Entscheidungsdatum
31.07.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W220 2103966-1/26E
W220 2103970-1/23E
W220 2168897-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela Unterer als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX , 3) XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, alle vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) 03.03.2015, Zl. 1019289700-14637289, 2) 03.03.2015, Zl. 1019290309-14637173, 3) 10.08.2017, Zl. 1159502106-170835215, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht
zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Ehegattin des Zweitbeschwerdeführers und die Mutter des Drittbeschwerdeführers.
2. Die Erst- und der Zweitbeschwerdeführer reisten gemeinsam unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 21.05.2014 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Für den in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführer wurde am 12.07.2017 durch den Zweitbeschwerdeführer als seinen gesetzlichen Vertreter ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3. Am 21.05.2014 fand die Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
4. Am 11.02.2015 fand jeweils eine niederschriftliche Befragung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Zusammengefasst bezogen sie sich zu ihren Fluchtgründen auf eine Gefährdung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Sikh. Die Erstbeschwerdeführerin brachte sexuelle Belästigungen in diesem Zusammenhang vor. Sie seien aufgefordert worden, zum Islam zu konvertieren und als Ungläubige bezeichnet worden. Zudem seien Steine auf sie geworfen worden. Auch hinsichtlich ihres Bestattungsrituals seien sie gefragt worden. Die Erstbeschwerdeführerin führte ins Treffen, dass sie dort nicht allein habe hinaus oder in den Tempel gehen können, hier könne sie alleine spazieren gehen. Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer bezogen sich auf ein konkretes Ereignis, bei dem die Schwester des Zweitbeschwerdeführers, als diese mit der Erstbeschwerdeführerin am Weg zum Tempel gewesen wäre, entführt worden sei. Die Erstbeschwerdeführerin führte aus, dass es einmal einen Drohbrief gegeben habe und später noch ein Brief gekommen sei, in dem Geld gefordert worden sei. Da sie das zweite Mal nicht gezahlt hätten, sei die Schwägerin entführt worden. Der Zweitbeschwerdeführer führte schriftliche Gelderpressungen ins Treffen. Sie seien mit Briefen zur Konversion zum Islam aufgefordert worden. Zudem schilderte der Zweitbeschwerdeführer, dass die Situation für Sikh in XXXX sehr schlecht sei. Auslösend für die Ausreise seien die unsichere Situation für ihre Frauen und für Angehörige ihrer Religion gewesen. Schließlich brachte der Zweitbeschwerdeführer vor, dass nach seiner Schwester auch seine Cousine entführt worden sei. Die Erstbeschwerdeführerin legte die Kopie eines Ausweises ihres Vaters vor. Der Zweitbeschwerdeführer legte eine Heiratsurkunde und einen Kaufvertrag in deutscher Übersetzung vor.
In der Einvernahme vor dem Bundesamt am 08.08.2017 brachte der Zweitbeschwerdeführer hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers als dessen gesetzlicher Vertreter vor, dass der Drittbeschwerdeführer gesund sei und für ihn die gleichen Fluchtgründe gelten würden.
5. Mit oben unter 1) bis 3) genannten Bescheiden wurde jeweils der Antrag der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers auf Zuerkennung des Status der/des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) und auf Zuerkennung des Status der/des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer gem. §§ 55, 57 AsylG und dem Drittbeschwerdeführer gem. § 55 AsylG nicht erteilt. Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG wurde gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und jeweils gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen bzw. 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. bei Bf1 und Bf2 bzw. Spruchpunkt IV. bei Bf3).
6. Gegen die unter 5. genannten Bescheide wurde jeweils fristgerecht Beschwerde erhoben.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die eingebrachten Beschwerden am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.
Hinsichtlich nachfolgender beigeschaffter Berichte zur Situation in Afghanistan
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Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018,
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Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Frauen in urbanen Zentren, vom 18.09.2017,
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Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin zu Afghanistan vom 31.05.2018,
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Anfragebeantwortung von ACCORD vom 07.09.2017 (zur Lage der Sikhs) und vom 01.06.2017,
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Gutachten zur Lage der Sikhs in Afghanistan von Dr. S. Rasuly vom 27.02.2016,
wurde eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt.
