TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/16 W240 2176761-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.07.2018
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Entscheidungsdatum

16.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W240 2176761-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2017, Zl. 1106185004-160276537, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.04.2018, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gem. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 idgF wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die übrigen Spruchpunkte werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Somalia, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 21.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 22.02.2016 wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er insbesondere an, in XXXX geboren zu sein, wo auch seine letzte Adresse in der Heimat gewesen sei und der Volksgruppe der Midgan anzugehören. Er habe im Jänner 2016 den Entschluss zur Ausreise gefasst. Die Ausreise habe USD 3.000,-

gekostet und sei von seiner Familie organisiert worden. Er habe Somalia verlassen, weil er der Volksgruppe der Midgan angehöre. Diese Volksgruppe werde in Somalia diskriminiert. Die Al Shabaab-Milizen hätten ihn rekrutieren wollen, damit er mit ihnen zusammenarbeite. Aus Angst um sein Leben habe er das Heimatland verlassen. Er habe sonst keine Fluchtgründe.

Am 02.08.2017 wurde im gegenständlichen Fall eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. B-VG erhoben.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 25.09.2017 eine niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführer tätigte im Wesentlichen folgende Angaben:

"(...)

F: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

A: Ja

F: Haben Sie irgendwelche Dokumente oder sonstige Beweismittel, die Sie im bisherigen Verfahren noch nicht vorgelegt haben?

A: Ja. Ich lege vor: 1 Flüchtlings-Karte aus dem Jemen, ausgestellt am XXXX , aus welcher hervorgeht, dass ich im Jemen als Flüchtling registriert war von XXXX . Des Weiteren lege ich vor 1 Ambulanzbericht vom XXXX , 1 Empfehlungsschreiben von XXXX vom 20.02.2017, 1 Deutschkurs-Bestätigung vom 12.12.2016

Anm.: Werden in Kopie dem Akt angeschlossen

Anm.: Die Dolmetscherin führt an, dass auf dieser Karte in Arabisch das Geburtsdatum XXXX angeführt ist. Als Geburtsort ist XXXX , Somalia, angeführt.

F: Wann sind Sie geboren?

A: XXXX .

F: Wo sind Sie geboren?

A: In Somalia, XXXX .

F: Warum steht auf der vorgelegten Karte XXXX als Geburtsdatum? Und XXXX als Geburtsort?

A: Damals ging es mir psychisch schlecht, ich weiß es nicht mehr, was ich gesagt habe. Richtig ist, dass ich XXXX in XXXX geboren bin.

F: Woher haben Sie diese Karte jetzt plötzlich?

A: Diese hatte ich schon damals bei der Erstbefragung bei mir. Sie war mir jedoch tiefer in meine Jacke gerutscht und habe ich sie nicht gefunden.

F: Entsprechen Ihre bisherigen Angaben im Zuge der früheren Einvernahme/n im Asylverfahren der Wahrheit?

A: Ja.

F: Sie Sie in Behandlung wegen einer Erkrankung, nehmen Sie Medikamente, machen Sie eine Therapie?

A: Ich bin gesund. Ich nehme Medikamente, damit ich schlafen kann. Ich habe öfter Nasenbluten.

F: Welcher Religion gehören Sie an?

A: Islam.

F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

A: XXXX .

F: Welchem Clan gehören Sie an?

A: XXXX , darunter bin ich XXXX .

F: Haben Sie in Österreich familiäre Beziehungen oder sonstige verwandtschaftliche Bindungen?

A: Nein.

(...)

F: Haben Sie einen Beruf erlernt bzw. eine Ausbildung gemacht?

A: Ja. Ich war Friseur.

F: Sind Sie verheiratet?

A: Ja. Mit XXXX , 23 Jahre alt, seit XXXX .

F: Wo haben Sie geheiratet?

A: In XXXX , Somalia.

F: Haben Sie eine Heiratsurkunde?

A: Nein

F: Wer hat die Heiratskurkunde?

