TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/7 W226 2202612-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.08.2018
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Entscheidungsdatum

07.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W226 2202612-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2018, Zl. 74452810-161120250 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, § 8 Abs. 1 AsylG, § 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 und 9 FPG, § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG und § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG sowie gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z. 1 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, welcher sich nach eigenen Angaben in den Jahren 2013 bis 2016 jeweils mit polnischem Visum in den Vertragsstaaten, darunter auch in Österreich aufgehalten hat, ist im Bundesgebiet bereits im Jahr 2013 in Erscheinung getreten, als er durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX zu Zahl XXXX am XXXX wegen §§ 127, 15, 269 StGB und § 50 Abs. 1 Z. 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt wurde.

Am 12.08.2016 wurde der BF einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen, aufgrund einer bestehenden Aufenthaltsermittlung wurde dieser gemäß § 40 BFA-VG festgenommen. Im Zuge einer fremdenpolizeilichen Einvernahme vom selben Tag schilderte der BF nunmehr gegenüber der belangten Behörde, dass er von der Slowakei kommend nach Österreich eingereist sei, er habe vor 20 Tagen neuerlich ein Visum für Polen beantragen wollen, doch sei ihm der Reisepass in der Ukraine abgenommen worden. Ihm sei gesagt worden, dass er kämpfen müsse, weshalb er nunmehr vor zwei Tagen nach Österreich gekommen sei, um hier einen Asylantrag zu stellen.

Er sei geschieden und habe Sorgepflichten für ein Kind, in der Ukraine würden noch die Mutter, der Stiefvater, die Ex-Frau und das Kind leben.

Am 13.08.2016 erfolgte die Erstbefragung des BF, wobei er im Wesentlichen die vorangehenden Angaben wiederholte. Darüber hinaus sei ihm vor ca. 8 Monaten von einem Arzt mitgeteilt worden, dass der Verdacht auf TPC bestehe und er deshalb in ein Spital gehen solle. In der Ukraine sei er aber nicht in ein Spital gegangen, da es für ihn zu gefährlich geworden sei. Er habe schon länger vorgehabt, ins Spital zu gehen und sich untersuchen zu lassen. Dokumente könne er keine vorlegen, der abgelaufene Reisepass befinde sich in der Ukraine.

Zum Fluchtgrund führte der BF aus, dass es in der Heimat nach wie vor Kampfhandlungen im Osten gebe, er wolle keinesfalls zum Militär, da würde er sofort an die Front geschickt werden. Er habe einen neuen Reisepass in der Ukraine beantragt, es sei ihm jedoch gesagt worden, dass Männer über 30 Jahren keinen Reisepass erhalten würden, er solle zudem die Wehrdienstbehörde aufsuchen. Da er aber nicht zum Militär wolle und keinen Menschen töten wolle, habe er sich entschlossen, illegal nach Österreich zu reisen. Außerdem wolle er, dass man ihn hier in Österreich in ein Spital bringe und ihn auf TPC untersuche. Am selben Tag wurde der BF mit polizeilicher Begleitung in ein spezialisiertes Krankenhaus gebracht und in der dortigen Lungenambulanz untersucht. Einer Ambulanzkarte vom selben Tag (AS 209) ist zu entnehmen, dass es keinen Hinweis auf eine rezente tuberkulöse Veränderung gibt, regelmäßige lungenfachärztliche Kontrolle wurde empfohlen. Es wurden offensichtlich postentzündliche und postspezifische Veränderungen rechts im Oberlappen in der Lunge registriert, ansonsten keine weiteren wesentlichen Auffälligkeiten.

Am XXXX wurde der BF erneut verurteilt, erneut durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX zu Zahl XXXX , diesmal wegen §§ 15, 127, 129 Z.3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 12 Monate bedingt.