8. Am 21.06.2018 langten Stellungnahmen dazu ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan. Sie gehören der Religion der Sikh an. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind die Eltern des Drittbeschwerdeführers. Der Zweitbeschwerdeführer ist mit der Erstbeschwerdeführerin verheiratet.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer lebten in der Stadt XXXX , in der Provinz XXXX . Der Drittbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren.
2. Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Stadt XXXX geboren und lebte dort bis zu ihrer Ausreise. Sie hat keine Schule besucht, jedoch im Sikh-Tempel Punjabi Lesen und Schreiben sowie ein wenig Englisch gelernt. Sie hat keinen Beruf ausgeübt.
Die Eltern der Erstbeschwerdeführerin und ihre drei Brüder leben in Wien. Ihre älteste Schwester lebt in London. Die Erstbeschwerdeführerin hat zwei weitere Schwestern, die in der Stadt XXXX leben. Ein Onkel väterlicherseits der Erstbeschwerdeführerin lebt in Oberösterreich.
Der Zweitbeschwerdeführer wurde in der Provinz Uruzgan geboren und zog mit seiner Familie im Kleinkindalter in die Stadt XXXX , wo er bis zur Ausreise lebte. Der Zweitbeschwerdeführer wurde im Tempel unterrichtet und lernte dort Punjabi und ein wenig Englisch. Zudem hat er mittlere Sprachkenntnisse in Farsi. Er war in der Apotheke seines Vaters beschäftigt, wo er mitgeholfen hat. Dass der Zweitbeschwerdeführer in den letzten zwei bis drei Jahren wegen Bedrohungen nicht mehr dort gearbeitet hat, ist nicht glaubhaft.
Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers leben in der Stadt XXXX und sind wohlhabend. Sie sind Eigentümer eines Hauses in XXXX . Sie verfügen über viel Vermögen und betreiben eine Apotheke, die wirtschaftlich erfolgreich ist, sodass die Familie von deren Ertrag gut leben kann.
Der Zweitbeschwerdeführer hat einen Bruder und drei Schwestern. Eine Schwester des Zweitbeschwerdeführers lebt in Österreich. Die übrigen Geschwister des Zweitbeschwerdeführers halten sich in XXXX auf.
Der Zweitbeschwerdeführer hat darüber hinaus väterlicherseits fünf Onkeln, wobei er als solche (auch) Brüder und Kinder großväterlicherseits bezeichnet. Zudem hat er vier Tanten väterlicherseits. Ein Onkel und eine Tante väterlicherseits sind bereits verstorben, zwei Tanten väterlicherseits leben in Österreich. Mütterlicherseits hat der Zweitbeschwerdeführer drei Tanten und einen Onkel.
3. Es ist nicht glaubhaft, dass die Familie des Zweitbeschwerdeführers über Jahre hinweg schriftlich drangsaliert und erpresst wurde. Es ist nicht glaubhaft, dass die Erstbeschwerdeführerin und die Schwester des Zweitbeschwerdeführers am Weg in den Tempel attackiert wurden und letztere dabei entführt wurde. Es ist nicht glaubhaft, dass eine Cousine des Zweitbeschwerdeführers entführt wurde. Das in jeweiligem Zusammenhang erstattete Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ist nicht glaubhaft.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind.
4. Die Erstbeschwerdeführerin ist 26 Jahre alt. Sie lebt in Österreich im Familienverband mit dem Zweitbeschwerdeführer und dem Drittbeschwerdeführer in einer Mietwohnung.
