TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/22 W260 2150393-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.08.2018
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Entscheidungsdatum

22.08.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W260 2150393-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, vom 09.02.2017, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Gang des Verfahrens:

1. XXXX (im Folgenden "der Beschwerdeführer"), ein afghanischer Staatsbürger, reiste am 07.01.2015 irregulär in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 08.01.2015 erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anwesenheit einer Dolmetscherin in der Sprache Dari. Im Rahmen der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre schiitischer Moslem sei. Er habe von seinem neunten bis 16. Lebensjahr die Schule besucht und zuletzt als Schweißer gearbeitet.

Der Beschwerdeführer habe zuletzt in der Provinz Maidan-Wardak, Afghanistan gelebt. Dort seien noch sein Vater, seine Mutter, seine Schwester und zwei Brüder aufhältig. Seinen Fluchtgrund betreffend führte er aus, dass er mit einer Ismailitin vorehelichen Geschlechtsverkehr gehabt hätte, und sie von ihrer Mutter überrascht worden seien. Das Mädchen sei in der Folge von ihrem eigenen Bruder erschossen worden. Aus Angst um sein Leben habe er Afghanistan verlassen.

3. Am 02.09.2015 wurde der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangte Behörde") niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass in der Zwischenzeit sein Vater von den "Kutschis" ermordet worden sei. Insgesamt sei der Beschwerdeführer zwei Mal bei Idem Mädchen im Haus gewesen. Bei diesem zweiten Mal seien sie von ihrer Mutter beim Austausch von Intimitäten gesehen worden und die Mutter hätte ihn der Vergewaltigung bezichtigt. Das Mädchen sei in der Folge von ihrem Bruder getötet worden, seine Eltern bedroht und sein Vater geschlagen worden. Er hätte damit gerechnet, dass der Ältestenrat des Dorfes eine Strafe über ihn verhängen würde, die er akzeptiert hätte. Als er jedoch erfahren habe, dass seine Freundin getötet worden sei, hätte er binnen drei Tagen seinen Herkunftsstaat verlassen. Nach seiner Flucht sei seine Familie noch weitere viermal von der Familie seiner Freundin aufgesucht worden, wobei sein jüngerer Bruder geschlagen worden sei. Nach diesem Vorfall hätte der Ältestenrat des Dorfes ein Schreiben an die Familie des Mädchens verfasst, aus welchem hervorgehe, dass der Familie des Beschwerdeführers nichts mehr geschehen dürfe, nur an dem Beschwerdeführer selbst dürfe Rache geübt werden. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass die Polizei erst eingeschalten werde, wenn der Ältestenrat "nicht weiter wisse". Ob der Bruder seiner Freundin für den vorgebrachten Mord an seiner Schwester zur Verantwortung gezogen worden sei, wisse er nicht. In einer anderen Provinz könne er nicht wohnen, da die Familie seiner Freundin sehr groß sei.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 09.02.2017 wies diese den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.02.2018 (Spruchpunkt III.), welche in der Folge mit nicht verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 28.02.2018 bis zum 09.02.2020 verlängert wurde.

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Beschwerdeführers begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer keine Gründe glaubhaft bzw. geltend gemacht habe, wonach er in Afghanistan asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe.

5. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tage stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater amtswegig zur Seite.

6. Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht gegen Spruchpunkt I. des obgenannten Bescheides Beschwerde.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage gebracht und sind am 17.03.2017 ebendort eingelangt.

8. Am 09.11.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, welche aufgrund der Abwesenheit der bestellten Dolmetscherin auf den 08.02.2018 verlegt wurde, in dieser Verhandlung wurde aus verfahrensökonomischen Gründen der bevollmächtigten Vertretung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 22.06.2017, ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 04.05.2016, das Gutachten Mag. MALYAR vom 27.07.2009 zum Thema Blutrache, sowie einen Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016: Männer und Frauen, die vermeintlich gegen die "sozialen Sitten" verstoßen, mit der Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme in das Verfahren eingebracht.

9. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers langte am 29.12.2017 samt weiteren Integrationsunterlagen, darin Prüfungsbescheinigung des Beschwerdeführers als Schweißer vom 30.11.2017 der Wirtschaftskammer Österreich ein.

10. Am 08.02.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt und ist der Beschwerdeführer persönlich mit seiner bevollmächtigten Vertreterin erschienen und wurde im Beisein eines Dolmetschers ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt. Das Bundesverwaltungsgericht brachte im Zuge dieser Beschwerdeverhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 31.01.2018, in das Verfahren ein. Der Beschwerdeführer stellte seine persönlichen Verhältnisse dar und legte seine Befähigungsnachweise als Schweißer sowie ein Schreiben der Dorfältesten, jeweils im Original, zum Beweis für die ihm drohende Verfolgung vor.

