TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/30 W241 2201445-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.07.2018
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Entscheidungsdatum

30.07.2018

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W241 2201445-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hafner über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2018, Zahl 1183568802-180228022, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger der Türkei, brachte am 07.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) einen Antrag gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG), ein.

2. Eine VIS-Abfrage ergab, dass der BF über ein von 20.12.2017 bis 20.01.2018 gültiges Visum, ausgestellt durch die Vertretungsbehörde Finnlands in Ankara/Türkei, verfügt.

3. Bei seiner Erstbefragung am 07.03.2018 gab der BF im Wesentlichen an, am 23.12.2017 die Türkei verlassen zu haben und mit einem finnischen Visum legal nach Ungarn geflogen zu sein. Von dort wäre er mit dem Bus nach Österreich gefahren, wo er sich bis zur Asylantragsstellung in Tirol bei Verwandten aufgehalten hätte. In Österreich würden zwei Schwestern von ihm leben.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er seine Heimat aus politischen Gründen verlassen hätte. Auch hätte er gesundheitliche Probleme und keine Chance, in der Türkei zu leben.

4. Das BFA richtete am 09.03.2018 einen auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge Dublin III-VO), gestützten Aufnahmeantrag an Finnland.

Mit Schreiben vom 23.04.2018 gaben die zuständigen finnischen Behörden bekannt, dass Finnland der Aufnahme des BF nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zustimme.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 27.04.2018 wurden dem gewillkürten Vertreter des BF aktuelle Länderfeststellungen zu Finnland (Stand: 08.03.2017) übermittelt:

1. Allgemeines zum Asylverfahren

In Finnland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (FIS 1.9.2016; vgl. FIS o.D.a; für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).

Quellen:

-

FIS - Finnish Immigration Service (1.9.2016): Information for Asylum Seekers,

http://www.migri.fi/download/16435_tietoa_tphakijalle_eng.pdf?ae9d9864c35bd488, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.a): Asylum in Finland, http://www.migri.fi/asylum_in_finland, Zugriff 7.3.2017

2. Dublin-Rückkehrer

Personen, die im Rahmen des Dublin-Regimes nach Finnland zurückkehren, haben vollen Zugang zu Asylverfahren und Unterbringung. Ihre Verfahren werden, je nach Ausgangslage, entweder begonnen oder fortgesetzt. Die Verfahren werden im ordentlichen Verfahren abgewickelt und inhaltlich geprüft, außer der Antrag ist unzulässig nach Art. 33.2 b und c der Asylverfahrensrichtlinie. Auch ein Asylfolgeantrag ist möglich (FIS 10.2.2017).

Finnland macht bei der Bereitstellung von Versorgungsleistungen keinen Unterschied zwischen verschiedenen Verfahrensarten. Alle Antragsteller erhalten dieselbe Versorgung (EASO 2.2016).

Quellen:

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Quality Matrix

Report: Reception conditions, per E-Mail

-

FIS - Finnish Immigration Service (10.2.2017): Anfragebeantwortung des FIS, per E-Mail

3. Non-Refoulement

Wenn ein Asylwerber sich nicht für internationalen Schutz qualifiziert, kann er eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des subsidiären Schutzes erhalten. Vor dem 16. Mai 2016 konnte Finnland auch humanitären Schutz gewähren, wenn die Voraussetzungen für den Asyl- oder subsidiären Schutz nicht erfüllt waren. Seit dem 16. Mai 2016 existiert diese Art von internationalem Schutz aufgrund einer Änderung des Ausländergesetzes nicht mehr (FIS o.D.a).

Die Abschaffung des humanitären Schutzes ist für das Anti-Folterkomitee der UN ein Grund zur Sorge, dass damit der Refoulement-Schutz geschwächt worden sein könnte (UNCAT 20.1.2017; vgl. RAC 17.10.2016).

