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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
KFG 1967 §103 Abs2 idF 2016/I/040;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, LL.M., über die Revision des O in W, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 23. Jänner 2018, Zl. LVwG-S-2881/001-2017, betreffend Übertretung des Kraftfahrgesetzes (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Melk), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft M. vom 4. Dezember 2017 wurde dem Revisionswerber mit näheren Konkretisierungen zur Last gelegt, er habe als Zulassungsbesitzer der Behörde über deren schriftliche Anfrage vom 1. Juni 2017 nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung am 2. Juni 2017 darüber Auskunft erteilt, wer dieses Kraftfahrzeug am 24. April 2017 um 21.03 Uhr bis 21.05 Uhr auf der A 1 Westautobahn, Gemeindegebiet Z. (...) gelenkt habe. Er habe auch keine andere Person benannt, die die Auskunft erteilen hätte können. Wegen Übertretung des § 103 Abs. 2 KFG wurde über den Revisionswerber gemäß § 134 Abs. 1 KFG eine Geldstrafe von EUR 240,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Verwaltungsgericht als unbegründet ab und verpflichtete den Revisionswerber zur Leistung eines Beitrages zu den Verfahrenskosten. Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 In dem Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht zunächst den Verfahrensgang dar. Sodann führte es aus, es stehe folgender Sachverhalt fest (Zitierung im Original, Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft M. vom 01.06.2017, zugestellt am 02.06.2017 wurde der (Revisionswerber) aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung der schriftlichen Aufforderung Auskunft darüber zu erteilen, wer dieses Kraftfahrzeug am 24.04.2017 um 21:03 Uhr bis 21.05 Uhr auf der A 1 Westautobahn, Gemeindegebiet Z. (...) gelenkt habe".
Mit Schreiben vom 29. September 2017 habe der Revisionswerber durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter Einspruch gegen die am 12. Juli 2017 von der belangten Behörde erlassene Strafverfügung erhoben und habe am 12. Oktober 2017 rechtfertigend vorgebracht, er habe das Fahrzeug eine Woche vor dem Tatzeitpunkt (korrigierte in der Verhandlung: am Tag der Geschwindigkeitsübertretung) an einen Rumänen verkauft, habe sich keine Kaufvertragskopie behalten und habe deshalb verspätet Lenkerauskunft erteilt, weil er den Namen erst habe ermitteln müssen. In der gegen das Straferkenntnis fristgerecht erhobenen Beschwerde habe der Revisionswerber im Wesentlichen ausgeführt, das Verschulden für die verspätete Lenkerauskunft sei gering, weil die Verfolgungsverjährungsfrist noch andauere und ihm "die Glaubhaftmachung gelungen" sei. Das Verwaltungsgericht stellte sodann die rechtliche Lage und die hg. Rechtsprechung zu § 103 Abs. 2 KFG dar. Gemäß § 103 Abs. 2 zweiter Satz KFG müssten Auskünfte im Sinne dieser Gesetzesstelle den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten. Das Tatbild des § 103 Abs. 2 KFG sei (objektiv) schon dann erfüllt, wenn einer der beiden geforderten Qualifikationen der Lenkerauskunft (Name und/oder Adresse, Frist zur Bekanntgabe) nicht stimmten (Hinweis auf VwGH 20.9.1989, 89/03/0068). Da der Revisionswerber weder die vorliegende Fallfrist zur Bekanntgabe des Lenkers eingehalten habe, noch das Geburtsdatum des angeblich rumänischen Käufers - es wurden überhaupt keine Daten des Käufers nach Übergabe des Fahrzeuges trotz aufrechter Zulassung auf den Revisionswerber behalten - habe er das objektive Tatbild des § 103 Abs. 2 KFG erfüllt. In Ansehung einer Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG müsse bei Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat iSd § 44a VStG unverwechselbar feststehen, um welche Aufforderung, deren Nichtbefolgung dem Revisionswerber zur Last gelegt werde, es sich handle (Hinweis auf VwGH 8.11.1989, 89/02/0004). Hierbei genüge es für die Konkretisierung der Tatzeit im Sinne des § 44a VStG etwa, dass das Datum der Aufforderung gemäß § 103 Abs. 2 KFG angeführt werde (Hinweis auf VwGH 22.10.1999, 99/02/0216). Jedenfalls auch ausreichend sei die Anführung des Zustelldatums der Aufforderung (Hinweis auf VwGH 22.10.1999, 99/02/0216). Im Hinblick auf § 44a VStG sei abschließend auf dessen Sinn und Zweck zu verweisen, welcher eine Doppelbestrafung des Revisionswerbers hintanhalten und die Verteidigung des Revisionswerbers ermöglichen solle. All dies sei durch die Spruchformulierung der belangten Behörde gesichert. Abschließend ging das Verwaltungsgericht auf das Verschulden des Revisionswerbers ein und stellte die Überlegungen zur Strafbemessung und zum Ersatz der Verfahrenskosten dar. Zuletzt hielt es fest, es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichthof möge die Revision zulassen, dieser Folge geben und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts aufheben. Weiters beantragte der Revisionswerber Kostenzuspruch. Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 Der hier gegenständliche § 103 Abs. 2 KFG, BGBl. Nr. 267/1967 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 40/2016 lautet wie folgt:
"(2) Die Behörde kann Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw. zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer - im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung - zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen.
(Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück".
7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der gegenständlichen Revision unter anderem vor, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach er von der belangten Behörde mit am 2. Juni 2017 zugestelltem Schreiben vom 1. Juni 2017 aufgefordert worden sei, binnen zwei Wochen ab Zustellung der schriftlichen Aufforderung Auskunft darüber zu erteilen, wer dieses Kfz am 24. April 2017 um 21.03 Uhr bis 21.05 Uhr auf der A 1 an der genannten Stelle gelenkt habe, sei aktenwidrig. Das Verwaltungsgericht habe den Inhalt des behördlichen Lenkerauskunftsersuchens offenkundig dem Spruch des Straferkenntnisses vom 4. Dezember 2017 entnommen, ohne zu überprüfen, ob dieser Vorwurf mit dem tatsächlichen Wortlaut des Lenkerauskunftsersuchens vom 1. Juni 2017 übereinstimme. Bei Vermeidung dieser Aktendwidrigkeit wäre das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gekommen, dass der gegen den Revisionswerber erhobene Tatvorwurf schon deshalb nicht zu Recht bestehe, weil dieser im behördlichen Lenkerauskunftsersuchen keine Deckung finde. Hinzu käme, dass ein Lenkerauskunftsersuchen, welches auf zukünftiges Lenken abstelle (was nach Ansicht des Revisionswerbers gegenständlich der Fall sei, Anm.), nicht beantwortet werden könne und per se unzulässig sei, weswegen dieser Verfahrensfehler auch relevant sei. Dieser Verstoß gegen die Judikatur zum Verbot aktenwidriger Feststellungen (Hinweis auf VwGH 4.7.2016, Ra 2014/04/0004) mache die Revision zulässig, bei dessen Vermeidung hätte das Verwaltungsgericht das Straferkenntnis nicht bestätigt.
8 Die vorliegende Revision ist aufgrund der in der Zulässigkeitsbegründung aufgezeigten Aktenwidrigkeit zulässig und aus diesem Grund auch begründet.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Aktenwidrigkeit dann vor, wenn die Entscheidung in ihrer Begründung von Sachverhalten ausgeht, die sich aus dem Akt überhaupt nicht oder nicht in der angenommenen Weise ergeben, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. etwa VwGH 11.9.2017, Ra 2017/02/0091 m.w.H.). Dies ist im vorliegenden Fall gegeben.
10 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu der dem Strafverfahren zugrundeliegenden Lenkeranfrage nicht mit dem tatsächlichen, dem Akt beiliegenden Schreiben der Bezirkshauptmannschaft M. vom 1. Juni 2017 decken.
11 Die gemäß § 103 Abs. 2 KFG an den Revisionswerber ergangene Lenkeranfrage vom 1. Juni 2017 lautet wörtlich wie folgt (Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Sehr geehrte/r ZulassungsbesitzerIn!
Wir ersuchen Sie, Auskunft darüber zu erteilen, wer das genannte
Kraftfahrzeug gelenkt hat.
Zeit: 17.06.2017
Ort: Bezirkshauptmannschaft M., Fachgebiet Strafen, (PLZ) M., A.-
Straße 25a
Fahrzeug: (...)
