TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/7 G314 2200128-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.08.2018
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Entscheidungsdatum

07.08.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2200128-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, portugiesischer Staatsangehöriger, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 04.06.2018, Zl.: XXXX, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2018 im Bundesgebiet verhaftet. Am XXXX.2018 wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde er zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 12.04.2018 wurde dem BF die Möglichkeit gegeben, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er gab keine Stellungnahme ab.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein vierjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde dagegen die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung und dem Fehlen familiärer und sonstiger Bindungen des BF zu Österreich begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, das gegen ihn ausgesprochene Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbots zu reduzieren, ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit an das BFA zurückzuverweisen. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass ihm die Gesetzwidrigkeit seines Fehlverhaltens, das er eingeräumt habe und bedaure, bewusst sei. Er sei entschlossen, sein Leben zu ändern und auf die Einhaltung der Gesetze zu achten. Von ihm gehe keine Gefährdung für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit aus, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbots rechtfertigen würde. Ohne Verharmlosung seiner Straftaten rechtfertige ihr Unrechtsgehalt die Erlassung eines vierjährigen Aufenthaltsverbots nicht. Bei der Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbots sei zu berücksichtigen, dass der BF aufgrund seines vierjährigen legalen Aufenthalts und seiner Erwerbstätigkeit in Österreich ein schützenswertes Privatleben und aufgrund seiner Lebensgemeinschaft auch ein schützenswertes Familienleben habe. Er sei zu einem hohen Grad in Österreich integriert und spreche gut Deutsch. Das BFA habe nicht begründet, warum seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten sei. Er lebe seit 18.04.2014 durchgehend in Österreich, habe eine Anmeldebescheinigung und benötige zumindest einen Monat, um seine persönlichen Verhältnisse zu regeln.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 05.07.2018 einlangten.

Feststellungen:

Der BF ist portugiesischer Staatsangehöriger, spricht Portugiesisch und beherrscht die deutsche Sprache (zumindest) in Grundzügen. Er ist geschieden. Derzeit verbüßt er die über ihn verhängte Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX. Das urteilsmäßige Strafende ist im Oktober 2018.

Es kann nicht festgestellt werden, wann der BF zuletzt in das Bundesgebiet eingereist ist. Er war im Zeitraum 18.07.2014 bis 12.03.2015 mit Nebenwohnsitz und von 12.03.2015 bis 05.12.2017 mit Hauptwohnsitz in XXXX gemeldet. Am XXXX.2017 wurde er festgenommen und für zwölf Stunden behördlich angehalten. Seit XXXX.2018 ist er durchgehend in Untersuchungs- bzw. Strafhaft und in der Justizanstalt XXXX gemeldet.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Am 01.10.2015 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) ausgestellt. Unmittelbar vor seiner Festnahme im April 2018 war er im Bundesgebiet zwei Tage lang (XXXX. bis XXXX.2018) als Arbeiter beschäftigt. Davor war er zwischen März 2015 und Dezember 2016 mit Unterbrechungen als Arbeiter bei einem Bauunternehmen beschäftigt. Im Zeitraum von 22 Monaten (von März 2015 bis Dezember 2016) war er dort sieben Mal für insgesamt ca. 14 Monate beschäftigt, wobei die einzelnen Beschäftigungsverhältnisse zwischen einem und vier Monaten dauerten. In den beschäftigungslosen Zeiträumen zwischen November 2016 und April 2018 bezog der BF Arbeitslosengeld oder Notstands- bzw. Überbrückungshilfe.

Der BF führt mit der polnischen Staatsangehörigen XXXX, die in Österreich daueraufenthaltsberechtigt ist, eine Beziehung. Zwischen April 2014 und Dezember 2017 lebte er mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX.

Der BF weist in Österreich zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf. Seiner Verurteilung durch das Landesgericht XXXX vom 09.11.2017 liegt zugrunde, dass er am XXXX.2017 in XXXX einen Polizeibeamten mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Identitätsfeststellung, zu hindern versuchte, indem er diesem einen Tritt mit dem Knie gegen die rechte Leiste versetzte. Dadurch fügte er ihm eine Prellung in der rechten Leistenregion zu und verletzte ihn somit während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder Erfüllung seiner Pflichten am Körper. Der BF hat dadurch die Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB begangen und wurde zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt (Strafrahmen: Freiheitsstrafe sechs Monate bis zu fünf Jahren). Bei der Strafbemessung wurden der ordentliche Lebenswandel des BF und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, als mildernd und das Zusammentreffen von zwei Vergehen als erschwerend gewertet.

Dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom 04.05.2018 liegt zugrunde, dass der BF Anfang April 2018 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit XXXX vier Polizeibeamte mit Gewalt an Amtshandlungen, nämlich der Sachverhaltsaufnahme und ihren Festnahmen, zu hindern versuchte, indem der BF einem der Polizeibeamten mehrere Faustschläge gegen das Gesicht und einen Fußtritt gegen den Rücken versetzte, wodurch er den Beamten während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben und Erfüllung seiner Pflichten vorsätzlich am Körper verletzte (leichte Abschürfungen an den Knien). Anschließend führte er gegen die übrigen drei Polizeibeamten mehrere Faustschläge und Fußtritte aus. Da er letztlich festgenommen werden konnte, blieb es hinsichtlich des Widerstands gegen die Staatsgewalt beim Versuch. Der BF hat dadurch die Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei ein Strafteil von zwölf Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (Strafrahmen: Freiheitsstrafe sechs Monate bis zu fünf Jahren). Vom Widerruf der im Vorurteil verhängten bedingten Strafnachsicht wurde zwar abgesehen, jedoch wurde die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Bei der Strafbemessung wurden sowohl der Umstand, dass es beim Versuch blieb, als auch der Umstand, dass der BF selbst verletzt wurde, als mildernd und das Zusammentreffen von zwei Vergehen, die einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall und die Begehung innerhalb offener Probezeit als erschwerend gewertet.

Neben diesen beiden strafgerichtlichen Verurteilungen weist der BF eine verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung auf. Mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 17.04.2018 wurde er wegen eines Verstoßes gegen § 22 Abs 1 Z 1 iVm § 3 Abs 1 MeldeG zu einer Geldstrafe von EUR 50 verurteilt, weil er es im Zeitraum 11.09.2017 bis 05.12.2017 unterlassen hatte, seine Unterkunftnahme innerhalb von drei Tagen bei der Meldebehörde zu melden.

Weitere Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht können nicht festgestellt werden.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben in den Strafurteilen und auf der Vollzugsinformation (AS 1). In der vorliegenden Vollzugsinformation wird der BF ebenso wie im Zentralen Melderegister (ZMR) als geschieden bezeichnet; Hinweise darauf, dass er verheiratet ist oder Kinder hat, liegen nicht vor.

Die Portugiesischkenntnisse des BF können aufgrund seiner Herkunft festgestellt werden, zumal die Verständigung mit den Dolmetschern in den Strafverhandlungen offenbar problemlos möglich war. Die Feststellung, dass er über grundlegende Deutschkenntnisse verfügt, wird aufgrund seiner Behauptung in der Beschwerde, er spreche gut Deutsch, getroffen. Gewisse Sprachkenntnisse sind angesichts seines mehrjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und seiner Erwerbstätigkeit hier plausibel. Nachweise für Kurse oder Prüfungen wurden nicht vorgelegt.

Der konkrete Zeitpunkt der Einreise des BF in das Bundesgebiet konnte mangels entsprechender Beweisergebnisse nicht festgestellt werden. Aus dem ZMR ergibt sich, dass er - abgesehen von der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt seit April 2018 - im Bundesgebiet im Zeitraum von 18.07.2014 bis 12.03.2015 mit Nebenwohnsitz und von 12.03.2015 bis 05.12.2017 mit Hauptwohnsitz gemeldet war. Die Feststellungen zur Untersuchungshaft und zum Strafvollzug beruhen auf der Mitteilung des Landesgerichts XXXX vom 09.04.2018 (AS 7), der Vollzugsinformation (AS 1), der Vorhaftanrechnung laut Strafurteil vom 04.05.2018 und der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt, die sich aus dem ZMR ergibt. Die Feststellung, dass der BF im Juli 2017 (für 12 Stunden) angehalten wurde, ergibt sich aus der Vorhaftanrechnung im Strafurteil vom 09.11.2017.

Im Fremdenregister ist ersichtlich, dass dem BF im Oktober 2015 eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt wurde. Die Feststellungen zu seiner Arbeitsfähigkeit und zu seinem Gesundheitszustand beruhen darauf, dass er in einem erwerbsfähigen Alter ist, vor seiner Festnahme erwerbstätig war und keine Hinweise auf gesundheitliche Einschränkungen bestehen. Der BF weist in Österreich laut Versicherungsdatenauszug Versicherungszeiten als Arbeiter von 02.03.2015 bis 26.06.2015, von 06.07.2015 bis 28.08.2015, von 07.10.2015 bis 13.11.2015, von 11.01.2016 bis 04.03.2016, von 04.04.2016 bis 01.07.2016, 20.07.2016 bis 10.08.2016, von 17.11.2016 bis 23.12.2016 und von 04.04.2018 bis 06.04.2018 auf. Der Bezug von Arbeitslosengeld und Notstands- bzw. Überbrückungshilfe ist ebenfalls im Versicherungsdatenauszug dokumentiert.

