Index
L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art118 Abs4Leitsatz
Widerspruch der Regelung betreffend das Recht des Bürgermeisters zur Erhebung einer Aufsichtsbeschwerde an die Landesregierung bei nur teilweiser oder keiner Auszahlung der Bürgermeisterentschädigung zum Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde; keine Ersatzvornahme durch die Aufsichtsbehörde; keine Übertragung von Gemeindeagenden auf eine staatliche BehördeSpruch
Der fünfte Satz des §3 Abs4 des Gesetzes über die Bezüge der Mitglieder der Gemeindeorgane, Sbg. LGBl. Nr. 39/1976 idF LGBl. Nr. 98/1995, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Landeshauptmann von Salzburg ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B1435/96 ein Verfahren über eine Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Am 10. Juni 1995 stellte der ehemalige Bürgermeister der Marktgemeinde St. Michael im Lungau an die Gemeindevertretung gemäß §3a des Salzburger Gesetzes über die Bezüge der Mitglieder der Gemeindeorgane, LGBl. 39/1976 idF vor der Novelle LGBl. 98/1995, einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges, und zwar für die Jahre 1993 und 1994 in der Höhe von 50 % der Bürgermeisterentschädigung.
Am 13. Dezember 1995 faßte die Gemeindevertretung der Marktgemeinde St. Michael im Lungau den Beschluß, den Ersatz des Verdienstentganges nicht zuzuerkennen. Am 14. Dezember 1995 teilte der Bürgermeister dem Rechtsvertreter des Antragstellers folgendes mit:
"Ich darf Ihnen mitteilen, daß die Gemeindevertretung der Marktgemeinde St. Michael im Lungau in der Sitzung am 13. Dezember 1995 betreffend Verdienstentgang R.W. in geheimer Wahl das Begehren Ihres Mandanten abgelehnt hat.
Die Gemeindevertretung ist nach Durchsicht aller Unterlagen zur Überzeugung gekommen, daß kein Verdienstentgang 1993 und 1994 entstanden ist.
Ich ersuche um Kenntnisnahme und verbleibe ..."
Der dagegen erhobenen Vorstellung gab die Salzburger Landesregierung mit Bescheid vom 15. März 1996 Folge und hob den Bescheid der Gemeindevertretung vom 14. Dezember 1995 wegen Unzuständigkeit auf.
In der Begründung des Bescheides ist dazu ausgeführt:
"§3a Abs3 des Gemeindeorgane-Bezügegesetzes, LGBl. 39/1976 idF LGBl. 42/1994 (lautete):
'(3) Erleiden Bürgermeister, die nicht öffentlich Bedienstete sind, durch die Ausübung ihrer Funktion einen Verdienstentgang, so hat ihnen die Gemeindevertretung auf Antrag hiefür einen Ersatz bis höchstens 50 v. H. der Bürgermeisterentschädigung (§3 Abs1) zuzuerkennen. Der Verdienstentgang ist im einzelnen nachzuweisen.'
Diese Bestimmung wurde mit LGBl. 98/1995 aufgehoben und gleichzeitig auch der §3 Abs4 leg. cit. geändert. Gemäß ArtII Abs1 dieses Gesetzes tritt die Änderung mit Beginn des auf die Kundmachung folgenden Monats in Kraft. Das Landesgesetzblatt wurde am 31.08.1995 ausgegeben, sodaß die Änderung mit 01.09.1995 in Kraft getreten ist. §3 Abs4 Gemeindeorgane-Bezügegesetz idF LGBl. 98/1995 bestimmt hinsichtlich der Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges, daß die entsprechenden Nachweise beim Gemeindeamt vorzulegen sind. Erfolgt eine Auszahlung des Verdienstentganges in der nachgewiesenen Höhe nicht innerhalb von zwei Wochen ab Vorlage der Nachweise, so kann der Bürgermeister Aufsichtsbeschwerde an die Landesregierung erheben, die über den Verdienstentgangersatz und dessen Höhe mit Bescheid zu entscheiden hat.
