Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Floretta P***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie über die Berufung des Angeklagten Alberto B***** gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 15. Februar 2018, GZ 10 Hv 56/17h-71, weiters über die Beschwerde des Angeklagten B***** gegen einen Beschluss gemäß § 494 StPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der den Schuldsprüchen 1./2./ und 2./2./ zu Grunde liegenden Taten auch unter § 148 erster Fall StGB, demzufolge in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung), und die Beschlüsse gemäß § 494 Abs 1 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr verwiesen.
Der Angeklagte B***** wird mit seiner Berufung und seiner Beschwerde ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Floretta P***** des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB (1./1./) sowie des Vergehens des schweren und gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (1./2./) und Alberto B***** des Vergehens des schweren Diebstahls als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB (2./1./), des Vergehens des schweren und gewerbsmäßigen Betruges als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (2./2./) sowie des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (2./3./) schuldig erkannt.
Danach hat jeweils in St. P***** und andernorts
1./ Floretta P***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz
1./1./ am 29. März 2010 fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert, nämlich 96 Goldketten im Gesamtwert von 11.506,79 Euro Gertrude A***** weggenommen;
1./2./ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) andere durch wahrheitswidrige Behauptungen, somit durch Täuschung über Tatsachen, zur Übergabe von Bargeldbeträgen, somit zu Handlungen verleitet, die die Getäuschten in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Betrag von zumindest 290.324 Euro an ihrem Vermögen schädigten, wobei sie die erbeuteten Geldbeträge zum Teil an Alberto B***** ablieferte, und zwar
1./2./1./ im Zeitraum von 1. Jänner 2008 bis 5. März 2010 Karl R***** unter Angabe einer falschen Identität sowie durch die Behauptung, sie beabsichtige mit dem Genannten eine Beziehung einzugehen, werde von B***** bedroht und müsse ihm Geld zahlen, brauche ein neues Auto, sei mit Mietzahlungen im Rückstand, müsse auf Grund eines Unfalls Rechtsanwaltskosten bezahlen, brauche auf Grund eines Krankenhausaufenthalts ihrer Mutter Geld und benötige Geld für eigene Operationen, zur Übergabe von Bargeldbeträgen im Gesamtausmaß von zumindest 75.000 Euro;
1./2./2./ im Zeitraum von 1. Jänner 2012 bis 31. Mai 2016 Johann E***** durch die Behauptung, sie sei alleinstehend, beabsichtige mit dem Genannten eine Beziehung einzugehen und mit ihren Kindern zu ihm zu ziehen, benötige Geld für die Erlangung des Sorgerechts für ihre Kinder, brauche ein Auto, müsse Verwaltungsstrafen bezahlen und aus dem Rotlichtmilieu freigekauft werden, zur Übergabe von Bargeldbeträgen im Gesamtausmaß von zumindest 57.424 Euro;
1./2./3./ im Zeitraum von 2013 bis 31. Juli 2016 Josef J***** durch die Behauptung, sie sei eine rückzahlungsfähige und -willige Darlehensnehmerin, beabsichtige mit dem Genannten eine Beziehung einzugehen und eine Familie zu gründen, benötige Geld für die Begleichung einer Verwaltungsstrafe, von Spielschulden bzw Begräbniskosten, müsse aus dem Rotlichtmilieu freigekauft werden, sei von ihrem Mann im Stich gelassen worden, wünsche, dass ihre Kinder auswärts zur Schule gehen und benötige Geld für ein Auto, zur Übergabe von Bargeldbeträgen im Gesamtausmaß von 154.900 Euro;
1./2./4./ im Zeitraum von Sommer 2014 bis Anfang 2016 Anton Re***** unter Angabe einer falschen Identität durch die Behauptung, eines ihrer Kinder sei behindert, sie sei schwanger von ihm und müsse abtreiben und müsse Schulskikurse bzw Schullandwochen für ihre Kinder bezahlen, zur Übergabe von Bargeldbeträgen im Gesamtausmaß von 3.000 Euro;
2./ Alberto B*****
2./1./ am 29. März 2010 zu der unter Punkt 1./1./ dargestellten Tat zumindest dadurch beigetragen, dass er P***** mit dem PKW zum Schmuck- und Uhrengeschäft von Gertrude A***** fuhr;
2./2./ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB)
2./2./1./ im Zeitraum von 1. Jänner 2008 bis 31. Juli 2016 zu den unter Punkt 1./2./ dargestellten Taten der Floretta K***** (richtig: P*****) sowie