Am 12.06.2018 erfolgte nunmehr eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor der belangten Behörde zu seinen Fluchtgründen. Der BF führte aus, körperlich und geistig gesund zu sein, alles sei in Ordnung. Er werde vom Staat versorgt, habe inzwischen auch eine Freundin und Freunde. Verwandte habe er keine in Österreich, aber er habe Freunde, wenn er Hilfe brauche, würden diese Freunde ihm helfen. Seine Freundin sei eine ehemalige amerikanische Staatsbürgerin, diese sei 2004 nach Österreich gekommen, XXXX Jahre alt und seit einem Jahr österreichische Staatsbürgerin. Er habe seit einem halben Jahr eine Beziehung zu ihr, er wohne aber nicht zusammen mit ihr, denn diese sei jetzt in Amerika.

Auf die Frage, ob er im Bundesgebiet Kurse oder Ausbildungen absolviert habe, vermeinte der BF, dass er die Prüfung A2 machen habe wollen, er habe aber wegen eines Krankenhausaufenthaltes die Prüfung verpasst.

Er leider außerdem an Hepatitis C und werde derzeit therapiert, er müsse wieder zur Kontrolle, sonst habe er keine Erkrankungen.

Der Fluchtgrund wurde vom BF nunmehr dahingehend geschildert, dass die Mutter inzwischen gestorben sei, deshalb habe der Stiefvater auch keine Dokumente vom BF geschickt. Er habe auch zum eigenen Sohn keinen Kontakt mehr, er finde die ehemalige Frau nicht mehr, obwohl er versucht habe, diese über das Internet zu finden. Er habe in seinem Heimatort von der Geburt bis zur Ausreise 2016 mit der Mutter und dem Stiefvater gelebt, habe den Beruf des Automechanikers erlernt und diesen Beruf auch ausgeübt. Seine Situation in wirtschaftlicher Hinsicht sei mittelmäßig gewesen, man könne in der Ukraine nicht viel verdienen.

Weiters führte der BF aus, dass er nach der Rückkehr in der Ukraine Probleme mit dem Militär bekommen habe, er habe einen Einberufungsbefehl bekommen. Er sei aber nie beim Militär gewesen, kenne sich mit diesen Sachen nicht aus. Er sei zu dieser Zeit nicht in der Ukraine gewesen, als der Einberufungsbefehl 2016 gekommen sei. Außerdem habe der Stiefvater versucht, den BF dazu zu zwingen, das Haus in der Ukraine auf ihn umzuschreiben. Er sei der alleinige Erbe des Hauses, der Stiefvater habe ihn zwingen wollen, dass Haus auf ihn umzuschreiben. Der Stiefvater habe gedroht, dass er den Sohn des BF finden und ihm etwas antun werde. Der Stiefvater wolle unbedingt, dass der BF zurückkomme und die nötigen Dokumente unterschreibe. Er bekomme andauernd SMS von seinem Stiefvater, dass er endlich nach Hause kommen soll, um die Dokumente betreffend das Haus zu unterschreiben.

Zum konkreten Grund für den Asylantrag befragt, vermeinte der BF, dass er denke, dass er im Fall der Rückkehr kein Heim mehr habe und nichts zu leben. Außerdem beabsichtige er nun, in Österreich eine Familie zu gründen. 2016 habe er noch Kontakt mit der Ex-Frau gehabt, diese habe ihm erzählt, dass sie sich gemeinsam mit dem Sohn bei verschiedenen Leuten verstecke. Außerdem wolle er keine Leute töten, er wolle nicht zum Militär. Auf die Frage, ob er sich aufgrund der Probleme mit dem Stiefvater in der Ukraine an die Polizei gewandt habe, vermeinte der BF, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Er sei zu dem Zeitpunkt bereits ausgereist gewesen, aber seine Ex-Frau sei wegen der Sache bei der Polizei gewesen. Er fürchte sich somit vor dem Krieg und vor dem Stiefvater, welcher ihn per Skype bedroht habe, dass er ihn umbringen werde.

Vorgelegt wurde eine Bestätigung des Landesklinikums XXXX , Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen, wonach der BF zur Drogenentzugsbehandlung stationär aufgenommen war und die Behandlung im Juni 2018 erfolgreich beendet hat. Aktenkundig ist darüber hinaus eine Verständigung der Behörde vom Rücktritt von der Verfolgung, wonach die Staatsanwaltschaft XXXX am XXXX von der Verfolgung einer Straftat wegen § 27 Abs. 1 SMG vorläufig zurückgetreten ist.

