf den Beschwerdeführer geschoben. Sie hätten behauptet, der Beschwerdeführer esse Verdorbenes. Der Koranschullehrer habe einmal vier Männer in die Koranschule gebracht. Diese vier Männer wären Al-Shabaab-Mitglieder gewesen und hätten die Schüler anwerben wollen. Der Beschwerdeführer sei nicht bereit gewesen. Er hätte sich der Gruppe nicht anschließen oder sich in die Luft sprengen wollen. Die Männer hätten zwei Koranschülern vor den Augen der Gruppe den Kopf abgeschnitten. Er habe Angst bekommen und den Männern die Zusammenarbeit zugesagt. Die Al-Shabaab-Männer hätten den Schülern verboten, darüber zu sprechen, sonst würden sie getötet. Die Al-Shabaab-Männer hätten dem Beschwerdeführer drei Tage Zeit gegeben, dann solle er zu ihnen kommen und sie würden ihn zu einem Trainingsplatz bringen. Dann sei der Beschwerdeführer nachhause gegangen und habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Seine Mutter habe wissen wollen, warum. Der Beschwerdeführer habe es ihr erzählt. Seine Mutter sei erschrocken und habe jemanden organisiert und der Beschwerdeführer sei ausgereist. Was die anderen Mitschüler gemacht hätten, wisse der Beschwerdeführer nicht. Wie die Al-Shabaab-Leute ausgesehen hätten, wisse der Beschwerdeführer nicht, er habe ihre Gesichter nicht gesehen. Ob sie bewaffnet gewesen seien, habe er nicht gesehen, er habe nur gesehen, dass sie Messer mitgehabt hätten. Der Lehrer habe gegen die Enthauptung nichts unternommen, weil er Al-Shabaab-Mitglied gewesen sei. Aufgefordert, die Enthauptungen zu schildern, gab der Beschwerdeführer an, sie hätten es abgelehnt, sich der Gruppe anzuschließen, die zwei Schüler hätten als erstes gesprochen und wären die ältesten Schüler gewesen. Aufgefordert, mehr Details zu schildern, gab der Beschwerdeführer an: "Das war es". Deshalb hätten die Schüler zugestimmt, mit der Al Shabaab zu arbeiten. Das sei glaublich im achten Monat 2015 gewesen. Befragt gab der Beschwerdeführer an, nach der Enthauptung seiner Mitschüler einfach in der Koranschule geblieben zu sein und einer Mitarbeit mit der Al Shabaab zugestimmt zu haben. Seiner Mutter habe er nicht gleich davon erzählt, weil er gerade am Überlegen gewesen sei, das Land zu verlassen, als seine Mutter das bemerkt habe und deshalb habe er ihr das erzählt. Die Al-Shabaab-Leute hätten gewollt, dass der Beschwerdeführer für die Al Shabaab kämpfe oder sich in die Luft sprenge. Der fluchtauslösende Grund sei gewesen, dass der Beschwerdeführer keine unschuldigen Leute hätte töten wollen. Wenn er dort weitergelebt hätte, hätten ihn sie Al-Shabaab-Leute getötet. Anderswo hätte sich der Beschwerdeführer nicht in Somalia niederlassen können. Im Falle einer Rückkehr befürchte der Beschwerdeführer, dass er dort sterben müsse.

Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, unter Spruchteil II. auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia ab, erteilte unter Spruchteil III. einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei und setzte unter Spruchteil IV. die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen.

Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei widersprüchlich. Der Beschwerdeführer habe etwa angegeben, den Al-Shabaab-Männern nach der Tötung seiner Mitschüler seine Mitarbeit zugesagt hätte. Dann habe er behauptet, von den Männern eine Frist von drei Tagen eingeräumt bekommen zu haben, um sich zu überlegen, ob er für die Männer arbeiten wolle. Auch sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, die Enthauptung seiner Mitschüler zu beschreiben. Seine Aussagen seien vage geblieben.

