Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.
Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gabriele Griehsel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen, vom 29. Jänner 2018, GZ 7 Rs 55/17k-9, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 15. Februar 2017, GZ 8 Cgs 150/16f-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Ehemann der Klägerin bezog aufgrund seines Antrags vom 9. 7. 2013 im Zeitraum vom 2. 7. 2013 bis 1. 1. 2016 pauschales Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30 + 6 für seine am 2. 7. 2013 geborene Tochter. Die Klägerin (Mutter) beantragte mit dem am 23. 8. 2016 bei der beklagten Gebietskrankenkasse eingelangten Antrag das pauschale Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum vom 2. 1. bis 1. 7. 2016.
Mit Bescheid vom 8. 11. 2016 wies die beklagte Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 2. 1. bis 1. 7. 2016 ab.
In der dagegen gerichteten Klage erklärte die Klägerin die späte Antragstellung mit unzureichender Information.
Die Beklagte wendete – soweit noch relevant – ein, eine Verlängerung des Bezugszeitraums über das 30. Lebensmonat des Kindes hinaus sei ausgeschlossen. Das Kinderbetreuungsgeld gebühre nach § 4 Abs 3 KBGG rückwirkend bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten. Ein Bezug durch die Mutter hätte daher erst ab dem 22. 2. 2016 bewirkt werden können. Ein „Wechselfall“ liege im Hinblick auf die Lücke nicht vor.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, der Klägerin für das am 2 .7. 2013 geborene Kind im Zeitraum vom 23. 2. 2016 bis 10. 5. 2016 pauschales Kinderbetreuungsgeld (Variante 30 + 6) in der Höhe von 14,50 EUR täglich zu zahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum vom 2. 1. bis 22. 2. 2016 sowie vom 11. 5. bis 1. 7. 2016 wies es unbekämpft ab. Rechtlich folgerte es, dass die Antragstellung im August 2016 den Bezugsbeginn mit 23. 2. 2016 bewirke. Im Zeitraum vom 2. 1. bis 22. 2. 2016 lägen 52 Tage. Dabei handle es sich um Tage des Nichtbezugs, die den höchstmöglichen Bezugszeitraum von insgesamt 36 Monaten verkürzten. Der maximale Bezugszeitraum ende daher am 10. 5. 2016.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. § 5 Abs 2 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung ermögliche eine begrenzte Verlängerung der Anspruchsdauer von 30 Monaten, wenn und insoweit auch der zweite Elternteil Kinderbetreuungsgeld beanspruche. Aus Gesetzeswortlaut und Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass diese Bezugsverlängerung nicht auf den bloßen Leistungsanspruch, sondern auf den tatsächlichen Leistungsbezug abstelle und nur dieser die Verlängerung des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes über das 30. Lebensmonat des Kindes hinaus bewirke. Der Vater habe bereits bis zum vollendeten 30. Lebensmonat des Kindes Kinderbetreuungsgeld bezogen. Der Bezugszeitraum durch den zweiten Elternteil liege – nach einer zeitlichen Lücke – zur Gänze nach dem 30. Lebensmonat des Kindes. Der Vater habe von Beginn an pauschales Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30 + 6 für die am 2. 7. 2013 geborene Tochter beantragt und bezogen. Die Klägerin beantrage, nach § 4 Abs 2 KBGG auf sechs Monate rückwirkend, bis zum 36. Lebensmonat des Kindes zusätzlich Kinderbetreuungsgeld. Die Notwendigkeit eines zeitlichen Ineinandergreifens bzw Anknüpfens des Kinderbetreuungsgeldbezugsendes des einen Elternteils sowie des Kinderbetreuungsgeldbezugsbeginn des anderen Elternteils ohne Dazwischentreten einer zeitlichen Lücke sei weder dem Wortlaut noch dem Telos der hier relevanten Gesetzesbestimmungen zu entnehmen. Auf das Entstehen eines Kinderbetreuungsgeldanspruchs der Klägerin komme es nicht an, weil es sich um einen einheitlichen Anspruch handle, den die Eltern wahlweise ausüben könnten.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob der nicht durchgehende Bezug von Kinderbetreuungsgeld durch beide Eltern anspruchsunschädlich sei oder ob die Betreuung durch den zweiten Elternteil grundsätzlich innerhalb der ersten 30. Lebensmonate erfolgen oder zumindest in diesem Zeitraum beginnen oder unmittelbar daran anschließen müsse, um eine Verlängerung der Anspruchsdauer zu bewirken.
Rechtliche Beurteilung
Die – nicht beantwortete – Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1.1 § 5 Abs 1 bis 3 KBGG in der hier
– unstrittig – anzuwendenden Fassung BGBl I 2009/116 lauten:
„Anspruchsdauer
§ 5 (1) das Kinderbetreuungsgeld gebührt längstens bis zur Vollendung des 36. Lebensmonates des Kindes, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist.