Die Erstbeschwerdeführerin besuchte den Deutschkurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs 1)" einmal vom 13.10.2014 bis 22.12.2014 und ein weiteres Mal vom 03.02.2015 bis 16.04.2015. Sodann besuchte sie den Deutschkurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs 2)" vom 28.04.2015 bis 16.07.2015 und vom 08.09.2015 bis 20.11.2015 den Kurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs A 2.1.)". Die Erstbeschwerdeführerin besuchte vom 05.04.2016 bis 23.06.2016 ein Sprachkompetenztraining. Sie hat die Kurse lediglich besucht, darüber aber keine Prüfungen abgelegt.
Die Zweitbeschwerdeführerin hat grundlegende Deutschkenntnisse. Sie kann auf einfachem Niveau über Alltägliches in gebrochenem Deutsch kommunizieren.
Als sie noch in XXXX lebte, war die Erstbeschwerdeführerin im Jahr 2015 in der CARITAS Nachbarschaftshilfe tätig. In diesem Rahmen unterstützte sie Personen im Haushalt, etwa bei Reinigungsarbeiten. Die Erstbeschwerdeführerin hat an ihrem Wohnort in XXXX soziale Kontakte geknüpft.
Sie übt in Österreich seit dem Umzug nach XXXX keine Aktivitäten außerhalb des Lebens im Familienverband aus. Derzeit besucht die Erstbeschwerdeführerin keine Deutschkurse. Sie kümmert sich um den einjährigen Drittbeschwerdeführer. In ihrem Alltagsleben absolviert sie nach dem Aufstehen das Morgengebet, dann wird gefrühstückt und die Erstbeschwerdeführerin putzt die Wohnung. Manchmal gehen sie einkaufen und in Parks spazieren, mitunter gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer.
Die Erstbeschwerdeführerin hat eine enge, gute Verbindung mit ihren in WIEN lebenden Eltern. Manchmal kommen sie nach WIEN, um die Eltern der Erstbeschwerdeführerin zu besuchen.
Die Erstbeschwerdeführerin war im Mai 2018 in stationärer Krankenbehandlung, wobei eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt wurde. Der postoperative Verlauf war unauffällig, sodass die Erstbeschwerdeführerin nach zwei Tagen wieder nachhause entlassen werden konnte. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.
Die Erstbeschwerdeführerin führt in Österreich kein selbstbestimmtes Leben und strebt die Führung eines solchen auch nicht an. Die Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin verstößt nicht einer solchen Form gegen die sozialen Normen in urbanen Gebieten Afghanistans, dass sie als gegen die sozialen Sitten sowie gegen religiöse und politische Normen verstoßend und sie exponierend wahrgenommen wird. Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Lebensweise angenommen, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Eine derartige Lebensweise ist nicht Bestandteil der Identität der Erstbeschwerdeführerin geworden.
5. Der Zweitbeschwerdeführer ist 34 Jahre alt.
Der Zweitbeschwerdeführer besuchte den Deutschkurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs 1)" vom 13.10.2014 bis 22.12.2014 und den Kurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs 2)" vom 28.04.2015 bis 16.07.2015. Der Zweitbeschwerdeführer besuchte von 08.09.2015 bis 20.11.2015 den Kurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs A 2.1.)". Der Zweitbeschwerdeführer besuchte vom 05.04.2016 bis 23.06.2016 ein Sprachkompetenztraining. Er besuchte im Zeitraum vom 19.03.2018 bis 20.06.2018 einen Deutschkurs auf dem Sprachniveau A2.
Der Zweitbeschwerdeführer hat, als er noch in VORALRBERG lebte, seit Februar 2015 im Rahmen des Projekts Nachbarschaftshilfe der CARITAS Reinigungsarbeiten in den Büroräumlichkeiten der Caritas und in der Umgebung ausgeübt. Der Zweitbeschwerdeführer hat an seinem Wohnort in XXXX soziale Kontakte geknüpft.
Der Zweitbeschwerdeführer ist gesund.
Der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin sind nicht selbsterhaltungsfähig.