Rechtlich begründend führte das Bundesamt zu Spruchpunkt I. insbesondere aus, der Beschwerdeführer habe eine begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt aus, dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine Bedrohung iSd § 8 AsylG 2005 glaubhaft zu machen. Im Falle einer Rückkehr würde er durch eine Tätigkeit eine ausreichende Lebensgrundlage finden und würde im Falle einer Rückkehr nicht in eine hoffnungslose Lage geraten. Er leide auch weder an einer lebensbedrohenden Erkrankung noch einem sonstigen auf seine Person bezogenen außergewöhnlichen Umstand, der ein Abschiebehindernis iSd Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 darstellen könne. Zu Spruchpunkt III. führte das Bundesamt aus, dem Beschwerdeführer werde eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht erteilt. Im österreichischen Bundesgebiet würde er kein Familienleben iSd Art. 8 EMRK führen. Er befinde sich erst seit etwas mehr als einem Jahr in Österreich und er habe bisher seine Existenz im Rahmen der Grundversorgung gesichert und habe keine verwandtschaftlichen Beziehungen oder lebe auch in einer nicht familienähnlichen Beziehung. Insgesamt würden aus seinem Privatleben keine Gründe ersichtlich sein, die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würden, vielmehr seien die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltes ausschlaggebend. Im Lichte des Art. 8 EMRK sei die Rückkehrentscheidung betreffend den Beschwerdeführer gerechtfertigt. Mangels Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen würde die Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung verbunden und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia zulässig sei, zumal sich im Falle des Beschwerdeführers keine Gefährdung ergebe. Zu Spruchpunkt IV. führte das Bundesamt aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch RA Edward W. Daigneault, fristgerecht gegen alle Spruchteile Beschwerde. Nach geraffter Wiedergabe des bisherigen Vorbringens nebst weitwendiger Zitierung von Länderinformationen wurde soweit wesentlich vorgebracht, das Bundesamt habe das Verfahren Mangelhaftigkeit belastet. Die Länderfeststellungen seien unvollständig und würden sich nicht mit den individuellen Verfolgungsgründen des Beschwerdeführers auseinandersetzen.

Soweit das Bundesamt dem Beschwerdeführer Widersprüche zwischen Erstbefragung und Einvernahme orte, sei zu sagen, dass ihn die Dolmetscherin angewiesen hätte, sich kurz zu fassen. Außerdem sehe § 19 Abs. 1 2. Satz AsylG 2005 vor, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität von Personen und der Reiseroute beziehe und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen habe.

Der Beschwerdeführer habe alles so wiedergegeben, wie es vorgefallen sei. Er erinnere sich nicht an Details der Enthauptung und es sei ihm unangenehm darüber zu sprechen. So etwas dürfe ihm das Bundesamt nicht "zum Vorwurf machen". Statt dass sich das Bundesamt "mit inhaltsleeren Floskeln" begnüge, hätte es sich "lieber" mit der Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers auseinandersetzen sollen.

Das Bundesamt hätte von der Glaubhaftigkeit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers ausgehen und ihm Asyl gewähren müssen. Es hätte sich nirgendwo im Bescheid mit der Clanzugehörigkeit des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, weshalb der Bescheid inhaltlich mit Rechtswidrigkeit belastet sei. Als Minderheitenclanangehöriger sei der Beschwerdeführer einer größeren Gefahr ausgesetzt, von der Al Shabaab verfolgt zu werden, als andere Somalier.

In der Beschwerde wird beantragt, dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, zumindest aber subsidiären Schutz zu gewähren und eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 16.06.2018 an, zu der sich die belangte Behörde wegen Nichtteilnahme entschuldigen ließ. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung eines Substituten seines ausgewiesenen Vertreters.

Er halte sein bisheriges Vorbringen einschließlich der Beschwerde aufrecht. Er sei somalischer Staatsangehöriger, gehöre dem Clan der XXXX, dem Subclan XXXX und dem Sub-Subclan XXXX an. Das sei ein Minderheitenstamm, sie seien in Somalia diskriminiert. Sie würden keine richtige Arbeitsstelle bekommen und dürften nur bestimmte Arbeiten verrichten. Mehr wisse er nicht. Es gebe verschiedene Namen für diesen Clan, z.B. XXXX, manchmal XXXX. XXXX sei ein Schimpfwort.

