TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/2 W111 2196932-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.08.2018
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Entscheidungsdatum

02.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W111 2196942-1/4E

W111 2196935-1/4E

W111 2196932-1/4E

W111 2196939-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) mj. XXXX , geb. XXXX , 3) mj. XXXX , geb. XXXX , 4) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 10.03.2018, Zln. 1.) 1180959006-180125991, 2.) 1180958303-180126009, 3.) 1180958205-180126017, 4) 1180958107-180126025, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer sowie der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die beschwerdeführenden Parteien reisten gemeinsam jeweils unter Mitführung gültiger biometrischer ukrainischer Reisedokumente in das Bundesgebiet ein und stellten am 06.02.2018 die diesem Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen die Erstbeschwerdeführerin (auch in Bezug auf die Anträge der von ihr gesetzlich vertretenen Zweit- bis ViertbeschwerdeführerInnen) am gleichen Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt wurde.

Zusammengefasst gab die Erstbeschwerdeführerin zu Protokoll, der russischen Volksgruppe sowie dem christlich-orthodoxen Glauben anzugehören und verheiratet zu sein, sie habe im Herkunftsstaat elf Jahre lang die Grundschule sowie sechs Jahre lang die Universität besucht und sei im Anschluss in den Jahren 2004 bis 2008 selbstständig erwerbstätig gewesen. In der Ukraine (Bezirk Donezk) hielten sich unverändert ihre Eltern, ihr Ehemann und eine Schwester auf. Sie habe sich im Sommer 2017 zum Verlassen ihrer Heimat entschlossen und sei Mitte Jänner 2017 auf dem Luftweg von XXXX nach Österreich gereist.

Zu ihrem Fluchtgrund führte die Erstbeschwerdeführerin aus, in ihrem Wohngebiet komme es nach wie vor zu Kampfhandlungen. Am 02.08.2014 seien sie nach Russland gereist, um mit den Kindern dort bis zum Schulbeginn Urlaub zu verbringen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Grenze infolge Ausbruchs der Kampfhandlungen geschlossen worden, sodass sie nicht in die Ukraine hätten zurückkehren können. Sie seien fast zwei Jahre lang in Russland geblieben, was durch einen entsprechenden Stempel auch in ihren Reisepässen ersichtlich wäre. Aus diesem Grund seien sie infolge ihrer Rückkehr in die Ukraine als Separatisten und Verräter betrachtet und behandelt worden. Da sie sich nicht sicher gefühlt hätten und in keinem anderen Teil der Ukraine eine Wohnmöglichkeit besitzen würden, hätten sie sich entschlossen, nach Österreich zu kommen. Im Falle einer Rückkehr habe sie Angst um ihre Kinder, deren Gesundheitszustand sich verschlechtert hätte, da sie ständig in Angst leben würden. Die Erstbeschwerdeführerin habe mit diesen immer wieder zum Psychologen gemusst; außerdem sei ihre Sicherheit aufgrund der wiederkehrenden Schusswechsel nicht gewährleistet. Die genannten Gründe würden sinngemäß für die minderjährigen Zweit- bis ViertbeschwerdeführerInnen gelten.

Nach Zulassung ihres Verfahrens wurde die Erstbeschwerdeführerin am 06.03.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich zu den Gründen ihrer Antragstellung einvernommen. Dabei brachte sie auf entsprechende Befragung hin zusammenfassend vor, ihre Angaben würden gleichermaßen für ihre von ihr gesetzlich vertretenen minderjährigen Kinder gelten, welche keine eigenen Fluchtgründe aufweisen würden. Die Erstbeschwerdeführerin habe bislang der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt, welche korrekt protokolliert und rückübersetzt worden wären. Sie sei gesund und in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Sie stünde, ebensowenig wie ihre Kinder, in ärztlicher Behandlung; ihre Tochter leide desöfteren an Kopfschmerzen, diesbezüglich hätten sie in Österreich noch keinen Arzt aufgesucht. Die Erstbeschwerdeführerin verwies auf die bereits vorgelegten Reisepässe der Familie, zudem legte sie einen Kaufvertrag über eine im Dezember 2016 in XXXX gekaufte Wohnung vor.

