TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/3 97/19/1384

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Veröffentlicht am 03.12.1999
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AVG §38;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde der am 25. Juli 1975 geborenen SD in Lustenau, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 1997, Zl. 107.488/12-III/11/97, betreffend Aussetzung eines Berufungsverfahrens in Angelegenheiten des Aufenthaltsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, welche laut ihrem Vorbringen zuletzt über einen Sichtvermerk mit Gültigkeit bis 31. Jänner 1994 verfügte, beantragte am 7. Februar 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Vater und des Schulbesuchs. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. September 1994 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab, weil der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin für die Dauer des von ihr angestrebten Aufenthaltes nicht gesichert erscheine. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.

Auch andere Familienmitglieder der Familie der Beschwerdeführerin, unter anderem ihr Vater, hatten die Erteilung einer (weiteren) Aufenthaltsbewilligung beantragt und gegen die diese versagenden Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn Berufung eingelegt. Mit Bescheid vom 17. Juni 1997 wurde der Berufung des Vaters der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 Z 1 AufG stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben. Vom Bundesminister für Inneres wurde dies unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses (EWG-Türkei) damit begründet, dass der Beschwerdeführer als türkischer Staatsangehöriger seit mehr als drei Jahren ordnungsgemäß unselbstständig erwerbstätig sei, weshalb das Aufenthaltsgesetz auf seinen Antrag keine Anwendung finde. Weil über seinen Antrag von einer unzuständigen Behörde entschieden worden sei, sei der gegenständliche Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos zu beheben und der Verwaltungsakt gemäß § 6 AVG an die Behörde gemäß § 65 FrG weiterzuleiten gewesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid setzte die belangte Behörde auf Grund der Berufung der Beschwerdeführerin als Berufungsbehörde gemäß § 38 AVG das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das derzeit anhängige Verfahren bei der BH Dornbirn, Zl. III 1454-82/1993, aus. Die Begründung dieses Bescheides hat folgenden Wortlaut:

"Begründung

Sie stellten am 07.02.1994 bei der oben genannten Behörde einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

Diese hat dem Antrag nicht stattgegeben.

Dagegen haben Sie fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung

erhoben.

Dazu wurde erwogen:

Dem Berufungsantrag Ihres Vaters DOGAN Muhammer, 01.01.1956 geboren, wurde gemäß § 1 Abs 3 Z 1 AufG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Assoziationsratsbeschlusses (EWG-Türkei) Nr. 1/80 stattgegeben und der Bescheid der BH Dornbirn ersatzlos behoben.

Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der BH Dornbirn über den weiteren Aufenthalt Ihres Vaters wird die ho. Entscheidung ausgesetzt.

Gem. § 38 AVG kann die Berufungsbehörde ein Verfahren aussetzen, wenn eine für die Entscheidung relevante Vorfrage bei der dafür zuständigen Behörde anhängig ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass mit dem im gegenständlichen Fall angefochtenen Bescheid eine verfahrensrechtliche Entscheidung getroffen wurde, weshalb die Bestimmung des § 113 Abs. 6 und 7 des Fremdengesetzes 1997 im Beschwerdefall keine Anwendung findet.

Die Beschwerde stützt sich hauptsächlich darauf, dass die Aussetzung des Berufungsverfahrens im vorliegenden Fall deshalb nicht rechtmäßig sei, weil die Frage, ob dem Vater der Beschwerdeführerin ein weiterer Aufenthalt bewilligt werde oder nicht, keine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG sei.

§ 38 AVG lautet:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauungen zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Nach dem gemäß § 67 AVG von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und in einer der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise nicht nur dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, sondern auch, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zu der rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhaltes gelangte. Diesen Anfordernissen wird der vorliegende Bescheid - wie die oben wörtlich wiedergegebene Begründung zeigt - in keiner Weise gerecht.

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht nämlich nicht in nachvollziehbarer Weise hervor, in der Lösung welcher Rechtsfrage die belangte Behörde die für den gegenständlichen Verfahrensausgang präjudizielle Vorfrage erblickt hat. Aus dem Zusammenhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides ist zwar noch zu erkennen, dass die belangte Behörde die ausgesetzte Entscheidung mit der Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (wohl nicht als Aufenthaltsbehörde, sondern als Fremdenbehörde) über "den weiteren Aufenthalt des Vaters der Beschwerdeführerin" in Verbindung brachte. Aus welchem Grund aber eine Entscheidung über den "weiteren Aufenthalt" ihres Vater für den Verfahrensausgang im Verfahren der Beschwerdeführerin eine Vorfrage bilden sollte, wird nicht näher dargelegt. Schon aus diesem Grund ist die Begründung des angefochtenen Bescheides mangelhaft, weil es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich ist, die dem Bescheid zu Grunde liegende Rechtsansicht - mangels Darlegung einer solchen - entsprechend zu überprüfen.

Sollte die belangte Behörde gemeint haben, eine Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin wäre erst im Falle einer Entscheidung über den Antrag ihres Vaters (in Form eines durch die Fremdenbehörde zu erteilenden Sichtvermerkes) möglich, so erwiese sich eine derartige Rechtsansicht als verfehlt. Dies ergibt sich zunächst schon daraus, dass die Vorfrage - etwa im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob ein Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 AufG oder infolge Zweckverfehlung vorliegt bzw. ob der Beschwerdeführerin Rechte nach Art. 7 des Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates (ARB) zustehen - nur sein könnte, ob der Vater der Beschwerdeführerin zum Aufenthalt berechtigt ist, nicht aber, ob ihm eine Berechtigung durch Erteilung einer Bewilligung bei rechtsrichtiger Beurteilung seines Antrages einzuräumen wäre (vgl. dazu unter anderem das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1999, Zl. 96/19/2580 mwN).

Ein aus dem ARB ableitbares Aufenthaltsrecht des Vaters der Beschwerdeführerin bestünde nämlich bereits auf Grund dieser Norm, eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes des Europäischen Union, und bedürfte keiner bescheidmäßigen Zuerkennung durch eine Verwaltungsbehörde. Allerdings wäre - entgegen der verfehlten Rechtsansicht der belangten Behörde im Verfahren betreffend den Vater der Beschwerdeführerin - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen möglich gewesen (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424, und vom 25. April 1995, Zl. 95/19/0897). Dass das Verfahren der Beschwerdeführerin wegen eines offenen Verfahrens über einen Antrag ihres Vaters, ein aus Art. 6 ARB erwachsenes Recht bescheidmäßig festzustellen (also einen Feststellungsbescheid zu erlassen), ausgesetzt worden wäre, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, die der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes kann ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht angesprochen werden.

Wien, am 3. Dezember 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997191384.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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