RS Vfgh 2018/9/14 UA1/2018

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Veröffentlicht am 14.09.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Norm

B-VG Art53 Abs3, Art138b Abs1 Z4
GOG NR §106
Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse - VO-UA §3, §22, §24, §25, §27
VfGG §56f

Leitsatz

Feststellung der Verpflichtung des Bundesministers für Inneres zur Vorlage weiterer Aktenteile aus dem "Kabinettsakt" an den Untersuchungsausschuss des Nationalrates zur Untersuchung der politischen Einflussnahme auf das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung; abstrakte Relevanz von Geschäftsstücken aus dem "Kabinettsakt" mit Bezug zur Aufgabenerfüllung des BVT für Untersuchungsausschuss; keine Verpflichtung zur Vorlage des Schreibens der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft betreffend die Ausarbeitung eines Aktionsplanes auf Basis der nationalen Anti-Korruptions-Strategie mangels abstrakter Relevanz; grundsätzlicher Beweisbeschluss stellt auf Vorlage von Akten und Unterlagen ab, die bei der vorlagepflichtigen Stelle im Zeitpunkt seiner Zustellung "vorhanden" sind

Rechtssatz

Zurückweisung des Antrags, soweit er sich auf die Feststellung der Verpflichtung des Bundesministers für Inneres (im Folgenden: BMI) zur Vorlage der bereits vorgelegten Ordnungszahlen 9, 10, 18, 20, 21, 26 und 29 bis 33 der Stammzahl 34110/KBM/2018 ("Kabinettsakt") an den BVT-Ausschuss bezieht. Im Übrigen Abweisung des Antrags.

Rechtzeitigkeit des von mehr als einem Viertel der Mitglieder des BVT-Untersuchungsausschusses beim VfGH eingebrachten Antrags gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG und als von einer ausreichenden Anzahl von Mitgliedern dieses Untersuchungsausschusses gestellt. Die Einhaltung der Bestimmung des §106 GOG-NR bildet keine Prozessvoraussetzung im Verfahren vor dem VfGH. Möglichkeit der Anrufung des VfGH zur Klärung einer konkreten Meinungsverschiedenheit (im vorliegenden Fall der unterschiedlichen Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss) gegeben (vgl VfSlg 19973/2015 sowie VfSlg 16752/2002).

Der Antrag ist ua darauf gerichtet, dass der VfGH die Verpflichtung des "Bundesminister[s] für Inneres zur vollständigen Vorlage [...] aller Akten und Unterlagen mit der Stammzahl 34110/KBM/2018 ('Kabinettsakt')" feststellen möge. Da der Äußerung des BMI zu entnehmen ist, dass nur der Akt 34110/KBM/2017 die Ordnungszahlen 1, 2 und 3 aufweist und im Jahr 2018 die Protokollierung unter der Stammzahl 34110/KBM/2018 mit Vergabe der Ordnungszahl 4 fortgesetzt worden ist, und für den VfGH kein Anlass besteht, daran zu zweifeln, besteht keine Verpflichtung zur Vorlage dieser Ordnungszahlen an den BVT-Untersuchungsausschuss, weil sich der Antrag nicht auch auf die Herausgabe von Ordnungszahlen der Stammzahl 34110 aus dem Jahr 2017 bezieht.

Der BMI hat in seiner Äußerung darauf hingewiesen, dass die "Kanzlei des KBM im Bundesministerium für Inneres [...] Geschäftsstücke die einen Zusammenhang mit dem BVT aufweisen der Stammzahl 34110 zu[ordnet]." Damit sind Mitarbeiter des Bundesministers davon ausgegangen, dass der jeweilige Inhalt des Geschäftsstücks einen Bezug zur Aufgabenerfüllung des BVT hat. Allein schon deshalb besteht angesichts des weit formulierten Untersuchungsgegenstandes kein Zweifel daran, dass die Ordnungszahlen 4 bis 38 der Stammzahl 34110/KBM/2018 zumindest eine abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand haben bzw haben können; es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Akten und Unterlagen der Erfüllung des dem Untersuchungsausschuss mit dem Untersuchungsgegenstand übertragenen Kontrollauftrages dienen können. Da für den VfGH evident ist, dass diese Akten und Unterlagen vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind, kann es im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der BMI das von ihm behauptete Fehlen eines Zusammenhanges mit dem Untersuchungsgegenstand hinreichend begründet hat.

Nach §27 Abs2 VO-UA sind Akten und Unterlagen, die sich auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden beziehen, vom Bundesminister für Justiz vorzulegen. In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung wird ausgeführt, dass die laufende Tätigkeit von Strafverfolgungsbehörden "in der Regel durch ein Zusammenwirken von Staatsanwaltschaft und Polizei geprägt [ist]. Im Sinne der Verfahrensökonomie wird in diesen Angelegenheiten die Aktenvorlage beim Bundesminister für Justiz konzentriert."

Im vorliegenden Fall wurden sowohl Unterlagen, die an die Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (im Folgenden: WKStA) gerichtet waren, als auch deren Schreiben an das Bundesministerium für Inneres zum Kabinettsakt 34110/22-KBM/2018 genommen und damit formal Bestandteil eines Aktes des Bundesministeriums für Inneres, sodass §27 Abs2 VO-UA keine Anwendung findet und somit nicht zu prüfen ist, ob es sich um Unterlagen handelt, die sich auf die laufende Tätigkeit von Strafverfolgungsbehörden beziehen.

