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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 1. Juli 1999, Zl. VerkR-393.565/2-1999-Kof/O, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß den §§ 24 Abs. 1 Z. 1, 25 Abs. 1 und 3 iVm den §§ 3 Abs. 1 Z. 2, 7 Abs. 1 und 3 Z. 5 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab Eintritt der Vollstreckbarkeit des Bescheides, entzogen.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 26. Februar 1999 einen dem Kennzeichen nach bezeichneten Pkw auf einer näher bezeichneten Straßenstelle gelenkt. Anlässlich einer Lenker- und Fahrzeugkontrolle hätten zwei Gendarmeriebeamte folgende Mängel am Pkw festgestellt:
"1. Der Blinker rechts vorne war ausgefallen.
2. Die gesamte Blinkanlage funktionierte nicht zuverlässig und ließ sich bei der Kontrolle der Funktion erst nach zusätzlichen Manipulationen durch den Lenker in Betrieb nehmen.
3. Der Umschalthebel für Fernlicht/Abblendlicht fehlte, sodass das Fernlicht nicht eingeschaltet werden konnte.
4. Beide Kennzeichentafeln waren an den Rändern der Längsseiten mit schwarzem Klebeband abgeklebt, sodass der rot-weiß-rote Rand vollständig verdeckt war.
5. Im Kombi war ein sog. Sportlenkrad mit einem Durchmesser von 32 cm montiert, wofür lt. Angaben des Lenkers keine Typengenehmigung bestand.
6. Der Kombi wies augenscheinlich starke Rostschäden auf, unter anderem war am Holm links vorne unter der Fahrertür eine Durchrostung mit einem Durchmesser von ca. 1 cm erkennbar und der Kotflügel links vorne hob sich beim Öffnen der Fahrertür am unteren Ende von der Karosserie ab.
7. Am Reifen rechts vorne war ein ca. 1 cm langer Einriss an der Außenseite erkennbar, der augenscheinlich bis zum darunter liegenden Reifengewebe reichte.
8. Unter dem Innenspiegel waren eine Tafel mit den Abmessungen 15 x 10 cm und insgesamt 3 Stück sog. 'Wunderbäume' angebracht, sodass das Sichtfeld des Lenkers durch die Windschutzscheibe erheblich eingeschränkt war."
Der Amtssachverständige für Kraftfahrzeugtechnik habe in seinem Gutachten vom 10. April 1999 folgende Mängel als solche bezeichnet, die der Lenker vor Antritt der Fahrt hätte erkennen müssen:
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der fehlende Betätigungshebel für das Fernlicht, sodass das Fernlicht und die Lichthupe nicht betätigt werden konnte
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das unzulässige Abkleben der Längsseiten der Kennzeichenränder mit einem schwarzen Klebeband
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das Sportlenkrad, das keine Genehmigung lt. § 33 Abs. 1 KFG 1967 aufwies
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die auf der Bildbeilage erkennbare Durchrostung des linken Seitenholmes, unter der Voraussetzung das die Seitenverkleidung wie auf Bild 6 erkennbar, bereits mangelhaft befestigt gewesen sei. Lt. Bild 5 ist die Seitenblende ordnungsgemäß befestigt, sodass eine darunter vorhandene Verrostung des Holms nicht augenscheinlich ist.
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die Stauchung des Spaltes bei der Fahrertüre, wodurch beim Öffnen der Fahrertüre der Kotflügel seitlich abgedrückt wird und wodurch die Fahrertüre schwer zu öffnen ist
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die Einschränkung des Fahrersichtfeldes durch die unter dem Innenrückspiegel hängende Tafel in der Größe 15 x 10 cm
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das gebrochene Blinkerglas rechts vorne, sowie der Ausfall dieses Blinkers
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die an der Reifenseitenwand erkennbare schnittartige Beschädigung. Es ist dem Lenker zumutbar, sich bei einer augenscheinlich erkennbaren Beschädigung des Reifens sich davon zu überzeugen, ob die Beschädigung bis zur Karkasse (Gewebe) reicht."
Alle vorstehend angeführten Mängel seien nach dem Gutachten als schwere Mängel im Sinne der Prüf- und Begutachtungsstellenverordnung anzusehen. Das Gutachten sei vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Jedem Besitzer einer Lenkberechtigung müssten die angeführten Mängel auf der Stelle auffallen. Insbesondere sei zu betonen, dass acht derartige schwere Mängel vorhanden gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe daher hinsichtlich des technischen Zustandes des von ihm gelenkten Fahrzeuges eine auffallende Sorglosigkeit an den Tag gelegt.
Die von der Erstbehörde festgesetzte Entziehungsdauer entspreche der vom Gesetzgeber in § 25 Abs. 3 FSG festgelegten Mindestzeit. Eine Herabsetzung dieser Dauer oder gar ein Absehen von der Entziehung der Lenkberechtigung sei daher keineswegs möglich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die für den Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des FSG (idF der 2. FSG-Novelle, BGBl. I Nr. 94/1998) lauten wie folgt:
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 5) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand.
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
...
5. ein Kraftfahrzeug lenkt, dessen technischer Zustand und weitere Verwendung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit (§ 58 Abs. 1 KFG 1967) darstellt, sofern die technischen Mängel dem Lenker vor Fahrtantritt auffallen hätten müssen.
(5) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen. Wurden begleitende Maßnahmen gemäß § 24 Abs. 3 angeordnet, so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Anordnung."