(2) Nimmt nur ein Elternteil Kinderbetreuungsgeld in Anspruch, gebührt dieses längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensmonates des Kindes. Nimmt auch der zweite Elternteil Kinderbetreuungsgeld in Anspruch, so verlängert sich die Anspruchsdauer über die Vollendung des 30. Lebensmonates hinaus um jenen Zeitraum, den der zweite Elternteil Kinderbetreuungsgeld beansprucht, höchstens jedoch bis zur Vollendung des 36. Lebensmonates des Kindes. Als beansprucht gelten ausschließlich Zeiträume des tatsächlichen Bezuges der Leistung.
(3) Der Bezug von Kinderbetreuungsgeld kann abwechselnd durch beide Elternteile erfolgen, wobei ein zweimaliger Wechsel pro Kind zulässig ist.“
1.2 Der Gesetzgeber hat mit der Änderung des § 5 Abs 2 KBGG durch die Novelle 2009, BGBl I 2009/116, unter anderem klar gestellt, dass nur Zeiten des tatsächlichen Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes eine Bezugsverlängerung beim anderen Elternteil bewirken können. Hatte zum Beispiel ein Elternteil nur fünf Monate Kinderbetreuungsgeld bezogen, so kann dies in keinem Fall eine Verlängerung um mehr als fünf Monate bedeuten. Wurden vier Monate Kinderbetreuungsgeld beantragt und auf einen Monat verzichtet, liegt effektiv ein Bezug von drei Monaten vor, weshalb auch nur eine Verlängerung um maximal drei Monate erfolgen kann (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP 9 f). Zeiten des Verzichts oder der Unterbrechung zählen somit nicht als tatsächliche Bezugszeiten; allein maßgeblich für die Verlängerung ist also der tatsächliche Leistungsbezug (10 ObS 106/13f, SSV-NF 27/63; 10 ObS 72/15h, SSV-NF 30/13).
2.1 Die Beklagte legte die Wortfolge „verlängert sich die Anspruchsdauer“ in § 5 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2009/116 im Sinn eines nahtlosen Anschließens des Verlängerungszeitraums an den ursprünglichen Zeitraum aus. Sie beruft sich dazu auf die Meinung von Holzmann-Windhofer (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz [2017] 71 f). Danach lasse erst der im Vergleich mit dem Wortlaut des KBGG idF BGBl I 2009/116 neue Gesetzeswortlaut des § 5 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2016/53 eine andere Auslegung zu als jene, wo ab Erreichen der Höchstanspruchsdauer durch den ersten Elternteil der zweite Elternteil nur beziehen könne, wenn dessen Bezug direkt (ohne Lücke) anschließe bzw der zweite Elternteil nach einem Verzicht im Verlängerungszeitraum kein Kinderbetreuungsgeld mehr beziehen könne. Das Gesetz stelle bei der Kontoanspruchsdauer ausdrücklich auf eine höchstmögliche Anspruchsdauer ab, die durch den tatsächlichen Bezug des ersten Elternteils für den zweiten Elternteil erweitert werde. Innerhalb dieses erweiterten Höchstanspruchszeitraums könne der zweite Elternteil – unter Einhaltung der Mindestbezugsdauer – frei beziehen. Zusätzliche Hürden wie etwa ein lückenloser Anschluss der Bezugszeiten zwischen den Bezugszeiträumen der Eltern seien dem Gesetz nicht mehr zu entnehmen.
2.2 Dieser Unterschied, der erst jetzt nach der neuen Rechtslage keinen lückenlosen Bezug fordern soll, erschließt sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht:
2.3 § 5 Abs 2 KBGG in der Neufassung durch BGBl I 2016/53 lautet:
„Der Bezug von Kinderbetreuungsgeld nach Abs. 1 kann abwechselnd durch beide Elternteile erfolgen, § 3 Abs 2 erster und zweiter Satz ist dabei sinngemäß und verhältnismäßig anzuwenden. Die Anspruchsdauer verlängert sich maximal auf bis zu 1063 Tage ab der Geburt des Kindes.“
§ 3 Abs 2 erster und zweiter Satz KBGG nF lauten:
„Der Bezug von Kinderbetreuungsgeld nach Abs. 1 kann abwechselnd durch beide Elternteile erfolgen, wodurch sich die Anspruchsdauer über den 365. Tag ab der Geburt hinaus um die bereits bezogenen Tage des jeweils anderen Elternteils verlängert, maximal jedoch auf bis zu 456 Tage ab der Geburt des Kindes. Jedem Elternteil ist hierbei eine Anspruchsdauer von 91 Tagen unübertragbar vorbehalten.“
2.4 Bereits nach der alten Rechtslage war durch Gesetzesmaterialien und Rechtsprechung geklärt, dass eine Verlängerung bei abwechselndem Bezug nur um Zeiten des tatsächlichen Bezugs erfolgt. Die neue Rechtslage bringt dies durch die Formulierungen „um die bereits bezogenen Tage des jeweils anderen Elternteils verlängert“ (§ 3 Abs 2 erster Satz KBGG) sowie – insoweit unverändert zu § 5 Abs 2 letzter Satz KBGG aF – „als beansprucht gelten ausschließlich Zeiträume des tatsächlichen Bezugs der Leistung“ (§ 3 Abs 5 zweiter Satz KBGG nF) zum Ausdruck.