Die belangte Behörde ist der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt ferngeblieben, die Verhandlungsschrift wurde übermittelt.

11. Dieses vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben wurde gesondert vom Dolmetscher schriftlich übersetzt und den Verfahrensparteien im Rahmen des Parteiengehörs am 05.03.2018 übermittelt. Der Beschwerdeführer übermittelte namens seiner Rechtsberatung eine schriftliche Stellungnahme, seitens der belangten Behörde erfolgte keine Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der Provinz Maidan-Wardak, Bezirk Beshud, im Dorf XXXX geboren und hat dort mit einer Unterbrechung bis zu seiner Ausreise gelebt. In seinem Heimatort sind seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester aufhältig. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Vater des Beschwerdeführers ermordet wurde.

Der Beschwerdeführer spricht Dari und hat von seinem neunten bis zu seinem 16. Lebensjahr in Beshud die Schule besucht.

Der Beschwerdeführer verdingte sich in seinem Herkunftsstaat als Schweißer.

Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat weder politisch tätig, noch gehörte er einer politischen Partei an.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit vorehelichen sexuellen Handlungen mit seiner angeblichen Freundin in Afghanistan physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre bzw. eine solche im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Der Beschwerdeführer gilt als strafrechtlich unbescholten.

1.2. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 31.01.2018:

1.2.1.1. Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Zivile Opfer

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

1.2.1.2. Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9.2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9.2016; vgl. auch:

Max-Planck-Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9.2016).

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet - (AI 24.2.2016).

1.2.1.3. Wardak/ Maidan Wardak

Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.u). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 606.077 geschätzt (CSO 2016).

Die Hauptautobahn Kabul-Kandahar geht durch die Provinz Maidan Wardak und verbindet dadurch die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen mit der Hauptstadt Kabul (Khaama Press 6.5.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Wardak 359 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in der Provinz festgehalten - gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Talibanaufständische sind in einer Anzahl von abgelegenen Distrikten in der Provinz aktiv (Khaama Press 3.7.2016). Aufständische werden durch die Sicherheitskräfte in der Provinz Wardak bekämpft (SIGAR 30.1.2017) und auch militärische Operationen werden durchgeführt (Khaama Press 25.9.2016; Khaama Press 28.10.2016; Khaama Press 17.8.2016; Khaama Press 21.7.2016; Khaama Press 1.6.2016).

1.2.1.4. Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

1.2.1.5. Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

1.2.1.6. Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

Resolute Support Mission

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

1.2.1.7. Rechtsschutz/Justizwesen:

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9.2016).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Fluchtgründen:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Aufenthaltsorten, zu seinem schulischen sowie beruflichen Werdegang sind weitestgehend stringent und ergibt sich aus seinen durchgängig gleichlautenden Angaben im Verfahren.

Bereits die belangte Behörde wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr als nicht glaubhaft und auch im Laufe der Beschwerdeverhandlung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, widersprüchliche und unplausible Angaben nachvollziehbar zu erklären und die Gründe seiner Ausreise schlüssig darzulegen:

2.2.1. Bei der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund angegeben, er habe mit einem Mädchen namens XXXX seit 11 Jahren eine Beziehung. Eines Tages hätte sie ihn angerufen und es wäre zum Geschlechtsverkehr gekommen, wobei sie von ihrer Mutter "erwischt" worden seien. In der Folge sei der Beschwerdeführer auf einen Berg gelaufen, hätte seinen Cousin angerufen, der ihm erzählt hätte, dass XXXX von ihrem Bruder erschossen worden sei, und die Familie nach ihm suchen würde (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift der Erstbefragung vom 08.01.2015, Seite 6).

2.2.2. Diese Angaben bestätigte der Beschwerdeführer in seiner Befragung am 02.09.2015 vor der belangten Behörde und gab an, dass er "dachte, dass vielleicht eine Dorfversammlung stattfinden würde, um mir eine Strafe aufzuerlegen" (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift vor der belangten Behörde am 02.09.2015, Seite 4). Auf dem Berg sei er von seinem Cousin angerufen worden, dass XXXX Bruder sie erschossen hätte. In der Folge hätte ihm dieser Cousin bei der Flucht geholfen, wobei der Beschwerdeführer nicht einmal mehr seine Eltern aufgesucht hätte. Der Cousin hätte ihm auch erzählt, dass XXXX Familie bei ihm Zuhause gewesen sei, wobei sein Vater geschlagen worden sei (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift vor der belangten Behörde am 02.09.2015, Seite 5). Im Juli 2015 hätte er noch einmal mit seinem Cousin telefoniert, der ihm berichtet hätte, dass sein Vater von den "Kutschis" ermordet worden sei (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift vor der belangten Behörde am 02.09.2015, Seite 5). Das Handy des Cousins funktioniere nach diesem Telefonat nicht mehr.