Der Beschwerdeführer sei persönlich aufgrund seiner Clanzugehörigkeit benachteiligt worden. Als er klein gewesen und in die Schule gegangen sei, hätte er nicht mit den Angehörigen anderer Clans reden und spielen dürfen. Während der Beschwerdeführer in der Klasse gewesen sei und andere Schüler etwas Schlimmes gemacht hätten, hätten alle gesagt, dass der Beschwerdeführer das gemacht habe. Auf der Straße sei er beschimpft worden. Wenn er nachgefragt hätte, hätte er nur zur Antwort bekommen, dass er ein XXXX sei.

Der Beschwerdeführer sei am XXXX in XXXX geboren worden, aber in Österreich habe er ein neues Geburtsdatum bekommen. In XXXX habe der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise gelebt.

Die Eltern des Beschwerdeführers würden noch leben. Weiters habe er zwei Schwestern und einen Bruder. Er habe vor sechs Monaten gehört, dass sie alle in einem Flüchtlingslager in Kenia leben würden. Diese hätten Somalia verlassen, weil die zwei Schwestern des Beschwerdeführers in Somalia vergewaltigt worden seien. Alle drei Geschwister seien älter als der Beschwerdeführer. Sie seien nicht verheiratet.

Der Beschwerdeführer habe nur fünf Jahre eine Koranschule besucht.

Ernährt worden sei die Familie durch den Vater, der Fischer gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe nicht arbeiten müssen. Von seinen Geschwistern habe der Bruder manchmal den Vater geholfen. Die Lebensbedingungen in Somalia seien sehr schlecht gewesen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, während er die Koranschule besucht habe, seien eines Tages vier Männer in die Koranschule gekommen, das sei im August 2015 gewesen. Sie hätten den Schülern erklärt, dass sie das Land verteidigen müssten, weil das Land von Ungläubigen erobert worden wäre. Sie hätten auch gesagt, dass die Ungläubigen mit der somalischen Regierung zusammenarbeiten würden. Sie würden gegen die Ungläubigen kämpfen müssen. Alle Schüler würden sich vorbereiten müssen, um an diesem Krieg teilzunehmen. Der Beschwerdeführer habe das aber nicht wollen. Er hätte nie daran gedacht, Unschuldige zu töten. Sie seien ca. zehn Schüler gewesen, die gesagt hätten, dass sie an diesem Krieg nicht teilnehmen wollen würden. Daraufhin hätten sie zwei von ihnen vor den Augen der anderen geköpft. Sie hätten das nur getan, damit die Schüler Angst vor ihnen hätten. Sie hätten tatsächlich Angst bekommen und zugesagt, sich der Al Shabaab anzuschließen. Einer dieser vier Männer, angeblich der Anführer, habe gesagt, die Schüler würden sich vorbereiten müssen. Nach drei Tagen würden sie sie in ein Lager bringen, wo sie ihnen beibringen würden, wie man am Kampf teilnehmen würde. Er hätte auch gesagt, sie sollten über die getöteten Mitschüler nichts erzählen, falls sie darauf kommen würden, dass sie das erzählen, würden sie denjenigen und seine Familie vernichten. Danach seien sie weggegangen und der Beschwerdeführer sei nachhause gegangen.

Die Männer wären alle aus Somalia gewesen und hätten schwarze Kleidung getragen. Ob sie bewaffnet gewesen seien oder Waffen versteckt gehabt hätten, wisse der Beschwerdeführer nicht.

Befragt, ob der Beschwerdeführer - obwohl es für ihn unangenehm sei - die Enthauptung der Mitschüler schildern könne, führte er aus, als die Schüler ihre Meinung geäußert hätten, hätten die Al-Shabaab-Männer nochmals nachgefragt, ob sie ihre Meinung ändern würden, die Schüler hätten alle "nein" gesagt. Dann hätten sie die zwei ältesten Schüler genommen und enthauptet. Das hätten sie mit einem großen Messer, das der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung aufzeichnete - die Zeichnung wurde zum Akt genommen -, welches etwas länger als der Unterarm gewesen sei, enthauptet. Die Köpfe seien vollständig von den Körpern abgetrennt worden.