A: Wir haben traditionell geheiratet. Ein Scheich hat die Verehelichung durchgeführt. Es gibt keine Urkunde. Wir haben unsere traditionelle Verehelichung danach bei keiner Behörde registrieren lassen. Wir haben nicht standesamtlich geheiratet, so wie es hier in Österreich üblich ist.

F: Haben Sie Kinder?

A: Nein.

F: Haben Sie in Österreich andere nahe Verwandte oder Verwandte, von denen Sie finanziell abhängig sind?

A: Nein.

(...)

F: Wie viel hat die Reise gekostet?

A: 3.000 US-Dollar.

F: Woher haben Sie so viel Geld?

A: Als ich im Jemen war hatte ich ein Friseur-Geschäft, und habe mir das Geld erspart.

F: Welche Verwandten haben Sie noch im Heimatland Somalia? Damit sind auch Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins usw. gemeint.

A: Mein Vater wurde von Al Shabaab erschossen. Meine Mutter ist in Somalia, in XXXX .

F: Wo sind Ihre Geschwister?

A: Eine Schwester von mir lebt mit ihren Kindern in XXXX . Eine Schwester von mir ist vermisst. Ihr Sohn ist auch in XXXX . Das ist mein Neffe, und dieser wurde bei der Erstbefragung irrtümlich als mein Bruder angeführt.

F: Wie waren Ihre allgemeinen Lebensbedingungen in Somalia?

A: Sehr schlecht.

F: Wann haben Sie Somalia verlassen?

A: Am 25. Mai 2013. Ich ging in den Jemen.

F: Wie lange waren Sie im Jemen?

A: Ungefähr 2 Jahre und sieben Monate. Dann ist dort der Krieg ausgebrochen.

F: Warum haben Sie den Jemen verlassen?

A: Weil der Staat dort gestürzt wurde, und der Krieg ausgebrochen ist.

F: Warum sind Sie nicht nach Somalia zurückgegangen?

A: Weil es dort Al Shabaab gibt.

F: Warum haben Sie Somalia verlassen?

A: Al Shabaab hat mich angegriffen. Sie haben mich aufgefordert mitzugehen. Sie sagten mir, ich darf meine Eltern, nicht fragen. Ich muss die Entscheidung selbst treffen, und ich muss mitkommen.

F: Wann war das?

A: Kurz vor meiner Ausreise im Jahr 2013.

F: Wann haben Sie beschlossen Somalia zu verlassen?

A: Am 25.05.2013.

F: Und warum haben Sie das beschlossen?

A: Weil ich mich geweigert habe mit Al Shabaab zu gehen. Deswegen kam Al Shabaab zu uns. Ich wollte gerade das Geschäft schließen, da haben Sie auf meinen Vater und mich geschossen. Mich hat es am Bein getroffen, mein Vater dabei gestorben. Das war am XXXX .

F: Sind Sie wegen dieser Vorfälle zur Polizei gegangen?

A: Ja. Aber sie machen nichts dagegen.

F: Welcher Hauptclan beschützt Sie?

A: Keiner.

F: Hat nicht jeder Unterclan einen Hauptclan, durch welchen er beschützt wird?

A: Mein Clan hat dort keine Macht. Mein Clan ist dort eine Minderheit.

F: Warum sollte Al Shabaab so ein großes Interesse an Ihnen haben?

A: Nicht gezielt an mir persönlich. Al Shabaab sammelt die Angehörigen der Minderheit und rekrutiert sie. Sie nutzen die Minderheiten aus und hetzen sie gegen die Mehrheiten. Sie meinen, dass man Selbstmord-Anschläge verüben müsse.

F: Warum sind Sie nicht innerhalb von Somalia verzogen?

A: Sie sind überall in Somalia.

F: Warum sind Sie nicht nach Mogadischu gegangen?

A: Sie sind überall.

F: Was würde Ihrer Ansicht nach passieren, wenn Sie angenommener Weise morgen in Mogadischu aus dem Flugzeug aussteigen würden?

A: Ich würde getötet werden.

F: Wer soll Sie töten wollen?

A: Al Shabaab.

F: Warum hätten Angehörige der Al Shabaab Sie nicht töten sollen, als sie noch Gelegenheit dazu hatten?