2.2.3. In einer weiteren Befragung vor der belangten Behörde führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt aus, dass er erfahren hätte, dass XXXX Familie viermal bei ihnen zuhause gewesen sei, zuletzt sei sein jüngerer Bruder geschlagen worden. Nach diesem Vorfall hätten die Dorfältesten einen Brief geschrieben, der es XXXX Familie untersagen würde, der Familie des Beschwerdeführers etwas anzutun. Befragt ob der Vorfall der Polizei gemeldet worden sei, gab der Beschwerdeführer an, dass seine Familie dies aus Angst um ihn nicht gemeldet hätte und XXXX Familie nicht, da sonst der Bruder von der Polizei abgeholt worden wäre. Grundsätzlich entscheide in einem Dorf der Ältestenrat, wenn dieser nicht weiterwisse, würde die Polizei eingeschaltet werden. Ob der Ältestenrat den Bruder von XXXX zur Verantwortung gezogen hätte, wisse der Beschwerdeführer nicht (vgl. Aussagen des Beschwerdeführers, Niederschrift vor der belangten Behörde am 02.02.2017, Seite 5).

2.2.4. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer aus, dass XXXX Eltern dreimal bei ihnen zu Hause gewesen seien und seinen Bruder geschlagen hätten. Kurz zuvor führte der Beschwerdeführer konkret befragt aus, dass seine Familie nicht bedroht worden sei (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 08.02.2018, Seite 8). Ein alter Mann aus dem Dorf hätte gesehen, dass sein Bruder geschlagen worden sei, und im Anschluss hätte der Ältestenrat den obgenannten Brief verfasst.

Konkret befragt, wie es sein könne, dass XXXX Eltern binnen drei oder vier Stunden bei seinen Eltern sein könnten und zu diesem Zeitpunkt XXXX bereits getötet worden sei und der Cousin ihm dies bereits am Telefon habe erzählen können, konnte der Beschwerdeführer nur dahingehend beantworten, dass die Familie irgendwo eingeladen gewesen sei, wo der Bruder und angebliche Mörder von XXXX gewesen sei, wisse er nicht. Sein Cousin habe ihn um 16:00 angerufen, um 10:00 vormittags sei er bei XXXX gewesen ein- bis eineinhalb Stunden später hätte ihre Mutter die beiden ertappt.

2.2.5. Die Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgründen sind aus folgenden Erwägungen nicht glaubhaft und waren nicht geeignet, eine begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen:

Bei einer Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers zu den sexuellen Handlungen mit seiner Freundin ist nicht nachvollziehbar, dass der Bruder binnen weniger Stunden die eigene Schwester getötet, und die gesamte Familie die Familie des Beschwerdeführers aufgesucht hätte und seinen Vater nicht nur geschlagen, sondern, wie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausgesagt, die "Zähne ausgeschlagen" hätte. Auch sei sein Vater mit dem Tod bedroht worden (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift der mündlichen Verhandlung am 08.02.2018, Seite 12).

Der Beschwerdeführer hat zudem im Laufe des Verfahrens sein Vorbringen dahingehend gesteigert, dass von diesen Misshandlungen wie "Zähne ausschlagen" bisher nicht die Rede war, was ebenfalls dafürspricht, dass das Fluchtvorbringen nicht erlebnisbasiert dargestellt wird. In diesem Zusammenhang konnte auch keine Feststellung zum Vater des Beschwerdeführers getroffen werden, dessen angebliches Schicksal ebenfalls nicht erlebnisbasiert sondern vom "Hörensagen" vom Beschwerdeführer dargestellt wurde.

Es ist für das erkennende Gericht ebenso nicht nachvollziehbar und im Ergebnis nicht glaubhaft, dass all dies innerhalb so kurzer Zeit stattgefunden haben soll und hat der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens sein Vorbringen dahingend gesteigert, dass von diesen Misshandlungen bisher nicht die Rede war. Ebenso nicht glaubhaft ist, dass sein Bruder zuletzt zuhause geschlagen worden sei, der Grund für den Brief der Dorfältesten sei jedoch gewesen, dass ein anderer gesehen hätte, dass sein Bruder offenbar auf der Straße geschlagen worden sei, zuhause kann es ein Fremder nicht gesehen haben. In diesem Zusammenhang ist es ebenso nicht glaubhaft, dass der Dorfältestenrat eineinhalb Jahre nach der angeblichen Ermordung seiner Freundin sich in die Belange der Familien eingeschaltet hat, wusste doch nach Angaben des Beschwerdeführers bereits im Zeitraum der Beerdigung das ganze Dorf was vorgefallen sei (vgl. Aussage des Beschwerdeführers, Niederschrift vor der belangten Behörde am 02.02.2017, Seite 5).