Es ist daher davon auszugehen, daß ab 01.09.1995 der Gemeindevertretung keine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Ersatz eines Verdienstentganges mehr zukam. Die Bestimmungen über das Inkrafttreten der Novelle sehen keine Regelungen hinsichtlich laufender Verfahren vor. Es ist daher die zum Zeitpunkt der Entscheidung jeweils geltende Rechtslage anzuwenden. Dieser Mangel der Zuständigkeit war von amtswegen wahrzunehmen."
Gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung wendet sich die gemäß Art144 Abs1 B-VG erhobene Beschwerde der Marktgemeinde St. Michael im Lungau, in der sie die Verletzung des Rechtes auf Selbstverwaltung unter anderem durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und die Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend macht.
2. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B2799/96 ein Verfahren über ein Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Mit Schreiben vom 21. März 1996 an die Marktgemeinde St. Michael im Lungau begehrte deren ehemaliger Bürgermeister gemäß §3 Abs4 Salzburger Gemeindeorgane-Bezügegesetz, LGBl. 39/1976 idF 98/1995 (GOBG), den Ersatz des durch seine Funktion als Bürgermeister erlittenen Verdienstentganges für die Jahre 1993 und 1994 in der Höhe von 599.730 S. Weiters wurden Zinsen in Rechnung gestellt.
Nachdem innerhalb zweier Wochen keine Auszahlung des Verdienstentganges erfolgt war, erhob der Antragsteller am 16. April 1996 Aufsichtsbeschwerde an die Salzburger Landesregierung, worin er die Auszahlung von 599.730 S begehrte.
Mit Bescheid vom 19. Juli 1996 verpflichtete die Salzburger Landesregierung die beschwerdeführende Marktgemeinde,
"... dem früheren Bürgermeister ... gemäß §3 Abs4 Salzburger Gemeindeorgane-Bezügegesetz, LGBl. 39/1976 idgF,
für das Jahr 1993 einen Verdienstentgang von 302.470 S und für das Jahr 1994 einen Verdienstentgang von 297.259,60 S, sohin insgesamt von 599.729,60 S
zu ersetzen."
Gegen diesen Bescheid der Landesregierung erhob die Marktgemeinde St. Michael im Lungau Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof, in der sie die Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung (Art116 Abs1 B-VG) durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und die Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) geltend machte.
3. Der Verfassungsgerichtshof hat am 10. Oktober 1996 aus Anlaß der Beratung über die Beschwerde zu Zahl B1435/96 und am 26. November 1996 aus Anlaß der Beratung über die Beschwerde zu Zahl B2799/96 beschlossen, von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des fünften Satzes des §3 Abs4 des Gesetzes über die Bezüge der Mitglieder der Gemeindeorgane, Sbg. LGBl. 39/1976 idF LGBl. 98/1995, einzuleiten.
4. §3 Abs4 GOBG lautet (der in Prüfung gezogene Satz ist durch Unterstreichung hervorgehoben):
"(4) Erleidet ein Bürgermeister durch die Ausübung seiner Funktion einen Verdienstentgang, so gebührt ihm hiefür Ersatz, der 50 v. H. der Bürgermeisterentschädigung nach Abs1 nicht übersteigen darf. Der Verdienstentgang ist im einzelnen nachzuweisen. Die Nachweise sind bei sonstigem Anspruchsverlust längstens binnen zwei Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verdienstentgang entstanden ist, beim Gemeindeamt vorzulegen. Die Auszahlung des Verdienstentgangersatzes hat in der nachgewiesenen Höhe innerhalb von zwei Wochen ab Vorlage der Nachweise zu erfolgen. Wird der Ersatzbetrag innerhalb dieser Frist nicht oder nicht in der vollen Höhe ausbezahlt, kann der Bürgermeister Aufsichtsbeschwerde an die Landesregierung erheben, die über den Verdienstentgangersatz und dessen Höhe mit Bescheid entscheidet. Die Landesregierung hat den Inhalt der Nachweise über den Verdienstentgang und für Bürgermeister, die Arbeit- bzw. Dienstnehmer sind, das Höchstausmaß der Arbeits- bzw. Dienstfreistellung, bis zu dem der Ersatz des Verdienstentganges gebührt, durch Verordnung festzulegen."
5. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinen Einleitungsbeschlüssen vorläufig davon aus, daß die belangte Behörde sowohl bei ihrer Entscheidung im Rahmen der Vorstellung als auch bei ihrer Entscheidung über den Ersatz des Verdienstentganges §3 Abs4 GOBG angewendet und daß daher auch der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerden diese Bestimmung anzuwenden hat.
6. Seine Bedenken gegen diese Bestimmung legte der Verfassungsgerichtshof in seinem im Verfahren B1435/96 gefaßten Einleitungsbeschluß wie folgt dar:
"Der Verfassungsgerichtshof hegt zunächst das Bedenken, daß §3 Abs4 Satz 5 GOBG dem im Art18 B-VG verankerten Rechtsstaatsprinzip widerspricht, weil die Entscheidung der Gemeinde, einen Verdienstentgang nicht auszuzahlen, nicht im vollen Umfang anfechtbar ist.
Der Verfassungsgerichtshof hegt das weitere Bedenken, daß die Regelung Art118 Abs4 B-VG widerspricht.
Gemäß Art118 Abs4 B-VG hat die Gemeinde die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen und - vorbehaltlich des im Art119a Abs5 B-VG geregelten Vorstellungsverfahrens - unter Ausschluß eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen. Dem Bund und dem Land kommt gegenüber der Gemeinde bei Besorgung des eigenen Wirkungsbereiches nur ein Aufsichtsrecht zu, das im Art119a B-VG näher geregelt ist.
Gemäß §7 Abs2 GOBG sind die von der Gemeinde nach diesem Gesetz zu besorgenden Angelegenheiten solche des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde. Der Verfassungsgerichtshof hegt vorläufig keine Bedenken gegen die Annahme, daß die Angelegenheiten der Bezüge der Mitglieder der Gemeindeorgane zumindest im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.
Wenn nun §3 Abs4 leg. cit. im Fall der Entscheidung der Gemeinden, keinen Ersatz des Verdienstentganges zu leisten, über den Weg einer 'Aufsichtsbeschwerde' eine bescheidmäßige Entscheidung der Landesregierung vorsieht, so scheint diese Regelung im Effekt ein Rechtsmittel von der Gemeinde an eine Verwaltungsbehörde außerhalb der Gemeinde zu eröffnen. Ein derartiges Rechtsmittel scheint jedoch gemäß Art118 Abs4 B-VG nur im Rahmen der Ausübung des Aufsichtsrechtes in Form des in Art119a Abs5 B-VG geregelten Vorstellungsverfahrens zulässig zu sein.
Der Verfassungsgerichtshof hegt daher das Bedenken, daß der fünfte Satz des §3 Abs4 GOBG im Widerspruch zu Art118 Abs4 B-VG ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Gemeinde in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches an eine Behörde außerhalb der Gemeinde vorsieht."
7. Die Landesregierung verteidigte in ihren zu beiden Gesetzesprüfungsverfahren erstatteten - inhaltlich übereinstimmenden - Äußerungen vom 13. März 1997 die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmung.
8. Die Marktgemeinde St. Michael im Lungau erstattete zu beiden Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie sich für die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung aussprach.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat in den - zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof ist in seinen Einleitungsbeschlüssen davon ausgegangen, daß er die in Prüfung gezogene Regelung bei den in den Beschwerdeverfahren zu fällenden Entscheidungen anzuwenden hätte. Die Verfahren haben nichts Gegenteiliges ergeben.
