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L92107 Behindertenhilfe Pflegegeld Rehabilitation Tirol;Norm
PGG Tir 1993 §3 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des E, vertreten durch S, beide in H, letzterer vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9/II, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 22. Juli 1998, Zl. Va-999-12.084/8-1998, betreffend Gewährung von Pflegegeld, zu Recht erkannt:
Spruch
1. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Verweigerung der Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft richtet, als unbegründet abgewiesen.
2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Pflegegeld richtet, wird sie zurückgewiesen.
3. Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 4. März 1998 beantragte S, der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers, die Gewährung von Pflegegeld nach dem Tiroler Pflegegeldgesetz für den am 12. September 1980 geborenen Beschwerdeführer türkischer Staatsangehörigkeit. In dem von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahren wurde unter anderem mit dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers ein Fragebogen zur Feststellung des Vorliegens von sozialer Härte aufgenommen und ein ärztliches Gutachten betreffend die Pflegebedürftigkeit des Beschwerdeführers eingeholt.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. Juli 1998 sprach die Tiroler Landesregierung aus, dass gemäß § 3 Abs. 5 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 lit. a des Tiroler Pflegegeldgesetzes, LGBl. Nr. 8/1997, die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht erteilt werden könne und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Pflegegeld ab.
Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der §§ 3 Abs. 1 lit. a und 3 Abs. 5 des Tiroler Pflegegeldgesetzes im Wesentlichen aus, nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens stehe fest, dass der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und drei Geschwistern lebe. Sein Vater sei Alleinverdiener und habe ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von ca. S 29.800,--. Für den Beschwerdeführer und seine Geschwister bezögen die Eltern die Familienbeihilfe bzw. für den Beschwerdeführer zusätzlich den Erhöhungsbetrag der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder. Die Mutter des Beschwerdeführers habe kein eigenes Einkommen. Vom Einkommen des Vaters müssten die Lebenserhaltungskosten für den Beschwerdeführer, seine Eltern und weitere zwei Geschwister bestritten werden. Monatliche Mietkosten und Betriebskosten von S 4.060,-- müssten von diesem Einkommen bezahlt werden. Im Rahmen des nachweislich eingeräumten Rechtes auf Stellungnahme und Akteneinsicht seien berücksichtigungswürdige Ausgaben nicht geltend gemacht worden. Zur Überprüfung einer allfälligen finanziellen Härte sei daher zu klären, ob es vertretbar und zumutbar erscheine, die erforderliche Pflege für den Beschwerdeführer selbst "einzukaufen". Aus den angeführten Gründen sehe es die belangte Behörde als erwiesen an, dass weder die persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse eine Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft zur Vermeidung einer sozialen Härte rechtfertigten. Eine Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft zur Vermeidung einer sozialen Härte sei somit nicht zu erteilen. Auf die Frage der Pflegebedürftigkeit wäre daher nicht näher einzugehen.
Dagegen richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Beschluss vom 23. Feber 1999, B 1660/98-3, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretene, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht darin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 3 Abs. 1 lit. a des Tiroler Pflegegeldgesetzes - TPGG, LGBl. für Tirol Nr. 8/1997, gebührt Pflegegeld nur Pflegebedürftigen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Gemäß § 3 Abs. 5 erster Satz leg. cit. kann die Voraussetzung nach Abs. 1 lit. a ausnahmsweise nachgesehen werden, wenn der Fremde seit drei Jahren seinen Hauptwohnsitz in Tirol hat und auf Grund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Fremden die Nachsicht zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint.
Gemäß § 20 Abs. 1 TPGG kann in Angelegenheiten, in denen Bescheide nach diesem Gesetz, ausgenommen Bescheide nach § 3 Abs. 5 und § 26 Abs. 5, ergangen sind, beim zuständigen Gerichtshof erster Instanz als Arbeits- und Sozialgericht Klage erhoben werden. Die Klage muss bei sonstigem Verlust der Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches innerhalb der unerstreckbaren Frist von drei Monaten ab der Zustellung des Bescheides erhoben werden. Die Tage des Postenlaufs werden in die Frist nicht eingerechnet.
Aus § 20 Abs. 1 leg. cit. folgt somit, dass ein Bescheid, mit dem über die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft abgesprochen wird, nicht mit Klage beim Arbeits- und Sozialgericht bekämpfbar ist, sondern nur mit Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts. Von dem Bescheid über die Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft ist der Bescheid über den Anspruch auf Pflegegeld zu unterscheiden, der (nur) mit Klage beim Arbeits- und Sozialgericht bekämpft werden kann. Die Behörde kann diese Bescheide in getrennten Ausfertigungen erlassen, es besteht aber kein Hindernis, sie - wie im vorliegenden Fall - in einer Ausfertigung zusammenzufassen.
Ausgehend von der Bestimmung des § 20 Abs. 1 TPGG ist jedoch, was die Entscheidung der belangten Behörde über den Anspruch auf Pflegegeld anlangt, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes verwehrt. Soweit mit dem angefochtenen Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Pflegegeld abgewiesen wird, war daher die Beschwerde gegen ihn wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG - in dem gemäß § 12 Abs. 3 leg. cit. gebildeten Senat - mit Beschluss zurückzuweisen.