Das Schreiben der WKStA vom 27.06.2018, das Anregungen für die Ausarbeitung eines Aktionsplanes auf Basis der nationalen Anti-Korruptions-Strategie betrifft, weist nicht einmal die geforderte abstrakte Relevanz für den Untersuchungsgegenstand auf, sodass schon aus diesem Grund keine Verpflichtung des BMI besteht, dieses Schreiben dem BVT-Untersuchungsausschuss vorzulegen.

Gemäß Art53 Abs3 B-VG ist die Verpflichtung, Akten und Unterlagen vorzulegen, mit dem Umfang des Gegenstandes der Untersuchung beschränkt, der in Art53 Abs2 B-VG als "ein bestimmter abgeschlossener Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes" umschrieben wird. Aus diesen Regelungen ergibt sich in sachlicher Hinsicht eine zeitliche Dimension, worauf sich ein Untersuchungsgegenstand und darauf aufbauend die Vorlageverpflichtung beziehen kann. Darüber hinausgehend sieht die Bundesverfassung keine zeitliche Beschränkung der Vorlageverpflichtung vor; diese besteht daher grundsätzlich bis zum Ende des Untersuchungsausschusses. Art53 Abs3 B-VG erfordert schließlich zur Auslösung der Vorlageverpflichtung ein "Verlangen". Die nähere Konkretisierung und Ausgestaltung der Einsetzung sowie des Verfahrens der Untersuchungsausschüsse erfolgt gemäß Art53 Abs5 B-VG im Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates.

Gemäß §22 Abs1 VO-UA erhebt der Untersuchungsausschuss die Beweise ua auf Grund des grundsätzlichen Beweisbeschlusses und der ergänzenden Beweisanforderungen im Rahmen des Untersuchungsgegenstandes. Der grundsätzliche Beweisbeschluss, der gemäß §3 Abs5 VO-UA vom Geschäftsordnungsausschuss zu fassen ist, verpflichtet gemäß §24 Abs1 leg cit ua Organe des Bundes "zur vollständigen Vorlage von Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstands", wodurch der Untersuchungsausschuss von Beginn seiner Tätigkeit an eine möglichst umfassende Informationsgrundlage zur Verfügung haben soll.

Der Geschäftsordnungsausschuss hat daher in umfassender Weise dafür zu sorgen, dass der Untersuchungsausschuss seine Tätigkeit aufnehmen kann. Wird in weiterer Folge die Anforderung weiterer Erkenntnisquellen erforderlich, so eröffnet §25 VO-UA die Möglichkeit ergänzender Beweisanforderungen ua in Bezug auf bestimmte Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstands. Der Untersuchungsausschuss kann solche gemäß §25 Abs1 leg cit auf Grund eines schriftlichen Antrages eines Mitgliedes beschließen, oder ein Viertel seiner Mitglieder kann solche gemäß §25 Abs2 erster Satz leg cit verlangen.

Die einfachgesetzliche Rechtslage lässt dem Geschäftsordnungsausschuss - vor dem Hintergrund des Art53 Abs3 B-VG, der die grundsätzliche Verpflichtung der Organe (ohne zeitliche Beschränkung) begründet, während der Dauer des Untersuchungsausschusses alle Akten und Unterlagen vorzulegen, sofern diese einen Bezug zum Untersuchungsgegenstand aufweisen, hinsichtlich der konkreten Vorlageverpflichtung allerdings auf das Verlangen abstellt - einen gewissen Spielraum zur Festlegung des relevanten Zeitraums. Es muss jedenfalls gewährleistet sein, dass dem Untersuchungsausschuss zu Beginn seiner Tätigkeit eine möglichst umfassende Informationsgrundlage zur Verfügung steht. Es obliegt allerdings der Entscheidung des Geschäftsordnungsausschusses anzuordnen, ob die Organe auch verpflichtet werden, nach der Zustellung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses entstehende Akten und Unterlagen, die im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen müssen, vorzulegen.

Zur Feststellung des Umfangs der Vorlageverpflichtung ist daher auch die Interpretation des grundsätzlichen Beweisbeschlusses bzw ergänzender Beweisanforderungen erforderlich.

Der grundsätzliche Beweisbeschluss enthält die Formulierung, dass näher bezeichnete "vorhandene" Akten und Unterlagen innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen sind und stellt damit auf das Vorhandensein von Akten und Unterlagen bei den vorlagepflichtigen Stellen ab. Da die Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Unterlagen mit Zustellung des grundsätzlichen Beweisbeschlusses an das vorlagepflichtige Organ entsteht, hat das vorlagepflichtige Organ alle seine zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Akten und Unterlagen - von den in Art53 Abs3 letzter Satz und Abs4 B-VG normierten Ausnahmen abgesehen - im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand vorzulegen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Nationalrat, Untersuchungsausschuss, Verschwiegenheitspflicht, Amtsverschwiegenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:UA1.2018

Zuletzt aktualisiert am

30.04.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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