6. Der Drittbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren und ist ein Jahr alt. Er wächst im Familienverband bei seinen Eltern auf. Es wurden keine Faktoren glaubhaft gemacht und haben sich solche auch sonst nicht ergeben, die eine Gefahrenverdichtung in der Person des Drittbeschwerdeführers aufgrund seiner Minderjährigkeit darstellen. Es besteht für ihn aufgrund seiner Minderjährigkeit insbesondere keine erhöhte Gefahr, ziviles Opfer von Angriffen Aufständischer oder sonstiger Auseinandersetzungen zu werden. Der Drittbeschwerdeführer läuft aufgrund seines jungen Alters nicht Gefahr, Opfer von Gewalt, Missbrauch oder Kinderarbeit zu werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass es dem Drittbeschwerdeführer unmöglich oder unzumutbar wäre, sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.
7. Im Falle einer Verbringung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat droht diesen kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Den Beschwerdeführern steht - abgesehen von ihrer Rückkehr nach XXXX Stadt - auch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Kabul zur Verfügung.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben bis zu ihrer Ausreise in XXXX gelebt. Sie können XXXX - über Kabul - sicher mit dem Flugzeug erreichen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Stadt XXXX sowie auch bei einer Niederlassung in Kabul Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
In XXXX verfügen die Beschwerdeführer über ein familiäres Netz, das sie bei einer Rückkehr unterstützen kann. Die Familie des Zweitbeschwerdeführers ist vermögend und betreibt eine Apotheke, wodurch die Beschwerdeführer - wie vor der Ausreise - finanziell abgesichert sind. Zudem steht in XXXX ein Haus im Eigentum der Familie, sodass die Beschwerdeführer dort Obdach finden. Der Zweitbeschwerdeführer kann in XXXX jedenfalls im Rahmen des Betriebs der Apotheke umgehend eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Der Zweitbeschwerdeführer ist aber ebenso in der Lage, auch in Kabul eine Unterkunft zu finden und dort am Erwerbsleben teilzunehmen. Aufgrund des traditionell starken Zusammenhalts innerhalb der Familien in Afghanistan ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr seitens der Familie Unterstützung geleistet wird. Durch seine Verwandten, die nach wie vor in Afghanistan leben, kann den Beschwerdeführern auch trotz räumlicher Entfernung Unterstützung geleistet werden. Geldüberweisungen innerhalb Afghanistans sind ohne weiteres möglich, auch das Herstellen von Kontakten ist möglich. Für diese Unterstützungsleistungen durch das familiäre Netz ist keine physische Nähe nötig.
Beim Zweitbeschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen und gesunden Erwachsenen, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Zweitbeschwerdeführer hat bereits in der Apotheke seines Vaters mitgeholfen und daher Arbeitserfahrung. Er ist mit dem Arbeitsmarkt in Afghanistan vertraut und er kann eine entsprechende oder ähnliche Tätigkeit wieder aufnehmen. Durch seine vormalige Tätigkeit und das familiäre Netz, das ihm insbesondere bei der Arbeitssuche helfen und Kontakte vermitteln kann, hat er auch maßgebliche Vorteile bei der Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit in Afghanistan.
Die Beschwerdeführer haben die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer leiden an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Der Drittbeschwerdeführer ist gesund.
8. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.12.2017:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2018
Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).