2./2./2./ im Zeitraum von 2013 bis 1. Juli 2016 zu den Taten der abgesondert verfolgten Chiara K*****, die mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten, nämlich B*****, durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Karl R***** durch die Behauptung, sie müsse für ihre Mutter, Floretta P*****, die Wohnung behindertengerecht umbauen und für Begräbniskosten aufkommen, somit durch Täuschung über Tatsachen, zu Handlungen, nämlich zur Übergabe von Bargeldbeträgen im Gesamtausmaß von zumindest 19.300 Euro, verleitet hat, die den Getäuschten in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag an seinem Vermögen schädigten, wobei sie die erbeuteten Geldbeträge zumindest zum Teil an B***** ablieferte, somit zum Vergehen des schweren Betruges dadurch beigetragen, dass er Chauffeurdienste leistete und teils das Geld auch selbst in Empfang nahm,
wobei er die Geschädigten insgesamt in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag, und zwar in einem Gesamtausmaß von zumindest 40.000 Euro, an deren Vermögen schädigte;
2./3./ im Zeitraum von 1. Juni 2009 bis 31. Juli 2016 – mit Ausnahme jener Vorfälle, die zu einer Verurteilung zu AZ 5 U 250/16h des Bezirksgerichts Steyr sowie zu einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft führten – gegen Floretta P***** durch fortdauernde körperliche Misshandlungen und wiederholte Handlungen, die einzeln für sich genommen als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB sowie als Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB zu qualifizieren gewesen wären, eine längere, ein Jahr überschreitende Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er P***** Ohrfeigen und Schläge versetzte, ihr dadurch Schmerzen zufügte und sie dadurch teils verletzte sowie indem er sie mit dem Kopf (an den Haaren gepackt) gewaltsam zu Boden drückte und gegen ihren Willen aus dem Haus beförderte bzw zog.
Rechtliche Beurteilung
Ihre jeweils zum Nachteil der Angeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde gründet die Staatsanwaltschaft betreffend den Schuldspruch 1./2./ der Angeklagten Floretta P***** auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO, betreffend die Schuldsprüche 2./2./ und 2./3./ des Angeklagten Alberto B***** auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 10 StPO.
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Urteil in Ansehung der Schuldsprüche 1./2./ und 2./2./ nicht geltend gemachte, von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO zum Nachteil der beiden Angeklagten anhaftet.
Die auf der Mehrzahl von Tathandlungen basierende Annahme gewerbsmäßigen Betruges nach § 148 erster Fall StGB setzt (ua) voraus, dass – in Ansehung des für die Begründung gewerbsmäßiger Begehensweise herangezogenen Kriteriums (US 59) – der Täter insgesamt drei solche Taten begangen hat, wobei bis zur jeweils folgenden Tat (abzüglich Zeiten behördlicher Anhaltung) nicht mehr als ein Jahr vergangen sein darf (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall iVm Abs 3 StGB in der vorliegend zufolge § 61 StGB auch auf Taten vor dem 1. Jänner 2016 anzuwendenden Fassung des StRÄG 2015; RIS-Justiz RS0130850 [T1]).
Diese Subsumtionsvoraussetzung ist dem Urteil nicht mit Bestimmtheit zu entnehmen. Denn die Feststellungen zu den jeweiligen Tatzeiträumen der den Schuldsprüchen 1./2./ und 2./2./ zu Grunde liegenden Fakten (US 12 ff – 1./2./1./: „1. 1. 2008 bis 5. 3. 2010“; 1./2./2./: „1. 1. 2012 bis 31. 5. 2016“; 1./2./3./: „2013 bis 31. 7. 2016“; 1./2./4./: „Sommer 2014 bis Anfang 2016“ und 2./2./2./: „Zeitraum 2013 bis 1. 7. 2016“) lassen mangels Angabe konkreter Tatzeitpunkte und einer bestimmten Anzahl von Tathandlungen mit Blick auf die zu den einzelnen Schuldspruchpunkten konstatierte „Übergabe von Bargeldbeträgen“ keine eindeutige Aussage betreffend die Einhaltung der Jahresfrist zu. Das bedeutet, dass die eine entscheidende Tatsache betreffende Feststellung nicht getroffen wurde (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 570). Den betreffenden Schuldsprüchen haftet somit – im Umfang der Subsumtion nach § 148 erster Fall StGB – ein Rechtsfehler mangels Feststellungen an, der die Kassation wie aus dem Spruch ersichtlich erfordert.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Da der gerade aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen nicht als Feststellungsmangel geltend gemacht wird (RIS-Justiz RS0127315), entzieht sich die Mängel- (Z 5 vierter Fall) und Rechtsrüge (Z 9 lit a, dSn Z 10), die in Ansehung der beiden Angeklagten (1./2./ bzw 2./2./) eine Unterstellung (auch) unter § 148 zweiter Fall StGB anstrebt, meritorischer Erwiderung.