In dem dem Verfahren zu B1435/96 zugrundeliegenden Bescheid hob die Aufsichtsbehörde einen Bescheid der Gemeindevertretung wegen Unzuständigkeit mit der Begründung auf, daß der Gemeindevertretung ab Inkrafttreten der Novelle zum GOBG LGBl. 98/1995 (1. September 1995) auf Grund des §3 Abs4 GOBG eine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Verdienstentgangersatz nicht mehr zukam.
In dem dem Verfahren zu B2799/96 zugrundeliegenden Bescheid erkannte die Landesregierung auf Grund einer Aufsichtsbeschwerde gemäß §3 Abs4 GOBG einen Ersatz für den Verdienstentgang zu.
Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, sind die Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.
2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, daß §3 Abs4 Satz 5 GOBG Art118 Abs4 B-VG widerspricht, sind begründet:
2.1. Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß die Angelegenheiten der Bezüge der Mitglieder der Gemeindeorgane zumindest im überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden, hat sich als zutreffend erwiesen.
Einerseits spricht der wesensgemäß enge Zusammenhang zwischen der Bestellung der Gemeindeorgane (Art118 Abs3 Z1 B-VG) und der Entscheidung über einen Ersatz des Verdienstentganges an ein Gemeindeorgan dafür, letztere Angelegenheit unter die Generalklausel des Art118 Abs2 B-VG zu subsumieren. Andererseits spielt es - wie auch die Landesregierung in ihrer Äußerung zugesteht - für die Zuordnung einer Angelegenheit zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde keine Rolle, ob der Vollzug einer Angelegenheit die Gemeinde selbst finanziell belastet.
2.2. Die Landesregierung bestreitet zwar die Zuordnung der Angelegenheiten der Bezüge der Mitglieder des Gemeinderates zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde nicht, führt aber als Argument zur Verteidigung der in Prüfung gezogenen Regelung ins Treffen, bei der Feststellung eines Anspruches eines Bürgermeisters auf Verdienstentgangersatz handle es sich politisch um eine hoch sensible Angelegenheit. Der Bürgermeister sei sowohl Vorsitzender der Gemeindevertretung als auch Vorsitzender der Gemeindevorstehung. Es könne von allen Beteiligten gewünscht sein, daß von einer "außenstehenden" Behörde entschieden werden soll. Dies insbesondere, wenn politische Spannungen zwischen dem Bürgermeister und den anderen Mitgliedern der Gemeindevorstehung bzw. der Gemeindevertretung bestehen. Es bestehe auch die Gefahr, daß über den Anspruch des Bürgermeisters auf Verdienstentgangersatz überhaupt nicht entschieden werde. Über den Anspruch des Bürgermeisters würde in diesem Fall nicht bescheidmäßig abgesprochen werden, sodaß er auch keinen adäquaten Rechtsschutz besitze.
Diese spezifische Situation, die von den örtlichen politischen Verhältnissen geprägt werde und sehr leicht dazu führen könne, daß durch gezielte Information der Öffentlichkeit dem Ruf des Bürgermeisters und in weiterer Folge der Politik schwerer Schaden zugefügt wird, haben den Gesetzgeber zur getroffenen Regelung veranlaßt. Zu sehr erscheine die Entscheidung über den Verdienstentgangersatz des Bürgermeisters auf der Gemeindeebene politisch involviert, gleichgültig, ob ein Parteifreund oder ein politischer Gegner als Bürgermeister-Stellvertreter oder eine Mehrheit in der Gemeindevertretung oder im Gemeindevorstand auf Seite des Bürgermeisters oder gegen ihn hiebei zum Zuge komme.