In der Ukraine würden noch die Eltern und eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin in einem näher bezeichneten Dorf in der Region Donezk leben. Die Erstbeschwerdeführerin hätte im selben Dorf in einem eigenen Haus gelebt. Zuerst seien sie in eine Mietwohnung im gleichen Dorf übersiedelt, da sie in ihrem Haus keinen Strom gehabt hätten. Von dort sei sie mit den Kindern ausgereist. Die Wohnung im Westen der Ukraine habe sie verkauft; sie habe noch das erwähnte Haus in ihrem Heimatdorf, welches jedoch nicht bewohnbar wäre. Die Erstbeschwerdeführerin stehe in telefonischem Kontakt zu ihren Angehörigen in der Ukraine; sie sei verheiratet, lebe jedoch seit 2016, als sie von Russland in die Ukraine zurückgekehrt wären, getrennt von ihrem Ehemann, welcher sich unverändert in ihrem Heimatdorf in der Ukraine aufhalten würde. Sie habe im Sommer 2017 den Entschluss gefasst, ihr Heimatland zu verlassen, der konkrete Ausreisegrund sei der psychische Zustand ihrer Kinder gewesen, welche aufgehört hätten zu essen und wegen der heftigen Bombenangriffe aus Angst gezittert hätten. Der ältere Sohn habe mit niemandem reden wollen, ihre Tochter hätte heftige Kopfschmerzen gehabt. In ihrem Pass sei ein Stempel der Russischen Föderation, weshalb sie in der Ukraine nicht angemeldet worden wäre und sie ihre Kinder nicht zur Schule schicken haben können.

Um detailliere Schilderung ihres Fluchtgrundes ersucht, führte die Erstbeschwerdeführerin aus wie folgt:

"Im April 2014 haben im Osten der Ukraine die ersten Kampfhandlungen begonnen. Diese haben innerhalb kurzer Zeit zugenommen, deswegen bin ich im August 2014 mit meinen Kindern auf Urlaub an Meer in der russischen Föderation gefahren. In der Hoffnung, dass die Kampfhandlungen aufhören und wir zu Schulbeginn zurückkehren können. Unsere Hoffnung hat sich nicht bewahrheitet, im Gegensteil, da sie intensiver wurden, wurde die Grenze zwischen Russland und der Ukraine geschlossen. Ich war mit meinen Kindern in der russischen Föderation gestrandet. Ich habe dann in Russland eine Wohnung gemietet. Ich konnte mit meinen Kindern zwei Jahre nicht in die Ukraine zurück. Im Juni 2016 konnte ich in die Ukraine zurückkehren. Anfangs hatten wir kein Wasser und Strom mit Unterbrechungen. Es gab am Tag als auch in der Nacht Schusswechsel und die Kinder fürchteten sich sehr. Die Schulen wurden geschlossen und ich merkte, dass die Situation für meine Kinder unerträglich ist. Maria hatte heftige Kopfschmerzen, wurde blass und verlor an Gewicht. Der ältere Sohn hat mit niemanden geredet. Daraufhin bin ich mit meinen Kindern zu Verwandten nach XXXX gefahren. Die Verwandten wollten uns dort nicht dulden, weil der Ehemann meiner Cousine bei den Kampfhandlungen im Osten gefallen ist. Deswegen beschloss ich, meine Wohnung zu verkaufen und mit dem Geld eine andere Unterkunft zu suchen. Die Wohnung musste ich verkaufen, da ich Geld zum leben brauchte. Ich wurde dort nirgends angemeldet, weil die Meldebehörde meinen russischen Stempel im Reisepass gesehen hat und mich als Anhängerin der Separatisten gesehen hat. Ich konnte ohne Anmeldung nirgends wohnen und deswegen wurden die Kinder auch nicht in die Schule aufgenommen. Ein Verbleib im Westen der Ukraine war unmöglich. Im Dezember 2016 fuhr ich mit meinen Kindern nach XXXX , in der Hoffnung, dass ich mich dort anmelden und die Kinder in die Schule schicken kann. Dies war leider nicht möglich, die Beamten waren sehr aggressiv zu mir und meinten, ich sei ein Freund der Russen und schuld an diesem Krieg. Ich soll wieder dorthin fahren, woher ich gekommen bin, also in den Osten der Ukraine. Nach einigen weiteren erfolglosen Versuchen, zu einer Anmeldung eines Wohnsitzes bzw die Anmeldung meiner Kinder in der Schule in XXXX , beschloss ich im Februar 2017 zu meinen Eltern ins Dorf XXXX zu ziehen. Ich suchte dann eine Mietwohnung und verbrachten die ganze Zeit zu Hause. Da die Situation wegen der Kampfhandlungen für die Kinder unzumutbar war, ging ich wegen der Kopfschmerzen meiner Tochter, die einige Male sogar bewußtlos wurde, zum Arzt und in ein Spital. Man lachte uns aus und meinte, dass sei Anämie. Ich konnte diese Situation nicht länger ertragen, da meine Kinder psychisch sehr gelitten haben. Sie waren traumatisiert und ein Ende der Kampfhandlungen war nicht in Sicht. Als ich erfuhr, dass man mit einem biometrischen Reisepass ins Ausland reisen darf, dachte ich, dass dies die Rettung für meine Kinder sei und ließ Reisepässe für uns ausstellen."

