TE Bvwg Beschluss 2018/8/21 L516 2160762-2

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Veröffentlicht am 21.08.2018
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Entscheidungsdatum

21.08.2018

Norm

AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

L516 2160762-2/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA Pakistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2018, Zahl: XXXX, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer stellte am 01.03.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit am 09.08.2017 mündlich verkündetem und am 18.08.2017 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis, L519 2160762-1/8E, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Pakistan zulässig sei.

2. Der Beschwerdeführer brachte am 07.06.2018 den dem gegenständlichen Verfahren zugrunde liegenden Antrag auf internationalen Schutz ein. Zu diesem wurde er am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

3. Das Verfahren des Beschwerdeführers wurde nicht zugelassen.

4. Eine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fand nicht statt.

5. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) zurück. Gleichzeitig wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Das BFA hinterlegte den Bescheid am 16.07.2018 im Akt und der Beschwerdeführer übernahm eine Kopie des Bescheides vom BFA am 17.07.2018.

7. Der Beschwerdeführer hat gegen den Bescheid des BFA durch seine ausgewiesene Vertretung am 10.08.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben.

8. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte der Aktenlage nach am 17.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 01.03.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht mit am 09.08.2017 mündlich verkündetem und am 18.08.2017 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis, L519 2160762-1/8E, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Pakistan zulässig sei.

1.2. Der Beschwerdeführer gab im Verfahren zu seinem ersten Antrag bei der Erstbefragung am 01.03.2016 zunächst an, den Namen XXXX zu führen und am XXXX geboren zu sein (Niederschrift 01.03.2016, S1). Mit Schriftsatz vom 27.04.2017 gab der damalige gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers bekannt, dass der richtige Name des Beschwerdeführers XXXX laute; das Geburtsdatum wurde weiterhin mit XXXX angegeben (Stellungnahme 24.04.2017).

1.3. Im Verfahren zu seinem verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag gab der Beschwerdeführer an, dass sein richtiger Name XXXX, sein richtiges Geburtsdatum "XXXX" laute (Niederschriften 07.06.2018, S 3).

Zur Begründung dieses Antrages brachte er bei der Erstbefragung vor, dass sich die Sicherheitslage in Pakistan verschlechtert habe, die Probleme mit der Religion schlechter geworden seien, die Sunniten sie nicht mehr in die Moschee gehen und nicht mehr beten lassen würden. Er sei 2015 deswegen geschlagen und mit einer Stange am Fuß verletzt worden. Seine Eltern würden seit sechs Monaten in der Türke leben. Bei einer Rückkehr befürchte er, umgebracht zu werden, da sein Cousin und er gemeinsam bei einem Streit mit einem Sunniten 2015 jenen ermordet hätten und 2016 sei dann sein Onkel in Pakistan ermordet worden. Er selbst sei 2016 in Pakistan mit der Ermordung bedroht worden.

1.4. Das BFA traf im angefochtenen Bescheid zur "Person" des Beschwerdeführers wörtlich die folgenden Feststellungen (Bescheid 4 f):

"Ihre Identität steht nicht fest.

Sie sind laut Ihren Angaben pakistanischer Staatsangehöriger.

Bis zur Bescheiderlassung ergaben sich weder eine schwere körperliche oder ansteckende Krankheit, noch ergab sich eine schwere psychische Störung, die bei einer Abschiebung nach Pakistan eine unzumutbare Verschlechterung Ihres Gesundheitszustandes bewirken würde.

Es existieren unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände, welche einer Rückkehr nach Pakistan aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstehen.

Es scheinen folgende Verurteilungen auf:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen [...], wegen §§ 27 Abs. 2a 2. Fall und 27 Abs. 1 Zif. 1 2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt (Tatzeitpunkt April 2017).

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes [...], wurden Sie wegen §§ 27 Abs. 2a 2. Fall, Abs. 3, 27 Abs. 1 Zif. 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Zif. 1 8. Fall und Abs 4 Zif. 1 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstraft von 6 Monaten verurteilt. Es wurde mit diesem Urteil auf den Widerruf der bedingten Strafnachsicht des Landesgerichtes [...] abgesehen, jedoch wurde die in diesem Urteil verhängte Probezeit von 3 Jahren auf 5 Jahre verlängert."