Unbestritten ziehe die Aufsichtsbeschwerde eine bescheidmäßige Erledigung durch die Landesregierung nach sich. Sie richtete sich aber nicht gegen einen Bescheid und könne somit kein Rechtsmittel als ein Parteibegehren darstellen, das auf die Aufhebung oder Abänderung eines Bescheides gerichtet ist. Liege ein ganz oder teilweise ablehnender Bescheid der Gemeindeorgane vor, könne selbstverständlich dagegen Vorstellung an die Landesregierung erhoben werden, der dann auch nur die eingeschränkte Befugnis zur Aufhebung des Bescheides bei allfälliger Rechtswidrigkeit zukomme. Wesentlich sei dafür aber, daß die Gemeinde handelt und entscheidet. Sehe man von der sehr knapp bemessenen Frist ab, müsse der Aufsichtsbeschwerde und der dann gegebenen Zuständigkeit der Landesregierung für eine Entscheidung in der Sache selbst nicht unterstellt werden, die Gemeinde könne nicht entscheiden und gegen eine bescheidmäßige Erledigung könne nicht Vorstellung an die Landesregierung erhoben werden. Die zugegeben nur kurze Frist habe ihren Grund darin, einen möglichen politischen Streit zeitlich möglichst zu beschränken. Die Aufsichtsbeschwerde richte sich inhaltlich gegen die Untätigkeit der Gemeinde, den Verdienstentgang zuzuerkennen und auszuzahlen. Sie erweise sich damit als ein Rechtsbehelf, um von der Aufsichtsbehörde eine Ersatzvornahme zu erreichen. Eine solche dürfe vom zuständigen Gesetzgeber - in Vollziehungsangelegenheiten, die nach der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung dem Land zugewiesen sind, dem Land - für den Fall unbedingter Notwendigkeit vorgesehen werden (Art119a Abs7 B-VG). Eine solche Notwendigkeit sei in den schon dargestellten Gründen gesehen worden. Das Verhältnis zu einer bescheidmäßigen Erledigung durch die Gemeinde werde verfassungskonform so gesehen, daß dann dem Verfahren über die Aufsichtsbeschwerde der Boden entzogen sei, wenn vom zuständigen Gemeindeorgan ein Bescheid erlassen wird. Damit scheide das Vorliegen der Voraussetzung einer unbedingten Notwendigkeit einer Ersatzvornahme aus. Es sei aber verfassungsrechtlich nicht unzulässig, eine Ersatzvornahme in einer Individualangelegenheit an ein entsprechendes Parteibegehren zu binden. Und es scheine weiters verfassungsrechtlich nicht geboten, ein besonderes Verfahren zur Beauftragung der Gemeinde, innerhalb einer bestimmten Nachfrist eine bescheidmäßige Erledigung zu treffen, vorzusehen. Darin möge eine besondere Referenz des Gesetzgebers vor der Gemeindeautonomie gelegen sein, notwendig erscheine dies jedoch nicht. Es wäre eine verlorene Mühe, ein solches Auftragsverfahren durchzuführen, wenn eine bescheidmäßige Entscheidung auf Gemeindeebene nicht erwartet werden könne. Die in Prüfung gezogene Bestimmung sei in bezug auf die Entscheidung über die Aufwandsentschädigungsansprüche von Bürgermeistern so gesehen eine Sonderregelung zu §87 der Salzburger Gemeindeordnung 1994. Die Ersatzvornahme im Gegenstand gesetzlich zu regeln, sei der Landesgesetzgeber kompetent und dabei an kein bestimmtes Modell gebunden. In diesem Sinn sei auch die Aussage in der im Beschwerdeverfahren abgegebenen Gegenschrift zu verstehen, daß die Aufsichtsmittel im Art119a B-VG nicht taxativ aufgezählt werden.
2.3. Die in Prüfung gezogene Regelung ermächtigt die Landesregierung zu einer Sachentscheidung in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde. Eine solche Sachentscheidung der Landesregierung ist jedoch von Verfassungs wegen nur in folgenden zwei Fällen vorgesehen:
Art118 Abs7 B-VG ermöglicht die Übertragung der Besorgung einzelner Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches auf Antrag einer Gemeinde auf eine staatliche Behörde und damit auch auf die Landesregierung.