1.2. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 13.07.2018 betreffend den BF wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm §2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm §2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht und wurde einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Zudem wurde gegen den BF ein Einreiseverbot erlassen, befristet für die Dauer von 5 Jahren.

Die Identität der BF wurde festgestellt. Zudem wurde festgestellt, dass der BF aus Kolomia stammt. Eine individuelle asylrelevante Verfolgung habe nicht festgestellt werden können. Auch liege keine Gefährdungslage im Falle einer Rückkehr vor.

Zuerst verwies die belangte Behörde auf dessen strafrechtliche Verurteilungen im Bundesgebiet.

Der BF habe kein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich, auch keine Verwandten. Er leide an Hepatitis C und sei in Österreich therapiert worden. Er leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten, die in der Ukraine nicht behandelbar wären. Der BF könne sich im Fall der Rückkehr in der Ukraine wieder eine neue Existenz aufbauen. Er verfüge über Angehörige im Herkunftsstaat, bei denen er zumindest vorübergehend im Fall der Rückkehr unterkommen könne. Nach umfangreichen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat führte die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokumentes die Identität nicht feststehe. Dem BF könne jedoch aufgrund der Sprachkenntnisse betreffend seine Angaben zur ukrainischen Herkunft Glauben geschenkt werden.

Die belangte Behörde verwies darauf, dass der BF befürchte, zum Militär einrücken zu müssen und dass er angeblich SMS vom Stiefvater bekomme, dass er nach Hause kommen und das Haus überschreiben solle. Weder die Furcht vor dem Stiefvater noch die Furcht vor einer etwaigen Einberufung würde jedoch einen asylrelevanten Sachverhalt darstellen. Die Behörde sei davon überzeugt, dass sich der BF im Fall der Rückkehr unter den Schutz der ukrainischen Behörden stellen könne und diese ihm auch Schutz gewähren würden. Der Staat Ukraine sei ein sicherer Herkunftsstaat. Aus den Länderfeststellungen gehe auch in keinster Weise hervor, dass der BF nicht vor Übergriffen des Stiefvaters geschützt werden würde. Zur Furcht vor Einberufung sei festgehalten, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass Wehrdienstverweigerer eine unverhältnismäßig hohe Strafe zu befürchten hätten. So gehe aus einer Anfragebeantwortung hervor, dass die meisten Strafen aufgrund von Wehrdienstverweigerung in Bewährungsstrafen umgesetzt würden. Es sei daher vielmehr davon auszugehen, dass der BF aufgrund des Wunsches nach Emigration das Heimatland verlassen habe.

In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde darauf, dass die Verweigerung des Militärdienstes für sich allein grundsätzlich die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertige.

Zur Frage des subsidiären Schutzes führte die belangte Behörde aus, dass es dem BF möglich sei, wieder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, er habe 11 Jahre lang eine Schule besucht und habe ausreichend Berufserfahrung. Auch die Behandlung von Hepatitis C sei in der Ukraine möglich und hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der BF nicht in der Lage wäre, allfällige anfallende Kosten selbst zu tragen. Die Rückkehrentscheidung wird von der belangen Behörde dahingehend begründet, dass der BF keine Familienangehörigen in Österreich habe. Zu seiner angeblichen Freundin, welche er in Österreich habe, sei anzumerken, dass ein Zusammenleben mit dieser auch außerhalb des Bundesgebiets möglich wäre. Er habe einen Großteil seines Lebens in der Ukraine verbracht, habe sich zu Beginn des Aufenthaltes zudem bewusst sein müssen, dass ein etwaiges Privatleben im Bundesgebiet nicht von Dauer sein könne. Darüber hinaus verwies die belangte Behörde erneut auf die strafrechtlichen Verurteilungen.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde von belangten Behörde dahingehend begründet, dass der BF aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19 BFA-VG) stammt.