2.5 Die Neuregelung des KBGG brachte für Geburten ab dem 1. 3. 2017 eine Umstellung der pauschalen Kinderbetreuungsgeld-Varianten auf ein Kontosystem. Es gibt seither keine fixen Bezugszeiten mehr (Schober in Sonntag/Schober/Konezny, KBGG² § 5 KBGG Rz 1a). Sowohl alte als auch neue Rechtslage stellen aber bei Verlängerung der Bezugsdauer im abwechselnden Modell auf eine Maximalverlängerung ab. Unverändert blieb die Forderung nach einem geblockten Mindestbezugszeitraum (§ 4 Abs 5 KBGG aF; § 3 Abs 5 KBGG nF).
2.6 Der Entscheidung 10 ObS 72/15h, welche in der genannten Kommentierung von Holzmann-Windhofer zitiert wird, ist die Forderung eines lückenlosen Bezugszeitraums durch § 5 Abs 1 und 2 KBGG aF nicht zu entnehmen. Wie in der Vorentscheidung 10 ObS 106/13f stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass es bei abwechselndem Bezug durch beide Eltern keine Verlängerung um jenen Zeitraum gibt, in dem kein tatsächlicher Bezug erfolgt. Im konkreten Fall hatte der, (nach der Mutter beziehende) Vater für einen Zeitraum von drei Monaten auf das Kinderbetreuungsgeld (in der Variante 30 + 6) verzichtet, weshalb sich der Bezugszeitraum nur um die drei Monate des tatsächlichen Bezugs durch den Vater verlängerte, das heißt bis zur Vollendung des 33. Lebensmonats des Kindes. Der Oberste Gerichtshof führt dazu aus: „Unterbricht der zweitbetreuende Elternteil den ursprünglich für sechs Monate geplanten Bezug für drei Monate, ist nur eine Verlängerung maximal bis zum 33. Lebensmonat des Kindes zulässig, unabhängig davon, wann die Unterbrechung erfolgt ist.“
3.1 In dem hier zu entscheidenden Fall bezog zunächst der Vater für das am 2. 7. 2013 geborene Kind Kinderbetreuungsgeld in der Variante 30 + 6 im Zeitraum vom 2. 7. 2013 bis 1. 1. 2016. Eine Verlängerung des Bezugszeitraums bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats wäre bei einem sechsmonatigem Bezug durch die Mutter möglich gewesen. Diese stellte jedoch erst am 23. 8. 2016 einen Antrag auf Kinderbetreuungsgeld ab dem 2. 1. 2016.
3.2 Die Beklagte zieht die Rechtsansicht der Vorinstanzen zur Rückwirkung dieses Antrags um sechs Monate auf den 23. 2. 2016 (§ 4 Abs 2 KBGG idF BGBl I 201/103) nicht in Zweifel. Dass die Möglichkeit einer Rückwirkung auch bei einem späteren Antrag (bpsw nach einer Unterbrechung) besteht, hat der Gesetzgeber bereits in den Materialien zur Stammfassung des KBGG klar gestellt (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 60).
3.3 Die Mutter konnte mangels früherer Antragstellung für den Zeitraum von 2. 1. bis 22. 2. 2016 kein Kinderbetreuungsgeld beziehen. Die Abweisung des Mehrbegehrens für den Zeitraum vom 11. 5 bis 1. 7. 2016 ist bereits in Rechtskraft erwachsen.
3.4 Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit geschaffen, für einzelne Zeiträume auf das Kinderbetreuungsgeld zu verzichten (§ 2 Abs 5 KBGG idF BGBl I 2009/116), wodurch der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld vorübergehend oder vorzeitig endet (§ 5 Abs 6 KBGG idF BGBl I 2009/116). Der Verzicht bewirkt eine Verkürzung des Anspruchszeitraums (ErläutRV 620 BlgNR 21. GP 59 f).
3.5 Ein Verzicht bewirkt ebenfalls eine Unterbrechung oder Lücke im Kinderbetreuungsgeldbezug, die für sich alleine einer Fortsetzung des Bezugs nicht entgegensteht. Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, den Fall einer durch einen Verzicht entstandenen Bezugslücke anders behandeln zu wollen als jenen Fall, in dem der Bezug durch den anderen Elternteil als Folge einer verspäteten Antragstellung nicht nahtlos an den vorangegangenen Bezugszeitraum anschließt.
4. Ergebnis: Die Verlängerung der Anspruchsdauer über die Vollendung des 30. Lebensmonats hinaus (§ 5 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2009/116) setzt nicht voraus, dass der Bezug von Kinderbetreuungsgeld durch den zweiten Elternteil unmittelbar an den Zeitraum des tatsächlichen Bezugs durch den anderen Elternteil anschließt.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.
Textnummer
E122434European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00046.18I.0626.000Im RIS seit
16.09.2018Zuletzt aktualisiert am
22.06.2020