Zu 2./3./ verfehlt die Subsumtionsrüge (Z 10) in Ansehung der behaupteten rechtsfehlerhaft unterbliebenen Unterstellung der Tat (auch) unter die Qualifikation des § 107b Abs 3 Z 2, Abs 4 vierter Fall StGB den in der Orientierung an der Gesamtheit der tatrichterlichen Feststellungen gelegenen gesetzlichen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584):
Die „umfassende Kontrolle des Verhaltens“ und die „erhebliche Einschränkung der autonomen Lebensführung“ der verletzten Person sind zwei rechtlich gleichwertige Varianten des Tatbestands nach § 107b Abs 3 Z 2 StGB, die einander teilweise überlappen, also dogmatisch nicht streng voneinander zu trennen sind. Insgesamt zielen beide Varianten auf eine massive Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit, die an verschiedenen Parametern zu messen ist. Darunter fallen etwa die freie Wahl des sozialen Umfelds, des Familienstands, des Aufenthalts und des äußeren Erscheinungsbilds (vgl RIS-Justiz RS0127377 [T2]; Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 36 ff; Winkler, SbgK § 107b Rz 126 ff).
Die tatrichterlichen Konstatierungen dokumentieren zwar umfassend die über Jahre hinweg andauernde Ausübung von Gewalt zum Nachteil der P***** (US 15 ff, vgl auch 54 f). Das Urteil enthält aber – auch unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin relevierten dislozierten Konstatierungen – keine über die bereits für den Grundtatbestand des § 107b Abs 1 StGB erforderliche Eignung der Gewalthandlungen, die Lebensführungsfreiheit des Opfers gravierend zu beeinträchtigen (US 20, 60; vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 8 ff), hinausgehenden Feststellungen, aus denen sich eine umfassende Kontrolle des Verhaltens oder eine erhebliche Einschränkung der autonomen Lebensführung der verletzten Person (ON 80 S 7) ergäbe.
Vielmehr stellten die Tatrichter – insgesamt von der Beschwerdeführerin vernachlässigt – gegenteilig zusammengefasst fest, dass P***** den Angeklagten B***** zwar fürchtete und ihm auch gehorchte, ihm jedoch nicht im Sinn eines (das ganze Leben nach dem Täter ausrichtenden) Abhängigkeitsverhältnisses (vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 37) willenlos unterworfen war, sondern von eigenem Entschluss getragene Entscheidungen – exemplarisch betreffend die Rückkehr zu ihm oder die (wiederholte) Zurückziehung des Antrags auf Wegweisung – selbst traf, längere Zeit eigenständig soziale Kontakte – darunter auch zu den Betrugsopfern – pflegte und nicht zuletzt wegen der aufgrund eigener krimineller Energie (US 35 f) betrügerisch erlangten Geldbeträge über maßgebliche finanzielle Freiheiten verfügte (US 20, 48 f, 60 ff).
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in der rechtlichen Unterstellung der den Schuldsprüchen 1./2./ und 2./2./ zu Grunde liegenden Taten auch unter § 148 erster Fall StGB, demzufolge auch in den Strafaussprüchen einschließlich der Vorhaftanrechnung ebenso aufzuheben wie die gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschlüsse nach §§ 50, 52 StGB und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Steyr zu verweisen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen.
Der Angeklagte B***** war mit seiner Berufung und seiner Beschwerde ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Bleibt für den zweiten Rechtsgang anzumerken, dass
1./ das auf den Sanktionenbereich beschränkte und solcherart die von der Nichtigkeitswerberin angestrebte Subsumtion nach § 148 zweiter Fall StGB nicht hindernde (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 40 ff, § 293 Rz 22 ff; Fabrizy, StPO13 § 290 Rz 9 mwN) Verschlechterungsverbot gemäß § 290 Abs 2 iVm § 293 Abs 3 StPO wegen der von der Staatsanwaltschaft zum Nachteil der beiden Angeklagten ergriffenen Berufung nicht zur Anwendung gelangt;
2./ es für die Annahme des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges – neben den Kriterien des § 70 Abs 1 Z 1 bis 3 StGB – der in § 70 Abs 2 StGB normierten Absicht bedarf, sich durch die intendierte wiederkehrende Begehung von schweren Betrügereien (fallbezogen iSd § 147 Abs 2 StGB – US 38 f) ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro (nicht jedoch 5.000 Euro – vgl demgegenüber US 44) übersteigt (11 Os 30/17x).
Textnummer
E122635European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00063.18A.0828.000Im RIS seit
19.09.2018Zuletzt aktualisiert am
19.09.2018