Die Feststellungen zur Beziehung des BF, zum gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Partnerin sowie zu deren Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsberechtigung beruhen auf den entsprechenden Angaben des BF in der Beschwerde, die durch die Ergebnisse der Registerabfragen (ZMR, Fremdenregister) untermauert werden. Ein gemeinsamer Haushalt kann nur bis Dezember 2017 festgestellt werden, zumal laut ZMR nur bis 05.12.2017 eine Wohnsitzmeldung an derselben Anschrift vorliegt. Angesichts der Verurteilung des BF wegen der Unterkunftnahme ohne behördliche Meldung bis 05.12.2017 ist nicht davon auszugehen, dass er auch danach noch - ohne Wohnsitzmeldung - bei seiner Partnerin wohnte.

Die Feststellungen zu den vom BF im Inland begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen sowie zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren auf den Urteilen des Landesgerichtes XXXX vom 09.11.2017 und vom 04.05.2018. Die rechtskräftigen Verurteilungen des BF sind auch im Strafregister ersichtlich. Aus dem Strafurteil vom 04.05.2018 ergibt sich, dass die Partnerin des BF bei den dieser Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen involviert war und gegen sie ein abgesondertes Strafverfahren geführt wurde.

Die Feststellung, dass der BF im April 2018 rechtskräftig wegen eines Verstoßes gegen das Meldegesetz verurteilt wurde, beruht auf der im Gerichtsakt erliegenden Strafverfügung vom 17.04.2018, die seit 09.05.2018 rechtskräftig ist.

Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich sind nicht aktenkundig.

Rechtliche Beurteilung:

Der BF ist als Staatsangehöriger von Portugal EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Da sich der BF seit weniger als fünf Jahren kontinuierlich in Österreich aufhält, ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.

Bei der gemäß § 67 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose ist das persönliche Verhalten des Betroffenen zu beurteilen und insbesondere auf die durch die konkreten Straftaten bewirkten Eingriffe in die öffentliche Ordnung, die genauen Tatumstände und Begleitumstände der Taten und auch sonstige Besonderheiten Bedacht zu nehmen. Es ist in weiterer Folge abzuwägen, ob das Allgemeininteresse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegt als andere relativierende Momente, wie etwa das Familien- und Privatleben des Betroffenen.

Die Verurteilung des BF, die Anlass für das nunmehr bekämpfte Aufenthaltsverbot war, beruht auf Angriffen gegen die Rechtspflege und die körperliche Integrität von Polizeibeamten. Aufgrund des raschen einschlägigen Rückfalls innerhalb offener Probezeit trotz der erst kurz zuvor gewährten bedingten Strafnachsicht (Erstverurteilung im November 2017, neuerliche gleichartige Straftat im April 2018) ist auf eine nicht bloß geringfügige kriminelle Energie des BF, die sich insbesondere gegen die Rechtspflege richtet, zu schließen. Aufgrund seines wiederholt aggressiven, mit Verletzungsvorsatz einhergehenden Verhaltens gegen Polizisten in Erfüllung ihrer Aufgaben liegt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich die Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Delikten gegen die Rechtspflege und die körperliche Integrität, berührt.

Das gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot ist zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten, zumal seit seiner letzten Straftat erst wenig Zeit vergangen ist, die er zur Gänze in Haft zugebracht hat. Ihm kann derzeit insbesondere aufgrund der Wirkungslosigkeit der verhängten bedingten Freiheitsstrafe keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.

Die vom BF begangene Verwaltungsübertretung (Verstoß gegen das MeldeG) führt zu keiner wesentlichen Verstärkung der Gefährdungsprognose, zeigt aber ebenfalls eine Tendenz zur Missachtung von Rechtsvorschriften.

Der vom BF in der Beschwerde bekundeten Reue kommt keine entscheidende Bedeutung zu, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass sich der BF in den Strafverfahren nicht geständig verantwortete, weil ihm andernfalls der von Amts wegen wahrzunehmende Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 17 StPO zugekommen wäre, wofür sich in den Strafurteilen keine Anhaltspunkte finden.

Die wiederholte Delinquenz des BF gegen die Rechtspflege und die körperliche Unversehrtheit von Polizeibeamten während der Vollziehung ihrer Aufgaben zeigt, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung iSd § 67 Abs 1 FPG ausgehen wird, zumal er im April 2018 eine im Vergleich zum Juli 2017 gesteigerte Aggressivität (mehrere Tätlichkeiten gegen mehrere Polizisten) an den Tag legte und ihn weder die kurzfristige Festnahme im Juli 2017 noch die Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe im November 2017 und die offene Probezeit von erneuter Straffälligkeit abhielten. Er wird seinen Gesinnungswandel erst durch einen längeren Wohlverhaltenszeitraum nach dem Strafvollzug unter Beweis stellen müssen.