A: Sie haben ja auf uns geschossen. Sie haben mich fast getötet. Ich hatte Glück, und habe es überlebt.

V: Nach Ansicht der erkennenden Behörde sind Sie mit dem Wunsch nach Migration nach Österreich gekommen um hier ein wirtschaftlich besseres Leben zu führen. Möchten Sie sich dazu äußern?

A: Nein. Im Jemen hatte einen Beruf. Ich habe verdient.

F: Möchten Sie, dass man die Länderfeststellungen zu Somalia mit Ihnen erörtert?

A: Nein.

F: Möchten Sie noch irgendetwas anführen?

A: Nein, das ist alles.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.

Nach vollständiger Übersetzung durch den Dolmetscher um 10.35 Uhr.

F: Möchten Sie etwas korrigieren oder ergänzen?

A: Nein.

F: Wurde alles richtig aufgenommen?

A: Ja.

F: Haben Sie den Dolmetscher gut verstanden?

A: Ja

F: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst?

A: Nein"

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2017, Zl. 1106185004-160276537, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchpunkt II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen, unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei und unter Spruchteil IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise von 2 Wochen eingeräumt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer somalischer Staatsbürger und muslimischen Glaubens sei, seine Identität habe nicht festgestellt werden können.

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, die Identität des Beschwerdeführers könne mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments oder sonstigen Bescheinigungsmittels nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, die Behörde davon zu überzeugen, dass er in seinem Heimatland einer Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei oder nunmehr sei. Das BFA hielt fest, dass es die Auffassung vertrete, es ergebe sich für den Beschwerdeführer gegenwärtig kein Abschiebungshindernis nach Somalia, weil eine landesweite allgemeine, extreme Gefährdungslage, in der jeder Antragsteller im Fall seiner Abschiebung dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde, nicht gegeben sei.

3. Gegen den Bescheid des BFA vom 13.10.2017 wurde von der ARGE fristgerecht Beschwerde erhoben. Zusammengefasst wurde darin ausgeführt, der Beschwerdeführer sei ein Midgan - XXXX und stamme aus XXXX . Er sei aufgrund seiner Minderheitenzugehörigkeit im Heimatland sehr diskriminiert worden. Die Al Shabaab habe den Beschwerdeführer zwangsrekrutieren wollen. Weil er sich geweigert habe, sei auf den Beschwerdeführer und den Vater geschossen worden. Der Vater sei verstorben und der Beschwerdeführer habe sich an somalische Sicherheitskräfte gewandt, habe jedoch keine Unterstützung erhalten. Weshalb er Somalia verlassen habe. Zudem sei die Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia äußerst prekär, daher drohe dem Beschwerdeführer eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Es wurde ausgeführt, dass die Erstbefragung kurz gewesen sei und es wurde auf aktuelle Länderberichte zu XXXX /Lower Shabelle verwiesen. Der Beschwerdeführer habe keine Angehörigen mehr in Somalia, er gehöre der Minderheit der Midgan an. Er habe bereits eine Verletzung der Nase davongetragen, in der Vergangenheit sei er bereits misshandelt und Gegenstände im Geschäft zerstört worden, es seien auch seine Einnahmen geraubt worden. Verwiesen wurde auf die vorgelegte Flüchtlingskarte aus dem Jemen. Dem Beschwerdeführer sei zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren.

Auch durch RA Daigneault wurde Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in XXXX Diskriminierung als Angehöriger des Clans der Midgan (Subclan der XXXX ), und aufgrund seiner Weigerung sich der Al Shabaab anzuschließen, weshalb er bereits angeschossen worden sei, Angst um sein Leben habe. Der nunmehr angefochtene Bescheid sei inhaltlich völlig rechtswidrig, das BFA habe keine Feststellungen zur Lage der Madhiban getroffen und gehe nicht auf die Clanzugehörigkeit ein. Verwiesen wurde auch auf aktuelle Länderberichte zur Dürre- und Hungerkatastrophe in Somalia.

4. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 12.04.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an, in der der Beschwerdeführer, vertreten durch eine Vertreterin der ARGE, einvernommen wurde. Es wurde festgehalten, dass das Vollmachtsverhältnis mit Rechtsanwalt Daigneault aufgelöst wurde. Der Beschwerdeführer wurde zu seinem Fluchtvorbringen, seiner Herkunft, der Lage in Somalia und zu seiner Integration befragt und ihm wurde die Möglichkeit eingeräumt alle seine Gründe für die Ausreise aus Somalia sowie seine Rückkehrbefürchtungen darzulegen.

Ergänzend zu dem bereits übermittelten Länderinformationsblatt wurde dem Beschwerdevorbringen entsprechend weitere aktuelle Länderberichte zur Herkunftsregion und zu Minderheitenclans in Somalia sowie zu Zwangsrekrutierungen durch die Al Shabaab in Somalia zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

5. In der am 03.05.2018 eingelangten Stellungnahme wurde im Wesentlichen auf die Dürrekatastrophe in Somalia verwiesen. Es sei die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht gewährleistet. Es drohe dem Beschwerdeführer asylrelevante Verfolgung durch die Al Shabaab und wegen seiner Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der Gabooye. Insbesondere weil der Beschwerdeführer Mitglied des Minderheitenclans der Gabooye und der Untergruppe der XXXX angehöre sei er in Somalia asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Jedenfalls drohe dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr ein "real risk" einer Verletzung seiner Rechte iSd Art. 3 EMRK aufgrund der aktuellen Sicherheitslage, mangels familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte sowie aufgrund der dürrebedingten prekären Versorgungslage im ganzen Land. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht zur Verfügung. Festgehalten wurde weiters, dass der Beschwerdeführer Analphabet sei und ihm nicht bewusst gewesen sei, welche Daten auf seinem jemenitischen Flüchtlingsausweis erfasst worden seien. Der Beschwerdeführer sei zum damaligen Zeitpunkt sehr mitgenommen gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt, festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia, stammt aus XXXX , wo er bis zu seiner Ausreise gelebt hat, und gehört dem Clan der Gaboye [auch: Midgan, Madhiban] an. Seine Identität konnte nicht festgestellt werden.

Von seiner Religion her ist er Moslem und Sunnit. Die angegebene örtliche Herkunft und seine Schulbildung erscheinen glaubhaft. Zu den konkreten Fluchtgründen können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.

Er gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 21.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Er gibt an, keinerlei Kontakte mehr mit seiner Familie zu haben und auch nicht zu wissen, wo sich diese derzeit aufhält. Der Beschwerdeführer verfügt in Somalia über kein Eigentum wie Häuser, Grundstücke oder ähnliches, er hat auch keine sozialen Anknüpfungspunkte in Somalia.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer verneint jegliche aktuellen gesundheitlichen oder psychischen Probleme.

Zu Somalia wird folgendes verfahrensbezogen festgestellt.

2. Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017

2.1. Puntland

Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.1.2017). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).

Im Jänner 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.1.2017). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.1.2017). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).

Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 3.3.2017), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).

Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:

Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die

Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):

a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).

b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.

c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.

Operational Areas

d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;

Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama'a in Zentralsomalia;

e) Einige Gebiete (schraffiert) - vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia - unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.

f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.

g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).

Al Shabaab (AS)

Ziel der al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren. Außerdem verfolgt al Shabaab auch eine Agenda des globalen Dschihads und griff im Ausland Ziele an (EASO 2.2016). Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch die al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (BFA 8.2017).