Befragt, warum gerade diese beiden Mitschüler und nicht auch der Beschwerdeführer, der sich auch geweigert habe zu kämpfen, enthauptet worden, gab der Beschwerdeführer an, sie seien ihre ältesten Mitschüler gewesen und hätten für die anderen auf die Fragen der Al-Shabaab-Männer geantwortet.

Auf Vorhalt, dass die Al Shabaab versuche, Kämpfer zunächst mit ökonomischen Anreizen oder religiösen Versprechungen zu gewinnen und nicht durch Gewalt und Einschüchterungen und ob der Beschwerdeführer sagen könne, warum das bei ihm anders gewesen sei, gab er zu Protokoll, sein Koranlehrer sei auch Mitglied der Al Shabaab gewesen. Er habe mit den Schülern oft über die Al Shabaab gesprochen und erklärt, dass die Al Shabaab den richtigen Weg gehen würde.

Der Beschwerdeführer sei auch konkret durch die Al-Shabaab-Männer bedroht worden. Einer von ihnen hätte zu ihm gesagt, wenn er sich weigere, sich der Al Shabaab anzuschließen, würde er getötet.

Befragt, warum er das beim Bundesamt nicht angegeben habe, behauptete er, das gesagt zu haben aber nicht zu wissen, ob es protokolliert worden sei.

Der Beschwerdeführer hätte glaublich am Kampf gegen die Regierungstruppen teilnehmen oder einen Selbstmordanschlag verüben sollen.

Nach der Tötung seiner Schulkameraden sei der Beschwerdeführer nachhause gekommen. Er habe zunächst Angst gehabt, seiner Familie davon zu erzählen. Er habe darüber nachgedacht, was er tun solle. Er sei zu dem Schluss gekommen, dass sie ihn töten würden, wenn er weiter in Somalia bleiben würde. In dieser Nacht habe er nicht schlafen können. Seine Mutter habe ihn gesehen und gefragt, was mit ihm los sein. Dann hätte der Beschwerdeführer seiner Mutter davon erzählt. Die Mutter sei schockiert gewesen und hätte den Beschwerdeführer noch am gleichen Abend weggeschickt. Der Beschwerdeführer sei mit einem Auto Richtung Äthiopien gefahren.

Befragt, ob der Beschwerdeführer nach der Ermordung seiner Mitschüler gleich in der darauffolgenden Nacht aus Somalia ausgereist sei, sagte der Beschwerdeführer zunächst, dass er das nicht wisse. Nach erfolgter Rückübersetzung änderte er die Antwort auf "Ja".

Woher seine Mutter das Geld für die Ausreise gehabt habe, wisse der Beschwerdeführer nicht.

Der unmittelbare Grund für die Ausreise des Beschwerdeführers sei die Enthauptung seiner Mitschüler gewesen; hätte sich der Beschwerdeführer geweigert, sich der Al Shabaab anzuschließen, hätten sie auch ihn getötet.

Der Beschwerdeführer sei zwei Monate in Äthiopien gewesen, dass sei er über den Landweg in den Sudan und dann nach Ägypten gereist. Von dort sei er mit einem Boot nach Griechenland gefahren. Das Zielland sei eigentlich Italien gewesen, aber der Steuermann hätte sie nach Griechenland gebracht. Von dort sei der Beschwerdeführer auf dem Landweg nach Österreich gekommen.

Dass seine engsten Familienangehörigen in Kenia leben würden, wisse der Beschwerdeführer aus einer somalischen WhatsApp-Gruppe. Ein Freund von ihm sei auch in dieser Gruppe, dieser hätte ihm das geschrieben. Der Freund wisse das von Verwandten aus Somalia.

