Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Hofrätin Mag. Dr. Zehetner sowie Hofrat Mag. Brandl als Richterin bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der P Kft. in S, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Hafferlstraße 7/2. Stock, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 31. Mai 2017, RM/5100001/2017, betreffend Aussetzung eines Verfahrens über eine Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Linz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Bundesfinanzgericht (BFG) das bei ihm anhängige Verfahren über die Maßnahmenbeschwerde der revisionswerbenden Partei betreffend die während einer glücksspielrechtlichen Kontrolle des Geschäftslokals der revisionswerbenden Partei am 24. November 2016 stattgefundene - nach deren Vorbringen systematische - Durchsuchung des Lokals und Anfertigung von Lichtbildern bis zur Erlassung einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die vom Bundesminister für Finanzen erhobene außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 5. April 2017, RM/5100003/2016, wegen von Beamten der Finanzpolizei gesetzter Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 38 AVG iVm § 17 VwGVG aus und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.
2 Begründend führte das BFG aus, das vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängige Revisionsverfahren hinsichtlich das Erkenntnis des BFG vom 5. April 2017, RM/5100003/2016, betreffe ebenso wie das gegenständliche Verfahren über die Maßnahmenbeschwerde der revisionswerbenden Partei die Öffnung des Sicherungskastens in deren Lokal zwecks Suche eines FI-Schalters im Zuge einer glücksspielrechtlichen Kontrolle. Für die Frage, "ob durch die Kastenöffnung eine Hausrechtsverletzung erfolgt" sei, gelte es im vorliegenden Verfahren als Vorfrage iSd § 38 AVG zu klären, "ob von einer Hausdurchsuchung auch dann auszugehen" sei, "wenn ein zwar außen nicht als Sicherungskasten gekennzeichneter Kasten, der jedoch aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes auf seine Funktion und damit auf seinen Inhalt schließen" lasse, geöffnet werde "bzw. wenn aufgrund vorliegender Kenntnis der Räumlichkeiten bereits vor der Öffnung Gewissheit über den Kasteninhalt gegeben" sei. Das BFG habe mit Erkenntnis vom 5. April 2017 über die Öffnung desselben Kastens, dessen äußeres Erscheinungsbild unverändert geblieben sei, entschieden. Da dieses Erkenntnis vom Bundesminister für Finanzen fristgerecht mit ordentlicher Revision bekämpft worden sei, sei es noch nicht materiell rechtskräftig. Mit der Revisionserhebung sei die Vorfrage betreffend des Öffnens eines Kastens zum Gegenstand eines anhängigen Verfahrens geworden. Die Voraussetzungen des § 38 AVG für eine Aussetzung des Verfahrens seien somit erfüllt.
Die Revision sei in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens zulässig.
3 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und einer "Revisionsbeantwortung" der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
4 Die Revision ist in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 38 AVG zulässig und berechtigt.
5 Ein gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG ergangener Aussetzungsbeschluss ist keine bloß verfahrensleitende Entscheidung im Sinn des § 25a Abs. 3 VwGG. Er unterliegt daher auch nicht dem Revisionsausschluss nach dem ersten Satz dieser Bestimmung (vgl. etwa VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0119, mwN).
6 Dass eine gleichartige, ähnliche Rechtsfrage in einem anderen Verfahren zu klären ist, bedeutet noch nicht, dass eine Vorfrage iSd § 38 AVG und damit ein Fall der Aussetzung des Verfahrens nach dieser Bestimmung gegeben ist (vgl. VwGH 24.2.2016, Ra 2015/09/0128). Vielmehr ist nach der ständigen Rechtsprechung unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist (vgl. etwa VwGH 19.12.2012, 2012/06/0141, mwN). Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. VwGH 28.11.2013, 2013/03/0070, mwN). Dass es sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln muss, über die von der anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, dass der besondere prozessökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet, wobei eine solche Bindungswirkung jedoch immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage entfaltet (vgl. VwGH 20.3.2014, 2012/08/0154, mwN).
7 Für die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit unter anderem des Öffnens eines Sicherungskastens im Lokal der mitbeteiligten Partei im Zuge der glücksspielrechtlichen Kontrolle am 24. November 2016 ist die rechtskräftige Entscheidung über die im Verfahren vor dem BFG, RM/5100003/2016, mit Maßnahmenbeschwerde begehrte Feststellung der "Verletzung" der im dortigen Verfahren beschwerdeführenden Partei "in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht" durch Öffnen eines (Sicherungs-)Kastens zwecks Suche eines FI-Schalters durch ein Organ der Finanzpolizei im Rahmen einer zur gegenständlichen glücksspielrechtlichen vorangegangenen Kontrolle iSd § 50 Abs. 4 Glücksspielgesetz weder unabdingbar noch bindend. Allein der Umstand, dass im vom BFG bereits entschiedenen Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde betreffend das Öffnen desselben Sicherungskastens im Zuge einer zeitlich vorangegangenen glücksspielrechtlichen Kontrolle ebenfalls die (nur) gleichartige Rechtsfrage einer allfälligen Verletzung des Hausrechts zu beantworten war, begründet in diesem Zusammenhang nicht das Vorliegen einer (bindenden Entscheidung über eine) Vorfrage iSd § 38 AVG.
8 Mangels Vorliegen einer Vorfrage iSd § 38 AVG iVm § 17 VwGVG war die ausschließlich auf diese Bestimmungen gestützte Aussetzung rechtswidrig.
9 Für eine Aussetzung nach § 34 Abs. 3 VwGVG fehlen jegliche Hinweise.
10 Das BFG war somit zu der mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochenen Verfahrensaussetzung nicht befugt, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.
11 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
12 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. August 2018
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017170022.J00Im RIS seit
19.09.2018Zuletzt aktualisiert am
23.01.2019