Das Einreiseverbot wurde von der belangten Behörde dahingehend begründet, dass der BF die genannten beiden strafrechtlichen Verurteilungen aufweise. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit von Körperverletzungsdelikten und Eigentumsdelikten sei die Erlassung eines Einreiseverbotes auch bei ansonsten zuzugestehender sozialer Integration des Fremdens dringend geboten. Durch das Gesamtverhalten habe der BF gezeigt, dass er kein Interesse daran habe, die Gesetze Österreichs zu respektieren und dass ihm die Rechtsgüter Dritter schlicht gleichgültig seien. Beim BF handle es sich offensichtlich um eine Person, die aufgrund von Perspektivenlosigkeit, wirtschaftlicher Tristesse und fehlendem Unrechtsbewusstsein bereit und gewillt dazu sei, geltende Gesetze und Rechtsvorschriften zu missachten. So habe er den erneuten versuchten Diebstahl damit begründet, dass er süchtig gewesen sei und Geld für die Sucht benötigt habe.

1.3. Gegen diesen Bescheid hat der BF fristgerecht Beschwerde erhoben und dabei sämtliche Spruchpunkte angefochten. Die Begründung der Beschwerde reduziert sich jedoch darauf, dass der BF die Herabsetzung oder Aufhebung des Einreiseverbotes begehrt, da dieses im Ausmaß von 5 Jahren objektiv betrachtet als zu hoch bemessen anzusehen sei. Ohne die vom BF begangen Taten verharmlosen zu wollen, sei nicht die Schwere und Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu erkennen, die automatisch die Erlassung eines Einreiseverbotes im Ausmaß von 5 Jahren verhältnismäßig erscheinen lasse. Der BF habe sich vor dem Strafgericht geständig gezeigt und sei ihm der Großteil seiner Strafe bedingt nachgesehen worden. Der BF besuche einen Deutschkurs, lebe in Österreich mit einer US-Bürgerin und deren Kind zusammen und kümmere sich um diese. Außerdem befinde er sich in einem Drogenersatzprogramm und gehe regelmäßig zu den dazu notwendigen Therapiesitzungen. Aufgrund der positiven Wandlung des BF sei von einer guten Persönlichkeitsprognose auszugehen, das Begehen weiterer Straftaten sei als unwahrscheinlich zu erachten. Ein Einreiseverbot im Ausmaß von beispielsweise einem Jahr oder die gänzliche Aufhebung wären somit ausreichende Maßnahmen, um einen nachhaltigen Gesinnungswandel annehmen zu können.

Nähere Ausführungen zu den sonstigen Spruchpunkten, insbesonders betreffend Asyl und subsidiären Schutz und Rückkehrentscheidung, finden sich in der vorliegenden Beschwerde nicht.

Beigelegt war eine Bestätigung, wonach der BF eine psychosoziale Beratung und Betreuung in der Caritas der Diözese XXXX begonnen habe (Bestätigung gemäß § 15 Abs. 5 SMG), verwiesen wurde weiters auf die bereits erwähnte Aufenthaltsbestätigung in einem Landesklinikum wegen der erfolgreichen Drogenentzugsbehandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten der beiden BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die vorgelegten Dokumente bzw. Unterlagen, die Beschwerde, die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einsicht in Auszüge aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.

1. Feststellungen:

Feststellungen zur BF:

Der BF ist Staatsangehöriger der Ukraine, gehört der ukrainischen Volksgruppe an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in seinem Recht auf Leben gefährdet wäre, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leidet, welche eine Rückkehr in die Ukraine iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würde.

Der BF war in der Ukraine in der Lage, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. In der Ukraine halten sich zudem Familienmitglieder auf, so etwa die Ex-Frau und das gemeinsame Kind.

Der strafrechtlich bescholtene BF hält sich seit zwei Jahren im Bundesgebiet auf. Er verfügt über geringe Sprachkenntnisse in Deutsch, bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und lebt in einer Unterkunft für Asylwerber. Der BF geht keiner legalen Beschäftigung nach, gehört keinem Verein, keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung an. Eine fortgeschrittene Integration des BF im Bundesgebiet ist nicht erfolgt. In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF auf. Der BF ist wie dargelegt mehrfach straffällig geworden. Eine Verpflichtungserklärung wurde für den BF - auch von der angeblichen Freundin - nicht abgegeben.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des BF:

1. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

2. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

Quellen:

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BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

4. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Gelegentlich kam es zu Anklagen, oft aber blieb es bei Untersuchungen. Der Menschenrechtsombudsmann hat die rechtliche Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsverletzungen zu initiieren. Die Sicherheitsbehörden verhindern generell gesellschaftliche Gewalt oder reagieren darauf. In einigen Fällen kam es aber auch zu Fällen überschießender Gewaltanwendung gegen Demonstranten oder es wurde versäumt Personen vor Drangsale oder Gewalt zu schützen (USDOS 3.3.2017a).

