TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/1 W262 2190584-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.08.2018
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Entscheidungsdatum

01.08.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W262 2190584-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch den Verein CHRONISCHKRANK, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 23.02.2018, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit § 42 Abs. 1 BBG und § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stattgegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass dem Antrag des Beschwerdeführers vom 16.10.2017 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass Folge gegeben wird.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist seit 03.07.2008 Inhaber eines unbefristeten Behindertenpasses, seit 26.05.2009 mit einem Grad der Behinderung von 90 v.H.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 16.10.2017, vertreten durch den Verein CHRONISCHKRANK, beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet), einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass. Er legte seinem Antrag ein Konvolut an Unterlagen und medizinischen Befunden bei.

3. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem - auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.11.2017 - erstatteten Gutachten vom 21.02.2018 wurde auszugsweise Folgendes festgehalten:

"...

Derzeitige Beschwerden:

Folgeschäden durch chronisches Nierenleiden wie Müdigkeit, Belastungsintoleranz, Einschränkung der Gehleistung, auch nach stattgehabtem idiopathischem Gichtanfall treten Beschwerden in den Knie-, Sprung- und Zehengelenken auf, auch die Handgelenke sind betroffen, Beschwerden in den Fingergelenken, durch adäquate Therapie derzeit stabil.

...

Gesamtmobilität - Gangbild:

leicht hinkendes Gangbild, keine Gehhilfe erforderlich, kommt mit zwei Stützkrücken ohne signifikante Gebrauchsspuren zur Untersuchung,

Status Psychicus:

zeitlich und örtlich orientiert, ausgeglichene Stimmungslage, normale Kommunikation möglich

...

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

eingeschränkte Nierenfunktion nach 2. Nierentransplantation

2

Zustand nach Schrittmacherimplantation, Vorhofflimmern unter oraler Antikoagulation, Bluthochdruck

3

allergisches Asthma bronchiale

...

Dauerzustand.

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine, da die anerkannten Gesundheitsschädigungen keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge haben.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Durch die Anwendung der Medikation, die eine Abstoßungsreaktion des Transplantates verhindern soll ist keine hochgradige Infektanfälligkeit oder wesentliche Störung des Immunsystems gegeben, die ein Vermeiden von Menschenansammlungen erforderlich macht.

Gutachterliche Stellungnahme:

Im Gutachten wurde festgestellt, dass bei dem AW keine höhergradige Funktionsstörung der unteren Extremitäten vorliegt. Es finden sich im klinischen Befund keine signifikanten motorischen Ausfälle. Der AW kann eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Aufstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen.

Ein Herzleiden, welches eine hochgradige Einschränkung der Auswurfleistung zur Folge hat und eine signifikante Belastungsstörung verursacht, kann bei der klinischen Untersuchung und aufgrund der vorliegenden Befunde nicht ermittelt werden.

Eine isolierte Phobie vor öffentlichen Verkehrsmitteln wird zwar in dem klinisch-psychologischen Befund und der hausärztlichen Bestätigung angeführt, in der gängigen Literatur und in den ICD Codes findet sich jedoch kein Hinweis auf eine diesbezügliche Diagnose.

Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der psychischen, neurologischen und intellektuellen Funktionen vor; die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum ist gegeben. Ein nachweislich therapierefraktäres schweres Anfallsleiden ist nicht dokumentiert.

Von dem anerkannten Leiden unter lf. Nr. 1) geht keine hochgradige Schwäche mit einer Belastungsstörung aus, die eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar macht."

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen. Begründend wurde unter Bezugnahme auf das medizinische Sachverständigengutachten vom 21.02.2018 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Das Gutachten wurde dem Beschwerdeführer als Beilage des Bescheides übermittelt.

5. Mit Schreiben vom 23.03.2018 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde ein und führte im Wesentlichen aus, dass befundmäßig eine septische Arthritis mit erhöhten Entzündungsparametern sowie eine proximale Schwäche in den oberen und unteren Extremitäten dokumentiert seien. Durch die Medikation sei sein Immunsystem hochgradig Infekt anfällig. Er leide weiters an einer idiopathischen Gicht, welche zu Entzündungen führe und den CRP-Wert erhöhe, wodurch die Niere geschädigt werde. Gichtanfälle würden immer wieder auftreten. Aufgrund der Infektanfälligkeit sei es erforderlich, dass er Menschenansammlungen meide, dies sei auch im Patientenbrief vom 04.08.2017 ersichtlich. Auch trage er ein kardiales elektronisches Gerät, bei dem kürzlich bei einem Gerätetausch erneut ein Vorhofflimmern festgehalten worden sei. Es liege daher eine Belastungsstörung durch das Herzleiden vor. Schließlich leide er auch an einer rezidivierenden depressiven Störung, einer generalisierten Angststörung sowie einer spezifischen Phobie vor öffentlichen Verkehrsmitteln.

6. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 28.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 08.05.2018 erstatteten Gutachten vom selben Tag wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (ergänzt um die Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

"...

Beantwortung der gestellten Fragen...:

1. Die dauernden Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers sind als Diagnoseliste anzuführen:

Diagnose: rezidivierende Depression mit Klaustrophobie und generalisiertem Angstsyndrom und chronischer Müdigkeit.

2. Liegen erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten/Funktionen vor?

Es liegen keine erheblichen Einschränkungen neurologischer und intellektueller Fähigkeiten vor, sehr wohl aber psychischer.

3. Ausführliche Stellungnahme zu den im Rahmen der Beschwerde (...) erhobenen Einwendungen, insbesondere möge auf die monierte rezidivierende depressive Störung, die generalisierte Angststörung und die spezifische Phobie in öffentlichen Verkehrsmitteln eingegangen werden.

Auf Grund der chronischen Müdigkeit, die einerseits wegen der Depression besteht, andererseits wegen der Peritonealdialyse ist Herr XXXX nicht mehr in der Lage, eine Strecke von 300 bis 400 Metern zurückzulegen und auch nicht mehr in der Lage, ausreichend sicher in ein öffentliches Verkehrsmittel ein- und auszusteigen. Auch der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist somit nicht gewährleistet.

Dies ist der Hauptgrund für die Nichtbenützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Die angegebene generalisierte Angststörung und die spezifische Phobie werden nicht in Abrede gestellt, aber dafür liegen keine ausreichenden Befunde und auch keine entsprechenden gezielten Behandlungen vor, sodass sie keine Berücksichtigung finden können.

4. Ausführliche Stellungnahme zu den im Rahmen des im Verwaltungsverfahrens vorgelegten fachspezifischen Befunden:

Aktenblatt (AB) 10,11 vom 16.10.2017, Schreiben des Obmannes von ‚Chronisch krank" von XXXX : Patient ist ein multimorbider Patient....' Und Auflistung sämtlicher Diagnosen.

AB 12: Befund Gruppenpraxis XXXX vom 4.8.2017: ...Herr XXXX ist ein multimorbider Patient...das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel stellt zweifelsfrei ein hohes Infektionsrisiko dar,..."

AB 13: Ambulanzbrief XXXX Interne vom 1.8.2017: Derzeit ausgeprägte Einschränkung der Gehfähigkeit sowohl wegen Dyspnoe als auch wegen Gelenkssituation.

AB 14: Densitometrie vom 25.7.2017: Osteoporose LWS und linke Hüfte.

AB 15: Befundbericht vom 16.6.2017 XXXX Innere Medizin: PM Generatortausch.

AB 16: Ambulanz Bericht wegen Schmerzen links gluteal: Besserung nach intravenöser Therapie (Datum undeutlich, fraglich 3.5.2017)

AB 17: CT LWS vom 4.5.2017: Minimale Retrolisthese L3 gegenüber L4, geringes Discusblging L4/5, schmorl'sche Knorpelknötchen an den Grundplatten von L2,3,4. Knöcherne Spinalkanal normal weit. Keine Spondylarthrosen.

AB 18,19: Psychologischer Befund vom 18.5.2016: deutlich depressive Verstimmung, generalisierte Ängste, spezifische Phobie.

AB 20: Befund XXXX , Hautarzt, vom 15.9.2015: Plattenepithelcarcinom präauriculär Schläfe rechts 2011, fragliches Erysipel seit 11 Tagen.

All diese Befunde weisen nur auf die ‚Multimorbidität' hin und meinen damit, dass nicht ein einzelnes Leiden ausschlaggebend für die Nichtbenützbarkeit ist, sondern das Zusammenspiel der gesamten Krankheitsgeschichte. Und das ist aus nervenfachärztlicher Sicht auch so zu sehen. Die jahrzehntelange Nierenerkrankung, das Versagen der ersten und auch der zweiten transplantierten Niere, die jahrelange Dialyse, die immer nur eine ‚Notlösung' ist und nicht einen Zustand herstellt, der einem Gesunden gleichkommt, die dadurch entstandene Depression und Hoffnungslosigkeit, das Warten auf eine neue funktionsfähige Niere, der zusätzlich nicht gesunde Allgemeinzustand, das Durchführen der im eigenen Heim durchzuführenden Peritonealdialyse, welche nur vordergründig eine

Erleichterung darstellt ... !