Weiters befragt, bestätigte die Erstbeschwerdeführerin, dass die Ausstellung der biometrischen Reisepässe problemlos erfolgt wäre und sie keine weiteren Fluchtgründe hätte. Einer konkreten persönlichen Verfolgung sei sie nie ausgesetzt gewesen. Zu ihrem Ehemann habe sie keinen Kontakt, dieser lebe vermutlich im selben Dorf wie ihre Eltern und die Schwester und schicke der Erstbeschwerdeführerin Geld nach Österreich, um zum Unterhalt der Kinder beizutragen. Ihre Eltern würden eine geringfügige Pension beziehen und durch diese auch die Schwester unterstützen. Die Erstbeschwerdeführerin habe in der Ukraine nie persönliche Probleme mit den dortigen Behörden gehabt, sei nie politisch oder religiös tätig gewesen und hätte sich nie im Gefängnis befunden.

In Österreich habe die Erstbeschwerdeführerin ein Gewerbe für Reinigungstätigkeiten angemeldet und Freundschaften über Facebook geschlossen. Sie wohne in einer Mietwohnung und erhalte monatlich EUR 1.000,- von ihrem Mann, überdies hätte sie auch selbst Geld aus der Ukraine mitgebracht. Sie hätte sich für einen Deutschkurs angemeldet und sich über eine Dolmetscherausbildung an der Universität informiert. Ihre Kinder würden hier zur Schule gehen und hätten das Lachen wieder erlernt. Sie wolle, dass ihre Kinder in einem friedlichen Umfeld aufwachsen; diese würden in der Schule gut lernen und seien in die nächsthöhere Klasse eingestuft worden; sie wolle nicht, dass ihre Kinder von einer Kugel getroffen würden.

Nach ihren auf die Ukraine bezogenen Rückkehrbefürchtungen gefragt, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass es sein mag, dass die Ukraine im Allgemeinen als sicher gelten würde, ihr Fall sei jedoch ein spezieller, da in ihrem Pass der Stempel der Russischen Föderation angebracht gewesen wäre und den Behörden bekannt gewesen sei, dass sie sich längere Zeit in Russland aufgehalten hätte. Nach der Rückkehr aus der Russischen Föderation sei ihr daher die Anmeldung eines Wohnsitzes in XXXX und im Westen verweigert worden. Auf die Frage nach ihren konkreten persönlichen Befürchtungen antwortete die Erstbeschwerdeführerin, Angst um ihre Kinder und ein Wiederaufleben ihrer psychischen Traumata zu haben. In ihrem Wohngebiet würden immer wieder Schüsse fallen; es gebe Scharfschützen und es sei kein anderer Wohnsitz für sie möglich, da ihre Kinder ohne Anmeldung keine Schule besuchen dürften.

Die Beschwerdeführerin legte beglaubigte Übersetzungen der Geburtsurkunden ihrer Kinder sowie eines Schulzeugnisse und ihren in Österreich abgeschlossenen Mietvertrag vor.