Quellen:

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.a): Asylum in Finland, http://www.migri.fi/asylum_in_finland, Zugriff 7.3.2017

-

RAC - Refugee Advice Center (17.10.2016): To the Committee against Torture; Written contribution on Finland to the CAT; 59th session, 7 november - 7 december 2016,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1483606854_int-cat-css-fin-25766-e.pdf, Zugriff 8.3.2017

-

UNCAT - United Nations Committee Against Torture (20.1.2017):

Concluding observations on the seventh periodic report of Finland [CAT/C/FIN/CO/7],

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1485421971_g1701032.pdf, Zugriff 8.3.2017

4. Versorgung

Asylwerber, die sich nicht selbst versorgen können, können in einem Unterbringungszentrum untergebracht werden (FIS 1.9.2016)

Die Unterbringungszentren verteilen sich auf ganz Finnland. Es handelt sich um offene Einrichtungen. Das dortige Personal kümmert sich um die Bedürfnisse der dort untergebrachten Asylwerber, dazu gehören: Unterbringung, finanzielle Unterstützung, medizinische Versorgung (inklusive Gesundheitscheck), Übersetzerdienste, Rechtshilfe im Verfahren und allgemeine Beratung. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist die temporäre geschlossene Unterbringung vorgesehen. (FIS o.D.g).

Bedürftige AW erhalten eine Unterbringungszulage zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse, die vom Zentrum ausbezahlt wird (FIS o. D.f). Ihre Höhe richtet sich nach dem Familienstand und danach, ob im jeweiligen Unterbringungszentrum Mahlzeiten angeboten werden oder selbst gekocht werden muss:

Bild kann nicht dargestellt werden

(FIS o.D.d)

Die Abteilung für Unterbringung des FIS ist verantwortlich für das operative Management, die Planung und die Überwachung der Unterbringungszentren und der Haftzentren in Metsälä und Joutseno (FIS o.D.h; vgl. RAC 17.10.2016). Die Unterbringungszentren werden von den Gemeinden bzw. von Institutionen organisiert, mit denen die Abteilung für Unterbringung entsprechende Vereinbarungen getroffen hat (NGOs). Zusätzlich betreibt der finnische Staat selbst die beiden Empfangszentren in Oulu und Joutseno (FIS o.D.h). Die Gesamtkapazität der Unterbringungseinrichtungen in Finnland liegt bei ca. 30.000 Plätzen (EASO 2.2016).

Es gibt laut Homepage des finnischen Migrationsdienstes momentan 61 Unterbringungseinrichtungen für Asylwerber. Eine Liste ist unter der angegebenen Quelle abrufbar (FIS 6.2.2017b).

Endet das Asylverfahren negativ, muss der Betreffende das Land in der Regel binnen 30 Tagen verlassen. Tut er das in dieser Frist nicht freiwillig, wird die Polizei die Ausreise erzwingen (FIS o. D.m; vgl. FIS 1.9.2016). Kann die Polizei die Ausreise nicht erzwingen, während dem Fremde die freiwillige Ausreise sehr wohl möglich wäre, endet nach den 30 Tagen das Recht auf Versorgung (FIS o. D.n).

Asylwerber haben in Finnland Zugang zu notwendiger medizinischer Behandlung (EASO 2.2016).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

-

EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Quality Matrix

Report: Reception conditions, per E-Mail

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.d): The reception allowance,

http://www.migri.fi/asylum_in_finland/reception_activities/the_reception_allowance, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.f): Reception services for asylum seekers,

http://www.migri.fi/asylum_in_finland/reception_activities/reception_services, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.g): The reception centres are located across Finland,

http://www.migri.fi/asylum_in_finland/reception_activities/reception_centers, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.h): Roles and responsibilities in the organisation of reception activities in Finland,

http://www.migri.fi/asylum_in_finland/reception_activities/roles_and_responsibilities, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2017b): Contact Information for Reception Centers,

http://www.migri.fi/download/71643_Vastaanottokeskusten_yhteystietoja_5.11.2017_englanniksi.pdf?96873961c35bd488, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.m): Refusal of Entry, http://www.migri.fi/asylum_in_finland/applying_for_asylum/decision/refusal_of_entry, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (o.D.n): Termination of reception services,

http://www.migri.fi/asylum_in_finland/reception_activities/reception_services/termination_of_reception%20services, Zugriff 7.3.2017

-

FIS - Finnish Immigration Service (1.9.2016): Information for Asylum Seekers,

http://www.migri.fi/download/16435_tietoa_tphakijalle_eng.pdf?ae9d9864c35bd488, Zugriff 7.3.2017

-

MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016):

Auskunft MedCOI, per E-Mail

-

RAC - Refugee Advice Center (17.10.2016): To the Committee against Torture; Written contribution on Finland to the CAT; 59th session, 7 november - 7 december 2016,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1483606854_int-cat-css-fin-25766-e.pdf, Zugriff 8.3.2017