Der Beschwerdeführer führt in der Beschwerde zur Begründung der Rechtswidrigkeit des Inhaltes ins Treffen, die belangte Behörde habe § 3 Abs. 5 TPGG "fehlinterpretiert", weil sie sich nur mit den wirtschaftlichen Verhältnissen auseinander gesetzt habe. Soziale Härte sei jedoch nicht mit wirtschaftlicher Härte gleichzusetzen. Soziale Härte könne sich nicht nur aus bloß wirtschaftlichen, sondern auch aus persönlichen oder familiären Verhältnissen des Pflegebedürftigen ergeben. Hiebei handle es sich um gleichwertige Alternativen, die nicht kumulativ vorliegen müssten, und lägen solche Verhältnisse beim Beschwerdeführer sowohl im familiären Bereich (infolge der schweren geistigen Behinderung müsse der Beschwerdeführer nunmehr zu Hause, vor allem von seiner Mutter zusammen mit den kleineren Geschwistern unter Mithilfe von ambulanten Diensten betreut werden) als auch im persönlichen Bereich (falls sich der Zustand des Beschwerdeführers überhaupt bessern könne, dann nur durch intensive Betreuung durch psychologisch geschulte Fachkräfte) vor. Überdies habe die belangte Behörde die Grenzen, welche ihr bei der Ermessensübung gesetzt seien, überschritten, zumal sie nicht darauf Bedacht genommen habe, dass sich die Familie des Beschwerdeführers seit Beginn der Siebzigerjahre rechtmäßig in Österreich aufhalte, der Beschwerdeführer in Österreich geboren worden sei und somit ebenso wie seine ganze Familie vollständig in Österreich integriert sei.
Mit diesem Vorbringen vermag es der Beschwerdeführer nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
Die vom Gesetz geforderte soziale Härte muss durch Tatsachen und Umstände des Einzelfalles gegeben sei. Die Frage nach dem Vorliegen einer sozialen Härte ist von der Behörde im Bereich rechtlicher Gebundenheit zu lösen. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung des Beschwerdeführers, dass sich soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 5 TPGG aus persönlichen, familiären oder aus wirtschaftlichen Verhältnisse ergeben kann und dass das Vorliegen eines solchen Umstandes ausreicht, um soziale Härte im Sinne des Gesetzes zu begründen. Nicht beigepflichtet kann jedoch dem Beschwerdeführer werden, wenn er meint, die belangte Behörde habe infolge Fehlinterpretation des Gesetzes ausschließlich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers geprüft. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides und aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass sowohl die familiären Verhältnisse als auch die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers (und seiner Angehörigen) eingehend ermittelt wurden.
Im Hinblick auf die familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer von seiner nicht berufstätigen Mutter gemeinsam mit seinen 1982 und 1985 geborenen Geschwistern betreut wird. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde erstmals vorbringt, er müsse unter Mithilfe von ambulanten Hilfsdiensten betreut werden, so ist er auf die Angaben seines Vaters im Ermittlungsverfahren zu verweisen, wonach die zumutbare Pflege im Familienverband erfolgt und der Zukauf von ambulanten Diensten nicht notwendig ist. Überdies stellt das in Rede stehende Beschwerdevorbringen eine unzulässige Neuerung dar.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes sind familiäre und persönliche Verhältnisse nicht klar und deutlich abzugrenzende Umstände, es bestehen vielmehr Überschneidungspunkte und eine enge Konnexität, weswegen das oben Gesagte auch die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers betrifft.
Dem in der Beschwerde vorgebrachten Argument, der Beschwerdeführer bedürfe einer intensiven Betreuung durch psychologisch geschulte Fachkräfte, ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringt, inwiefern diese Betreuung zwingend geboten wäre. Auch unter Berücksichtigung der aus dem Akteninhalt nachvollziehbaren, beim Beschwerdeführer gegebenen Behinderung ist - wie der Beschwerdeführer bzw. sein gesetzlicher Vertreter selbst dargetan hat - die Betreuung des Beschwerdeführers durch Angehörige im Familienverband möglich und erfolgt auch tatsächlich dort.
Der gerügten Unterlassung der Prüfung der Dauer des Aufenthalts in Österreich sowohl des Beschwerdeführers als auch seiner Familie unter dem Blickwinkel der persönlichen Verhältnisse begegnen keinen Bedenken, zumal § 3 Abs. 5 TPGG nicht auf die Dauer des Aufenthaltes in Österreich abstellt.
Wenn die belangte Behörde bei den gegebenen persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers zur Ansicht gelangte, es liege im Beschwerdefall keine soziale Härte im Sinne des § 3 Abs. 5 TPGG vor, so kann dies jedenfalls unter Mitberücksichtigung der aus dem angefochtenen Bescheid und den Verwaltungsakten ersichtlichen Einkommenssituation sowie der persönlichen und familiären Verhältnisse nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Da diese Überlegungen auf unbedenklichen Verfahrensergebnissen beruhen, erweist sich die Beschwerde, insoweit sie die Verweigerung der Nachsicht vom Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft anlangt, bereits damit als unbegründet und musste daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. Dezember 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999110113.X00Im RIS seit
20.11.2000