2. Mit den im Spruch angeführten, im Familienverfahren ergangenen, Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2018 wurden die Anträge der beschwerdeführenden Parteien sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes bezogen auf den Herkunftsstaat Ukraine (Spruchpunkte II.) nach den Bestimmungen des Asylgesetzes abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde den beschwerdeführenden Parteien nicht erteilt und wurde gegen diese gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in den Herkunftsstaat zulässig sei (Spruchpunkte III.). Einer Beschwerde wurde in den Spruchpunkten IV. die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG aberkannt. In Spruchpunkt IV. wurde jeweils ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 und 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise bestünde.

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Identität, Volksgruppenzugehörigkeit sowie Religion der beschwerdeführenden Parteien fest und legte ihren Entscheidungen ausführliche Feststellungen zur aktuellen Situation in deren Herkunftsstaat zu Grunde. Begründend wurde im Wesentlichen erwogen, dass sich die von der Erstbeschwerdeführerin angegebenen Gründe für das Verlassen ihres Herkunftsstaates als nicht glaubhaft erwiesen hätten. Es habe nicht festgestellt werden können, dass diese in der Ukraine asylrelevanter Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt gewesen wäre bzw. dies künftig der Fall sein würde. Glaubhaft sei, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Heimatdorf in der Region Donezk aufgrund der dortigen Unruhen verlasen hätte und sich zunächst nach Russland begeben hätte. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb sie in der Folge im Falle einer aufrechten Bedrohung in ihren Heimatort zurückgekehrt wäre und die Ukraine erst eine nicht unerhebliche Zeit später verlassen hätte. Erst als sie von der Möglichkeit erfahren hätte, mit biometrischen Reisepässen ins Ausland zu reisen, hätte sie sich zur Ausreise entschlossen, wobei die Ausstellung der Pässe für sie und ihre Kinder problemlos erfolgt wäre. Als nicht glaubhaft erweise sich, dass die Erstbeschwerdeführerin ihre Heimat aufgrund psychischer Probleme ihrer Kinder verlassen hätte, zumal sie mit ihren Kindern in Österreich bislang keinen Arzt konsultiert und angeführt hätte, dass es ihren Kindern gut ginge. Ebensowenig erweise es sich als glaubhaft, dass die minderjährigen Zweit- bis ViertbeschwerdeführerInnen in der Ukraine mangels Anmeldung keine Schule besuchen haben können, zumal die Erstbeschwerdeführerin vorgebracht hätte, dass die Genannten in Österreich gut lernen würden und in die nächsthöhere Klasse eingestuft worden wären, was erfahrungsgemäß nur möglich wäre, wenn bereits erfolgreich Klassen absolviert worden wären.

Die Erstbeschwerdeführerin, welche im Herkunftsland die Universität besucht hätte, sei gesund und in der Lage, ihren Lebensunterhalt nach einer Rückkehr wie schon vor ihrer Ausreise selbstständig zu bestreiten. Die beschwerdeführenden Parteien hätten den Großteil ihres Lebens in der Ukraine verbracht und würden dort über familiäre und soziale Bezugspunkte verfügen. Den beschwerdeführenden Parteien wäre eine Rückkehr in die Ukraine, insbesondere nach XXXX , möglich, zumal sich die dortige Sicherheitslage unverändert ruhig darstelle und keine in ihren Personen gelegenen gefahrenerhöhenden Umstände hätten festgestellt werden können. In einer Gesamtschau lägen daher keine Anhaltspunkte vor, dass die beschwerdeführenden Parteien bei einer Rückkehr in ihrem Leben oder ihrer körperlichen Unversehrtheit bedroht wären oder in eine Notlage entsprechend Artikel 2, 3 EMRK geraten würden. Die beschwerdeführenden Parteien, welche ihren Lebensunterhalt aus Eigenmitteln sowie Unterstützung aus der Ukraine bestreiten würden, hielten sich erst seit wenigen Monaten in Österreich auf und würden hier außerhalb ihrer Kernfamilie keine engen sozialen Bezugspunkte aufweisen, ebensowenig läge eine tiefgreifende Integration vor. Da die beschwerdeführenden Parteien aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG abzuerkennen gewesen.