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Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
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The Guardian (22.1.2018)
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
Quellen:
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Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul,
https://www.channelnewsasia.com/news/asiapacific/taliban-and-is-create-perfect-storm-of-bloodshed-in-kabul-9909494, Zugriff 30.1.2018
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BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire, http://www.bbc.com/news/world-asia-42855374, Zugriff 29.1.2018
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BBC (24.1.2018): Save the Children offices attacked in Jalalabad, Afghanistan, http://www.bbc.com/news/world-asia-42800271, Zugriff 29.1.2018
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BBC (21.1.2018): Kabul: Afghan forces end Intercontinental Hotel siege, http://www.bbc.com/news/world-asia-42763517, Zugriff 29.1.2018
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DW - Deutsche Welle (21.1.2018): Taliban militants claim responsibility for attack on Kabul hotel, http://www.dw.com/en/taliban-militants-claim-responsibility-for-attack-on-kabul-hotel/a-42238097, Zugriff 29.1.2018
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NYT - The New York Times (28.1.2018): Attack Near Kabul Military Academy Kills 11 Afghan Soldiers, https://www.nytimes.com/2018/01/28/world/asia/kabul-attack-afghanistan.html, Zugriff 29.1.2018
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NYT - The New York Times (21.1.2018): Siege at Kabul Hotel Caps a Violent 24 Hours in Afghanistan,
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Reuters (28.1.2018): Shock gives way to despair in Kabul after ambulance bomb,
https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast/shock-gives-way-to-despair-in-kabul-after-ambulance-bomb-idUSKBN1FG086, Zugriff 29.1.2018
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Reuters (24.1.2018): Islamic State claims attack on Jalalabad in Afghanistan,
https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast-claim/islamic-state-claims-attack-on-jalalabad-in-afghanistan-idUSKBN1FD1HC, Zugriff 29.1.2018
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Reuters (20.1.2018): Heavy casualties after overnight battle at Kabul hotel,
https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attacks/heavy-casualties-after-overnight-battle-at-kabul-hotel-idUSKBN1F90W9, Zugriff 29.1.2018
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The Guardian (29.1.2018): Afghanistan: gunmen attack army post at Kabul military academy,
https://www.theguardian.com/world/2018/jan/29/explosions-kabul-military-academy-afghanistan, Zugriff 29.1.2018
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The Guardian (28.1.2018): 'We have no security': Kabul reels from deadly ambulance bombing,
https://www.theguardian.com/world/2018/jan/28/afghanistan-kabul-reels-bomb-attack-ambulance, Zugriff 29.1.2018
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The Guardian (27.1.2018): Kabul: bomb hidden in ambulance kills dozens,
https://www.theguardian.com/world/2018/jan/27/scores-of-people-wounded-and-several-killed-in-kabul-blast, Zugriff 29.1.2018
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The Guardian (24.1.2018): Isis claims attack on Save the Children office in Afghanistan,
https://www.theguardian.com/world/2018/jan/24/explosion-attack-save-the-children-office-jalalabad-afghanistan, Zugriff 29.1.2018
KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).
Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).
Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).
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(Grafik: Staatendokumentation gemäß Daten aus INSO o.D.)
Zivilist/innen
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
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(UNAMA 10.2017)
High-profile Angriffe:
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).
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(Guardian 7.11.2017)
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe
Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).
Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).
Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:
Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um
3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Taliban
Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):
Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).
Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).
Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).
Politische Entwicklungen
Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).
Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).
Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).
Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).
In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).
Quellen:
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al Jazeera (20.10.2017): Deadly attacks hit mosques in Kabul and Ghor,
http://www.aljazeera.com/news/2017/10/dozens-feared-dead-attacks-afghanistan-171020142936566.html, Zugriff 20.12.2017
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BBC (31.10.2017): Kabul Green Zone attacked by suicide bomber, http://www.bbc.com/news/world-asia-41819850, Zugriff 20.12.2017
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BBC (21.10.2017): Afghan suicide mosque attacks kill scores of worshippers, http://www.bbc.com/news/world-asia-41699320, Zugriff 20.12.2017
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BS - Business Standard (24.11.2017): Key Haqqani network leader among dozens killed in Afghanistan, http://www.business-standard.com/article/news-ani/key-haqqani-network-leader-among-dozens-killed-in-afghanistan-117112400292_1.html, Zugriff 21.12.2017
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Guardian (7.11.2017): Kabul TV station defiantly resumes broadcasting moments after Isis attack ends, https://www.theguardian.com/world/2017/nov/07/gunmen-attack-kabul-tv-station-after-explosion, Zugriff 20.12.2017
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Handelsblatt (20.12.2017): Afghanistan stürzt in politische Krise, http://www.handelsblatt.com/politik/international/gouverneurs-abloesung-afghanistan-st