Art119a Abs7 B-VG läßt die Ersatzvornahme als Aufsichtsmittel zu und zwar beschränkt auf die Fälle unbedingter Notwendigkeit.
2.4. Die in Prüfung gezogene Regelung ist jedoch keinem der beiden in Punkt 2.3. genannten Fälle zuzuordnen.
Soweit die Landesregierung darauf hinweist, es sei wünschenswert, daß die Angelegenheiten der Bezüge der Mitglieder des Gemeinderates - wegen der politischen Brisanz - von einer "außenstehenden" Behörde entschieden werden, ist ihr zu entgegnen, daß eben gerade für diesen Fall im Art118 Abs7 B-VG die Übertragung einzelner Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches durch Verordnung der Landesregierung vorgesehen ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist daher die in Prüfung gezogene Regelung nicht zu rechtfertigen.
Weiters führt die Landesregierung ins Treffen, die Aufsichtsbeschwerde richte sich gegen eine allfällige Untätigkeit der Gemeinde, den Verdienstentgang zuzuerkennen und auszuzahlen. Sie erweise sich damit als ein Rechtsbehelf, um von der Aufsichtsbehörde eine Ersatzvornahme zu erreichen.
Auch dieses Argument ist nicht geeignet, die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Regelung darzutun:
Denn einerseits sind gegen die Säumnis der Gemeindebehörde der Antrag gemäß §73 Abs2 AVG auf Übergang der Zuständigkeit - innerhalb der Gemeinde - auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde sowie die Beschwerde gemäß Art132 B-VG (gegen die Säumnis der in letzter Instanz zuständigen Gemeindebehörde) vorgesehen.
Die in Prüfung gezogene Bestimmung kann andererseits auch nicht als Ersatzvornahme - welche der Gemeinderechtsgesetzgeber gemäß Art119a Abs7 B-VG als Aufsichtsmittel vorsehen kann - qualifiziert werden, denn sie beschränkt sich nicht auf den Fall, daß die Gemeinde auf einen gemäß §3 Abs4 GOBG gestellten Antrag innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht reagiert. Sie räumt der Landesregierung eine Entscheidungsbefugnis auch in dem Fall ein, daß die Gemeinde nur einen Teil des beantragten Ersatzes liquidiert. In diesem Fall liegt aber keine Säumnis der Gemeinde vor.
Wenn die Landesregierung schließlich meint, die angefochtene Bestimmung stehe einer bescheidmäßigen Erledigung eines Antrages auf Zuerkennung des Verdienstentgangersatzes nicht entgegen, so übersieht sie dabei, daß eine Verletzung des Art118 Abs4 B-VG nicht nur darin liegen kann, der Gemeinde in einer Angelegenheit jegliches Entscheidungsrecht zu nehmen, sondern auch darin, - abweichend von dem in Art119a B-VG vorgezeichneten Modell der Aufsicht - in der Weise einen Rechtszug an eine Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung einzurichten, daß die Sachentscheidung der Gemeinde durch eine solche dieser Behörden ersetzt werden kann.
2.5. Die im Prüfungsbeschluß geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes, daß der fünfte Satz des §3 Abs4 GOBG im Widerspruch zu Art118 Abs4 B-VG ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Gemeinde in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde vorsehe, treffen daher zu.
Die Bestimmung war deshalb schon aus diesem Grunde als verfassungswidrig aufzuheben, ohne daß es erforderlich war, auf das weitere im Prüfungsbeschluß geäußerte Bedenken einzugehen.
3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Salzburg über die Kundmachungspflicht stützt sich auf Art140 Abs5 erster Satz B-VG sowie auf §64 Abs2 und §65 VerfGG.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Bezüge für Mandatare, Bürgermeister, Aufsichtsrecht (Gemeinde), Selbstverwaltungsrecht, SäumnisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:G387.1996Dokumentnummer
JFT_10028996_96G00387_00