5. Bitte um Stellungnahme über die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Die Gehfähigkeit ist zwar nicht wesentlich eingeschränkt, aber auf Grund der Müdigkeit, die sowohl wegen der Depression, aber auch wegen der mühsamen, täglich über Stunden durchzuführenden Peritonealdialyse eine behindernde Einschränkung darstellt, ist BF nicht mehr in der Lage, eine Strecke von 300 bis 400 Meter ohne große Anstrengung zurückzulegen.

6. Stellungnahme zu einer allfälligen zum angefochtenen Gutachten vom 21.02.2018 abweichenden Stellungnahme.

Zum abweichenden Ergebnis bezüglich des Gutachtens vom 22.11.2017, Aktenblatt 22-25, kommt es, da in diesem Gutachten das psychiatrische Leiden im Ergebnis keine Berücksichtigung gefunden hat und dies aber wichtig ist, da die Müdigkeit verursacht durch die Depression in Zusammenhang mit der Müdigkeit, verursacht durch die tägliche Peritonealdialyse, ein wesentlicher Grund für die Nichtbenützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel darstellt. Bei dem multimorbiden Patienten geht es nicht um motorische Defizite, sondern um eine umfassende körperliche Einschränkung durch ein Krankheitsbild, welches einerseits körperlich andererseits psychisch so belastend ist, dass die Leistungsfähigkeit deutlich herabgesetzt ist.

7. Feststellung, ob eine Nachuntersuchung erforderlich ist.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich."

8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.05.2018 wurden der Beschwerdeführer und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Weiters wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Aussicht nehme, über die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung aufgrund der Aktenlage zu entscheiden, sofern eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragt wird.

9. Die Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist seit 26.05.2009 Inhaber eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 90 v.H.

Der Beschwerdeführer stellte am 16.10.2017 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1) Eingeschränkte Nierenfunktion nach zweiter Nierentransplantation;

2) Zustand nach Schrittmacherimplantation, Vorhofflimmern unter oraler Antikoagulation, Bluthochdruck;

3) Allergisches Asthma bronchiale;

4) Rezidivierende Depression mit Klaustrophobie, generalisiertem Angstsyndrom und chronischer Müdigkeit.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen 1) bis 3) wird das Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 21.02.2018 zugrunde gelegt.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigung 4), ihrer Art und Schwere sowie ihrer Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08.05.2018 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer leidet an erheblichen Einschränkungen psychischer Natur. Aufgrund der vorliegenden Multimorbidität, der durch die Peritonealdialyse verursachten Müdigkeit sowie der aus dem schlechten Gesamtzustand entstandenen Depression ist der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine - durch das körperlich und psychisch belastende Krankheitsbild - deutlich herabgesetzte Leistungsfähigkeit nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 300 bis 400 Metern zurückzulegen und in bzw. aus einem öffentlichen Verkehrsmittel zu steigen. Auch ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist nicht gewährleistet.

Aufgrund der festgestellten Funktionseinschränkungen kann dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus medizinischer Sicht nicht zugemutet werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Ausstellung des Behindertenpasses und zum Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen zu den bestehenden Funktionseinschränkungen

1) bis 3) gründen sich auf das Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 21.02.2018. Die Feststellungen zur bestehenden Funktionseinschränkung 4) sowie zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung gründen sich auf das Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08.05.2018. Darin wurde auf die Art und Schwere des psychischen Leidens des Beschwerdeführers sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Das nervenfachärztliche Gutachten setzt sich ausführlich mit den im Zuge des Verfahrens vorgelegten Befunden auseinander. Die getroffenen medizinischen Beurteilungen basieren auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befund und entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen in den Gutachten verwiesen).

Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie begründet schlüssig, dass - entgegen der Einschätzung des Arztes für Allgemeinmedizin, dass keine isolierte Phobie vor öffentlichen Verkehrsmitteln zu diagnostizieren sei - im Hinblick auf den schlechten Gesamtzustand des Beschwerdeführers eine rezidivierende Depression mit Klaustrophobie und generalisiertem Angstsyndrom und chronische Müdigkeit vorliegen, die zu einer Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führen.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte nervenfachärztliche Gutachten wurde der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer Frist zur Äußerung übermittelt. Keine der Parteien hat Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden nervenfachärztlichen Sachverständigengutachtens vom 08.05.2018. Es wird in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden."

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

"§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

3.3.1. Die in Ausübung der Ermächtigung des § 47 BBG erlassene Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist am 01.01.2014 in Kraft getreten und wurde mit 22.09.2016, BGBl. II Nr. 263/2016, novelliert. § 1 dieser Verordnung lautet auszugsweise:

"§ 1. ...

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

...

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

..."