Die Sicherheitsbehörden haben ihre sowjetische Tradition überwiegend noch nicht abgestreift. Reformen werden von Teilen des Staatsapparats abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst (SBU) waren jahrzehntelang Instrumente der Repression; im Bereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gibt es weiterhin überlappende Kompetenzen. Die 2015 mit großem Vertrauensvorschuss neu geschaffene und allseits für ihre Integrität gelobte Nationalpolizei muss sich auseinandersetzen mit einer das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und der Auseinandersetzung im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, einige wenige Personen in der Konfliktregion (Ostukraine) unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen Geheimdienst SBU als auch durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Bezüglich der Polizeigewalt gegen Maidan-Demonstranten im Jahre 2014 wurden vier Berkut-Beamte wegen der Tötung von drei Demonstranten und Verletzung 35 weiterer angeklagt (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Da die alte ukrainische Polizei, die sogenannte Militsiya, seit Ende der Sowjetunion mit einem sehr schlechten Ruf als zutiefst korrupt zu kämpfen hatte und sie nach den Ereignissen des sogenannten Euromaidan zu sehr mit - zum Teil tödliche r- Gewalt gegen Demonstranten gleichgesetzt wurde, reagierte die neue Regierung in der post-Janukowitsch-Ära sehr schnell und präsentierte bereits Ende 2014 eine Strategie zur Einführung einer neuen Polizeieinheit, welche korruptionsfrei, weniger militaristisch und serviceorientierter sein sollte. Die relevante Gesetzgebung konnte schließlich im November 2015 in Kraft treten. Die neue Nationalpolizei nahm ihre Tätigkeit aber bereits Anfang Juli 2015 auf, als die ersten 2.000 neuen Beamten nach nur drei Monaten Ausbildung ihren Eid ablegten. Diese kurze Ausbildungszeit erklärt sich auch aus der Notwendigkeit heraus, die neuen Beamten rasch auf die Straße zu bekommen, wo sie wohlgemerkt ohne Anleitung durch erfahrene (Militsiya-)Beamte Dienst taten, sozusagen als Verkörperung des Wandels. Die etwa 12.000 Nationalpolizisten tun derzeit Dienst in den Großstädten, inklusive Odessa, Kharkiv, Kiew und Lemberg, sowie in 32 Oblast-Hauptstädten im ganzen Land, inklusive der ukrainisch kontrollierten Teile der Ostukraine. Es ist geplant, dass sie danach schrittweise auf den Autobahnen und im ganzen Land tätig werden sollen. Geplant und durchgeführt wurde die Polizeireform v.a. von georgischen Experten, die bereits in ihrer Heimat einschlägige und international beachtete Erfahrungen gesammelt hatten. Um die Trennung vom alten System zu verdeutlichen, wurde die Militsiya angewiesen nicht mehr auf den Straßen präsent zu sein. Dort patrouilliert nur noch die Nationalpolizei. In den Revieren jedoch wird Innendiensttätigkeit weiterhin von der Militsiya verrichtet, deren Ende praktisch besiegelt ist. Die Kooperation zwischen den beiden Wachkörpern ist folglich eher problembeladen. Die neuen Polizisten verrichten praktisch ausschließlich Patrouillentätigkeiit. Wenn sie jemanden festnehmen wird die weitere Ermittlungsarbeit - auch mangels Erfahrung der Nationalpolizisten - weiter von der Militsiya gemacht, bevor es zu einer Anklage kommen kann. Die Reform der Kriminalpolizei und weiterer Einheiten, mit ihren etwa 150.000 Beamten in der gesamten Ukraine, steht erst bevor und wird als der wahre Belastungstest für die Polizeireform gesehen. Mit dem Eintritt der ersten neuen Nationalpolizisten in den Kriminaldienst wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Bewerber für die Nationalpolizei müssen sich eingehender Fitness- und Persönlichkeitstest unterziehen. Angehörige der Militsiya können in den neuen Wachkörper wechseln, müssen aber die Vorgaben erfüllen und sich den Eignungstest unterziehen. Ende 