Das BFA ging aufgrund der beiden auf derselben schädlichen Neigung beruhenden Verurteilungen des BF unter Bedachtnahme auf Art und Schwere seiner Straftaten, das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, und sein Gesamtverhalten zu Recht von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderlich macht, zumal diese Maßnahme angesichts der Begehung von Delikten gegen die Rechtspflege und Aggressionsdelikten zur Verwirklichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele, namentlich der Verhinderung strafbarer Handlungen sowie des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der Rechte und Freiheiten anderer, geboten ist.

Weitere Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist, dass ein damit verbundener Eingriff in das Familien- und Privatleben des BF verhältnismäßig sein muss. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der BF hält sich frühestens seit Juli 2014 in Österreich auf, war hier seither immer wieder für kurze Zeit (bis zu vier Monate) als Arbeitnehmer erwerbstätig und führt eine Beziehung mit einer in Österreich wohnhaften EWR-Bürgerin. Abgesehen von gewissen Deutschkenntnissen bestehen keine darüber hinausgehenden familiären, privaten oder beruflichen Bindungen. Da der 46-jährige BF im Juli 2014 nach Österreich kam und keine Anhaltspunkte für eine Niederlassung in einem anderen Staat als seinem Herkunftsstaat davor bestehen, ist davon auszugehen, dass er den überwiegenden Teil seines Lebens in Portugal verbrachte und somit nach wie vor starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat bestehen, zumal er sprachkundig und mit den dortigen Gegebenheiten vertraut ist. Es wird ihm auch dort möglich sein, für seinen Lebensunterhalt durch eine seiner Ausbildung oder seinen bisherigen Beschäftigungen entsprechende Erwerbstätigkeit aufzukommen.

Die Beziehung des BF steht der Erlassung eines Aufenthaltsverbots nicht entgegen, weil seine Partnerin in die seiner zweiten Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen involviert war und auch gegen sie in diesem Zusammenhang ein Strafverfahren geführt wurde. Durch den Strafvollzug ist der Kontakt zwischen dem BF und seiner Partnerin derzeit ohnedies eingeschränkt. Allfällige Kontakte zu ihr nach der Haftentlassung und der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat können auch durch Telefonate, Briefe oder elektronische Kommunikationsmittel (E-Mail, Internet) sowie durch Besuche in Portugal oder in anderen Staaten, die nicht vom Aufenthaltsverbot umfasst sind, gepflegt werden.

Bei der Abwägung aller relevanten Umstände überwiegt hier das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich, zumal das öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen groß ist (vgl VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474). Das vom BFA erlassene Aufenthaltsverbot erweist sich somit im Ergebnis dem Grunde nach als zulässig; die Voraussetzungen für ein maximal zehnjähriges Aufenthaltsverbot gegen den BF sind erfüllt.

Angesichts wiederholter Straftaten gegen die Rechtspflege, aggressiven Verhaltens gegen Polizisten und des raschen Rückfalls trotz offener Probezeit kommt in einer Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf die in § 67 Abs 1 FPG iVm § 9 BFA-VG und Art 28 Abs 1 RL 2004/38/EG festgelegten Kriterien trotz der privaten und familiären Anknüpfungspunkte des BF im Bundesgebiet auch keine Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots in Betracht, zumal es (auch im Hinblick auf die Probezeiten der bedingten Strafnachsichten) dieses Zeitraums der Beobachtung des Wohlverhaltens des BF bedarf, um sicherzustellen, dass er im Inland keine Straftaten mehr begehen wird. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist daher nicht zu beanstanden.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Da beim BF aufgrund des raschen Rückfalls und der gesteigerten Aggressivität trotz der hohen spezialpräventiven Wirkung des Erstvollzugs eine sehr hohe Wiederholungsgefahr besteht und der soziale Empfangsraum nach seiner Haftentlassung nicht gesichert ist, ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG ist somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet ist.

§ 21 Abs 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK sonst relevanten Umstände besondere Bedeutung zu. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Da hier der Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, konnte eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal von der Richtigkeit der ergänzenden Tatsachenbehauptungen des BF ausgegangen wird bzw. auch bei deren Zutreffen keine andere, für ihn günstigere Entscheidung möglich wäre.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, EU-Bürger, Gefährdungsprognose, Körperverletzung,
öffentliches Interesse, schwere Straftat, strafrechtliche
Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2200128.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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