1.5. Das BFA gelangte zu dieser Feststellung zur Person des Beschwerdeführers aufgrund folgender Beweiswürdigung (Bescheid S 52):

"Mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokumentes oder sonstigen Bescheinigungsmittels steht Ihre Identität nach wie vor nicht fest. Soweit Sie im Asylverfahren namentlich genannt werden, dient dies lediglich der Individualisierung Ihrer Person als Verfahrenspartei, jedoch nicht als Feststellung der Identität.

Hierzu wird angemerkt, dass Sie seit Ihrer ersten Antragstellung offensichtlich auch nicht aus eigenen Antrieb die Bemühungen hegten, Ihre Identität durch Vorlage von geeigneten Identitätsdokumenten wie zB. Personalausweis oder Reisepass zu begründen.

Die Feststellung Ihrer Staatsangehörigkeit erfolgte aufgrund Ihrer eigenen Angaben im Verfahren.

Die im Bescheid angeführten Aliasdaten ergeben sich aufgrund Ihrer Angaben im Verfahren.

Sie haben auch keine Beschwerden oder Krankheiten angeführt, welche das Asylverfahren in weiterer Folge beeinträchtigen würden. Amtlicherseits ergaben sich weiters keinerlei Hinweise, dass Ihre eigenen Angaben zu Ihrem Gesundheitszustand nicht den Tatsachen entsprechen könnten oder Sie an sonstigen physischen oder psychischen Erkrankungen leiden könnten.

Die Feststellung über Ihre vorherigen Antragsstellungen sowie Ihren bisherigen Aufenthalt im Bundesgebiet ergeben sich aus dem Verfahren AZ: 160318299.

Die Feststellungen, dass Sie in Österreich straffällig und auch verurteilt wurden, ergeben sich aus den diesbezüglichen Vormerkung zur Ihrer Person im Strafregister der Republik Österreich.

Sie haben sich dem Verfahren entzogen und sind unbekannten Aufenthalts."

1.6. Das BFA traf im angefochtenen Bescheid zu den Gründen für den neuen Antrag auf internationalen Schutz die Feststellung, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens nicht geändert habe, der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht habe (Bescheid S 5) und gelangte zu dieser Feststellung aufgrund folgender Beweiswürdigung (Bescheid S 53 ff):

"Im Vorverfahren gaben Sie zunächst bei der Erstbefragung lediglich an, dass Ihre Familie in Streitigkeiten verwickelt wäre und mehr könnten Sie dazu nicht sagen. In der Einvernahme vor dem Bundesamt am 21.04.2017 brachten Sie vor, dass Sie zu der Partei von Pervez Musharaf gehören würden, die gegnerische Partei wäre die XXXX Partei, die gegnerische Partei hätte Sie mit dem umbringen bedroht. Auf Nachfrage führten Sie auch noch einen Religiösen Fluchtgrund ins Treffen. Sie führten an, dass Sie Schiit wären, daher hätten Sie Probleme mit Sunniten.

Ihren gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz begründen Sie damit, dass sich die Sicherheitslage in Pakistan verschlechtert hätte. Die Probleme mit der Religion wären schlimmer geworden. Die Sunniten würden Sie nicht in die Moschee lassen und auch nicht beten lassen. 2015 wären Sie daher geschlagen und mit einer Stange am Fuß verletzt worden. Ihre Eltern würden daher seit sechs Monaten in der Türkei leben.

Wie aus der obigen Gegenüberstellung der beiden Fluchtvorbringen ersichtlich ist, beziehen Sie sich im gegenständlichen Verfahren nach wie vor auf Ihre religiösen Fluchtgründe, welche bereits im Vorverfahren behandelt wurden und negativ entschieden wurden.