Dem Beschwerdeführer gehe es gesundheitlich gut. Vier Tage trainiere er beim Verein FC XXXX und an einem Tag spiele er ein Match. Drei Tage die Woche besuche er auch einen Deutschkurs auf dem Niveau A2. Außer den Deutschkursen habe er in Österreich keine Ausbildungen absolviert. Der Beschwerdeführer habe bereits ehrenamtlich Gartenarbeit verrichtet.

Der Beschwerdeführer spiele bei seinem Fußballclub in der U23-Reserve, seine Mannschaft spiele in der XXXX. Er spiele in der Position als Innenverteidiger, manchmal auch als Stürmer. Der Beschwerdeführer sei in seinem Ort schon überall bekannt; sein Spitzname sei "XXXX".

Eine österreichische Freundin habe der Beschwerdeführe zurzeit nicht.

Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt gab der Beschwerdeführer an, die Lage in Somalia sei nach wie vor schlecht und er habe dort niemanden. Er habe auch Angst vor der Al Shabaab. Für ihn würde es auch sehr schwer sein, nach Mogadischu auszuweichen, weil er einem Minderheitenstamm angehöre und auch niemanden dort kenne.

Der Beschwerdeführer legte vor:

* ein Deutschzertifikat A1;

* eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs;

* eine "Bestätigung über gute Integration" der Stadtgemeinde XXXX;

* eine Bestätigung des Vereins XXXX XXXX, dass sich der Beschwerdeführer kooperativ zeigt und bemüht ist, sich in die Gesellschaft zu integrieren sowie

* eine Bestätigung des XXXX samt Foto und Spielerpass.

Dem Beschwerdeführer wurden ausgehändigt:

* das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia Stand 03.05.2018;

* eine ACCORD Anfragebeantwortung zur Lage der Angehörigen des Clans der XXXX sowie

* ein Auzug aus der ÖIF Länderinfo: Tiewald, Die Parias Somalias:

Ständische Berufskasten als Basis sozialer Diskriminierung (2010)

und eine Frist von drei Wochen zum Erstatten einer Stellungnahme sowie zur Vorlage medizinischer Unterlagen eingeräumt.

Mit Schreiben vom 26.06.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am selben Tag, erstattete der Beschwerdeführer durch seine Vertretung eine Stellungnahme zu den oben angeführten Dokumenten.

Die Stellungnahme erschöpft sich soweit wesentlich in der Zitierung von zusatzlichen Länderinformationen zum Clan XXXX und zur Versorgungssituation.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia und gehört dem Clan der XXXX, dem Subclan der XXXX und dem Subsubclan der XXXX an. Er wurde spätestens am XXXX in XXXX geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise gewöhnt. Er hat fünf Jahre lang eine Koranschule besucht; einer Arbeit ist er in Somalia nicht nachgegangen. Der Beschwerdeführer ist ledig. Seine Kernfamilie, bestehend aus seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder, lebt in einem Flüchtlingslager in Kenia.

Zu den Fluchtgründen könne mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.

Er hat Somalia im August 2015 in Richtung Äthiopien verlassen und gelangte spätestens am 03.02.2016 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo er an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer besucht dreimal wöchentlich einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 und hat bereits ein Deutschzertifikat auf dem Niveau A1 erworben. Er spielt in U23-Reserve des XXXX, wo er vier Tage in der Woche Training hat. Der Beschwerdeführer hat in Österreich ehrenamtlich Gartenarbeiten durchgeführt.

Zu Somalia wird fallbezogen Folgendes festgestellt:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert (betrifft: Grundversorgung und Dürresituation)

Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).

Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).

Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):

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(FEWS 3.2018)

Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).

Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).

Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).

In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).

Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:

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(FEWS 4.2018b)

Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).

Untenstehend findet sich die detaillierte Prognosekarte der Agentur FSNAU der FAO für die Monate 2-6/2018:

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(FAO 2018)

Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).

Quellen:

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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia

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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook-update/april-2018, Zugriff 2.5.2018

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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia

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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018

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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia

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Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018

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FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018

-

FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,

https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff 2.5.2018

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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,

https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavy-rains-2-may-2018, Zugriff 3.5.2018

2. Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017

3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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