Der im § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG in Klammer zitierte § 58 Abs. 1 KFG 1967 hat folgenden Wortlaut:
"§ 58. (1) Die Wirksamkeit der Teile und Ausrüstungsgegenstände eines Fahrzeuges, die bei seinem Betrieb betätigt werden und für die Verkehrs- oder Betriebssicherheit von Bedeutung sind, und der Zustand seiner Reifen kann jederzeit von der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich das Fahrzeug zugelassen ist, oder von den ihr zur Verfügung stehenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an Ort und Stelle geprüft werden. Wird die Verkehrssicherheit durch die weitere Verwendung des Fahrzeuges gefährdet, so sind die Bestimmungen des § 57 Abs. 8 anzuwenden. Weist das Fahrzeug Beschädigungen auf, die gegenwärtig seine weitere Verwendung offensichtlich ausschließen, so ist dies der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich des Fahrzeug zugelassen ist, anzuzeigen."
Voraussetzung für das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges, dessen technischer Zustand und weitere Verwendung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt, sofern die technischen Mängel dem Lenker vor Fahrtantritt hätten auffallen müssen. Eine dem § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vergleichbare Bestimmung war im KFG 1967 nicht enthalten. Sie lautete in der Stammfassung des FSG wie folgt:
"(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand: ...
5. ein Kraftfahrzeug lenkt, dessen technischer Zustand eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt, soferne die technischen Mängel dem Lenker vor Fahrtantritt auffallen hätten müssen;"
Durch die 2. FSG-Novelle erhielt die Bestimmung ihre oben wiedergegebene Fassung. Dass diese Formulierung einen gegenüber der Stammfassung geänderten Inhalt haben sollte, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Die geänderte Fassung trug offenbar dem Umstand Rechnung, dass der technische Zustand eines Kraftfahrzeuges allein keine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellt, sondern nur im Zusammenhang mit der Verwendung des Kraftfahrzeuges eine solche Gefährdung bewirken kann. Offenbar deshalb wurde auch der Hinweis auf § 58 Abs. 1 KFG 1967 in den Gesetzestext aufgenommen.
Nach der Regierungsvorlage zum Führerscheingesetz (714 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des NR XX. GP) lag der Grund für die Einführung des § 7 Abs. 3 Z. 5 in der beabsichtigten Klarstellung, dass auch Verstöße gegen kraftfahrrechtliche technische Vorschriften unter den in der Bestimmung genannten Voraussetzungen geeignet sein können, die Verkehrszuverlässigkeit eines Lenkers in Zweifel zu ziehen.
Entscheidend für das Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG ist im gegebenen Zusammenhang, ob im Hinblick auf den technischen Zustand des vom Beschwerdeführer gelenkten Kraftfahrzeuges seine Verwendung eine Gefährdung der Verkehrssicherheit darstellte. Für die Beurteilung dieser Frage fehlt es im angefochtenen Bescheid an geeigneten Feststellungen. Das Sachverständigengutachten, auf das die belangte Behörde ihren Bescheid stützt, enthält keine Ausführungen darüber, inwiefern die beschriebenen Mängel die Verkehrssicherheit gefährden. Die Beurteilung, es handle sich um schwere Mängel im Sinne der Prüf- und Begutachtungsstellenverordnung (gemeint offenbar im Sinne des § 10 Abs. 2 Z. 3 PBStV, BGBl. II Nr. 78/1998), ist insofern nicht aussagekräftig, als zu den schweren Mängeln im Sinne dieser Verordnungsstelle auch solche zählen, die (nur) die Betriebssicherheit des Fahrzeuges beeinträchtigen, ferner auch die übermäßige Verursachung von Lärm, Rauch, üblem Geruch oder schädlicher Luftverunreinigungen. Derartige Mängel rechtfertigen aber nicht die Annahme, es liege eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vor.
Dass keineswegs alle im Sachverständigengutachten genannten Mängel einen mangelhaften technischen Zustand im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG bewirken können, ist offensichtlich (z.B. hat das Abkleben der Längsseiten der Kennzeichenränder wohl keinen Einfluss auf die Verkehrssicherheit). Welche Mängel im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG relevant sind, bedarf einer entsprechenden Begründung. Anzahl und Ausmaß der die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Mängel sind zudem nicht nur für die Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vorliegt, von Bedeutung, sondern auch für die im Grunde des § 7 Abs. 5 FSG vorzunehmende Wertung, in deren Rahmen u.a. die Gefährlichkeit der Verhältnisse maßgebend ist. Zur Wertung im Sinne der zuletzt genannten Gesetzesstelle finden sich im angefochtenen Bescheid keine Ausführungen. Die Begründung der belangten Behörde, dass "ein Absehen von der Entziehung der Lenkberechtigung keinesfalls möglich" sei, lässt darauf schließen, dass sie eine Wertung nicht für erforderlich hielt, weil jede bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG die Entziehung der Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens drei Monaten zur Folge haben müsse. Diese Auffassung widerspricht aber § 7 Abs. 5 FSG. Die belangte Behörde wird im fortzusetzenden Verfahren demnach zu beurteilen haben, ob überhaupt eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 5 FSG vorliegt und - wenn sie diese Frage bejaht - ob die anhand der im § 7 Abs. 5 FSG genannten Kriterien - dabei ist insbesondere auch die seit der Tat vom 26. Februar 1999 verstrichene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers während dieser Zeit von Bedeutung - vorgenommene Wertung die Auffassung rechtfertigt, der Beschwerdeführer sei mindestens noch drei Monate ab Erlassung des Bescheides der belangten Behörde als verkehrsunzuverlässig anzusehen.
Aus den zuletzt genannten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. Dezember 1999
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Gutachten rechtliche BeurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999110249.X00Im RIS seit
21.02.2002