Unter Berücksichtigung der bereits in Ihrem Vorverfahren festgestellten Unglaubwürdigkeit und mangels Nachweis für das tatsächliche Bestehen der von Ihnen behaupteten Rückkehrbefürchtungen, sowie aufgrund der Feststellungen zur Innerstaatlichen Fluchtalternative in Pakistan geht das BFA in einer Zusammenschau des gesamten vorliegenden Sachverhalts davon aus, dass die von Ihnen im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen nach wie vor nicht den Tatsachen entsprechen.

Deshalb ist festzuhalten, dass Ihre Angaben einen unveränderten Sachverhalt darstellen, weswegen sich zum jetzigen Zeitpunkt auch hinsichtlich der im Erstverfahren getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan ebenfalls keine Änderung ergeben hat und diese daher nach wie vor für zulässig erachtet wird.

Aufgrund der Feststellungen im Vorverfahren, sowie auch aufgrund der Feststellungen, dass sich in Bezug auf die Länderberichte zu Pakistan keine wesentlichen Veränderungen der Lage ableiten lassen, kann weiterhin nicht von einer gezielt gegen Sie gerichteten Verfolgung ausgegangen werden.

Die vorgebrachten Gründe, warum es Ihnen nun nicht mehr möglich wäre, in Ihr Herkunftsland zurückzukehren, sind somit nicht geeignet, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und kann darin kein neuer, entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden, da sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25_4.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl, zB VwGH 27.9.2000, 98/12/0057). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des ho. vorliegenden Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen, die vom BFA von Amts wegen zu berücksichtigen wären, liegen auch nicht vor, da sich die allgemeine Situation in Pakistan seit Rechtskraft des vorherigen Verfahrens, nicht wesentlich geändert hat.

Zuletzt wird noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie es offenbar nicht für notwendig halten Ihre Angaben vor dem Bundesamt genauer zu tätigen. Sie haben sich dem Verfahren entzogen und sind unbekannten Aufenthaltes.

Wie aus dem Bericht der PI [...] hervorgeht, waren Sie an Ihrer gemeldeten Adresse laut Ihrem Vermieter nie aufhältig, die amtliche Abmeldung wurde durch die Polizeiinspektion veranlasst.

Die erkennende Behörde kann sohin nur zum zwingenden Schluss kommen, dass der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt unverändert ist. Es liegt sohin entschiedene Sache im Sinne von § 68 AVG vor.

2. Beweiswürdigung

2.1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vom BFA vorgelegten und unverdächtigen Verwaltungsverfahrensakten zu den Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz und aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgericht zum gegenwärtigen Beschwerdeverfahren, konkret aus den in den Akten befindlichen Niederschriften und aus dem angefochtenen Bescheid, wobei zu den jeweiligen Feststellungen die entsprechenden konkreten Quellen bzw Aktenseiten (AS) angeführt sind.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

Stattgabe der Beschwerde gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG und Behebung des bekämpften Bescheides

§ 68 AVG

3.1. Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Allgemein zur entschiedenen Sache gem § 68 Abs 1 AVG

3.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht die Rechtskraft einer Entscheidung einem neuerlichen Antrag entgegen, wenn keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vorliegt und in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122). Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Identität der Sache als eine der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 68 Abs 1 AVG ist dann gegeben, wenn sich der für die Entscheidung maßgebende Sachverhalt, der dem rechtskräftigen Vorbescheid zugrunde lag, nicht geändert hat. Im Übrigen ist bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich verändert hat, vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Eine andere fachliche Beurteilung unverändert gebliebener Tatsachen berührt die Identität der Sache nicht. In Bezug auf die Rechtslage kann nur eine Änderung der maßgeblichen Rechtsvorschriften selbst bei der Frage, ob Identität der Sache gegeben ist, von Bedeutung sein, nicht aber eine bloße Änderung in der interpretativen Beurteilung eines Rechtsbegriffs oder einer Rechtsvorschrift bei unverändertem Normenbestand (VwGH 24.06.2014, Ro 2014/05/0050). Als Vergleichsentscheidung ist dabei jene heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783). Erst nach Erlassung des Bescheides hervorgekommene Umstände, die eine Unrichtigkeit des Bescheides dartun, stellen keine Änderung des Sachverhaltes dar, sondern bilden lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund (VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Im Folgeantragsverfahren können - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089). In Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048). Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrages auf Grund geänderten Sachverhalts hat nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Im Rechtsmittelverfahren ist ausschließlich zu prüfen, ob die Behörde erster Instanz zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass keine wesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist. Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 29.06.2015, Ra 2015/18/0122).

