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E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art6 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des H K A, vertreten durch Dr. Nikolaus Schirnhofer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Aspernbrückengasse 4/8A, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. November 2017, VGW- 151/085/6699/2017-12, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte seit 28. Februar 2006 über eine Aufenthaltsbewilligung zum Zweck "Studierender", die zuletzt bis 6. Oktober 2013 verlängert wurde. Am 4. Oktober 2013 beantragte er zunächst eine weitere Verlängerung seines Aufenthaltstitels "Studierender", änderte seinen Antrag aber auf Feststellung der "quotenpflichtige(n) Niederlassungsbewilligung für Selbständige Erwerbstätigkeit", wobei er sich auf Art. 41 des Zusatzprotokolls (ZP) des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) berief, zog seine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) betreffend seinen Zweckänderungsantrag zurück und brachte schließlich - zumal die Behörde über den mit dem Zweckänderungsantrag verbundenen Verlängerungsantrag für seinen Aufenthaltstitel "Studierender" bis dahin nicht entschieden hatte - am 4. Jänner 2017 einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" ein. Dabei berief sich der Revisionswerber auf Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den abweisenden Bescheid der Behörde vom 28. April 2017 betreffend den Zweckänderungsantrag ab und bestätigte den Bescheid mit der Maßgabe, dass die Rechtsgrundlage "§ 24 Abs. 4 iVm § 41a NAG" zu lauten habe. Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.
Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber erfülle die besonderen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 41a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nicht, er sei jedoch laut Sozialversicherungsdatenauszug seit 1. Dezember 2015 - somit seit etwa drei Jahren - als Arbeiter bei demselben Arbeitgeber gemeldet; Beschäftigungsbewilligungen lägen für den Zeitraum vom 3. November 2014 bis 2. November 2017 im Ausmaß von zunächst zehn und später 20 Wochenstunden vor. Anschließend setzte sich das VwG mit den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und der dazu ergangenen Judikatur des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass türkische Staatsangehörige unmittelbar aus ARB 1/80 Rechte ableiten könnten und ein erteilter Aufenthaltstitel oder eine Arbeitserlaubnis nur deklarative Bedeutung hätte. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a NAG würde dem Revisionswerber jedoch einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt einräumen, der über die aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 ableitbaren Rechte hinausginge, und ihm somit konstitutiv ein weiteres Aufenthalts- und Arbeitsrecht zuerkennen als ihm nach ARB 1/80 zustehe.
Die Zulässigkeit einer ordentlichen Revision begründete das VwG damit, dass hg. Rechtsprechung zu der Frage fehle, welcher Aufenthaltstitel nach dem NAG einem türkischen Staatsangehörigen, der ein Aufenthaltsrecht gemäß Art. 6 Abs. 1 erster oder zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben habe, über einen Aufenthaltstitel "Studierender" verfüge und künftig einer unselbständigen Erwerbstätigkeit im Ausmaß von mehr als 20 Wochenstunden nachgehen wolle, zu erteilen sei.
3 In ihrer Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision vor, die Frage, in welcher Art und in welcher Form ein Recht aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 zu dokumentieren sei, sei noch nicht abschließend geklärt. Sollte der beantragte Aufenthaltstitel nicht als Dokumentationsnachweis in Betracht kommen, hätte das VwG seiner Belehrungspflicht gemäß § 23 Abs. 1 NAG nachkommen müssen, weshalb das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche.
4 Es trifft zu, dass sowohl zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses als auch der Einbringung der Revision zu der im Wesentlichen übereinstimmend formulierten grundsätzlichen Rechtsfrage noch keine hg. Rechtsprechung vorlag. Mittlerweile ist die Rechtslage betreffend Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 mit hg. Erkenntnis vom 9. August 2018, Ro 2017/22/0015, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, jedoch geklärt (vgl. zum nachträglichen Wegfall einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auch für ordentliche Revisionen etwa VwGH 12.9.2016, Ro 2015/12/0024). Die in diesem Erkenntnis getroffenen Aussagen sind auf Fälle nach dem zweiten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gleichermaßen anwendbar, weil ein türkischer Staatsangehöriger auch aus dieser Bestimmung noch kein Recht auf einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ableiten kann.
Da der Revisionswerber somit aus Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 kein Recht auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG ableiten kann, waren weder Behörde noch das VwG gehalten, ihn gemäß § 23 Abs. 1 NAG zu belehren.
5 Da die in der Revision aufgeworfene Rechtsfrage mittlerweile im Sinn der Entscheidung des VwG geklärt ist, war die Revision zurückzuweisen.
Wien, am 6. September 2018
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018220008.J00Im RIS seit
26.09.2018Zuletzt aktualisiert am
07.11.2018