2015 hatten sich 18.044 Milizionäre diesem Prozess gestellt und 62% davon haben die ersten zwei (von drei) Testrunden überstanden (General Skills Test, Professional Skills Test und kommissionelles Interview). An diesem Auswahlprozess sind Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt und die EU beobachtet diesen. Nationalpolizisten werden im Vergleich zur Militsiya sehr gut bezahlt, was Korruption vorbeugen soll. In den ersten zwei Monaten wurden 28 der neuen Beamten entlassen, zwei davon wegen Korruptionsvorwürfen. Trotz dem Mangel an Erfahrung der neuen Polizisten, der immer wieder kritisiert wurde, werden die ersten Monate in denen die neue Nationalpolizei Dienst tat, als Erfolg betrachtet. Im Vergleich zur Militsiya wurden die neuen Beamten öfter gerufen, reagierten aber trotzdem schneller. Die Zahl der Notrufe vervierfachte sich binnen kurzer Zeit, was als Beweis des Vertrauens der Bürger in die Polizei gewertet wird. 85% der Kiewer Bevölkerung halten die Polizei für glaubwürdig, aber nur 5% sagen dasselbe über die Militsiya. In anderen Großstädten sind die Werte ähnlich. Der Anstieg der Kriminalität (+20% in Kiew im Jahre 2015 gegenüber dem Jahr davor) wird von Kritikern in Zusammenhang mit der neuen Polizei gebracht. Jedoch werden auch der Konflikt im Osten des Landes, die allgemein schlechte ökonomische Lage, sowie die Anwesenheit zahlreicher Personen aus der Ostukraine, die aufgrund des Konflikts ihren Lebensmittelpunkt nach Kiew verlagert haben (IDPs und andere) als relevante Faktoren genannt. Auch angeführt wird, dass der Anstieg der Kriminalität eher damit zu tun haben könnte, dass in der Nationalpolizei die Statistiken nicht mehr frisiert und die neuen Polizisten aufgrund höheren Bürgervertrauens schlicht öfter zur Hilfe gerufen werden. Der Wandel der Polizei geht auch einher mit einem Wandel des Innenministeriums, das nach den Worten des Innenministers von einem "Milizministerium" zu einem zivilen Innenministerium europäischer Prägung wurde. Der Rücktritt von Vize-Innenministerin Ekaterina Zguladze-Glucksmann und von Polizeichefin Khatia Dekanoidze, zwei der zahlreichen georgischen Experten, die zur Durchsetzung von Reformen engagiert worden waren, im November 2016, gab bei einigen Beobachtern Anlass zur Sorge über die Zukunft der ukrainischen Polizeireform. Dekanoidze beklagte bei ihrem Abgang, dass, trotzdem es ihr gelungen sei die Grundlagen für einen Polizeikörper westlichen Zuschnitts zu legen, man ihr nicht genug Kompetenzen für eine noch radikalere Reform in die Hand gegeben hätte (BFA/OFPRA 5.2017).

Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu-)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungs-Prozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Mit 20 Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen. Nach dem Rücktritt der ehemaligen georgischen Innenministerin Khatia Dekanoidze wurde, im Zuge eines offenen und transparenten Verfahrens, Serhii Knyazev als neuer Leiter der Nationalen Polizei ausgewählt und am 8. Februar 2017 ernannt. Eine gewisse Verlangsamung der Reformen im Polizeibereich ist zu bemerken (ÖB 4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 6.6.2017

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BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html, Zugriff 22.6.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 6.6.2017

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Obwohl Folter laut Verfassung und Gesetzen verboten sind, gibt es Berichte, dass Sicherheitsbehörden solche Praktiken anwenden. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben, was zu einem Klima der Straflosigkeit beiträgt.

Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch"

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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