§ 21 Abs 3 BFA-VG

3.3. Gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (Satz 2). Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen (Satz 1).

3.4. Zum gegenständlichen Verfahren

3.4.1. Das Bundesverwaltungsgericht hat fallbezogen unter Beachtung der zuvor zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zum Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).

3.4.2. Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall somit das mündlich verkündete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.08.2017.

3.4.3. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind die von einem Asylweber behaupteten Geschehnisse, die sich nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, daraufhin zu überprüfen, ob sie einen "glaubhaften Kern" aufweisen oder nicht. Dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand, ändert an diesem Umstand nichts. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Erkenntnis des Asylgerichtshofs zu Grunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit. Hat das BFA die somit erforderliche Prüfung nicht vorgenommen, konnte dieser mangelhafte Sachverhalt vom Bundesverwaltungsgericht nicht einfach dadurch behoben werden, dass es dem neuen Fluchtvorbringen nun erstmals den "glaubhaften Kern" absprach. Vielmehr wäre der Beschwerde im Sinne des § 21 Abs 3 BFA-VG 2014 stattzugeben gewesen (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

3.4.4. Fallbezogen hat der Beschwerdeführer im Verfahren zu seinem verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag bei der Erstbefragung am 07.06.2018 angegeben, dass sein richtiges Geburtsdatum "XXXX" laute.

Das BFA hat es im gesamten angefochtenten Bescheid unterlassen, sich damit auseinanderzusetzten, ob es dieses Geburtsdatum für glaubhaft erachtet. Dies ist deshalb von entscheidungswesentlicher Bedeutung, da ausgehend von einem glaubhaften Geburtsdatum "XXXX" der Beschwerdeführer nach wie vor minderjährig und unbegleitet wäre, das bisherige Verfahren vor dem BFA zum gegenständlichen Antrag rechtswidrig ohne die Einbindung der erforderlichen gesetzlichen Vertretung durchgeführt worden wäre und auch keine rechswirksame Zustellung von Ladungen und Bescheiden möglich gewesen wäre.

3.4.5. Im Ergebnis wurde insoweit eine - ordnungsgemäße - Prüfung des Vorbringens des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren auf das Vorliegen eines "glaubhaften Kerns" vom BFA unterlassen und dem Bundesverwaltungsgericht ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht erlaubt, diesen Mangel selbst zu beheben (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

3.4.6. Der Beschwerde ist daher gemäß § 21 Abs 3 BFA-VG stattzugeben und der angefochtene - im Zulassungsverfahren ergangene - Bescheid ist aufzuheben. Das Verfahren ist somit zugelassen.

3.4.7. Das BFA wird im fortzusetzenden Verfahren das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete Parteivorbringen - im gegenständlichen Fall somit die Beschwerdeausführungen - sowie allfällig zwischenzeitig vorgelegte Beweismittel zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass getätigte Angaben ergänzt bzw vervollständigt werden. Das BFA wird nach den dazu zweckmäßigen Ermittlungsschritten das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer - schlüssigen und individuellen - Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, wobei vom Beschwerdeführer dabei neu behauptete Geschehnisse - und auch seine Rechtfertigung für den Zeitpunkt seines Vorbringens - vom BFA individuell und schlüssig daraufhin zu überprüfen sein werden, ob diese einen "glaubhaften Kern" aufweisen oder nicht.

Entfall der mündlichen Verhandlung

3.5. Aufgrund der Behebung des angefochtenen Bescheides konnte eine Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B)

Revision

3.6. Die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage ist durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt, weshalb die Revision nicht zulässig ist.

3.7. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Bescheinigungsmittel, Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L516.2160762.2.00

Zuletzt aktualisiert am

26.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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