Es ist für das erkennende Gericht ebenso nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer binnen weniger Stunden - ohne nochmals Zuhause gewesen - zu sein, die Flucht angetreten hätte und hiefür EUR 6.000,- bezahlen konnte. Dass sein Cousin ihn "unterstützt" hätte vermag das nicht konkret zu erklären. Eine unverzügliche Ausreise des Beschwerdeführers, erscheint vor diesem Hintergrund nicht plausibel, zumal auch nicht glaubhaft ist, dass es dem Cousin des Beschwerdeführers möglich gewesen sein soll, innerhalb von etwa drei Stunden eine - bis dahin nicht geplante - schlepperunterstützte Reise nach Europa zu organisieren und die nicht unbeträchtlichen finanziellen Mittel bereitzustellen.

Es ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, dass nicht zunächst versucht wurde, mit der Familie des Mädchens zu einer Einigung zu gelangen. Auch aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass es in Fällen vorehelichen Geschlechtsverkehrs oftmals - auch ohne Beteiligung von Gerichten oder Vermittlungsgremien - zu einer Einigung der betroffenen Familien kommt. Dies gibt auch der Beschwerdeführer in seiner Befragung selbst an, dass er damit gerechnet hätte, dass Ältestenrat ihm eine Strafe auferlegen würde.

Im Übrigen konnte der Beschwerdeführer auch nicht nachvollziehbar erklären, warum er erst nach zwei Jahren von seiner Mutter erfahren hat, dass offenbar sein Vater nicht von den "Kutschis", sondern vom Bruder der XXXX getötet worden sei, eine Einschaltung der Dorfältesten jedoch erst das Schlagen seines jüngeren Bruders gewesen sei. Dass sie den Sohn schützen wollte, der im Ausland aufhältig ist, ist nicht nachvollziehbar.

2.2.6. Es zeigt sich somit, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren widersprüchliche Angaben gemacht und sein Fluchtvorbringen im Laufe des Verfahrens auch gesteigert hat. Seine Angaben mit Belegen zu untermauern, war der Beschwerdeführer nicht imstande, weshalb es umso wichtiger gewesen wäre, sein Vorbringen konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Der Beschwerdeführer wurde zudem nicht persönlich bedroht, die angebliche Ermordung und die Misshandlung seines Vaters und Bruders kennt er nur vom Hörensagen. Ein Beweismittel, wie der angebliche Brief der Dorfältesten, welcher ins Verfahren eingebracht wurde, konnte diesen Anforderungen nicht gerecht werden. Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung und im gesamten Beschwerdeverfahren seine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung nicht aufzuzeigen und eben nicht glaubhabhaft vermitteln, dass ihm die Verfolgung aufgrund außerehelichen Geschlechtsverkehrs drohe.

Weitere Verfolgungsgründe wurden im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht.

2.3. Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren ergibt sich, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.

Es konnte weder eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen für wahrscheinlich erscheinen lassen.

Eine explizite - asylrelevante - Gefährdung seiner Person ist auch im Hinblick auf die Erkrankung des Beschwerdeführers im Verfahren auch sonst nicht hervorgekommen.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

2.4.1. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.4.2. Angesichts der Seriosität der vom Bundesverwaltungsgericht und von der belangten Behörde ins Verfahren eingebrachten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht jedoch kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Insbesondere wurde mit den Ausführungen in Beschwerde des Beschwerdeführers den verwendeten Berichten nicht substantiiert entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutzes laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist und glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in der Folge GFK) droht.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". "Wohlbegründet" kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter "Verfolgung" ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/011; VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; VwGH 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.02.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; VwGH 18.02.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

3.2. Für eine (realistisch) drohende Verfolgung des Beschwerdeführers aus politischen, religiösen oder ethnischen Motiven findet sich im gesamten Verfahren kein substantieller Anhaltspunkt.

Es ist dem Beschwerdeführer daher nicht gelungen, eine konkrete und gezielte gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention gennannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

3.2.1. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, gelang es dem Beschwerdeführer auch nicht, eine konkrete Gefahr vor Verfolgung gegen seine Person glaubhaft zu machen.

3.2.2. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.3. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde hat sich die belangte Behörde ausführlich und umfassend mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.

Da der Beschwerdeführer weder glaubhaft machen konnte, noch auf Grund des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen ist, dass ihm eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, war der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG richtigerweise als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die zitierte aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, in der jeweiligen Fassung.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

außerehelicher Geschlechtsverkehr, Glaubwürdigkeit, individuelle
Verfolgungsgefahr, Intensität, mangelnde Asylrelevanz, private
Verfolgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W260.2150393.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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