3.3.2. In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) - soweit relevant - insbesondere Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3:

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Die Voraussetzung des vollendeten 36. Lebensmonats wurde deshalb gewählt, da im Durchschnitt auch ein nicht behindertes Kind vor dem vollendeten 3. Lebensjahr im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Wegstrecken nicht ohne Begleitung selbständig gehen kann.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes ‚dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-

Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

-

hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

-

schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

-

nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden - Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-

anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID - sever combined immundeficiency),

-

schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-

fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-

selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktionen nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

..."

3.4.1. Nach der (noch zur Rechtslage nach der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen, BGBl. 86/1991, ergangenen) ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 20.04.2004, 2003/11/0078 [= VwSlg. 16.340 A/2004]; VwGH 01.06.2005, 2003/10/0108; VwGH 29.06.2006, 2006/10/0050; VwGH 18.12.2006, 2006/11/0211; VwGH 17.11.2009, 2006/11/0178; VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142; VwGH 23.05.2012, 2008/11/0128; VwGH 17.06.2013, 2010/11/0021; VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013; 27.01.2015, 2012/11/0186; 01.03.2016, Ro 2014/11/0024, je mwN).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321 [= VwSlg. 15.577 A/2001]). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Dabei kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Allgemeinen an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus sonstigen, von der Gesundheitsbeeinträchtigung unabhängigen Gründen erschweren, wie etwa die Entfernung des Wohnorts des Beschwerdeführers vom nächstgelegenen Bahnhof (vgl. VwGH 22.10.2002, 2001/11/0258 und VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

3.4.2. Diese (zur Rechtslage vor Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016 ergangene) Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Voraussetzungen der Zusatzeintragung nach § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen unverändert von Bedeutung. Dies folgt bereits daraus, dass die zitierte Verordnungsbestimmung jene rechtlich relevanten Gesichtspunkte der Benützung eines Verkehrsmittels, auf die die bisherige Rechtsprechung abstellt (Zugangsmöglichkeit, Ein- und Aussteigemöglichkeit, Stehen, Sitzplatzsuche etc.), nicht modifiziert oder beseitigt hat, sondern weiterhin auf den Begriff der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abstellt und lediglich ergänzend regelt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen "insbesondere" als solche in Betracht kommen, die die Unzumutbarkeit nach sich ziehen können.

3.5. Wie oben unter Punkt II.2. eingehend ausgeführt wurde, wird der Entscheidung das Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 21.02.2018 sowie - hinsichtlich der hier entscheidungsrelevanten psychischen Leiden und ihrer Auswirkungen auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - das Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08.05.2018 zugrunde gelegt. Es liegt zwar keine erhebliche Einschränkung psychischer Funktionen im Sinne der Erläuterungen zur Verordnung vor; dennoch werden schlüssig erhebliche psychische Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers im Sachverständigengutachten dargetan. Zudem steht nach Ansicht des erkennenden Senates dem die Regelung in § 1 Abs. 4 Z 3 der (unter Punkt II.3.3.1. auszugsweise wiedergegebenen) Verordnung und die dort enthaltene demonstrative ("insbesondere") Aufzählung solcher Fälle, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen. Vielmehr gebietet § 1 Abs. 5 leg. cit. eine individuelle [ganzheitliche] Beurteilung auf Basis eines ärztlichen Sachverständigengutachtens (vgl. dazu etwa auch VwGH 21.04.2016, Ra 2016/11/0018).

Es wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist.

3.6. Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß abzuändern.

Die belangte Behörde hat folglich die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass des Beschwerdeführers vorzunehmen.

3.7. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

3.7.1. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.7.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten; letzteres wurde von den Verfahrensparteien unwidersprochen zur Kenntnis genommen. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

3.7.3. Ergänzend ist im Beschwerdefall aus dem Blickwinkel von Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) auf den Umstand hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer vom Bundesverwaltungsgericht bei Einräumung des Parteiengehörs auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu beantragen, indem ihm seitens des Verwaltungsgerichtes mitgeteilt wurde, dass - sollte er eine mündliche Verhandlung vor Gericht nicht ausdrücklich beantragen - eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung in Aussicht genommen werde. Der Beschwerdeführer hat sich daraufhin nicht mehr geäußert.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen gehört auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung. Nach der Rechtsprechung kann die Unterlassung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine solche gewertet werden. Zwar liegt ein solcher Verzicht dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des erwähnten Umstands eines entsprechenden Hinweises an den Beschwerdeführer und der ihm explizit eingeräumten Gelegenheit zur Antragstellung nicht der Fall. Die unterbliebene Antragstellung kann vor diesem Hintergrund als schlüssiger Verzicht im Sinne der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 EMRK gewertet werden

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit im Beschwerdefall relevant - eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W262.2190584.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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