3. Mit Eingabe vom 24.04.2018 wurde durch die Erstbeschwerdeführerin fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit angefochten wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Erstbeschwerdeführerin habe trotz der schlechten Gesundheit aller drei Kinder keine Ahnung gehabt, welche Ärzte sie diesbezüglich kontaktieren könne und habe nunmehr vor, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Erstbeschwerdeführerin sei mit dem Konzept der Verfolgung im Sinne der europäischen Gesetzgebung nicht im Detail vertraut, doch sehe die Lage in der Ukraine, wo nach Vorstellung der Behörde Demokratie und Gesetzmäßigkeit herrschen würde, in der Realität anders aus. Als sie in das Land, dessen Bürgerin sie wäre, zurückgekehrt wäre, sei sie einer eindeutig negativen und voreingenommenen Einstellung der öffentlichen Bediensteten ausgesetzt gewesen, welche nicht an ihrem Schicksal oder jenem ihrer Kinder interessiert gewesen wären. Aufgrund eines unverständlichen Registrierungsstempels im Pass seien sie automatisch mit allen Konsequenzen als Verräter und Separatisten eigestuft worden. Die Kinder hätten keinen Platz in der Schule bekommen und die Suche nach einer Unterkunft hätte sich schwierig gestaltet, weshalb sie beschlossen hätten, in einen anderen Landesteil zu ziehen, wo nicht geschossen und bombardiert werde. Im ruhigen und stillen westlichen Teil der Ukraine hätten sie jedoch noch mehr Hass und Verachtung erfahren als in XXXX oder einer anderen östlichen Region. Auch dort hätte es für ihre Kinder keinen Platz in der Schule gegeben und sie hätte den bestehenden Wohnraum aufgeben müssen, um noch schlimmere Konsequenzen zu vermeiden. Es hätte keine andere Wahl gegeben, als auf der Suche nach Gerechtigkeit nach Europa zu gehen. Für die Ausstellung der Pässe habe sie ein Bestechungsgeld von 100 Dollar gezahlt, mit dieser administrativen Methode könne man in der Ukraine einige Erfolge erzielen. Darüber hinaus sei der Erstbeschwerdeführerin kürzlich bekannt geworden, dass gegen sie ein Strafverfahren geführt werde, dessen Einzelheiten sie noch nicht kenne.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 30.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Mit hg. Beschlüssen vom 01.06.2018 wurde den Beschwerden gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Ukraine wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine, welche der russischen Volksgruppe angehören und sich zum christlich-orthodoxen Glauben bekennen. Ihre Identität steht fest. Die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter und gesetzliche Vertreterin des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers, des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die beschwerdeführenden Parteien reisten unter Mitführung biometrischer ukrainischer Reisepässe in das Bundesgebiet ein und stellten am 06.02.2018 die verfahrensgegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz, seitdem halten sie sich durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin / Vater der Zweit- bis ViertbeschwerdeführerInnen hält sich, ebenso wie die Eltern und eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin, unverändert im Herkunftsort der Familie im Oblast Donezk auf. Im Zeitraum 2014 bis 2016 hielten sich die beschwerdeführenden Parteien infolge des Ausbruchs der Unruhen in der Ostukraine in der Russischen Föderation auf.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wären. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der beschwerdeführenden Parteien in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Die beschwerdeführenden Parteien leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung.

Die unbescholtenen beschwerdeführenden Parteien verfügen in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Die beschwerdeführenden Parteien führen ein Familienleben lediglich untereinander und weisen keine darüberhinausgehenden engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet auf. Die beschwerdeführenden Parteien leben in einer Mietwohnung und finanzieren ihren Lebensunterhalt aus Ersparnissen der Erstbeschwerdeführerin sowie monatlichen Zuwendungen in der Höhe von EUR 1.000,- durch ihren in der Ukraine verbliebenen Ehemann. Die Erstbeschwerdeführerin hat sich bislang keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse angeeignet, sie plant den Besuch eines Deutschkurses sowie eines Vorbereitungslehrgangs an der Universität und hat sich um den Erwerb einer Gewerbeberechtigung als Reinigungskraft bemüht. Die minderjährigen zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien besuchen die Schule im Bundesgebiet. Eine tiefgreifende Verwurzelung die beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet konnte nicht erkannt werden.

Eine die beschwerdeführenden Parteien betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-

UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

...

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

2.1. Halbinsel Krim

...

2.2. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

Quellen:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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