6. Bei der Einvernahme des BF am 07.05.2018 durch das BFA gab dieser an, dass er an Bluthochdruck leide und deswegen bisher vier Mal ins Krankenhaus eingeliefert worden wäre. Ferner leide er an Panikattacken und nehme Antidepressiva ein. Am 03.03.2018 wäre er wegen einer Verstopfung des Dickdarms operiert worden, das wäre aufgrund der Stresssituation entstanden. Seine Familie habe ihn in dieser Zeit sowohl moralisch als auch finanziell unterstützt, sie hätte den Krankenhausaufenthalt bezahlt. Die Beschwerden würden bereits seit 2016 bestehen, der Bluthochdruck würde auch seine Nieren schädigen. Gegen seine Leiden nehme er regelmäßig verschiedene Medikamente ein, darunter eines gegen seine Schilddrüsenüberfunktion. Ihm werde immer wieder Blut abgenommen, deshalb wisse er, dass er an einem Magnesium- und B12-Mangel leide. Morgen würden ihm dann auch noch die Nähte nach einer Zahnoperation herausgenommen werden. Im Alltag müsse er sich schonen, jede Aufregung führe zu einem Anstieg des Blutdrucks. Er versuche, seinem geregelten Ablauf zu folgen, und esse Diätkost.

Der BF sei geschieden und habe eine minderjährige Tochter. In Österreich würden seine beiden Schwestern mit ihren Familien leben, sie würden ihn moralisch und finanziell unterstützen. Die Schwestern seien seit 1991 bzw. 1995 nach Österreich gekommen und seien österreichische Staatsbürger. Immer, wenn sie in die Türkei auf Urlaub geflogen wären, hätten sie ihn besucht und wären drei Wochen geblieben. Er stehe mit ihnen täglich in Kontakt, meist per Whats-App oder Telefon. Ferner würden sechs Cousins von ihm in Österreich sein, und es gäbe auch viele Freunde der Familie, die ihn im Lager besuchen würden.

Über Finnland könne er nicht viel sagen, er kenne das Land nicht. Er werde dort sicher gesundheitlich versorgt, nur müsste er alleine zurechtkommen und psychisch werde ihm niemand beistehen. Hier in Österreich lebe seine Familie und diese unterstütze ihn, psychisch gehe es ihm daher besser.

Der BF legte vor dem BFA einen türkischen Personalausweis, eine irakische Aufenthaltskarte für Ausländer und ein Konvolut an medizinischen Befunden vor.

7. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 19.06.2018 den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass Finnland für die Prüfung des Antrages des BF gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung des BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung des BF nach Finnland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO Finnland für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung des BF ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden.

Es würden zwar Erkrankungen vorliegen, diese wären jedoch nicht akut lebensbedrohlich und würde medikamentös behandelt werden. Darüber hinaus sei eine medizinische Versorgung in Finnland gewährleistet und seien die vom BF benötigten Medikamente auch dort erhältlich. Mit den in Österreich aufhältigen Verwandten würde der BF in keinem gemeinsamen Haushalt leben, die Angehörigen seien bereits seit vielen Jahren in Österreich. Weiters bestehe zu den Verwandten weder ein finanzielles noch ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis, weshalb die Außerlandesbringung des BF keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK darstelle. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Verletzung der EMRK oder eine systematische notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte in Finnland seien nicht zu erkennen. In Finnland sei eine ausreichende Versorgung für Asylwerber gewährleistet. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu, und es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben.

8. Das BFA stellte dem BF gemäß § 52 Abs. 1 Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), einen Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) amtswegig zur Seite.

9. Am 19.07.2018 erhob der BF durch seinen gewillkürten Vertreter gegen diesen Bescheid Beschwerde und beantragte, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Darin wurde im Wesentlichen auf die hier aufhältige Familie und die Erkrankungen des BF verwiesen. Aktuell wohne der BF wieder bei seiner Schwester und ihrer Familie, es bestehe ein außergewöhnlich enges Familienleben. Eine Überstellung nach Finnland würde eine Bedrohung der Gesundheit des BF darstellen. Auch versuche sich der BF zu integrieren, er lerne bereits Deutsch.

10. Die Beschwerdevorlage an die zuständige Gerichtsabteilung des BVwG iSd § 16 Abs. 4 BFA VG erfolgte am 20.07.2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:

-

den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA samt Vorakt, beinhaltend die Niederschrift der Erstbefragung am 07.03.2018, die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 07.05.2018 und die Beschwerde vom 19.07.2018

-

aktenkundliche Dokumentationsquellen betreffend Finnland

-

die Korrespondenz mit Finnland

-

die vorgelegten Befunde und medizinischen Unterlagen.