Delikt: Verkehrsübertretung
Die Auskunft, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten muss, hat der/die Zulassungsbesitzerin binnen zwei Wochen nach Zustellung dieser Aufforderung schriftlich der Bezirkshauptmannschaft M. zu erteilen. Kann die Auskunft nicht erteilt werden, so ist die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann. Diese Person trifft dann die Auskunftspflicht". Angefügt war noch die Rechtsgrundlage des § 103 Abs. 2 KFG sowie der Hinweis auf die Einleitung eines Strafverfahrens bei nicht fristgerechten, ungenauen oder unrichtigen Auskünften. Beigelegt war offenkundig auch ein Formular, auf dem die Person, die das Fahrzeug gelenkt hat oder die die Auskunft erteilen kann, mit Namen, Geburtstag und Wohnadresse eingetragen werden konnte. Eine wie vom Verwaltungsgericht festgestellte Aufforderung (vgl. oben Rz. 3), binnen zwei Wochen ab Zustellung der schriftlichen Aufforderung Auskunft darüber zu erteilen, "wer dieses Kraftfahrzeug am 24.04.2017 um 21.03 Uhr bis 21.05 Uhr auf der A 1 Westautobahn, Gemeindegebiet Z. (...) gelenkt" habe, lässt sich der Lenkeranfrage vom 1. Juni 2017 hingegen nicht entnehmen.
12 Diese aufgezeigte Aktenwidrigkeit ist auch von Relevanz, weil es sich hierbei gemäß der hg. Judikatur um die Feststellung jener tatsächlichen Umstände handelt, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind:
Bei einer Lenkeranfrage nach § 103 Abs. 2 KFG steht im Vordergrund, dass unter anderem nach derjenigen Person gefragt wird, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt hat. Wie dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes zu entnehmen ist, sind daher bei einer Lenkeranfrage jedenfalls ein bestimmter Zeitpunkt sowie ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug anzugeben. Es muss eine unmissverständliche Deutlichkeit des Verlangens nach Auskunft iSd § 103 Abs. 2 KFG 1967 gegeben sein (vgl. VwGH 25.1.2008, 2007/02/0136). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die hinlänglich konkretisierte Aufforderung der Behörde zur Lenkerbekanntgabe ein wesentliches Sachverhaltselement einer Übertretung nach § 103 Abs. 2 KFG dar (vgl. VwGH 19.6.1991, 91/02/0025).
Die gegenständliche Anfrage an den Revisionswerber als Zulassungsbesitzer hat diesen Anforderungen des Gesetzes sowie der hg. Judikatur schon deshalb nicht entsprochen, weil die Zeit, die in der Anfrage angegeben wurde - wie vom Revisionswerber zutreffend aufzeigt - offensichtlich einen einzelnen Tag betraf, der nach der Datierung bzw. offensichtlich sogar nach der Zustellung der Lenkeranfrage lag.
Die Aufforderung der Bezirkshauptmannschaft M. vom 1. Juni 2017 hat somit nicht die von der Judikatur geforderte unmissverständliche Deutlichkeit aufgewiesen. Eine nicht dem Gesetz entsprechende Aufforderung löst jedoch die verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte Auskunftsverpflichtung des Zulassungsbesitzers nicht aus (vgl. VwGH 27.2.1991, 90/03/0146). Im vorliegenden Fall wurde dem Revisionswerber darüber hinaus die Nichtbeantwortung einer Frage vorgeworfen, die ihm gar nicht gestellt wurde, was sich ebenfalls als rechtswidrig erweist (vgl. hierzu auch VwGH 25.1.1991, 90/02/0161).
13 Das Verwaltungsgericht hat die tatsächlichen Umstände der Lenkererhebung nicht aufgegriffen, sondern aktenwidrig einen anderen Inhalt der Lenkererhebung festgestellt, wobei sich dieser Mangel, wie bereits dargelegt, auch als relevant erweist. Das angefochtene Erkenntnis war bereits aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit belastet.
14 Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit a und c VwGG aufzuheben. Auf das weitere Vorbringen des Revisionswerbers war nicht weiter einzugehen.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung. Wien, am 4. September 2018
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Besondere Rechtsgebiete"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018020084.L00Im RIS seit
21.09.2018Zuletzt aktualisiert am
29.10.2018