Seit 2011 wurden die militärischen Kapazitäten der al Shabaab durch AMISOM und somalische Kräfte sowie durch innere Streitigkeiten beachtlich dezimiert (UKHO 7.2017). Die al Shabaab stellt aber weiterhin eine potente Bedrohung dar (UNSC 9.5.2017). Die Stärke der al Shabaab wird im Schnitt mit ungefähr 7.000 Mann beziffert (BFA 8.2017; vgl. LI 20.12.2017). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt die al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017). Die Gruppe hat sich bei Rückschlägen in der Vergangenheit als resilient und anpassungsfähig erwiesen. Der innere Kern blieb allzeit geeint, auch wenn es bei al Shabaab zu Streitigkeiten und Fraktionierung gekommen ist. Die taktische Entwicklung der Gruppe; ihre wachsenden Fähigkeiten; und die Ausführung komplexer Angriffe auf städtische und ländliche Ziele hat dies jedenfalls bewiesen (UNSC 9.5.2017). In der Vergangenheit hat die Gruppe auch eine konventionell-militärische Bedrohung dargestellt, etwa beim Angriff auf einen kenianischen Stützpunkt bei Kulbiyow im Jänner 2017. Beim Überrennen von AMISOM-Stützpunkten ist al Shabaab auch an schwere Waffen gelangt (SEMG 8.11.2017).

Die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba), Jamaame (Lower Juba), Sablaale, Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Diinsoor (Bay), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur, Ceel Dheere (Galgaduud) befinden sich unter Kontrolle der al Shabaab. Alle anderen Regional- und Bezirkshauptstädte werden von anti-al-Shabaab-Truppen gehalten. Viele der Städte sind gleichzeitig auch Garnisonsstädte der AMISOM (BFA 8.2017). Eine andere Quelle nennt ebenfalls die o.g. Städte als unter Kontrolle der al Shabaab befindlich, fügt aber die Stadt Xaradheere (Mudug) hinzu und zieht Diinsoor ab (LI 20.12.2017).

In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen (LI 20.12.2017). Die Gruppe verfügt nicht nur über Kämpfer und Agenten, sie kann auch auf Sympathisanten zurückgreifen (NLMBZ 11.2017). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BFA 8.2017). Die al Shabaab übt über das Jubatal Kontrolle aus und kann sich auch in vielen anderen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS 3.3.2017). Al Shabaab beherrscht weiterhin große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia, v.a. in Bay, Gedo, Lower Shabelle und Middle Juba (AI 22.2.2017; vgl. BFA 8.2017). Auch rund um Städte in Süd-/Zentralsomalia, die von nationalen oder regionalen Sicherheitskräften und/oder AMISOM gehalten werden (SEMG 8.11.2017), kontrolliert al Shabaab den ländlichen Raum und wichtige Versorgungsstraßen (SEMG 8.11.2017; vgl. UKHO 7.2017). Dadurch gelingt es der Gruppe, große Teile der Bevölkerung von einer Versorgung abzuschneiden (SEMG 8.11.2017).

Die al Shabaab übt auch über manche Orte, die eigentlich der Jurisdiktion der Regierung angehören, ein Maß an Kontrolle aus:

Humanitäre Organisationen und Empfänger humanitärer Hilfe werden besteuert oder in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt (SEMG 8.11.2017). Es gelingt der al Shabaab selbst nominell sichere Teile Mogadischus zu infiltrieren (BFA 8.2017). Außerdem verfügt die Gruppe in vielen Teilen Somalias über Verbindungen in alle Gesellschaftsebenen und -Bereiche (SEMG 8.11.2017). Generell variiert die Präsenz der al Shabaab konstant (BFA 8.2017).

Völkerrechtlich kommen der al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 1.1.2017). Staatlicher Schutz ist in der Gebieten der al Shabaab nicht verfügbar (UKHO 7.2017).

Die Fähigkeit der al Shabaab, in den von ihr beherrschten Gebieten eine effektive Verwaltung zu betreiben, ist ungebrochen. Zusätzlich verfügt die Gruppe über Kapazitäten, um in neu eroberten Gebieten unmittelbar Verwaltungen zu installieren (BFA 8.2017). Die Gebiete der al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrscht Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (UNSOM 18.9.2017). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt die al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung der al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017).

Die al Shabaab finanziert sich über unterschiedliche Steuern. Allein aus Abgaben auf den (illegalen) Holzkohlehandel lukriert die Gruppe pro Jahr - nach konservativen Schätzungen - 10 Millionen US-Dollar.

Auch von anderen Wirtschaftstreibenden werden Steuern eingehoben: In Mogadischu reicht die Spannweite von zehn US-Dollar monatlich für einfache Markt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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