2. Feststellungen:

2.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Türkei.

2.2. Der BF reiste mittels eines durch die finnische Vertretungsbehörde in Ankara/Türkei ausgestellten Visums in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten ein. In der Folge suchte er am 07.03.2018 in Österreich um die Gewährung internationalen Schutzes an.

2.3. Am 09.03.2018 richtete das BFA aufgrund des Treffers in der VIS-Datenbank ein Aufnahmeersuchen an Finnland, das einer Aufnahme des BF gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zustimmte.

Ein Sachverhalt, der die Zuständigkeit Finnlands wieder beendet hätte, liegt nicht vor.

2.4. Das BVwG schließt sich den Feststellungen im angefochtenen Bescheid zur Lage im Mitgliedstaat an. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Überstellung nach Finnland Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe beziehungsweise einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Besondere, in der Person des BF gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Finnland sprechen, liegen nicht vor.

2.5. Der BF leidet an Bluthochdruck, einem Magnesium- und B12-Mangel und einer Schilddrüsenüberfunktion. Er hat psychische Probleme, die laut BF zu Panikattacken führen, sowie Nierenbeschwerden. Ferner wurden eine Operation am Dickdarm und eine Zahnoperation durchgeführt. Er nimmt gegen diese Erkrankungen entsprechende Medikamente ein.

Hinweise darauf, dass die Beschwerden des BF aktuell akut lebensbedrohend wären, haben sich nicht ergeben.

2.6. Zwei Schwestern des BF, eine österreichische und eine deutsche Staatsbürgerin, sind laut BF seit 1991 bzw. 1995 in Österreich aufhältig, laut ZMR sind diese seit 2001 bzw. 2002 durchgehend in Österreich aufrecht gemeldet. Ferner befinden sich Neffen, Nichten, sechs Cousins und Freunde des BF in Österreich. Mit einer der Schwestern besteht seit 02.07.2018 ein gemeinsamer Haushalt, ein Abhängigkeitsverhältnis konnte jedoch nicht festgestellt werden. Hinweise auf besondere Integrationsbemühungen des BF haben sich nicht ergeben.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Die Feststellungen zum Reiseweg des BF, zu seinem durch die finnische Vertretungsbehörde ausgestellten Visum sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich im Speziellen aus dem eigenen Vorbringen in Zusammenhang mit der vorliegenden Aktenlage. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich ebenfalls aus der Aktenlage und den vorgelegten Befunden. Diesbezüglich wurde vom BF kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren (siehe Punkt II.4.3.1.2.). Eine den BF konkret treffende Bedrohungssituation in Finnland wurde nicht substantiiert vorgebracht (siehe dazu die weiteren Ausführungen in Punkt II.4.3.1.1.).

3.2. Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen die auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen (siehe auch die Erwägungen unter II.4.3.1.1.).

Im gegenständlichen Bescheid wurden - offenbar irrtümlich - veraltete Länderberichte angeführt, allerdings wurden dem BF bzw. dessen Vertreter zuvor mit Verfahrensanordnung vom 27.04.2018 die aktuellen Länderfeststellungen zu Finnland (Stand: 08.03.2017) ordnungsgemäß zur Kenntnis gebracht, weshalb dieses Versehen des BFA zu keiner Aufhebung des Bescheides führt.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

4.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

...

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt."

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

§ 61 FPG 2005 lautet:

"(1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

Art. 3 Abs. 1:

"(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird."

Art. 7 Abs. 1 und 2:

"(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt."

Art. 12:

"Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde."

Art. 16:

" (1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen."

Art. 17:

"(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen."

Art. 18 lautet:

"Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen."

Art. 20:

"Einleitung des Verfahrens

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.

(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst."

4.2. In materieller Hinsicht ist die Zuständigkeit Frankreichs zur Prüfung des in Rede stehenden Asylantrages in Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO begründet, da der BF über ein durch die finnischen Behörden ausgestelltes, seit weniger als sechs Monaten abgelaufenes Visum verfügte. Die französischen Behörden haben das Aufnahmeersuchen fristgerecht beantwortet.

Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Finnlands in der Zwischenzeit untergegangen sein könnte, bestehen nicht.

4.3. Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB 17.06.2005, B 336/05;

15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB 23.01.2007, 2006/01/0949;

25.04.2006, 2006/19/0673) ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Das BFA hat von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher zu prüfen, ob von diesem im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK oder der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

4.3.1. Mögliche Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK:

Gemäß Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v. Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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